Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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»Guten Abend, meine Herren, guten Abend!« jubelte ihnen in diesem Augenblick der Angekündigte entgegen, der an seinem linken Arm einen noch ärger Betrunkenen mehr schleppte als führte. »Hurra, da treffen wir fidele Gesellschaft und kommen nicht aus dem Regen unter die Traufe, sondern in den lichten, warmen Sonnenschein.

O Sonnenschein, o Sonnenschein,
Wie scheinst du mir ins Herz hinein«,

sang er dann mit einer wirklich melodischen Stimme, die ihm nur leider bei dem letzten, etwas langgezogenen Ton überschnappte.

»Das ist der liederlichste Lump in ganz Batavia«, brummte Heffken, ohne sich in seiner Arbeit stören zu lassen, als Begrüßung vor sich hin, »den vielleicht ausgenommen, den er am Arm hängen hat. Daß sie beide der Böse hole!«

»Mein lieber Herr Horbach«, sagte van Roeken, ihn ebenfalls in deutscher Sprache anredend, »ich weiß in der Tat nicht, was uns die Ehre Ihres Besuches verschafft.«

»Keine Verstellung, bester Roeken«, lachte ihm Horbach vergnügt entgegen, »tun Sie mir den Gefallen und sprechen Sie ungeniert aus, was Sie denken; oder soll ich es für Sie tun? – Gut. Sie denken jetzt: welcher böse Feind führt den angetrunkenen Lumpen in unsere anständige Gesellschaft? – He? Hab' ich's erraten? Hahaha, ich kann die Gedanken der Menschen in ihren Augen lesen. – Hilft Ihnen aber nichts, und alles, was ich für Sie tun kann, ist, daß ich Ihnen das Mittel nenne, sich selber den größten Gefallen zu erweisen: nämlich uns sobald wie möglich wieder loszuwerden. Nitschke hier ist wirklich sträflich angetrunken und macht mir nur Schande.«

»Herr Horbach, Sie tun sich selber Unrecht; aber womit kann ich Ihnen dienen?«

»Vor allen Dingen mit einem Glas Punsch, den der kleine Heffken vortrefflich zubereiten soll«, sagte der unverwüstliche Schlemmer, und der Buchhalter, der das Deutsche vollkommen beherrschte, warf ihm einen Blick über die Brille zu, der ihn vernichtet haben müßte, wenn Horbach überhaupt zu vernichten gewesen wäre.

»Prächtiger Mensch, der Heffken«, sagte er, die Hand nach ihm ausstreckend, »immer so freundlich, immer so herzlich. Und der tüchtigste Buchhalter dabei, den die Maatchappey – mit Respekt zu melden – im Dienst hat; versteht auch die doppelte Buchhaltung – heh, Heffken? Mein einziges Unglück ist, daß ich die nicht verstehe. Eine Seite für die Maatchappey, die andere für sich. Bitte, noch etwas in das Glas, lieber Heffken, ich trinke nicht gern aus einem halb leeren, und

Wenn ich judizieren soll,
Verlang' ich auch das Maul recht voll.

Goethe war ein prächtiger Mensch und hat mir, in mehr als einem Vers, wie aus der Seele gesprochen.«

Heffken hatte nicht daran gedacht, das erste mit der gerade fertig gewordenen Mischung gefüllte Glas dem unwillkommenen Besuch zu reichen. Dieser aber, ohne sich viel daran zu kehren, ob es für ihn bestimmt war oder nicht, lehnte seinen Kameraden an die nächste Säule an, griff das Glas vom Tisch und sagte, es in die Höhe hebend:

»Der Heimat den Becher! Mit zitternder Hand
Trink' ich dir zu jetzt, mein Vaterland.
Sei auch die Fremde so schön wie sie mag,
Segen, o Segen, herab auf den Tag,
Wo deine nackten Gestade von weitem
Liebend die Arme entgegen mir breiten.
Vaterland hoch!«

»Und wenn wir Ihnen nun dazu Ihre Passage zahlten, Herr Horbach?« unterbrach Wagner etwas kaltblütig diesen warmen poetischen Erguß.

