Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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Herr Salomon Holderbreit war aber nicht der Mann, sich durch geringfügige Schwierigkeiten einschüchtern oder zurückschrecken zu lassen. Er kannte den Herrn, mit dem er es hier zu tun hatte, schon als einen ungeselligen, abstoßenden Kumpan von der langen Seereise her und wußte recht gut, daß bei ihm mit Schüchternheit gar nichts auszurichten war. Ohne sich deshalb an den mürrischen Blick zu kehren, mit dem er empfangen wurde, ohne selbst diese unhöfliche Anrede zu beachten, hielt er nur sein Ziel im Auge: daß er nämlich von ihm etwas erbitten wolle, ging ruhig auf den nächsten Stuhl zu, den er sich zum Tisch rückte, legte seinen Hut ab, setzte sich dem ihn erstaunt betrachtenden Lockhaart gegenüber und sagte: »Erlauben Sie, daß ich Ihnen nicht gleich sage, was ich wünsche, sondern erst ein wenig weiter aushole.«

»Nein, das erlaub' ich keineswegs«, versicherte Herr Lockhaart ebenso bestimmt, »denn ich habe weder Lust noch Zeit, irgendeine langweilige Auseinandersetzung mit anzuhören, die mich gar nicht interessieren kann, sie mag handeln von wem und von was sie will.«

»Und wenn es die Religion selber beträfe«, warf Herr Holderbreit ein.

»Mynheer!« rief der alte Lockhaart und erhob sich halb von seinem Stuhl, »ich will nicht hoffen, daß Sie hierher gekommen sind, um...«

»Fürchten Sie nichts«, unterbrach ihn der Geistliche, indem er beruhigend mit der Hand winkte, denn er wußte recht gut, wie weit er mit ihm gehen durfte. »Es fällt mir gar nicht ein, Sie bekehren zu wollen, denn obgleich wir nie drei Worte über Religion gewechselt haben, weiß ich doch, daß Sie fast noch schlimmer als ein Heide sind.«

»So?« lachte Lockhaart, den dies zu amüsieren anfing, »und die ganze lange Seereise haben Sie eine so wundervolle Gelegenheit vollständig unbenutzt gelassen, mich eines Besseren zu belehren? War das christlich?«

»Mein sehr verehrter Herr«, erwiderte Holderbreit ruhig, »Sie werden mir gewiß zugeben – was auch immer Ihre Ansichten über Religion sein mögen –, daß es ein gutes und gottgefälliges Werk ist, ein totes Stück Land, das unbenutzt und brach liegt, mit fruchttragenden Körnern zu besäen; nicht wahr?«

»Wenn irgend jemandem ein Nutzen daraus erwächst«, meinte Lockhaart.

»Und wenn es nur für die Vögel des Himmels wäre«, fuhr Holderbreit eifrig fort. »Wer also den Pflug in den Boden einläßt, und sei dieser noch so dürftig und ausgesogen, tut sicherlich immer ein gutes Werk. Was würden Sie aber von einem Menschen halten, der mit den besten Absichten von der Welt seinen Pflug auf einen glatten Granitblock hinaufschafft und dort oben ackern und säen will? Sie würden einfach sagen: Der Mensch ist verrückt.«

Mynheer Lockhaart sah den Geistlichen völlig verdutzt über die kecke Rede an. Was aber keiner Bitte oder einer schmeichelnden Rede gelungen wäre, das erreichte der ehrwürdige Salomon Holderbreit hier ohne weiteres durch Grobheit, und wenn nicht seinem Zartgefühl, so gereichte doch die Art und Weise, in der er mit dem alten, rauhen Herrn umsprang, seiner Menschenkenntnis zur höchsten Ehre.

