Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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46. Weiterfahrt mit Joost und Holderbreit. – Beim Chinesen Tsin-Fu

Von munteren Pferden gezogen, fuhr die kleine Gesellschaft in die Berge hinauf, und Hedwig war von all dem Neuen, Wunderbaren, das sie umgab, fast wie betäubt. Wie sie unten in dem Tal, in den friedlichen kleinen Fruchtoasen der Dessas, von der Lieblichkeit der Landschaft entzückt war, so staunte sie hier über die mächtig wilde und großartige Natur, die ihr von allen Seiten entgegentrat. Van Straatens hatten dabei doppelten Genuß mit dem jungen Mädchen; denn nicht allein, daß es sie herzlich freute zu sehen, wie dankbar und jubelnd die junge Fremde jede neue sich ihr bietende Schönheit begrüßte, wurden sie auch selber auf manches in ihrer Umgebung aufmerksam gemacht, das sie sonst, als eben etwas ganz Alltägliches, ruhig und unbeachtet hätten an sich vorbeigehen lassen. Besonderen Spaß machte ihnen aber die alte Kathrine, die ganz überwältigt von Staunen und Bewunderung nur immer in laute Rufe ausbrach und von jedem neuen Gegenstand den Namen wissen wollte. Van Straaten nannte ihr natürlich jedesmal den malaiischen Namen, den sie ebenso regelmäßig weder verstehen noch behalten konnte. Sonderbarerweise dachte sie aber bei allen diesen für sie doch jedenfalls außergewöhnlichen Erscheinungen viel mehr an ihre Vaterstadt als an Java; denn alles und jedes weckte nur immer und immer wieder den einen Gedanken in ihr: was werden die staunen, wenn ich wieder heimkomme und ihnen das alles erzählen kann?

Die kleine Gesellschaft hatte sich indessen noch um einen Wagen und vier Reiter vermehrt. In dem Wagen saß Salomon Holderbreit mit Herrn Joost, und vier Oppass aus Bandong ritten vor und hinter dem Wagen her. Dies fiel allerdings nirgends auf; denn es ist eine Höflichkeit, die der Resident nicht selten Fremden erweist, damit sie bei den Eingeborenen und Chinesen desto freundlichere Aufnahme finden.

Die Burschen sahen komisch genug aus mit ihren bloßen Füßen, blauen Uniformen und goldlackierten, backschüsselartigen Hüten, aber gut zu Pferde saßen sie doch, und wo dem Zug Eingeborene begegneten, da zogen sie scheu und halb von der Straße abgewandt den großen, bambusgeflochtenen Hut vom Kopf, oder sie kauerten auch wohl, eins ihrer Knie beugend, am Boden nieder. Die Oppass wußten, daß sie diese Begrüßung von der Bevölkerung fordern konnten; denn wo sie mit dem Wagen eines Europäers ritten, galt solche Demut dem Residenten selber. Gar nicht recht war es ihnen deshalb auch, daß die Frauen und Kinder den Wagen aus dem Weg schlüpften, so rasch und so oft sie konnten. Wo sie einen Seitenpfad fanden, in den sie einzubiegen vermochten, taten sie es, sobald sie nur das Rasseln der Wagen hörten, und die Kinder krochen durch jede Hecke, in jeden Busch hinein, wo ihnen das grüne Laub nur irgendein ausreichendes Versteck bot.

Hedwig hatte das schon unterwegs und in Bandong, aber noch nie so stark bemerkt wie jetzt, seit sie unter dem Schutz und zugleich mit der Würde der vier braunen Polizeidiener reisten, und wenn irgend etwas imstande gewesen wäre, ihr den Genuß der wundervollen Szenerie zu verbittern, wäre es eben nur dies gewesen. Vollkommen gleichgültig sahen indes die schon seit langen Jahren daran gewöhnten Europäer diesen demütigen Gruß der Eingeborenen, die scheu, mit gezogenem Hut stehenblieben, bis die weißen Tuwans außer Sicht waren. Der Gruß war nicht allein etwas vollkommen Alltägliches, sondern der Eingeborene mußte sogar dem Europäer diese Ehrfurcht erweisen, wenn er nicht bestraft werden wollte. Es lohnte deshalb auch gar nicht einmal der Mühe, nur dafür zu danken.

So wenigstens betrachteten Lockhaart und Wagner in der ersten Carreta diese stete ihnen begegnende Demut, so sahen sie Mynheer und Mevrouw van Straaten an. Nur die Kathrine freute sich über die »höflichen Menschen«, wie sie sagte, verglich sie im Geist mit Erinnerungen, die sie von Sachsenhausen mitbrachte und die nicht zugunsten der Sachsenhäuser ausfielen, und dankte jedesmal auf das verbindlichste – sehr zur stillen Freude van Straatens wie zum unbegrenzten Erstaunen der Eingeborenen, die noch nie eine derartig freundliche und zugleich so sonderbar aussehende Weiße gesehen hatten.

