Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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Heffken hatte dieser Szene allerdings vollkommen ruhig und gleichgültig, aber doch auch wieder mit einem gewissen unbehaglichen Gefühl zugesehen, da es ihm fast schien, als ob er für seine Zwecke hier ein wenig zu früh gekommen sei. »Besser zu früh als zu spät«, dachte er aber auch wieder, »ein bißchen austoben muß man die Sache lassen; nachher gibt sich alles von selber. Und dieser scheinheilige Wagner – hat mich richtig angelogen, um mich von der rechten Fährte abzubringen. Alles abgemacht, alles in Ordnung – ja den Teufel! Ob er aber nicht am Ende selber...?« fuhr er plötzlich auf, ohne jedoch dem Gedanken Worte zu geben. »Zum Henker auch, ich bin am Ende doch nicht zu früh gekommen und muß nun das Eisen schmieden, weil es warm ist.«

»Ich danke dir, liebe Kathrine«, sagte Hedwig in diesem Augenblick, indem sie langsam das Antlitz zu der alten, treuen Person emporhob; »habe keine Sorge um mich, es ist schon alles gut und vorüber. Sei nur so gut und setze dich dort hinten still in die Ecke, es ist noch einiges, was ich mit dem Herrn besprechen muß. Nachher ordnen wir dann unsern Reiseplan. Ängstige dich nicht, wir bleiben beieinander, und ich bin stark genug, zu tragen, was da komme.« Die Kathrine küßte den Arm, der gegen sie ausgestreckt war, wie eine Mutter ihr Kind geküßt haben würde.

»Also Sie haben wirklich kein Wort von der ganzen Geschichte gewußt?« sagte Heffken noch einmal. »Das finde ich sehr unrecht, und mir hat Wagner noch gestern abend versichert, daß alles geordnet und abgemacht sei, während ich selber nur hergekommen bin, um zu sehen, ob es zu Ihrer Zufriedenheit geschehen ist und ob ich Ihnen vielleicht mit etwas dienen könne.«

»Sie sind sehr gütig«, hauchte Hedwig leise. »Aber – hat Sie vielleicht Herr van Roeken zu mir gesandt?« fragte sie von einem plötzlichen Gedanken ergriffen.

Heffken wußte nicht gleich, was er darauf antworten sollte; er wußte aber auch nicht, wohin ihn eine direkte Unwahrheit führen könnte, und sagte deshalb: »Nein – gesandt, was man so nennt, gerade nicht, aber – ich dachte mir, daß es Ihnen vielleicht unangenehm sein könnte, mit dem Mann, der Ihre Gefühle so verletzt hat, unmittelbar zu verhandeln, und wollte Ihnen deshalb meine Dienste anbieten. Er muß zahlen, da gebe ich Ihnen mein Wort, so befreundet ich sonst mit ihm bin; zahlen muß er, und tüchtig, und wenn er sich auch nicht gleich darauf einläßt, wir haben Zeit zu warten, ich verschaffe Ihnen inzwischen schon ein Unterkommen hier. Denn wenn Sie ihm unabhängig gegenüberstehen, können Sie Ihr Recht viel besser und nachdrücklicher verfolgen.«

»Was meinen Sie damit?« fragte Hedwig verwirrt, denn das erste Gefühl der Demütigung hatte sie so niedergedrückt, daß sie nicht einmal richtig begriff, was Heffken mit seinen Worten sagen wollte.

»Nun«, erwiderte Heffken ruhig, »Sie haben doch jedenfalls Anspruch auf einen tüchtigen Schadenersatz, den er Ihnen auch nicht verweigern kann, aber – wenn Sie es verstehen, ordentlich darauf zu drängen, und vor allem jemanden an der Seite haben, der mit den Verhältnissen hier bekannt ist, können Sie bei der ganzen Geschichte noch Ihr Glück machen. Van Roekens Frau ist steinreich – eine Farbige – Liplap, wie wir hier sagen, von einem weißen Vater und einer malaiischen Mutter abstammend. Er hat sie auch nur ihres Geldes wegen genommen und vor der Frau jetzt eine Heidenangst, daß sie nämlich erfährt, wie er mit Ihnen steht. Sie ist furchtbar eifersüchtig, und wenn alles geschickt arrangiert wird...«

»Großer Gott!« rief Hedwig erschrocken, die jetzt erst begriff, auf was er hinaus wollte. »Und glauben Sie, daß ich zu einem solchen Mittel meine Zuflucht nehmen würde? Ich Geld erpressen? Barmherziger Himmel, arbeiten will ich – arbeiten, soweit meine Kräfte ausreichen und über meine Kräfte, aber Geld von dem Mann nehmen, der mich auf solche Weise hintergangen hat? Nie – nie im Leben!«

