Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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»Sie haben sich«, fuhr jetzt der Wirt fort, »in der Zeit, die Sie hier sind, sehr eifrig mit dem Burschen da drüben beschäftigt, und obgleich ich es von Anfang an nicht gern sah – denn ich kenne den Schlingel –, mocht' ich auch nichts dagegen einwenden, weil Sie selber eben der malaiischen Sprache nicht mächtig sind und von ihm zu lernen wünschten.«

»Nicht das allein, mein lieber Herr«, unterbrach ihn Herr Holderbreit lächelnd, »nicht allein lernen wollte ich, ich wollte auch zugleich belehren, und ich glaube, daß es mir gelungen ist.«

»Wie die Praxis beweist«, erwiderte trocken der Wirt. »Soviel kann ich Ihnen übrigens versichern, daß der Bursche da drüben von keinem Menschen mehr lernt, der hat ausgelernt und ist die durchtriebenste braune Kanaille, die wir vielleicht auf der ganzen Insel haben.«

»War es vielleicht«, erwiderte Holderbreit freundlich, »ehe mich Gott ihm in den Weg führte, aber ich hoffe nicht ohne guten und heilsamen Einfluß auf ihn geblieben zu sein.«

»Das wäre mir lieb«, brummte der Wirt; »aber was für ein Einfluß ihn in diesem Augenblick beherrscht, sehen Sie doch wohl. Der Kerl ist total betrunken.«

»Das halt' ich für ganz unmöglich!« rief Herr Holderbreit.

»Bah«, sagte der Wirt verächtlich, »nicht so viel geb' ich für das, was Sie auf Java für möglich halten, ehe Sie Land und Leute einmal ordentlich kennengelernt haben.«

»Dann ist er vielleicht von irgend jemandem verführt worden«, versicherte der Fremde, »und meine Vorstellungen werden ihn bald wieder auf den richtigen Weg zurückführen. Er ist ein Christ geworden.«

»Ja«, sagte der Wirt trocken, »das hab' ich gewußt, als ich ihn betrunken sah; er spielt wieder sein altes Spiel.«

»Mein lieber Herr...«

»Mein lieber Herr«, fuhr aber der Holländer fort, »ich will Ihnen mit wenig Worten Aufschluß über das Ganze geben und bitte Sie danach, wenn es Ihnen irgend möglich ist, sich etwas weniger mit meinen Leuten zu beschäftigen. Unsere malaiischen Diener hier, die der mohammedanischen Religion angehören, sind einfache, nüchterne und gutmütige Menschen, fleißig in ihrer Art – denn solche Südländer arbeiten überhaupt nicht viel – und ohne Ansprüche. Ihre Religion verbietet Ihnen dabei, sehr vemünftigerweise, den Genuß alkoholischer Getränke, und solange wir sie dabei lassen, befinden wir uns mit ihnen wohl. Sowie sie sich aber zur christlichen Religion bekehren, ist es nicht mehr mit ihnen auszuhalten. Das Schlechteste davon nehmen sie natürlich immer gleich zuerst, oft nur allein an, und da sie sehen, daß die Europäer Wein und Arrak trinken dürfen, weil sie eben Christen sind, glauben sie sich ebenfalls vollkommen berechtigt dazu. Wenn nun damit irgend etwas Gutes erreicht würde, wollte ich nicht ein Wort dagegen sagen, aber die Halunken, die sich überhaupt bekehren lassen – denn der gute Mohammedaner hält fest an seiner Religion –, tun es nur, um von den Weißen eine Menge Geschenke herauszulocken und eine Zeitlang ein liederliches Leben zu führen.«

»Aber ich bin fest überzeugt...«

»Was –?«

»Daß Bali hiervon eine rühmliche Ausnahme ist.«

»Weil Sie ihn bekehrt haben, nicht wahr? So diene Ihnen denn nur zur Kenntnis, mein werter Herr, daß der Halunke seit den letzten vier Jahren, die er bei mir in Dienst steht, schon siebenmal zur christlichen Religion übergetreten und getauft, auch genau solange Christ geblieben ist, wie wir einen Missionar oder Geistlichen hier im Hotel hatten, an die er sich jedesmal heranzudrängen wußte. Sobald sie fort sind, betrachtet er sich dann für einen so guten Muselman wie je, verabscheut geistige Getränke, verrichtet seine Gebete und Waschungen, und glaubt, daß er seinen früheren heidnischen Standpunkt, auf dem er Brahma und Wischnu verehrte, vollständig überwunden habe.«