Im dritten Wagen saßen, wie schon vorher erwähnt, Salomon Holderbreit und Herr Everard Joost, und der Geistliche war allerdings nicht mit dieser Gesellschaft einverstanden, hatte sie aber doch endlich geduldet, da er eben keine andere bekommen konnte. Auf seinen dringenden Wunsch, sich der Gesellschaft anschließen zu dürfen, stellte ihm nämlich Lockhaart nur die einzige Alternative, entweder selber einen Wagen zu mieten (was sehr viel Geld kostete) oder für kurze Zeit Herrn Joosts Nachbarschaft zu ertragen.

»Und ich sehe auch nicht ein, weshalb Sie sich weigern wollten«, setzte er hinzu; »nachdem Sie vorher so eng befreundet mit diesem Herrn waren, brauchen Sie sich jetzt auch nicht so zu genieren.«

»Aber ich wußte damals nicht, daß er...«

»... andere Menschen betrogen hätte? Sie haben ganz recht; das war der alleinige Unterschied. Sie wußten es eben nicht, und das ist unsere Entschuldigung immer, wenn wir mit Fremden verkehren. Wir wissen eben nicht, wer und was sie sind, und kümmern uns auch nicht viel darum. Keiner zum Beispiel von uns allen kennt Sie und Ihre Vergangenheit hier; Sie können ebensogut der edelste Mensch wie der nichtswürdigste Halunke sein.«

»Aber als Geistlicher...«

»Bah – Torheit – where is the difference? Machen Sie jedoch, was Sie wollen; fahren Sie mit oder bleiben Sie hier!« Und damit drehte sich der alte Herr von ihm ab. Salomon Holderbreit war aber fest entschlossen, mitzufahren, und ließ sich deshalb selbst Herrn Joost gefallen, über den er mehr gehört hatte, als ihm lieb war, und neben dem er jetzt durch die wunderschöne Landschaft in die Berge hineinrollte. Beide Reisegefährten waren aber, besonders am Anfang, nicht sehr zum Reden aufgelegt; doch würde man Joost unrecht getan haben, wenn man geglaubt hätte, das Bewußtsein, von Herrn Salomon Holderbreit erkannt zu sein, trüge die geringste Schuld daran. Wenn sich, seiner Meinung nach, jemand zu schämen hatte, daß er überlistet wurde, dann war es der Geistliche; und der Mann war ihm überhaupt zu fremd und gleichgültig, als daß er sich weiter um ihn gekümmert hätte. Nein, seine Hauptsorge lag tiefer, und zwar darin, ob er den schlauen Klapa auch wirklich überlisten könne oder nicht – denn in letzterem Fall würde sich dann auch dieser eiserne Lockhaart an kein Versprechen gebunden halten. Diesen Klapa kannte Herr Joost aber viel zu genau, um nicht mit Recht an einem sicheren Erfolg zu zweifeln, und doch hing seine eigene Freiheit davon ab. Wenn man Herrn Joost freilich so bequem, und allem Anschein nach kaum beachtet, in dem Wagen sitzen, oft auch, wo der Weg steil wurde, aussteigen und daneben hergehen sah, hätte man denken sollen, er sei schon jetzt frei, und nichts könne ihn daran hindern, zu jeder ihm beliebigen Zeit in den Urwald zu fliehen, wo eine Verfolgung fast unmöglich gewesen wäre. Herr Joost wußte aber leider nur zu gut, wie der Urwald im Innern aussah und daß er dort sein Leben nie und nimmer hätte auf die Länge der Zeit fristen können; Schlangen und Tiger noch nicht einmal gerechnet, die er mehr fürchtete, als er gern eingestehen mochte.

Nicht um alle Freiheit der Welt hätte er deshalb auch nur eine einzige Nacht im Wald allein zubringen mögen, denn in seinem dunklen Schatten lagerten Tausende von Schrecken für ihn. Selbst in einer Hütte der Eingeborenen hätte er sich nur so lange halten können, wie sein mitgenommenes Geld reichte, die Leute zu bestechen; denn welches Interesse nahmen diese an einem Europäer, um sich die Strafe des Residenten, den Zorn ihres eigenen Regenten oder Häuptlings auf den Hals zu ziehen, weil sie irgendeinen schlechten Weißen verbargen? Nein, mit solchen Gedanken an Flucht hätte sich vielleicht ein Neuling herumtragen können; Herr Joost kannte aber das Land und seine Sitten und Bewohner zu genau, um für ein derartiges Wagestück auch nur den Plan zu machen. Er wußte ja doch, daß er ihn nicht hätte ausführen können. Das einzige, an was er dachte, war Klapa und dessen Überlistung, und jeden Javaner, der bei ihrem Wagen stehenblieb und demütig den Bambushut zog, blickte er rasch und scheu von der Seite an, als ob er fürchtete, Klapa könne unter ihnen sein und müsse ihm dann seine verräterischen Absichten an der Stirn ablesen.