»Sie sind ein Schäker, lieber Wagner«, lachte Horbach, wieder ganz in seinen alten Ton zurückfallend, indem er das Glas mit einem Zuge leerte, »für jetzt aber, um Ihr gutes Werk zu beginnen, möchte ich Sie bloß ersuchen, uns vorläufig ein Stück Weges nach der Heimat zu schaffen, und zwar nach dem unteren Teil von Weltefreden, wo wir gegenwärtig residieren und wohin wir Ihre Carreta oder Ihren Bendi, was Sie gerade bei der Hand haben, benutzen möchten. Unser erbärmliches Fuhrwerk ist draußen wie eine reife Manga auseinandergeplatzt, und bis die Malaien das wieder zusammengeflickt haben, vergeht der schönste Teil der Nacht.«

»Herr Horbach«, sagte Wagner, gar nicht damit einverstanden, sein Fuhrwerk dem betrunkenen Menschen anzuvertrauen, »wenn Sie vorher nur erst...«

»Bitte, lieber Wagner«, unterbrach ihn Horbach rasch, »so gern ich eine Partie Whist spiele, heute abend wäre ich dazu nicht mehr imstande. Außerdem liegt mir daran, meinen Freund da – Nitschke ist wirklich etwas mehr als halb im Wind – in eine bequemere Lage zu bringen, als er dort an der Säule hat, einmal davon abgesehen, daß er Ihnen die ganze Marmorpolitur herunterscheuert.«

Van Roeken hatte indessen kaum verstanden, was der »Besuch« von ihnen verlangte, als er ohne weiteres dem ihm nächsten Malaien Befehl gab, seinen Bendi so rasch wie möglich einschirren zu lassen und vorzufahren. Es war das einzige Mittel, den Burschen loszuwerden.

»Und Sie scheuen sich nicht«, platzte Heffken heraus, der seinen Ingrimm nicht länger verbeißen konnte, »in einem solchen Zustand in ein anständiges Haus zu kommen, Herr Horbach?«

»Allerdings, Buchhalterchen«, lächelte Horbach, ohne im geringsten die Fassung zu verlieren, »würde es auch unter keinen Umständen wagen; nicht wahr, Roeken?«

»Ich habe den Wagen schon bestellt«, sagte Roeken, der wohl einsah, daß er sich mit dem Betrunkenen in keinen Wortwechsel einlassen durfte, »bitte, warten Sie nur noch einen Augenblick.«

»Danke herzlich, lieber Roeken, danke herzlich, ich logiere gegenwärtig im Amsterdam-Hotel.«

»Ich werde dem Kutscher selber Auftrag geben.«

»Hätte allerdings gern noch einmal bei Romelaers drüben vorbeigeschaut«, fuhr Horbach, ihm freundlich zunickend, fort, »haben einen fidelen Abend heut dort drüben, aber Nitschke ist wahrhaftig nicht salonfähig. Apropos, Roeken, mit der Käthe drüben war's nichts. Hm, schadet nichts, alter Junge. Sind noch so gute Fische in der See, wie sie je herauskamen! Never say die, wie die Engländer sagen. Hahahaha, komische Wirtschaft auf dieser äußerst komischen Welt; denken Sie sich, Roeken, ich habe dort drüben auch einen Korb bekommen.«

»Herr Horbach«, sagte van Roeken, der kaum imstande war, seine Fassung zu bewahren, »eben fährt der Wagen vor – ich möchte Sie nicht länger aufhalten.«