»Mein liebes Fräulein«, sagte Heffken lächelnd, »Sie sprechen jetzt in der ersten Aufregung und in dem Gefühl gekränkter weiblicher Eitelkeit, die hier auch vollkommen gerechtfertigt ist, aber – das wird sich schon geben. Nur darin haben Sie vollkommen recht, daß Sie sich so rasch wie irgend möglich von van Roeken frei machen müssen. Schon das würde mir – an Ihrer Stelle – ein drückendes Gefühl sein, hier in dem Gasthof zu wohnen, den er für Sie bezahlt. Der Gang unseres Rechtsverfahrens, wenn es überhaupt dazu kommen sollte, ist übrigens in Batavia ein erstaunlich langsamer und weitläufiger, auch würde ich Ihnen nicht einmal raten, das Land, das Sie vorher doch erst einmal kennenlernen müssen, sofort wieder zu verlassen. Manche junge Dame hat hier schon ihr Glück gemacht und sich später sehr wohl hier befunden. Die Hauptsache würde also sein, daß Sie, um vollständig unabhängig von Herrn van Roeken dazustehen, vor allen Dingen in irgendeine Stellung eintreten, in der Sie sich, ohne Ihre Kräfte zu sehr anzustrengen, Ihr Brot selber verdienen könnten.«

»Aber wie ist das möglich?« sagte Hedwig, der bei den seltsamen Reden des Fremden der Kopf wirbelte. Nur das Verletzende, Kalte, Abstoßende fühlte sie auch heraus, so freundlich und teilnehmend die Worte auch eingekleidet waren. Aber meinte er es nicht doch vielleicht gut mit ihr – so unfreundlich auch sein Äußeres war, so scharf und schneidend seine Worte ihr in die Seele drangen? Wie herzlich, wie teilnehmend hatte Wagner mit ihr gesprochen, und doch wußte er dabei um den Verrat seines Freundes und hatte sie nicht gewarnt – nicht einmal davon in Kenntnis gesetzt, um ihr diese Szene jetzt, ihr diese schonungs- und erbarmungslose Darstellung der Verhältnisse zu ersparen. Wer war da ihr Freund – wer ihr Feind?

»Möglich? Sehr leicht«, sagte Heffken gutmütig; »und um Ihnen zu beweisen, welchen Anteil ich selber an Ihnen nehme, biete ich Ihnen diese Hilfe an. Würden Sie sich zum Beispiel entschließen können, auf einige Zeit – solange es Ihnen nämlich selber zusagt – meine kleine Haushaltung zu führen, in der Sie vollkommen freie und unbeschränkte Hand behielten, also quasi die Hausfrau repräsentierten? Ihre alte Begleiterin«, fuhr Heffken fort, als ihn Hedwig staunend und überrascht ansah, »würde dabei gar kein Hindernis sein. Sie versteht jedenfalls, wie ich voraussetzen darf, vortrefflich zu kochen – alle deutschen Frauen kochen gut –, und es ließe sich da sehr leicht ein Arrangement treffen.«

Die auf den Porticus führende Tür war, solange sich der Besuch in Hedwigs Stube befand, offen geblieben. Jetzt fiel ein Schatten herein, und als sich beide danach umsahen, stand Wagner dort und sagte: »Mein Fräulein, ich muß um Entschuldigung bitten, daß ich... Herr Heffken!« unterbrach er sich aber in demselben Augenblick, erstaunt, gerade diesen hier zu finden. »Das ist allerdings eine Überraschung, mit der ich nicht gerechnet hatte.«

»Wie Sie sehen, mein lieber Herr Wagner«, lachte Heffken, indem er ihm, ohne seinen Platz zu verlassen, nur leichthin zunickte.

»Und Sie in Tränen, Fräulein!« rief aber Wagner, ohne den Buchhalter weiter eines Blickes zu würdigen. »Ich darf kaum mehr fragen, weshalb, denn wie mir scheint, hat sich dieser Herr hier auf sehr unberufene Weise eingeführt, um Ihnen Schmerz und Qual zu bereiten.«

»Unberufenerweise?« sagte Heffken spöttisch lächelnd; Hedwig unterbrach ihn aber, und mit vor innerer Bewegung zitternder Stimme, doch ihre ganze Kraft zusammenraffend, sagte sie: »Mein Herr – ich kann diesem fremden Herrn nur dankbar sein, daß er mich offen und ehrlich von dem unterrichtet hat, was ich in der ersten Viertelstunde meines Hierseins hätte erfahren müssen. Gott vergebe Ihnen allen, wie Sie an mir gehandelt, wie Sie mich mit herzlichen Worten hierher gelockt haben, um nachher Ihren Spott mit meinem Unglück zu treiben – Gott vergebe es Ihnen, wie Sie mich alle getäuscht und hintergangen haben, aber häufen Sie nicht auch noch Vorwürfe auf den einzigen Mann, der wahr und ehrlich gegen mich gewesen ist.«