»Sie haben recht«, lächelte Herr Lockhaart schon bei dem Gedanken still vor sich hin, daß sein Mitpassagier unterwegs an ihm seine Bekehrungsversuche begonnen haben könnte. »Sie haben ganz recht: Auf Granit ist schlecht pflügen, die Schar könnte höchstens eine Weile Funken herausstoßen und dann abstumpfen! Aber – was wollen Sie eigentlich?«

»Ich will an anderen das versuchen, was bei Ihnen völlig nutzlos wäre«, erwiderte Herr Holderbreit ziemlich geradeheraus. »Ich bin von Europa herübergekommen, um die Heiden zu bekehren, und mit allen Mitteln dazu ausgerüstet, fühle ich mich stark und befähigt genug, das zu unternehmen.«

»Gut, aber was zum Henker geht das mich an?«

»Eigentlich gar nichts«, erwiderte ruhig der Geistliche, »insofern Sie kein näheres Interesse daran nehmen; aber gedulden Sie sich nur noch wenige Sekunden. Ich habe Ihnen vorhin gesagt, daß ich mich stark und befähigt genug fühle, das Unternommene durchzuführen – die Hände dürfen mir jedoch dabei nicht gebunden sein. Ich muß imstande sein, mich frei und zielstrebig zu bewegen, und dazu sollen Sie mir helfen.«

»Ich!« rief Herr Lockhaart erstaunt und trotzig aus. »Verdammt will ich sein, wenn ich mich auch nur mit einem Finger in Ihren ganzen Unsinn hineinmenge. Gehen Sie dorthin, wo man Ihre Dienste braucht und verlangt, und dort werden Sie auch wohl dankbarer angenommen und – besser bezahlt werden.«

»Aber ich habe die feste Überzeugung, daß sie nirgends dringender verlangt werden als gerade hier.«

»Papperlapapp!« sagte der alte Herr. »Das sind rein fixe Ideen, und das Kurze und Lange von der Sache ist, mein Herr, daß wir hier auf Java, und überhaupt im Ostindischen Archipel, keine Bekehrungsversuche haben wollen, denn bis jetzt ist nichts weiter daraus entstanden als Unheil und Ärgernis. Die Bevölkerung hängt fast ausschließlich, die Chinesen abgerechnet, an der mohammedanischen Religion; diese entspricht ihren Sitten wie Bedürfnissen. Die Leute leben dabei mäßig und nüchtern; sie sind fleißig und zuverlässig und werden gerade durch die mohammedanische Religion von ihren Oberen fest und sicher im Zügel gehalten; was wollen wir mehr? Dadurch, daß wir die mohammedanische Religion unangefochten lassen, haben wir auch sämtliche Priester zu unseren Freunden; würfen wir aber Missionare in ihre Gemeinden, und zerrissen diese durch ihre Propaganda der christlichen Religion die bis jetzt festgehaltenen Familien- und Staatsbande, dann stünde ein Feind gegen uns alle auf, dem wir mit unseren paar tausend Europäern vergebens die Spitze bieten würden. Wollte unsere Regierung deshalb auch noch dazu beitragen, die christliche Religion unter den eingeborenen Stämmen, die sie weder brauchen noch verlangen, zu verbreiten, so wäre das ein reiner und einfacher Selbstmord, und dazu liegt dann doch noch keine Veranlassung vor.«

»Aber Sie werden mir doch zugeben, daß unsere Religion uns selber gebietet...«

»Ich gebe Ihnen gar nichts zu«, unterbrach ihn der alte Mann, »so, wie ich es Ihnen eben erst auseinandergesetzt habe, liegen die Verhältnisse hier. Java ist dabei eine bedeutende Revenue für den Staatsschatz, und daß wir uns das alles nicht, bloß einer Phrase wegen, durch ein paar idealistische Schwärmer verderben lassen, können Sie sich wohl denken.«

»Ich gehöre nicht zu diesen«, sagte Holderbreit.

