Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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33. Heffken wirbt um Hedwig. – Wagner informiert Lockhaart. – Tojiang und Klapa

Der alte Herr Lockhaart hatte noch gar nicht lange seine Lektüre wieder aufgenommen, ohne auch nur einen Blick hinter dem Geistlichen herzuwerfen, als draußen wieder ein Wagen vorrollte und ein Malaie schüchtern in den Saal hineinglitt.

»Tuwan Heffken kommt«, flüsterte er dabei, »sollen wir ihn hereinlassen?«

»Heffken?« rief Lockhaart, von seinem Sitz emporfahrend, »was zum Teufel will der hier? Jagt ihn fort.«

»Fragte nach Tuwan«, warf der Malaie ein.

»Nach meinem Schwager? So – hm. Na meinetwegen, führ ihn her; mit dem werden wir auch noch fertig werden. Bin doch wahrhaftig neugierig, was der Herr bei uns zu suchen hat.«

Und mit diesen Worten stand er auf und ging ein paarmal in der Halle auf und ab, bis er die Schritte des Kommenden auf dem Marmorboden hörte. Als er sich nach ihm umdrehte, stand der Buchhalter vor ihm und sagte mit einer achtungsvollen Verbeugung:

»Ah, Mynheer Lockhaart – herzlich erfreut, in der Tat, Sie wieder in Batavia begrüßen zu können. Sie sehen frisch und wohl aus, und das kalte europäische Klima scheint Ihnen außerordentlich gutgetan zu haben.«

»Finden Sie?« sagte Herr Lockhaart, ohne auch nur eine Miene zu verziehen.

»In der Tat! – Ich weiß mich kaum eines Beispiels zu erinnern, daß...«

»Sie wünschten meinen Schwager zu sprechen?« unterbrach ihn ohne die geringsten Umstände der alte Herr. »Er ist nicht zu Haus – mit meiner Schwester und unserem Gast ausgefahren – kommen auch erst spät zurück.«

»So?« sagte Herr Heffken und sah still und nachdenkend eine Weile vor sich nieder, »ausgefahren – hm – dann kann ich also Fräulein Bernold auch nicht sprechen?«

»Und was haben Sie mit der, wenn man fragen darf?«

»Bei Licht besehen«, erwiderte der kleine Buchhalter, ohne auf die Frage direkt zu antworten, »könnte ich alles, was ich zu besprechen habe, auch ebensogut mit Ihnen wie mit Ihrem Schwager abmachen – vielleicht noch besser –, vorausgesetzt nämlich, daß Sie mich anhören mögen.«

»Und das betrifft Fräulein Bernold?«

»Ja«, sagte Heffken nach einigem Zögern, »darf ich sprechen?«

»Reden Sie«, sagte Lockhaart, indem er, während er sich selber wieder setzte, auf einen ihm gegenüberstehenden Stuhl deutete, »bin neugierig, was Sie mir über die junge Dame zu sagen haben.«

»Ich darf voraussetzen«, begann Heffken, während er Platz nahm und seinen Hut spielend auf der linken Hand herumdrehte, »daß Sie davon unterrichtet sind, auf welche Weise die junge Dame nach Java gekommen ist?«

»Sollt' es denken«, erwiderte Lockhaart mit einem forschenden Blick auf den Buchhalter. »Mit der Rebecca, und ich könnte Ihnen Rechenschaft von jedem Tag unterwegs geben – wenn ich es eben für nötig hielte.«

»Das mein' ich nicht«, sagte Heffken gleichgültig, »sondern was die Veranlassung ihres Hierherkommens gewesen ist.«

»Nein kenn' ich nicht«, brach Lockhaart kurz ab, »geht mich auch nichts an – und Sie noch weniger. Was kümmern Sie sich um Dinge, die nur den davon Betroffenen interessieren können?«

