Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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»Betoel! betoel!« rief die Dame, den etwas starken Kopf ungeduldig herüber und hinüber werfend, und sie winkte dabei ihrem Mann mit der Hand, zu schweigen. »Was ich aber sagen wollte, Mynheer Wagenaar, was ist das für eine junge Dame, die hier kürzlich von Wolanda oder Ihrem Land angekommen ist und die ein Kommis aus Ihrem Geschäft vom Zollhaus abgeholt hat. Sie soll sehr hübsch sein?«

»Sehr hübsch, Mevrouw«, bestätigte Wagner mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt, und van Roeken mußte an sich halten, daß er ihm nicht ein Zeichen zu geben suchte, denn seine eifersüchtige Gattin fixierte ihn scharf von der Seite.

»Und wie kommt das Geschäft mit ihr in Verbindung, wenn man fragen darf?«

»Sehr einfach«, sagte Wagner, »sie ist auf einem von unseren Schiffen als Passagier herübergekommen, da erfordert es schon die Artigkeit, daß man sie wenigstens abholen läßt.«

»Also sehr hübsch ist sie?«

»Wie ich Ihnen sagte. Leider hilft uns das aber nichts mehr, denn soviel ich gehört habe, ist sie mit einem Kaufmann hier aus Batavia verlobt und wird wahrscheinlich nächstens getraut werden.«

»So?« sagte Mevrouw, durch die Nachricht, wie es schien, nicht unangenehm überrascht, »darf man Ihnen da gratulieren?«

»Mir?« rief Wagner fast erschrocken aus, »waarachtig niet! Ich bin schon halb und halb vergeben, könnte wenigstens nicht mehr zurück, wenn ich überhaupt daran dächte, und muß die allerliebste Deutsche schon ihrem glücklichen Bräutigam überlassen.«

»Sie sind bekannt mit ihr?«

»J-a«, sagte Wagner nach einigem Zögern, denn erfuhr Madame durch jemand anderes, daß er heute morgen dort war, so wußte sie, daß man ein Geheimnis vor ihr hatte, und alles war verdorben; »ich habe ihr wenigstens heute morgen meine Aufwartung gemacht. Roeken, es wäre nicht mehr als nur gewöhnliche Höflichkeit, wenn du ihr ebenfalls deinen Besuch machtest.«

»Ich sehe die Notwendigkeit gar nicht ein«, fiel Mevrouw dem jungen Mann in die Rede, »Mynheer van Roeken hat nichts dort zu tun, und einem jungen Mädchen, wenn sie sonst anständig ist, wird ebenfalls nichts daran liegen, so vielen Besuch von Herren zu bekommen. Damit er aber ihre Bekanntschaft macht – wenn ihm so viel daran liegt –, beabsichtige ich heute abend die ›wunderbare Schönheit‹ zu mir einzuladen. Mein Mann hat Ihnen heute morgen schon davon berichtet?«

»Ja – allerdings«, versicherte Wagner, »und das war mit ein Hauptgrund – Ihrem Wunsch nämlich nachzukommen –, daß ich dort heute morgen meinen Besuch machte, denn ich, als Junggeselle, kann die Dame nicht in mein Haus bitten.«

»Also sie kommt?«

»Sie läßt tausendmal um Entschuldigung bitten«, sagte Wagner ruhig, »aber sie fühlt sich von der Reise noch so angegriffen, daß sie nicht einmal imstande ist, das Haus zu verlassen. In einigen Tagen hofft sie indessen, sich so weit erholt zu haben, Mevrouw ihre Aufwartung zu machen.«

Die Dame warf verächtlich den Kopf zurück. »Wenn das alberne Ding glaubt, daß ich mich deswegen gräme«, sagte sie, »so ist sie sehr im Irrtum. Braucht eine Woche, sich von einer Seereise zu erholen – lächerlich. Ihre zarten Glieder sind wohl die Anstrengung nicht gewöhnt. Nun warte nur, mein Täubchen, du wirst dich hier noch an andere Dinge gewöhnen müssen. Aber wie ich sehe, ist endlich das Essen aufgetragen – Mynheer Wagenaar, Ihren Arm, wenn ich bitten darf. Sie essen doch einen Teller Suppe mit uns?«