»Aber Sie halten es doch nicht für möglich«, rief Herr Holderbreit erschrocken, »daß Bali je wieder in seine alten Irrtümer zurückfallen könnte!«

»Irrtümer?« sagte der Wirt trocken. »Der ist vielleicht klüger als wir alle beide zusammen und weiß verdammt gut, was er zu tun und zu lassen hat – seien Sie um den nicht besorgt. Überhaupt, mein guter Herr, wenn Sie meinem Rat folgen wollen – was Sie aber wahrscheinlich nicht tun –, so hängen Sie die ganzen Bekehrungsversuche hier auf Java an den Nagel, denn, aufrichtig gestanden, Sie richten doch nichts aus.«

»Sie werden mich nicht glauben machen, daß die Javanen nicht bildungsfähig wären!« rief Herr Holderbreit gereizt; »aber ich sehe schon, wie es ist, es liegt der Regierung nicht einmal etwas daran, die Eingeborenen aufgeklärt zu wissen.«

»Jetzt haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen«, bemerkte der Holländer vollkommen ruhig. »Und wenn Sie erst einmal ein wenig länger im Lande sind, werden Sie die Wahrheit dieser Worte noch mehr einsehen. Nicht allein der Regierung, sondern der ganzen weißen Bevölkerung von Java liegt nichts daran, daß die Javanen aufgeklärt und Christen werden, denn wir haben etwa sieben Millionen Eingeborene und Chinesen auf der Insel, die von ein paar tausend Weißen im Zaum gehalten werden müssen. Machen wir jenen nun weis, daß wir Menschen alle Brüder, daß wir alle die Kinder eines Vaters seien, und wie die sonst sehr hübschen Sätze alle klingen, machen wir sie mit einem Wort zu dem, was wir selber sind, zu Christen, so wäre die natürliche Folge, daß sie auch anfingen zu überlegen, weshalb sie uns eigentlich gehorchen sollen, und daß wir einer solchen Überzahl auf die Länge nicht die Stange halten könnten, sieht ein Kind ein.«

»Aber die christliche Religion lehrt gerade Duldung und...«

»Papperlapapp!« rief der Holländer ärgerlich, »wir reden hier vernünftig miteinander, darum lassen Sie Ihre Redensarten weg. Sie wissen so gut wie ich, wieviel Duldung die Christen daheim und in fremden Weltteilen üben, und wenn wir gescheit sind, halten wir wenigstens das Maul davon und prahlen nicht noch damit. Für den Inder, besonders den Malaien, also den Mohammedaner, taugt überhaupt die christliche Religion gar nicht, wie uns die Erfahrung hier schon zur Genüge gelehrt hat. Sobald die Kerle – und das schlechteste Gesindel tut es ohnehin nur – sich bekehrt haben, glauben sie nicht allein, daß sie jetzt so gut wie die Weißen selber wären, sondern sie handeln auch danach. ›Ich bin ein Christ‹, damit entschuldigen sie alles, was sie tun. Sie arbeiten nicht mehr, sondern trinken und rauchen den ganzen Tag. ›Ich bin ein Christ‹, sagen sie dabei, ›ich darf das.‹ Sie halten nicht mehr ihre Waschungen und werden unreinlich und kommen zuletzt gewöhnlich so herunter, daß sie, ein sehr seltener Fall hier in Indien, betteln müssen, um nur nicht auf der Straße zu verhungern. Die Geistlichen bekommen es nämlich bald satt, diesen Proselyten, was sie hartnäckig verlangen, nur immer und immerfort zu geben und zu schenken; die Neubekehrten aber haben das fast immer als selbstverständlich angenommen, daß sie, wenn sie einmal Christen geworden wären, auch von den Christen gefüttert und erhalten werden müßten. Merken sie nun endlich, daß das nicht der Fall ist, so glauben sie sich schlecht behandelt, lügen und stehlen, um zu leben, und füllen später, wenn sie nicht für irgendeinen Mord gehängt werden, die Gefängnisse. – Da haben Sie ein Bild von unseren Eingeborenen, wenn sie absolut bekehrt werden sollen, und Sie können es, mit solchen Erfahrungen, der indischen Regierung wahrhaftig nicht verargen, wenn sie derartige Experimente nicht begünstigt.«

»Experimente?« fragte Herr Holderbreit entrüstet.