»Die Sache ist für jeden interessant«, meinte Herr Heffken, ohne den Wink zu verstehen. »Mynheer van Roeken hat sie sich als Braut verschrieben und indessen Mevrouw Wattlingen, die junge Witwe des alten Wattlingen, geheiratet. Er wird ihr jetzt eine Abstandssumme zahlen und sie mit der nächsten Mail wieder nach Deutschland zurückschicken.«

»Und woher wissen Sie das alles?« fragte Lockhaart, der mit der gespanntesten Aufmerksamkeit diesem kurzen Bericht gelauscht hatte. »Wer hat Sie in einer so delikaten Sache zum Vertrauten gemacht?«

»Van Roeken selber hat mich davon in Kenntnis gesetzt«, erwiderte der Buchhalter leichthin. »Er bedurfte meines Rates und Beistandes, da ihm zu Haus einige Schwierigkeiten drohten.«

»Und Fräulein Bernold wird also, wie Herr van Roeken bestimmt hat, Java schon mit der nächsten Mail wieder verlassen?«

»Ja – allerdings – wenn nicht – wenn nicht Fälle eintreten sollten, die ihr Hierbleiben für seine häusliche Ruhe ungefährlich machen.«

»So? Das ist sehr umsichtig von Mynheer van Roeken gedacht – hätte ich ihm gar nicht zugetraut«, lächelte Lockhaart grimmig vor sich hin. »Ich komme aber noch immer nicht dahinter, was Sie eigentlich mit der ganzen Geschichte zu tun haben.«

»Das will ich Ihnen gleich sagen, Mynheer Lockhaart«, erwiderte Heffken, sich etwas auf seinem Stuhl zurechtrückend, »ich – ich interessiere mich für Fräulein Bernold –«

»So –?«

»Ja – ich interessiere mich sehr für sie und bedauere das arme Mädchen, das hier so verlassen und allein in der Welt steht.«

»In der Tat?«

»Ich weiß, daß sie Nachstellungen ausgesetzt ist.«

»So?«

»Und daß Leute, die selber ein Interesse dabei haben, ihre unredlichen Absichten zu verbergen, mir sogar derartige untergeschoben haben.«

»Was Sie da nicht sagen; das ist mir ja etwas ganz Neues.«

»Sollte Herr Wagenaar nie etwas gegen Sie erwähnt haben?«

»Also Wagenaar ist der Halunke«, sagte der alte Herr, sein Auge dabei nicht von Heffken nehmend, der dem Blick soviel wie möglich auszuweichen suchte, »habe mir beinah' etwas Ähnliches gedacht – und Ihre Absicht jetzt -«

»Um Ihnen zu beweisen, wie ehrlich ich es immer mit der jungen Dame gemeint habe«, sagte Heffken, der seinen Hut jetzt mit beiden Händen herumdrehte, »will ich Ihnen gestehen, daß ich hierhergekommen bin, Mynheer, um bei der jungen Dame in aller Form um – ihre Hand zu werben.«

»Sie?« rief Lockhaart, jetzt wirklich überrascht.

»Allerdings, Herr Lockhaart«, erwiderte Heffken, über das unverhohlende Erstaunen, das in der Frage lag, pikiert, »wenn ich mich auch gerade nicht zu den Schönheiten zählen kann, so weiß ich doch auch, daß häßlichere Männer Frauen bekommen haben. Die junge Dame ist arm und ohne Freunde in einem fremden Weltteil; ich selber dagegen habe mir so viel erspart, daß ich sie vor Mangel und Sorgen schützen kann. Ich darf mir schmeicheln, daß ich mir in Batavia eine Stellung errungen habe, und Fräulein Bernold braucht nicht zu glauben, daß sie eine ganz schlechte Partie mit mir macht. Ich sehe einer Entscheidung übrigens vertrauensvoll entgegen, denn ein solcher Antrag ist die höchste Ehre, die ein Herr einer Dame erweisen kann. Ich hatte auch die Absicht, Mynheer van Straaten um seine Fürsprache zu bitten, der vielleicht noch nicht einmal die hilflose und unangenehme Lage, in der sich die junge Dame befindet, in ihrem vollen Umfang kennt. Da ich ihn aber nicht zu Haus getroffen und mich an Sie wenden konnte, bleibt es sich ja gleich. Ihre Empfehlung werden Sie mir nicht versagen, denn Sie kennen mich ja zur Genüge...«