»Jawohl, bester Freund«, bestätigte van Roeken, »denn wir müssen gleich nach dem Essen zusammen in das Hospital, um diesen nichtsnutzigen Menschen aufzusuchen.«

»Wenn Mevrouw mir erlaubt -«

Die Dame nickte ihm gnädig zu, nahm den ihr angebotenen Arm, erhob sich etwas mühsam von ihrem Stuhl und wackelte neben Wagner zu dem Tisch hinüber, der inmitten des hohen, luftigen Saales gedeckt war und eine Unmenge von Speisen und Getränken trug. Bei Tisch war indessen bei Mevrouw strenges Gesetz, daß nicht von Geschäften, am wenigsten von einem Spital gesprochen werden durfte. Die Unterhaltung drehte sich dann meist um Vorfälle in Batavia selber, von denen die Dame genaue Kenntnis zu haben schien, obgleich sie ihr Haus nur höchst selten verließ. Am liebsten verweilte sie natürlich bei Räuber- und Diebesgeschichten. So war ein Kommis der Maatchappey verhaftet worden, weil man ihn in Verdacht hatte, um das Verschwinden jener Prau zu wissen. Außerdem hatte in Anjer ein malaiischer Soldat einen Kameraden mit dem Kris erstochen und sollte deshalb in der nächsten Zeit hier gehängt werden. Ferner hatte ein »Mädchen von den Inseln« – Sklavin natürlich – den Versuch gemacht, ihre Herrin mit Arsenik zu vergiften, war aber glücklicherweise noch dabei ertappt und tüchtig ausgepeitscht worden. Immer wieder kam die gute Frau dabei auf die junge Fremde im Hotel der Nederlanden zurück, von der sie entschlossen schien, mehr zu erfahren, und Wagner dankte Gott, als die Mahlzeit endlich vorüber war und er sich mit van Roeken entfernen konnte. Wären sie nicht im Begriff gewesen, das Hospital gerade zu besuchen, so würde sie auch Mevrouw van Roeken jedenfalls begleitet haben. Vor diesem Institut aber hatte sie eine ganz heilsame Angst und wäre ihm unter keiner Bedingung irgendwie zu nahe gekommen, ja, sie sah es sogar nicht einmal gern, daß Mynheer van Roeken es besuchte, aus Furcht, er könne irgendeine schreckliche, ansteckende Krankheit mit nach Hause bringen. Van Roeken mußte ihr auch versprechen, sich nicht zu lange dort aufzuhalten, und während Wagner seinen Bendi heimschickte, um in der zweispännigen Carreta des Freundes rascher und bequemer ihr Ziel zu erreichen, fuhr diese vor, die beiden stiegen ein und der Wagen rollte mit ihnen zum hohen Gartentor hinaus.

»Und du warst dort?« sagte van Roeken, als er sich weit genug vom Haus entfernt wußte, um Mevrouws Ohren nicht mehr zu fürchten. »Du hast sie gesehen und gesprochen?«

»Ja, Leopold«, sagte Wagner ernst, »und weiß es Gott, die größte Strafe, die ich dir auferlegen kann, ist: das gleiche zu tun, und dann jenes Mädchen mit deiner jetzigen Frau zu vergleichen. Du hast einen schönen Tausch gemacht.«

»Ist sie so schön?« fragte van Roeken etwas kleinlaut.

»Schön und gut«, sagte Wagner seufzend. »Du hast eine schwere Schuld auf dich geladen, mit dem Herzen dieses armen Geschöpfes in solcher Weise zu spielen, und glaube ja nicht, das je wieder mit Geld ausgleichen zu können, denn jetzt hat mir Scharner auch ausführlich und offen den ganzen Grund geschrieben, weshalb sie Deutschland verließ.«

»Und weshalb?« fragte van Roeken kleinlaut.