Sein häufiges Hinüberblicken zu den Grüßenden brachte endlich Salomon Holderbreit zu der Vermutung, Herr Joost mißbillige dieses knechtische Benehmen ebenso wie er. Ließen sich doch die Weißen hier eine fast abgöttische Ehrfurcht erweisen, und so durfte sich kein Mensch vor dem anderen demütigen; es war dies eine Entheiligung des Kniens, das nur vor Gott gerechtfertigt sein konnte. Herr Holderbreit dankte allerdings am Anfang jedesmal den Grüßenden, während Herr Joost gedankenlos über sie hinaus in die Wipfel der Bäume starrte; endlich aber konnte er es nicht mehr über sich bringen, dazu zu schweigen, und er sagte, sich zu seinem Reisegefährten wendend: »Das sollte nicht geduldet werden – es ist eine Entwürdigung des Menschen.«

»Was?« fragte Herr Joost zerstreut.

»Dieses Verbeugen und Niederkauern vor uns«, fuhr Salomon Holderbreit fort. »Ich werde den Residenten, sobald ich nach Bandong zurückkomme, darauf ansprechen, es jedenfalls zu verbieten, denn es läßt sich ja gar nicht mit der christlichen Religion vereinbaren.«

Joost murmelte einige unverständliche Worte vor sich hin, an denen Herr Holderbreit nichts verlor, denn es waren eben keine Schmeicheleien für ihn.

»Wie sagten Sie?« fragte der Geistliche.

»Herr Holderbreit«, erwiderte ihm Joost, »Sie werden mir zugestehen, daß ich manche Erfahrung in Java gesammelt habe, nicht wahr?«

Die Frage kam dem Deutschen unter den eigentümlichen Verhältnissen, unter denen er den Mann wußte, so unerwartet, daß er in der Tat am Anfang gar nichts darauf erwidern konnte. Endlich sagte er langsam: »J-a! – ich sollte denken.«

»Nun gut«, entgegnete Joost, den dieses Zögern weiter nicht berührte, »wenn Sie dann dem Rat eines Mannes von Erfahrung folgen wollen, so kümmern Sie sich, solange Sie hier auf Java leben, weder um die Verbesserung der Sitten noch des Glaubens unserer Eingeborenen – überhaupt gar nicht um diese.«

»Aber ich bin doch nur deshalb hergekommen, um...«

»Bitte, bemühen Sie sich nicht, mir eine Erklärung zu geben«, unterbrach ihn Joost trocken; »ob Sie meinen Rat befolgen wollen oder nicht, kann mir ganz gleichgültig sein. So viel darf ich Ihnen aber versichern, daß die holländische und besonders die Kolonialregierung genau weiß, was sie und wie sie's tut. Solange der Javaner den Europäer noch gewissermaßen für ein höheres Wesen hält und ihm die dazu nötige Ehrfurcht erweist, solange dürfen die Weißen auch hoffen, hier die Herren zu bleiben. Sobald das einmal nicht mehr der Fall ist, haben sie ausgespielt.«

»Aber die christliche Religion...«

»Werden Sie nicht langweilig«, sagte Herr Joost; »übrigens nähern wir uns unserem Ziel. Da vorn liegt Tjiledi, wo wir bei einem ganz gemütlichen Heiden und Götzenanbeter, einem Chinesen, absteigen werden; machen Sie sich wenigstens darauf gefaßt, die Wohlgerüche mit einzuatmen, die er seinen Göttern anzündet.«

»Und sollten denn nicht einmal diese Chinesen, die ein so gescheites und unternehmendes Volk sind, zu überzeugen sein, daß ihre Religion ein reiner systematischer Wahnsinn ist?« sagte Holderbreit.

»Versuchen Sie es«, erwiderte lächelnd Herr Joost.

»Wissen Sie nicht, daß es meine Pflicht ist?«

»Ich weiß, daß Ihre Pflicht ist, sich um lauter Sachen zu kümmern, die Sie eigentlich gar nichts angehen«, erwiderte trocken der Holländer. »Machen Sie das also mit sich selber aus, und seien Sie so gut und lassen Sie mich damit zufrieden. Ich gebe Ihnen mein Wort daß ich andere, wichtigere Sachen im Kopf habe.«

Herr Holderbreit, eigentlich darüber etwas beleidigt, wollte darauf erwidern. Der erste Wagen hielt aber schon in diesem Augenblick vor dem Haus, aus dem ein breitschultriger, langzöpfiger Chinese mit freundlichem Grinsen und die Mütze in der Hand trat und dem dagegen völlig gleichgültigen Lockhaart eine Menge tiefe und ehrfurchtsvolle Verbeugungen machte. Wenige Minuten später war die ganze Gesellschaft ausgestiegen, und während Joost mit dem Chinesen rasch und heimlich einige Worte wechselte, sammelten sich die übrigen Gäste in einem offenen, nur mit einem Dach versehenen Nebenbau des Hauses – eine Art Baulichkeit, wie sie bei uns nicht selten in öffentlichen Gärten stehen, um »Konzerte im Freien« darunter abzuhalten. In Tjiledi sollten die Pferde gewechselt werden, bis aber diese kamen, dauerte es längere Zeit, und der Chinese hatte, um seine Gäste zu ehren, Tee bestellt, der augenblicklich serviert wurde.


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