»Ja«, unterbrach ihn hier der alte Lockhaart, der seinen Grimm nicht länger verschlucken konnte, »ich kenne Sie allerdings, mein Herr Heffken. Wenn ich aber an Ihrer Stelle gewesen wäre, hätte ich die Leute, die mich kennen, gerade am allerwenigsten aufgesucht.«

»Mynheer Lockhaart, ich bin...«

»Der nichtswürdigste, erbärmlichste Schurke, der Gottes Erdboden durch seine Fußsohlen entehrt!« brach aber jetzt der alte Mann los,«und da wir doch einmal so hübsch unter vier Augen sind, tut es meiner Seele wohl, Ihnen das sagen zu können.«

»Mynheer Lockhaart!« rief Heffken, erschrocken von seinem Stuhl aufspringend, denn der alte, eisenfeste Mann sah ihn mit einem Paar Augen an, als ob er ihm im nächsten Moment nach der Kehle fahren wollte. Etwas Derartiges aber lag ihm fern, und wie um selbst der Versuchung dazu zu entgehen, legte er beide Hände auf seinen Rücken und fuhr fort: »Sie haben sich an den Rechten gewandt, Ihr Fürsprecher zu sein. Glauben Sie schofeler Patron denn nicht, daß ich Sie lange durchschaute, ehe ich Sie noch aus meinem Geschäft entließ? Sie haben mich betrogen und bestohlen, wo Sie konnten...«

»Herr Lockhaart!«

»Sie haben die Maatchappey ebenso bestohlen, und jetzt treten Sie mit diesem frechen Gesicht vor mich hin...«

»Herr Lockhaart, ich – verachte Sie!« rief Heffken, der nicht gewillt war, mehr von solchen Beschuldigungen anzuhören. Dabei war er aber mit einem raschen Sprung vor der Tür, und keine drei Sekunden später rasselte sein Bendi zum Tor hinaus.

»Hahahahaha!« lachte Mynheer Lockhaart hinter ihm drein, denn anstatt sich über den Burschen, den er von Grund seiner Seele haßte, zu ärgern, schien es weit eher, als ob ihm diese Szene seine volle gute Laune wiedergegeben habe. »Hahahahaha – mich will der Halunke zum Fürsprecher haben; mich! Na, ich denke, ich habe ihm eine Probe davon gegeben, wie ich etwa für ihn sprechen werde, und sobald... Sapáda! – Sapáda!« unterbrach er sich plötzlich selbst, als sein scharfes Auge ein die Gartenstraße eben heraufkommendes Fuhrwerk entdeckte und einige der malaiischen Diener herbeiflogen. »Spring einer von euch so schnell er kann... Halt – es ist gut. Er kommt schon von selber hierher! Bravo, wie gerufen! Ihr könnt wieder gehen. Halt, vorher zündet die Lampe an.« Und sich die Hände fest reibend, ohne aber einen Muskel seines fast unbeweglichen Gesichtes zu verziehen, schritt er ein parmal rasch in dem hohen luftigen Baum auf und ab.

Nur kurze Zeit war verflossen, als Wagner, eben von van Romelaers zurückkommend, die Stufen heraufsprang und, den Blick in dem leeren Saal umherwerfend, auf Lockhaart zuschnitt.

