Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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18. Hedwig wird abgeholt. – Van Roeken in Aufregung

Als der junge Mann, der beauftragt worden war, die Fremde mit ihrer Begleiterin vom Zollhaus abzuholen, die Beförderung des nicht unbedeutenden Gepäcks zum Bestimmungsort arrangiert hatte, entstand noch eine kleine Schwierigkeit. Denn die alte Kathrine, die sich keineswegs als »Dame« betrachtete, wollte absolut auf dem Bock neben dem Kutscher sitzen, und dieser, darüber aufs äußerste erstaunt, da ihm etwas Derartiges im Leben wohl noch nicht vorgekommen war, weigerte sich ebenso bestimmt, sie zu sich heraufzulassen. Glücklicherweise kam noch der Kommis zur rechten Zeit, um einer auffälligen Szene vorzubeugen, denn schon sammelte sich eine Anzahl von Malaien und Chinesen aus der Nachbarschaft, die den Versuchen der »weißen Nona«, auf den Bock zu steigen, zuschauen wollten. Der Kommis hatte Takt genug, etwas Derartiges nicht zu dulden, denn wenn auch Dienerin, war die Alte doch immer eine Weiße oder Europäerin oder Wolanda (wie sie die Malaien nannten), und als solche durfte sie sich schon des schlechten Beispiels wegen, nicht auf eine Stufe mit der braunen Rasse stellen. Erfolgreich überredete er sie dann auch mit Hedwigs Hilfe, im Wageninnern Platz zu nehmen, aber keine Macht der Welt hätte sie, als sie sich dem endlich fügte, dazu gebracht, sich mit in den Fond zu setzen. Die Stelle mußte der Kommis mit Hedwig einnehmen. Als sie dann das »Notwendigste«, trotz aller Versicherungen, daß in einer Stunde spätestens sämtliches Gepäck in ihrem Hotel sein würde, mit in dem Wagen untergebracht und einen riesigen Koffer hinten sicher befestigt hatte sowie eine Hutschachtel und drei oder vier Körbe neben sich wußte, beruhigte sie sich soweit, die Abfahrt zu gestatten.

Hedwig befand sich indessen in einer unsagbaren Aufregung, denn einen ganz anderen Empfang hatte sie sich bei ihrer Landung in Batavia gedacht – und vielleicht gefürchtet –, nämlich die Begegnung mit ihrem zukünftigen Gatten zwischen fremden Menschen. Noch nie hatte dabei der Gedanke, welchen kühnen und fast unweiblichen Schritt sie unternahm, als sie dem Rat ihres alten Freundes Scharner folgte, mit solcher Last auf ihrer Seele gelegen, wie gerade jetzt, da man sich einer Entscheidung näherte, und wäre es ihr in diesem Augenblick noch möglich gewesen, alles rückgängig zu machen, sie würde es unverzüglich und ohne weiteres Bedenken getan haben. Aber es war zu spät – zu spät, zu zögern, zu bereuen; die Kugel rollte, und ihr Geschick mußte sich jetzt erfüllen. Ängstlich musterte sie dabei die Gestalten der Europäer, die sie zuerst am Zollhaus traf und denen sie dann später unterwegs begegnete. Ob ihr zukünftiger Gatte sich vielleicht unerkannt ihr nähern wollte, um sie, ehe er sich ihr vorstellte, erst einmal zu sehen? Aber nur gleichgültige Gesichter waren es, auf die ihr Auge traf, und völlig allein fühlte sie sich, als selbst der alte Lockhaart so kalt und teilnahmslos, wie er sich auf der ganzen langen Seereise gezeigt hatte, ohne Abschied, ohne Gruß jetzt von ihr schied. Und doch hatte sie eine Art von Schutz selbst in seiner Nähe gefunden, ja es war ihr manchmal gewesen, als ob unter der rauhen, barschen Hülle ein edles, teilnehmendes Herz schlagen müsse – und sie hatte sich doch geirrt, denn ein letztes Lebewohl hätte er ihr wenigstens sagen können, ehe sie hier in die fremde, für sie leere und trostlose Welt allein hinausging. Kalt, wie immer, war er aber in seinen Wagen gestiegen und davongerollt, ohne noch zu fragen, wo sie bleibe – was kümmerte er sich um das fremde, unglückliche Mädchen.