»Ja, Experimente«, wiederholte ganz trocken der Wirt. »Im Land draußen will der Gouverneur nichts davon wissen, in der Stadt der Resident, und hier im Haus ich nicht. Sie sehen also, daß Sie überall dagegenrennen müssen, und das Nützlichste wäre deshalb, sich eine bessere Beschäftigung auszuwählen.«

»Wenn man Ihren Reden glauben wollte«, sagte Herr Holderbreit gereizt, »so sollte man ja wahrhaftig denken, daß die sogenannte christliche holländische Regierung das Heidentum ganz ängstlich beschütze und zu erhalten suche.«

»Wenn auch nicht gerade ängstlich«, lachte der Wirt, »aber es ist beinah so...«

»Wer aber«, rief Herr Holderbreit, »ist da der schlimmere Heide – der arme Eingeborene, dem das Licht der göttlichen Weisheit noch nie geleuchtet hat, der also auch nicht dafür verantwortlich gemacht werden kann, daß er im Dunkeln wandelt, oder eine hohe, erleuchtete Regierung, die nicht allein nichts zur Verbreitung des Christentums beiträgt, sondern es sogar noch, so viel in ihren Kräften steht, unterdrückt?«

»Jedenfalls die erleuchtete Regierung«, lächelte der Wirt vergnügt vor sich hin, »und wenn Sie meinem Rat folgen wollen, so fangen Sie deshalb nicht mit den viel weniger zurechnungsfähigen Malaien, sondern vor allen Dingen mit der Regierung selber an. Wenn Sie mir die bekehren, will ich Respekt vor Ihnen haben, und die Eingeborenen können Sie nachher zum Dessert verzehren.« Damit stand der Wirt auf und nahm eine Zigarre aus seinem Etui. Wie er nur die Hand danach in die Tasche schob, sprang schon einer der kleinen braunen Burschen herbei, die überall mit ihren brennenden Lunten auf der Lauer lagen. Der Wirt des Amsterdam-Hotels zündete sie an und schritt langsam seiner eigenen Stube zu.

Herr Holderbreit saß noch eine ganze Weile in tiefem Nachdenken auf seiner Stelle. Es konnte ihm aber nicht entgehen, daß die beiden Kapitäne ihre Unterhaltung unterbrochen und nach dem herübergehorcht hatten, was er mit dem Wirt besprach. Große Sympathien für sich und seine Sache durfte er bei diesen ebenfalls nicht erwarten, denn sie flüsterten und lachten auch miteinander, und er stand ebenfalls auf, um ihnen aus dem Weg zu gehen. Er verfolgte seine Zwecke, sie die ihren, und er wußte von vornherein, daß sie sich da nicht vereinigen könnten. Langsam schritt er gerade in die Sonne hinaus und quer über den Hof hinüber seiner eigenen Stube zu, vor der noch immer Bali zusammengekauert lag und in festen Schlaf versunken schien. Als er den Nahenden aber hörte, zog er die Beine etwas mehr an, um nicht getreten zu werden, und Herr Holderbreit, der dies für ein Zeichen völliger Besinnung hielt, blieb neben ihm stehen und sagte: »Bali! Bali! Hörst du mich nicht? Ich verlange Antwort von dir. Fühlst du dich krank, oder hast du heute in frevelhafter Gier gesündigt, Bali! – Bali!«

Bali schien am Anfang keine Silbe von der an ihn gerichteten Frage gehört oder verstanden zu haben; keinenfalls rührte er sich, bis der ehrwürdige Herr ihn endlich, als er ihn die letzten beiden Male beim Namen rief, an der Schulter faßte und derb schüttelte.

»Tuwan«, stammelte er da endlich, »ja, Tuwan.«

»Warum hast du getrunken?« fragte jetzt Herr Holderbreit streng, denn als sich der Bursche nur in die Höhe richtete, verriet ihn der widerliche Geruch des starken Getränks im Augenblick.

»Wer? Ich? Getrunken?«

»Ja, du nichtsnutziger, sündhafter Mensch, der du bist.«

»So?« sagte Bali, sich ziemlich ungeniert wieder auf die eine Seite legend. »Ich wohl kein Christ? Schön – darf ich auch trinken, so viel ich will – nirgends verboten – tabé, weißer Mann, geh zum Teufel!« Und der nächste Augenblick verriet, daß er wieder sanft und süß eingeschlummert sei. Salomon Holderbreit sah den Trunkenbold starr an, seufzte dann tief auf aus voller Brust, und seinen rechten Fuß emporhebend, stieg er über den völlig bewußtlosen Menschen hinweg in seine eigene Stube hinein, schloß sie hinter sich ab und kam an diesem Tag auch nicht wieder zum Vorschein.


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