»Sie sehen wenigstens nicht so aus«, erwiderte Lockhaart trocken. »Das bleibt sich aber gleich; die praktischen Menschen sind im Gegenteil noch viel gefährlicher als die Phantasten, weil sie die Sache gewöhnlich am rechten Zipfel anfassen.«

»Also hält sich die Regierung für mächtig genug«, sagte Holderbreit finster, »die Verantwortung dereinst zu übernehmen, Millionen von Menschen das Christentum hartnäckig verweigert zu haben.«

»Unsinn! Alle Ihre Verantwortungen«, brummte der alte Mann. »Wir haben etwa hundertsechzig Millionen Mohammedaner auf dem Erdball, die sich fast alle geistig wohl befinden und auf ein späteres Leben hoffen. Wohin die kommen, dort haben unsere Javanen auch Platz. Wünschen Sie sonst noch etwas?«

Die letzten Worte waren von einem so deutlichen Blick begleitet und so entschieden betont, daß sie Herr Salomon Holderbreit wirklich nicht mißverstehen konnte. Er fühlte auch recht gut, daß ihn Herr Lockhaart gern los sein wollte, war aber keineswegs der Mann, der sich hätte durch eine derartige Anspielung bestimmen lassen, zu gehen, ehe er es selber für an der Zeit hielt. Er sah eine Weile sinnend vor sich nieder, dann begann er endlich wieder, dem Alten fest ins Auge sehend: »Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Lockhaart; betrachten wir die Sache einmal von einem ganz anderen Gesichtspunkt, und zwar als Geschäft, so ist es höchst unbillig, ja kleinlich von der holländischen Regierung, da sie gerade die Macht in Händen hat, einem Konkurrenten solche unübersteigbaren Schwierigkeiten in den Weg zu legen. Wo bleibt da das, was der Engländer fair play nennt?«

»So wollen Sie die Mission als Geschäft betrachtet haben?«

»Ja«, sagte der Geistliche, »wenn Sie mir keine höhere Berechtigung zugestehen.«

»Aber auch in dem Sinn werden Sie nichts ausrichten«, erwiderte, ungeduldig werdend, Lockhaart. »Die Regierung sieht ein, daß das, was Sie dem Volk verkaufen wollen, ein schädlich wirkendes Gift ist, und wird es nicht dulden.«

»Sie läßt Opium verkaufen.«

»Bah«, rief Herr Lockhaart, »ich habe nicht gesagt, daß sie es des Volkes wegen verbietet, sondern nur ihrer selbst wegen!«

»Also fürchtet die holländische Regierung den Einfluß, den ein armer fremder Geistlicher wie ich ausüben könnte. Sie erkennt also die Macht an, die Gottes Wort auf die Massen ausüben würde, und wagt doch, es zu unterdrücken!«

»Von Fürchten ist gar keine Rede«, sagt Lockhaart unwillig. »Sie sehen auch nicht aus, als ob man sich vor Ihnen fürchten dürfte, und meinen Hals wollt' ich zum Pfand setzen, daß man Sie ganz ohne die geringste Besorgnis loslassen könnte; Sie würden kein Unheil unter den Mohammedanern anrichten.«

»Unheil? Nein«, sagte Herr Holderbreit, »das ist auch nicht meine Absicht, aber Heil, und ich nehme Ihre Wette an, verschaffen Sie mir nur Gelegenheit, ans Werk zu gehen, wozu ich weiter nichts als einen Paß ins Landesinnere brauche.«

»Stell' ich Pässe aus?« fragte Lockhaart trocken.

»Nein, aber ich weiß, daß Sie großen Einfluß in Batavia haben«, versicherte Herr Holderbreit, »und bin einzig und allein deshalb hierhergekommen, um mir Ihre Fürsprache zu erbitten. Ich habe eine Seereise von so vielen Monaten gemacht und Gefahren wie Entbehrungen nicht gescheut, um den Heiden das Licht und den Segen christlicher Religion zu bringen, und jetzt scheint alles auf dem besten Weg, an einer geringfügigen Kleinigkeit zu scheitern – an der Erlaubnis meiner Reise in das Innere, die mir hartnäckig verweigert wird.«

»Und warum bekehren Sie nicht hier in Batavia? Ich dächte, wir hätten hier heidnisches Gesindel genug!«