»Fräulein Bernold«, sagte Wagner mit tiefer Bewegung, »wenn auch absichtslos, trage ich vielleicht die größte Schuld Ihrer jetzt gerechten Vorwürfe. Diese Szene hätte ich Ihnen ersparen können, wenn auch nicht den Schmerz, den van Roekens Betragen Ihnen leider bereitet. Aber lassen Sie das Wort meines alten Freundes Scharner für mich sprechen – vertrauen Sie mir, und seien Sie versichert, daß ich alles tun werde, was jetzt zu tun noch möglich ist.«

»Keine Redensarten mehr, lieber Wagner – keine Redensarten mehr«, sagte da Heffken, dem dieses Zusammentreffen keineswegs erwünscht war, der aber jetzt nicht mehr zurück konnte. »Die junge Dame verlangt mehr als das und braucht nicht etwa darum zu bitten – sie kann es fordern.«

»Herr Heffken«, sagte Wagner kalt, »ich weiß nicht, wer Sie gerade zum Vermittler in dieser Sache, die keinen Vermittler weiter braucht, aufgerufen hat.«

»Das Fräulein selbst«, erwiderte Heffken keck, »sie hat sich unter meinen Schutz gestellt, und ich werde ihr beweisen, daß ich wenigstens meine Zusage halte.«

Wagner sah erstaunt Hedwig an.

»Der Herr«, sagte Hedwig schüchtern, »hat mir ein Asyl in seinem Haus angeboten.«

»In seinem Hause!« rief aber der junge Mann empört. »Und hat er Ihnen dabei auch gesagt, daß er Junggeselle ist?«

»Oh, der schändliche Kerl!« rief die Kathrine aus der Ecke heraus; Hedwig aber wurde totenbleich, und das Gesicht in den Händen bergend, stöhnte sie: »Auch das noch.«

»Sie sehen«, fuhr Wagner, der sich hoch aufgerichtet hatte, kalt zu Heffken fort, »daß Ihre Gegenwart hier nicht mehr nötig ist – nicht mehr gewünscht wird. Sie haben eine klägliche Rolle gespielt, Herr Heffken, und ich möchte nicht, um alle Schätze Javas, in diesem Augenblick an Ihrer Stelle sein.«

»Ich bin offen und ehrlich mit dem zu Werke gegangen«, sagte Heffken boshaft, indem er aufstand und seinen Hut ergriff, »was andere nur auf Umwegen zu erreichen suchen.«

»Noch ein Wort der Beleidigung gegen die junge Dame«, rief Wagner, der seine Fassung kaum bewahren konnte, »und beim ewigen Gott, ich vergesse, daß Sie – ein Krüppel sind!«

»Setzen Sie Ihrem Treiben auch noch die Krone durch rohe Gewalt auf«, sagte Heffken verächtlich, indem er sich jedoch zur Tür zurückzog. »Übrigens werde ich Sie später dieser Worte wegen um Erklärung bitten.«

»Ich stehe Ihnen zu Diensten«, sagte Wagner kalt, und der Buchhalter verschwand ohne Gruß, ohne ein weiteres Wort aus der offenen Tür. Wagner stand regungslos dem jungen, unglücklichen Mädchen gegenüber. Er mußte ihr Zeit lassen, sich zu fassen, er mußte sich selber erst wieder so weit sammeln, sie mit ruhigen Worten zu trösten. Endlich sagte er mit leiser, bewegter Stimme: »Mein liebes Fräulein; mich trifft allerdings in dieser Sache eine große Schuld; wenn ich aber gefehlt habe, geschah es in guter und redlicher Absicht. Ich wollte Sie mit dem, was Sie doch erfahren mußten, auf so schonende Weise wie möglich bekannt machen und hatte, als ich Ihnen neulich gegenüberstand, nicht den Mut, offen mit Ihnen zu reden. Ich nahm mir da vor, Ihnen alles zu schreiben und Ihnen dann erst mündlich die weitere Erklärung zu geben – aber auf dem Papier erschienen mir die Worte, die Sie trösten und beruhigen sollten, wieder so kalt und herzlos. Ich fing zwei, drei Briefe an und zerriß sie alle wieder, denn ich fühlte, daß Sie mehr von uns fordern könnten als eine tote Erklärung des Geschehenen. Ich bin deshalb zu Ihnen gekommen, um Ihnen diese zu geben, und wie ich sehe, gerade zur rechten Zeit, um Sie der Gegenwart jenes Menschen zu entheben, der Ihr Unglück und – wie er glaubte – Ihre schutzlose Lage zu seinen nichtswürdigen Zwecken auszubeuten hoffte. Darf ich reden?«

