Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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17. Mynheer Lockhaart. – Ankunft im Hafen

So klein, schmächtig und kraftlos diese malaiischen Ruderer aussehen, die gewöhnlich solche Boote führen, so zäh und ausdauernd sind sie trotzdem. Den ganzen Tag schaffen sie unermüdlich das nicht eben leichte Fahrzeug herüber und hinüber, mehrere englische Meilen weit, und eine Handvoll Reis mit etwas rotem Pfeffer genügt ihnen vollkommen, um dem Körper die nötige Stärkung zu geben. Nicht einmal Schutz gegen die Sonne verlangen sie dabei, denn das im Boot ausgespannte Sonnensegel schützt zumeist nur den Steuernden und die ihm zunächst Sitzenden, während der vordere Teil des Bootes frei und unbedeckt bleibt. Bei dieser Fahrt hatte indessen der alte Herr aus Batavia das Steuer selber genommen und den Bootsmann nach vorn geschickt. Er kannte genau die Richtung und wußte, wie ein Steuer geführt werden mußte, so daß es ihm der Malaie wohl überlassen konnte, und rechts neben ihm saßen die beiden weiblichen Passagiere der Rebecca, links der Geistliche, der finster und mürrisch vor sich niederschaute und die seltsame und interessante Szenerie gar nicht zu beachten schien. So entschieden er aber auch zu Anfang der Reise aufgetreten war und manches Vorrecht beansprucht hatte, das er glaubte seinem Stand nach verlangen zu können, so entschieden wies ihn der alte Herr mit der gelben Hautfarbe jedesmal zurück und ein paarmal so derb und kräftig zurecht, daß er eine ordentliche Scheu vor dem kleinen, ruhelosen Auge des Alten bekam und ihm auswich, soweit es nur möglich war.

Froh war er nur, daß er jetzt, mit dem Betreten des Landes, der Nähe und Überwachung des alten Kaufmanns enthoben war, der gleichmütig umherschaute, während er das richtige Fahrwasser einhielt, als ob er hier alle Tage aus- und eingefahren wäre und nur seine gewöhnliche Spazierfahrt mache. Um die Mitpassagiere, die er auf der ganzen langen Fahrt nicht beachtet hatte, kümmerte er sich natürlich jetzt, wo er sich in kürzester Frist von ihnen auf immer trennen sollte, noch viel weniger. Nur manchmal zuckte ein spöttisches, fast verächtliches Lächeln um seine Lippen, wenn die alte Kathrine, außer sich über das viele Neue und Seltsame, das sie umgab, in laute Rufe des Staunens und der Überraschung ausbrach; aber das ging fast so rasch wieder vorüber, wie es gekommen war, und der alte Herr Lockhaart saß dann wieder so ernst und schweigend vor dem Steuerruder wie je, die beiden Hände, in denen er die am Ruder befestigten kurzen Taue hielt, auf seinen Knien ruhend und das kluge, sinnende Auge auf die vor ihnen liegende Bahn gerichtet.

Die alte Kathrine hatte aber trotzdem Ursache, erstaunt zu sein, denn nicht allein ein neues Land und Leben, nein, eine ganze neue Welt umgab sie, die mit ihren ungeahnten, ja unbegriffenen Formen ihr Auge von einem Punkt zum andern lockte. Kaum blieb ihr jedoch Zeit, das eine anzustarren, als schon ein anderer, noch viel außergewöhnlicherer Gegenstand ihre Aufmerksamkeit aus neue fesselte. Unglücklicherweise hatte sie noch ganz kurz vor ihrer Abreise in irgendeinem Kalender eine alte, aber furchtbare Geschichte von einem Seeräuber gelesen, der mit schauderhafter Kühnheit alle Schiffe auf dem Meer angefallen und geplündert und die Mannschaft, um eine Entdeckung zu verhindern, ermordet hatte. Unterwegs schon hielt sie deshalb jedes Schiff, das in Sicht kam, für diesen Seeräuber, dem sie ihrer Meinung nach und trotz allem, was Hedwig tun konnte, sie zu beruhigen, jedesmal nur wie durch ein Wunder entrannen. In der letzten Zeit hatten sie nur sehr wenig Fahrzeuge angetroffen, und hier auf der Reede, wo alles ruhig vor Anker lag, glaubte sie selber an keine Gefahr mehr, bis ihnen plötzlich, von Batavia herauskommend, ein ganz merkwürdig gebautes Fahrzeug mit eigentümlichen Segeln, die wie Flügel aussahen, und einem Paar furchtbar großer Augen, vorn auf den Bug gemalt, entgegenkam.