Die Kathrine dachte an nichts Derartiges, denn wie in einem wachen Traum sah sie plötzlich eine neue, nie geahnte Welt um sich entstehen. Da war auch nichts mehr, was mit der alten, verlassenen auch nur die geringste Ähnlichkeit hatte, denn selbst die Häuser und Gebäude sahen fremdartig aus, und die Kutschen und Kabrioletts – selbst ohne die winzig kleinen Pferde davor – würden schon durch ihre braunen Kutscher, mit den umgestürzten und buntbemalten oder vergoldeten Backschüsseln statt Hüten auf den Köpfen, ihre laute Bewunderung erweckt haben. Und dazu die sonderbaren hochstämmigen Bäume – Palmen –, die sie bis jetzt nur auf Bildern gesehen und dann für etwas künstlich Gemachtes gehalten hatte; die Chinesen mit ihren langen Zöpfen und spitzen Hüten; die Malaien mit ihren Lasten, die sie an einem Stock über der Schulter trugen; die Frauen und Mädchen der Eingeborenen mit ihren dünnen, unanständigen Kleidern – keine von ihnen eine Haube auf und mit den nackten Beinen in der Welt herumlaufend; die fremde Sprache dazu, mit Tönen, aus denen sie auch nicht den geringsten Sinn finden konnte – das alles zusammen mit einem plötzlichen Schlag auf sie einstürmend, machte sie ganz wirr im Kopf, so daß sie wie betäubt von einem zum andere starrte, manchmal hell auflachte und dann wieder sich fast erschreckt an ihren Sitz anklammerte. Ihr junger Begleiter, der sich über das halb verdutzte, halb erstaunte Gesicht der Fremden amüsierte, versuchte ein paarmal sie anzureden, um ihr einiges zu erklären; aber sie gab entweder ganz verkehrte Antworten oder hörte gar nicht, und er mußte sie zuletzt sich selber überlassen, damit sie sich mit der Zeit an ihre neue Umgebung gewöhnen könne.

Hedwig dagegen bemerkte kaum, daß sie sich in einem andern, fremden Land befand. Sie sah wohl die seltsamen und außergewöhnlichen Gestalten, die ihr begegneten, aber wie Schatten glitten sie an ihr vorüber, und ihr Bild wollte nicht an ihrem Auge haften. Nur ein Gefühl bemeisterte sich ihrer, nur ein entsetzliches Gefühl: das Bewußtsein, daß sie nicht mehr frei sei, zu handeln, wie sie wolle, wie sie es für gut finde – daß sie sich verkauft habe an einen fremden Mann, daß sie den Kaufschilling nicht zurückzahlen könne und Körper wie Seele nicht mehr ihr eigen nennen dürfe. Eine unsagbare Angst überkam sie, ihr Auge verdunkelte sich, immer bänger wurde ihr zumute, immer heftiger schlug ihr Herz, und wie sie fühlte, daß ihr zuletzt sogar die Kraft fehlte, sich lange aufrecht zu halten, sank sie halb ohnmächtig in der Wagenecke zusammen.

Ihr junger Begleiter hatte etwas Ähnliches schon lange gefürchtet. Sie gab ihm auf seine Fragen keine Antwort, wurde mit jedem Augenblick blasser, das Auge starrer, und wäre jetzt vielleicht, als sie ihr Bewußtsein ganz verließ, aus dem Wagen gefallen, wenn er nicht rasch zugegriffen und sie gehalten hätte. Die Kathrine schien von alledem auch nicht das geringste bemerkt zu haben, bis ihr Fräulein wirklich bewußtlos zusammenbrach. Dann aber war auch alles andere für sie im Nu verschwunden, nur in der Angst um das ihrem Herzen so teure Wesen, das, wie sie schon fürchtete, in ihren Armen sterben würde.

»Kein Wunder«, rief sie dabei in ihrem ärgsten Dialekt, Seereise, Land und Leute verwünschend, »kein Wunder, daß das arme zarte Herz alle die Mißhandlungen von Salzfleisch und Backofenhitze, von braunen Teufeln und Jammer und Leid nicht aushält; kein Wunder, daß sie mir stirbt! Aber du darfst nicht fort, Engel; du darfst nicht deine arme, alte Kathrine hier allein unter den Heiden und Unmenschen zurücklassen oder wieder über das weite, schreckliche Meer schicken!« Der junge Mann hatte die größte Mühe, sie nur zu beruhigen, und Geistesgegenwart genug, dem Kutscher nicht zu erlauben, daß er anhielt, sondern ihn anzuweisen, seine Pferde zu nur noch stärkerem Trab anzutreiben. Hedwig kam dann auch bald wieder, selbst ohne äußere Mittel, zu sich, und als sie vor dem geschmackvollen Portal des Hotels hielten, hatte sie sich schon so weit wieder erholt, daß sie den Wagen allein verlassen und ihr Zimmer aufsuchen konnte, wo ihr dann die Kathrine vernünftigerweise ein paar Stunden Schlaf als bestes und beruhigendes Mittel verordnete. Sie schrieb den ganzen Unfall auch nur der übermäßigen und unmenschlichen Hitze zu, die niemand aushalten könne, ohne ohnmächtig zu werden, der nicht gerade von Stahl und Eisen wäre.

Ruhe war dem armen Mädchen aber besonders nötig. Sie mußte ihren Geist erst wieder sammeln, um dem zu begegnen, auf was sie sich allerdings in der langen Zeit der Seereise hatte vorbereiten können, was aber doch, als es ihr plötzlich so nahe gerückt wurde, sie zu überwältigen und zu entnerven drohte. Kathrine hielt dabei treue Krankenwache, und als spät am Nachmittag ein Bote kam und anfragte, ob Fräulein Bernold einen Besuch empfangen würde, wies ihn die Alte mit der Bemerkung kurz ab, daß ihr Fräulein heute nicht ganz wohl und von der Reise noch zu angegriffen sei. Wer sie sprechen wolle, möge morgen oder übermorgen wieder nachfragen.


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