»Reden Sie«, sagte Hedwig leise, »ich habe keine Wahl weiter.«

Mit klaren und einfachen, aber herzlichen Worten erzählte ihr jetzt Wagner – auf so schonende Weise wie möglich – zuerst von van Roekens Wunsch, sich eine Häuslichkeit zu schaffen, dann von der plötzlichen Aussicht, die sich ihm hier bot und die er, an die anderen Verbindlichkeiten nicht denkend, annahm. Er versicherte ihr dabei, daß ihn van Roeken nicht um Rat gefragt, ja die ersten Schritte hinter seinem Rücken getan hatte, so daß er das Ganze erst erfuhr, als es zu spät war. Auf so zarte Weise wie möglich berührte er hierauf die Verpflichtungen, die van Roeken gegen sie übernommen und auf ihn übertragen habe, weil er sich scheute, ihr nach dem Vorgefallenen vor Augen zu treten.

»Seien Sie versichert, mein liebes Fräulein«, setzte er dann herzlich hinzu, »daß diese unglückliche Sache in keine besseren Hände gelegt werden konnte. Ich werde für Sie – schon meines alten Freundes Scharner wegen – handeln, als wenn Sie meine Schwester wären, und wenn Sie mir nur vertrauen wollen, sollen Sie wenigstens keine weitere Sorge haben. Jetzt muß Ihnen nur vor allen Dingen Raum zur Überlegung bleiben, ob Sie längere Zeit auf Java zubringen oder nach Deutschland zurückkehren wollen. Van Roeken ist Ihr großer Schuldner; gestatten Sie ihm, daß er nur einigermaßen wiedergutzumachen sucht, was er angerichtet hat. Sie selber sollen außerdem, falls Sie nach Europa zurückkehren, mit einer so delikaten Sache nicht behelligt werden, und ich bitte Sie nur, mir und unserem gemeinschaftlichen Freund Scharner zu erlauben, das alles für Sie zu ordnen.«

Hedwig erwiderte noch immer kein Wort; sie zitterte an allen Gliedern und sah still und schweigend vor sich nieder.

»Ich lasse Sie jetzt allein, mein liebes Fräulein«, fuhr Wagner nach kurzer Pause fort; »aber ich werde dafür Sorge tragen, daß Sie solchen Kränkungen, wie der eben erlebten, nicht wieder ausgesetzt sind. Ich bin hier in Batavia in manchen achtbaren Familien bekannt und werde Ihnen in einer davon, bei lieben Freunden von mir, ein Unterkommen schaffen, in dem Sie ruhig und ungestört, unter guten Menschen, einen Entschluß fassen können. Sie sollen auch die Lichtseiten unseres Lebens hier kennenlernen«, setzte er heiterer hinzu, »damit Sie später einmal nicht nur böse und schmerzliche Erinnerungen aus unserem schönen Java mit in die Heimat nehmen. Die nötigen Schritte dazu werde ich schon heute oder morgen tun und hoffe, Ihnen dann recht bald gute Nachricht bringen zu können. Also fassen Sie Mut, Fräulein Bernold! Gottes Wege sind wunderbar; wer weiß, ob sich nicht alles, was Ihnen jetzt wie Nacht und schwarz erscheint, noch zum Guten und zum Segen wenden kann. Scharner hat an mich ausführlich über Sie geschrieben; Sie kommen hier deshalb nicht unter lauter fremde, teilnahmlose Menschen. Wenn ich selber auch noch nichts getan habe, Ihr Vertrauen zu verdienen, will ich es doch zu verdienen suchen, und wenn Sie Java wieder verlassen, sollen Sie wenigstens nicht von mir in Groll scheiden.«

Wagner war aufgestanden und grüßte achtungsvoll das in sich zusammengesunkene Mädchen; Hedwig regte sich aber nicht, und noch als er schon eine ganze Zeitlang fort war, blieb sie bewegungslos in dieser Stellung.

Kathrine war leise hinter ihren Stuhl getreten und flüsterte: »Fräulein, liebes Fräulein...« Hedwig gab kein Zeichen, daß sie es gehört, verstanden habe. Der Alten liefen die großen hellen Tränen über die Wangen, und langsam legte sie ihr die Hand auf die Schulter.

Erst bei dieser Berührung schrak Hedwig empor, sprang von ihrem Stuhl auf, und die Arme um den Nacken der alten treuen Dienerin schlingend, warf sie sich an ihre Brust und hielt sie so lange Zeit fest und krampfhaft umschlossen.


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