Kannte der alte Herr Lockhaart die Furcht der Kathrine, oder war es nur Zufall, er hielt ihr Boot der heransegelnden Prau schnurstracks entgegen, und zwar so dicht daß die Malaien selber schon fürchteten, sie könnten übersegelt werden. Ihr Bootsmann sprang, um sein Boot besorgt, von seinem Sitz auf. Wie nun die alte Kathrine die entsetzlich aufgerissenen Augen des fremden Fahrzeugs erblickte und näher und näher kommen, ja endlich dicht und drohend vor sich sah, überkam sie eine unsagbare Angst, und sie stieß einen so lauten Schrei aus, daß sich alle erschrocken nach ihr umsahen. Der alte Herr Lockhaart schien aber damit seinen Zweck erreicht zu haben, denn dicht unter dem Auge der Prau lenkte er das Boot vorbei, daß die Ruderer aber noch immer vollen Raum für ihre Riemen behielten, und im nächsten Augenblick glitten sie sicher und leicht in das offene Fahrwasser hinter den Schiffen hinaus, das zwischen diesen und dem Land lag. Unmengen kleiner Boote kreuzten hier, zumeist von Malaien geruderte Jollen, die den Verkehr der Kapitäne mit ihren Schiffen unterhielten oder Passagiere hinaus auf die Reede sowie von einlaufenden Schiffen an Land brachten. Eine Menge schwerbeladener Prauen wechselte zu gleicher Zeit ebenfalls hin und her, Fracht für Java holend, Ladung von Landesprodukten den übrigen Schiffen hinausbringend, und Möwen, wie eine andere Art hellbrauner Raubvögel mit einem weißen, viereckigen Fleck vorn auf der Brust, schossen über die eiligen Fahrzeuge hinweg und brachten nur noch mehr Leben in das sonnige Bild.

Und endlich näherten sie sich dem Land. Ein düsteres Kastell wurde sichtbar, und starke Mauern starrten in die See hinaus, den zeitweise wild anstürmenden Wogen Trotz zu bieten. Jetzt fuhren sie in den großen Kanal ein, zu dem die früher so seichte, schlammige Mündung des Kali besaar zusammengedrängt ist und wo dem Fremden zuerst das Eigentümliche des Landes vor Augen tritt. Überall trafen sie hier Malaien und selbst Chinesen, die entweder faul in ihren Booten lagen und rauchten, während eine leichte Brise sie den Kanal hinaufführte, oder sich rüstig gegen Wind und Fluten mit ihren Rudern herausarbeiteten.

Jetzt schoß das Boot eines amerikanischen Kriegsschiffes an ihnen vorüber, acht Mann an den Rudern (oder Riemen), die mit Takt und Schlag zugleich ins Wasser schnitten und das scharfgebaute Fahrzeug jedesmal ein Stück fast über die Flut hinausschnellten. Hinten am Heck flatterte die Flagge mit den Sternen und Streifen, und ein junger Offizier lag mit offener Uniform, den breitrandigen Strohhut neben sich, lang und bequem ausgestreckt unter dem Sonnensegel neben dem Bootsmann, der das kleine schlanke Fahrzeug steuerte. Fruchtboote begegneten ihnen ebenfalls in großer Zahl, die hinaus auf die Reede fuhren, um einlaufenden Fahrzeugen den Genuß frischen Obstes zu bringen. Und allerlei andere Handelsartikel hatten sie nebenbei in ihren kleinen Schaluppen aufgehäuft, die an die Fremdem immer leicht verkäuflich waren. Dazu gehörten ganz besonders Affen und Reisvögel sowie viele am Ufer wertlose Gegenstände, die aber wertvoll für die Bewohner eines fremden Landes waren und von den Seeleuten in ihre Heimat mitgenommen und dort verkauft wurden.

Und weiter und weiter kamen sie den Kanal hinauf, der hier schon anfing sich als Fluß zu zeigen. Die Einfassungen von Pfahlwerk an der einen und einer starken Mauer an der anderen Seite waren verschwunden, und niedrige, mit Weiden bewachsene Ufer dämmten ihn hier ein. In der Ferne wurden die Häuser der Stadt schon sichtbar; das Zollhaus wenigstens trat deutlich hervor, und kaum eine Viertelstunde später warfen die Malaien ihre Ruder ins Boot, und der Steuernde lenkte dessen Bug dicht an das linke Ufer und die dort aufgemauerte Steintreppe, um das kleine Fahrzeug vor allen Dingen den Steuerbeamten zur Untersuchung vorzuzeigen. Hier am Ufer hielten auch eine Anzahl Wagen, Ein- und Zweispänner, teils leer hier heruntergekommen, um gelandete Passagiere mit in die Stadt hinaufzunehmen, teils jungen Kaufleuten gehörend, die im Auftrag ihres Geschäfts Besorgungen beim Zollhaus oder an Bord eines der Schiffe hatten. Bis hierher geht die Wagenverbindung mit Batavia; bis hierher kann man mit den Bendis und Karreten kommen; von hier ab aber hinaus beginnen die Boote ihre Fahrt.