»Daran fehlt es allerdings nicht«, erwiderte Holderbreit, »und zwar unter allen Farben. Sie wissen aber auch recht gut daß sich die ärgste Brut immer nach den Städten zieht, ob von europäischen, chinesischen oder malaiischen Eltern geboren. Diese Art Menschen bleibt sich gleich und ist unverbesserlich. Es wäre eine höchst leichtsinnige Zeitverschwendung, wollte man sich mit derartigen Leuten länger befassen als unumgänglich nötig ist.«

»Also Sie glauben, im Landesinneren einen besseren Erfolg haben?«

»Ja.«

»Natürlich; was einem Leute sagen, die das Land genau kennen, gilt nicht. Jeder will mit seinem eigenen Kopf den Versuch machen, durch die Wand zu brechen. Schön! Was ich dazu beitragen kann, daß Sie sich den Schädel einrennen, soll geschehen, und wenn es irgend möglich ist, wird Ihnen ein Paß ausgestellt. Wohin wollen Sie?«

»Vorderhand nur erst einmal in die Preanger Regentschaften, später möchte ich gern nach Borneo oder Celebes.«

»Dahin lassen Sie sich die Lust vergehen«, sagte Lockhaart, »denn wo man euch Herren nicht auf die Finger sehen kann, darf man euch auch nicht hinschicken.«

»Und in den Preanger Regentschaften?«

»Können Sie spazierengehen wie in einem Wildpark«, lachte Lockhaart. »Soviel sag' ich Ihnen aber von vornherein: Nehmen Sie sich in acht und bleiben Sie streng bei dem, was Sie vorgeben. Die holländische Regierung läßt nicht mit sich spaßen und erfährt alles, was über Sie unter den Eingeborenen gesprochen wird. Verstehen Sie denn übrigens schon Malaiisch?«

»Noch nicht perfekt, aber ich werde es lernen.«

Lockhaart sah den Mann von oben bis unten erstaunt an, schüttelte dann den Kopf und setzte sich wieder, ohne weitere Notiz von ihm zu nehmen, zu seinen Briefen nieder.

»Also ich darf hoffen –«, sagte Holderbreit nach einer ziemlich langen Pause, in der ihn Lockhaart schon vollständig vergessen hatte.

»Was?« fuhr dieser auf.

»Daß Sie einen Paß ins Innere für mich befürworten wollen.«

»Aber ich bin selber kein Christ!« rief der alte Herr aus, »Sie wenigstens halten mich für keinen.«

»Das schadet nichts«, lächelte Herr Holderbreit; »die Religion bedient sich aller ihr zu Gebote stehenden Mittel, ihr heiliges Ziel zu erreichen, und muß dazu auch manchmal selbst feindselige Werkzeuge gebrauchen.«

»Also als Werkzeug werd' ich betrachtet«, lachte Lockhaart still vor sich hin. »Sie sind wenigstens aufrichtig, und was ich tun kann, soll geschehen, um Ihren Wunsch zu erfüllen. Wie es dann weitergeht, ist Ihre Sache. Sie sehen übrigens, daß ich jetzt beschäftigt bin –«

»Ich will Sie nicht länger stören«, erwiderte der Missionar, denn diese Andeutung war doch zu deutlich gewesen, als daß er sie hätte mißverstehen oder ignorieren können. »Mein werter Herr, ich habe die Ehre, mich Ihnen gehorsamst zu empfehlen.«

»Guten Abend«, sagte Lockhaart, ohne von seinem Brief aufzusehen, und der Deutsche verließ im nächsten Augenblick das Haus, um in sein Hotel zurückzukehren und seine Vorbereitungen zu einer Fahrt ins Landesinnere zu treffen. Nach seinen letzten Bekehrungsversuchen mit dem jetzt wieder ganz verstockt gewordenen Bali war ihm der Aufenthalt im Amsterdam-Hotel drückend, und er wünschte es sobald wie irgend möglich zu verlassen.


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