»Sehr verehrter Herr, ich fürchte fast, daß ich Sie störe.«

»Nein«, sagte Lockhaart, »im Gegenteil; ich wollte eben einen meiner Burschen Ihrem Bendi nachhetzen, um Sie zu mir hereinzurufen, als Sie von selber kamen. Trotz der Dämmerung erkannte ich den ganz außergewöhnlichen weißen, spitzen Hut Ihres Kutschers, der sich darin von allen übrigen unterscheidet. Was zum Henker fällt dem Burschen ein, sich ein so auffallendes Ding auf den Kopf zu setzen?«

»Er muß es doch für schön halten«, lachte Wagner; »ich selber habe mich aber wirklich, mit anderen Dingen im Kopf, noch viel zu wenig darum gekümmert. Wünschen Sie mir etwas mitzuteilen, weil Sie mich rufen lassen wollten?«

»Davon nachher. Zuerst, was führt Sie zu uns?«

»Einesteils die Pflicht, einmal nach unserer Schutzbefohlenen zu sehen«, lächelte Wagner, »obgleich ich vollkommen gut weiß, wie sie hier aufgehoben ist; dann aber ist es auch nötig, daß ich mit Fräulein Bernold selber, ihrer nächsten Zukunft wegen, spreche. Es war einmal ihre Absicht, mit der nächsten Mail nach Europa zurückzukehren, und wenn das noch der Fall ist, wäre es jetzt die höchste Zeit, die unumgänglich nötigsten Vorbereitungen zu treffen.«

»Und weshalb soll sie jetzt Java schon wieder verlassen? – Wollen Sie nicht Platz nehmen?«

»Sie soll gar nicht«, erwiderte Wagner, indem er der Einladung Folge leistete, »aber wenn es ihr eigener Wunsch ist, möchten wir dem nicht im Wege stehen.«

Lockhaart hatte seine Arme fest verschlungen und sah eine Weile still und nachdenklich vor sich nieder. Endlich hob er den Kopf wieder, nahm aus einer neben ihm stehenden Kiste, die er dann Wagner hinüberschob, eine Zigarre, zündete sie an, und den Rauch eine Weile fortblasend, fragte er plötzlich seinen Gast ganz unvermittelt: »Sie werden nächstens Fräulein Marie van Romelaer heiraten?«

»Ich?« fuhr Wagner empor, der eher alles andere als diese Frage vermutet hatte. »Warum glauben Sie das?«

»Ich habe guten Grund dafür!«

»In der Tat?« sagte Wagner mit einem bitteren Lächeln, indem er die vor kaum einer Stunde erhaltene Karte aus der Brusttasche nahm. »Vielleicht überzeugt Sie dann dies hier eines Besseren.«

Lockhaart nahm die Karte, und sie gegen die eben von den Malaien entzündete Lampe haltend, las er die darauf stehenden Namen.

»Hm – das sieht allerdings nicht so aus«, brummte er endlich leise vor sich hin. »Hauptmann Bernstoff – bah, daß die Mädchen doch immer dem zweierlei Tuch nachlaufen – hätte eine bessere Partie machen können – viel besser. Apropos – wissen Sie, daß mir vor wenigen Minuten ein Heiratsantrag für Fräulein Hedwig Bernold gemacht worden ist?«

»Von wem?« rief Wagner und fuhr überrascht empor.

»Sie rieten den Namen nicht, und wenn ich Ihnen ein Jahr Zeit gäbe – von Heffken.«

»Es ist nicht möglich! –«

»Aber doch wahr«, sagte der alte Herr trocken; »ich habe mir aber die Freiheit genommen, ihm einen Korb zu geben, und zwar einen Holzkorb, mit dem er keinen Staat machen wird.«

»Aber weiß Fräulein Bernold davon?«

»Nein – ist auch nicht nötig. Wenn wir sie einmal in unser Haus nehmen, so betrachten wir sie auch in der Zeit, in der sie unsere Wohnung teilt, als zu unserer Familie gehörend, und niemand von meiner Familie sollte sich mit dem Burschen verbinden.«

»Und er hat förmlich um ihre Hand angehalten?«

»Mit geraden Worten, wenn auch nicht mit geraden Blicken, denn der Lump kann mir keine drei Sekunden fest ins Auge sehen. Er – hat mir aber auch die – Veranlassung genannt, die Fräulein Bernold hier nach Java führte. Ist das begründet?«

»Van Roeken trägt allerdings die Schuld.«


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