Der alte Herr Lockhaart legte das schlanke Fahrzeug mit einer geschickten Bewegung des Steuers dicht an die steinerne Treppe heran. Die Steuerbeamten kannten ihn und grüßten ihn ehrfurchtsvoll; er erwiderte den Gruß kaum durch ein flüchtiges Kopfnicken.

»Auch wieder glücklich zurückgekehrt, Mynheer Lockhaart?« fragte der eine, indem er sich ihm, den Hut in der Hand, näherte. »Sie haben doch nichts Steuerbares bei sich?«

»Nein«, sagte der alte Herr, »ich und die Damen hier haben nichts; den anderen Herrn mögen Sie selber fragen.«

Hedwig sah staunend zu ihm auf, da er auch für sie geantwortet hatte, und wollte ihm danken, daß er sich ihrer in solcher Weise annahm; aber er sah sie gar nicht an, stieg aus und an Land, und winkte einen Wagen herbei, ihn und seinen Koffer in die Stadt zu schaffen.

In wenigen Minuten war dieser beladen, und während Hedwig noch zögernd und unschlüssig am Ufer stand und vergebens hoffte, von einem der Fremden angeredet zu werden, schritt der alte Herr zu dem Fuhrwerk, setzte den Fuß auf den Wagentritt und sah zurück. Es war fast, als ob er sie noch einmal anrufen wolle, als plötzlich noch ein Bendi herangerollt kam, ein junger Mann heraussprang und rasch, sehr höflich grüßend, auf Hedwig zueilte. Das geschah in demselben Augenblick, als sich Mynheer Lockhaart zu dem jungen Mädchen umdrehte. »Hab' ich das Vergnügen, Fräulein Hedwig Bernold zu begrüßen?« sagte der junge Mann. Hedwig war blutrot geworden bei der Anrede und flüsterte leise: »So ist mein Name.«

»Dann bitte ich Sie, sich meines Wagens zu bedienen«, fuhr der junge Kaufmann fort. »Ich bin im Geschäft von Wagner und van Roeken und habe Auftrag, Sie und Ihre Sachen in das Hotel der Nederlanden zu schaffen – vorausgesetzt nämlich, daß Sie mir nicht einen anderen Ort bestimmen, wohin ich Sie fahren lassen soll.« Einen anderen Ort? Du großer Gott, Hedwig fühlte sich so einsam und verlassen, so gänzlich fremd und ausgestoßen in dem weiten Land, in dem sie nicht einmal einen Namen kannte, wie hätte sie einen Ort bestimmen sollen.

»In wessen Auftrag«, sagte sie endlich schüchtern, »haben Sie mich hier aufgesucht?«

»Herr Wagner hat mich herausgeschickt«, erwiderte der junge Mann, »er wäre gern selber gekommen, aber wir haben zu viel jetzt mit der Mail zu tun.«

»Ich werde Ihnen folgen«, sagte Hedwig, und während sich der junge Kaufmann leicht verneigte und dann seinem Kutsch winkte, hier vorzufahren, war Herr Lockhaart kopfschüttelnd in seinen eigenen Wagen gestiegen. Dem Kutscher rief er nur ein paar Worte auf Malaiisch zu, und ohne Gruß, ohne eine einzige freundliche Silbe an seine bisherigen Reisegefährten zum Abschied zu richten, rasselte er schon im nächsten Augenblick davon und der eigentlichen Stadt zu. Der junge Mann aber, dem aufgetragen war, die Fremde mit ihrer Begleiterin in das Hotel zu schaffen, war inzwischen auch nicht müßig gewesen. Sämtliches Gepäck, das sie bei sich führten und das auf die Versicherung des alten Lockhaart hin von den Zollbeamten nicht einmal geöffnet wurde, bekam eine Anzahl Lastträger mit dem Auftrag, es ungesäumt nicht allein die Stadt, sondern gleich an den Ort seiner Bestimmung zu schaffen. Das nötigste, was Hedwig bezeichnete, nahmen sie zu sich in den Wagen, und wenige Minuten später rollte das leichte Fuhrwerk, von zwei kräftigen Ponys gezogen, rasch unter den wehenden Kokospalmen der hier noch aus einzelnen Häusern bestehenden Stadt dahin, am Kali besaar hinauf.

Nur der Geistliche blieb mißvergnügt und mürrisch am Zollhaus zurück, denn der Beamte dort bestand darauf, sein Gepäck, trotz aller Erklärungen, daß auch nicht das geringste Steuerbare in dem Koffer sei, auf das genaueste zu untersuchen.


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