»Weil sie dort schon verraten und betrogen wurde. In den besten Verhältnissen erzogen, machte ihr Vater Bankrott und starb, die Mutter folgte ihm bald, und die Waise sah sich von dem Mann, der ihr geschworen hatte, ihr Unglück vergessen zu machen, verraten und verlassen – verlassen, nur um das Herz einer reichen Gräfin zu gewinnen. Der Aufenthalt in ihrer Heimat wurde ihr danach zur Qual, und gerade in dieser Zeit, als ihr Herz gebrochen, ihr Gemüt erbittert war, traf dein Brief ein, der ihr die Möglichkeit zeigte, das unglückliche Deutschland für immer zu verlassen. Jetzt kommt sie hierher, und nun sage selbst, mit welchem Gesicht du ihr entgegentreten möchtest, um dich zu entschuldigen.«

»Aber die ganze Sache haben wir doch eigentlich schon zusammen abgemacht«, warf van Roeken ein, der sich nur höchst ungern solchen fatalen Reflexionen hingab. »Es ist doch nun einmal geschehen; ich habe eingestanden, daß ich falsch handelte, und will alles tun, was in meinen Kräften liegt, es wieder gutzumachen. Mehr kann ja doch kein Mensch von mir verlangen.«

»Aber es ist noch immer die Hauptsache«, sagte Wagner, »wie etwas Derartiges geschieht, denn mit Geld allein ist hier nichts getan. Dem Mädchen gegenüber war ich auch nicht imstande, ein Wort davon über die Lippen zu bringen, und es ist deshalb nötig, daß du ihr schreibst.«

»Ich?« rief van Roeken, erschrocken zu ihm herumfahrend; »aber, bester Freund, du hast mir fest versprochen, daß du das alles mit ihr ordnen willst, und jetzt soll ich schreiben? Woher weißt du denn auch, wenn sie so außerordentlich zartfühlend ist, daß ich nicht in meinem Brief ganz unschuldigerweise irgendeinen Ausdruck gebrauche, der sie, natürlich wider meinen Willen, aufs tiefste verletzen könnte? Ich hin ungeschickt in solchen Dingen und fürchte, daß ich da am Ende mehr verschlimmern als gutmachen würde.«

»Aber wenn ich geschrieben habe, mußt du sie selber sprechen.«

»Daß es meine Frau erführe, nicht wahr? Wenn ich nur den geringsten haltbaren Grund einsehen könnte, weshalb das nötig ist.«

»Dann kann sie auch nicht in dem Hotel bleiben«, sagte Wagner, »wir müssen irgendeine Wohnung in einer achtbaren Familie für sie ausfindig machen.«

»Aber weshalb?«

»Weil es nicht angeht, daß das junge Mädchen dort allein in dem Hotel wohnt«, sagte Wagner bestimmt. »Wäre ich schon verheiratet, so böte es keine Schwierigkeit; ich nähme sie im Augenblick zu mir, bis sich ihr künftiges Schicksal entschieden hätte, aber so – ob nicht Romelaers vielleicht bewogen werden könnten, sie auf kurze Zeit in ihr Haus aufzunehmen.«

»Das wäre das allerbeste!« rief van Roeken, dem dieser Gedanke außerordentlich gefiel. Seine Frau wußte nämlich, daß er Romelaers Haus nie mehr betrat, und dort hätte jeder Verdacht, jede Eifersucht von ihrer Seite aufhören müssen. »Aber nun, lieber guter Wagner, tu mir auch den Gefallen und erwähne die ganze Geschichte heute nicht mehr. Du verdirbst mir den ganzen Tag ohne den geringsten Nutzen, du hast meine Vollmacht; ordne alles, wie du es für das Beste hältst. Frage mich gar nicht dabei um Rat, tue, als ob ich gerade in Celebes oder Macassar oder sonstwo wäre, und schaffe mir die junge Dame, so zartfühlend wie du willst, aber sobald wie irgend möglich, wieder aus Java fort. Ich habe geheiratet, um Frieden und Bequemlichkeit zu finden, nicht um in einem unausgesetzten Guerillakrieg mit meiner Frau zu leben. Also habe nicht allein Mitleid mit der jungen Dame, sondern auch mit mir, der ich dir doch näher stehe.«

Wagner seufzte tief auf; aber er kannte das phlegmatische Temperament seines Freundes, und da der Wagen außerdem gerade vor dem Hospitalgarten hielt, ergab er sich schweigend in die ihm auferlegten Bedingungen.


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