»Versteht sich, versteht sich«, lachte der Betrunkene gutmütig vor sich hin, »wäre auch schade um die kleine, niedliche Gesellschaft. Aber ich muß wahrhaftig fort; Nitschke ist in einem vollständig trostlosen Zustand. Wenn es mir übrigens irgendwie möglich sein sollte, komme ich nachher noch ein bißchen wieder. Morgen früh ist pasar bahroe, und wir fänden heut abend dort draußen schon ganz fidele Gesellschaft. Ich weiß aber wirklich nicht, ob ich den armen Nitschke nur so lange allein lassen kann, um einen Hering und ein Glas Sodawasser für ihn zu besorgen. Also für jetzt gute Nacht meine Herren, angenehmen Abend. Bitte, bemühen Sie sich nicht, Roeken, ich finde schon allein meinen Weg.« Van Roeken war aber nicht Horbachs, sondern seiner selbst wegen zu dem Bendi hinübergegangen, wo er dem Kutscher heimlich, aber ganz gemessen den Befehl gab, die beiden Weißen am Amsterdamer-Hotel abzuladen und dann ohne weiteres umzukehren und leer zurückzukommen. Der übermütige Gesell hätte seine Drohung sonst am Ende wahr gemacht. Drei von den Malaien faßten inzwischen den betrunkenen Nitschke unter und schleppten ihn in den Wagen, Horbach nahm neben ihm seinen Platz ein, die Boedjangs sprangen mit der Fackel hinten auf. So, während Horbach noch sein weißes Taschentuch herauszog und der Gesellschaft freundlich zuwinkte, rollte das leichte Fuhrwerk mit Blitzesschnelle zum Tor hinaus.

»Das ist ein nichtsnutziger Vent«, stöhnte Bylderheer, als das Geräusch des fortfahrenden Wagens endlich verklang, denn so lange war es fast, als ob ein böser Zauber auf der Gesellschaft liege. »Der hätte uns den schönen Abend prächtig verderben können. Wer ist er eigentlich?«

»Ein so nichtsnutziger Bursche«, sagte van Roeken, dem eine Zentnerlast von der Seele genommen schien, »wie je einer javanischen Boden betreten hat. Vor vier Jahren kam er nach Batavia, sein Vater muß ein sehr reicher Mann in Deutschland sein, der den Taugenichts, um ihn loszuwerden, in die Welt schickte. Wir hier wußten natürlich nichts davon; er brachte Empfehlungsbriefe mit, und ich wie Romelaer drüben leisteten die nötige Bürgschaft für ihn.Jeder auf Java ankommende Fremde muß in Batavia oder der Hafenstadt, in der er landet, zwei Bürgen dafür stellen, daß er sich ordentlich betragen und keine Schulden machen will. Kann er das nicht, muß ihn der Schiffskapitän, der ihn gebracht hat, wieder mitnehmen. Eine Weile ging die Sache gut; er trat in Romelaers Geschäft ein und arbeitete fleißig; nach sechs Monaten schon betrank er sich aber zum erstenmal und bekam Streit mit seinem Prinzipal, der ihn fortschickte. Dann trat er in ein deutsches Geschäft ein, aber es ging dort nicht besser. Monatelang war er der beste Arbeiter, denn er ist ein ganz gescheiter, intelligenter Kopf; nachher brach aber der Teufel bei ihm wieder durch, und so hat er sich am Anfang abwechselnd eine Weile gut betragen und dann wieder die tollsten Streiche getrieben, gerade wie er blank an Kasse war oder Geld in Händen hatte. Nur erst in letzter Zeit scheint er sich dem liederlichen Leben vollständig ergeben zu haben, so daß wir ihn nächstens aus der Kolonie fortschaffen müssen, wenn wir nicht noch, den Malaien gegenüber, fatale Szenen erleben wollen. Er bleibt doch leider immer ein Weißer.«

»Verd..., der Lump!« rief Heffken dazwischen. »Er hat uns außerdem schon eine halbe Stunde gestohlen, und wir wollen uns nicht noch länger mit seiner Lebensgeschichte aufhalten. Gläser her, und ein Pereat allen betrunkenen Schuften!«

»Erst ein Hoch dem Geburtstagskind«, lachte aber Bylderheer, sein Glas erhebend, und als alle nach den Gläsern griffen, um dem ausgebrachten Toast Folge zu leisten, fiel drüben von Romelaers ein schmetternder Tusch ein und klang klar und deutlich zu ihnen herüber.

»Das gilt dem Brautpaar«, lachte Heffken mit einem unwillkürlichen Seitenblick auf van Roeken. »Hoch unser freundlicher Wirt, und noch fünfzig Jahre wie heute!«

»Noch fünfzig Jahre wie heute!« jubelten die anderen ebenfalls, und während der Tusch von drüben zum drittenmal herüberklang, stießen die Gläser zusammen und wurden bis zur Nagelprobe geleert. Van Roeken trank ihnen still Bescheid. Er fühlte dabei mehr, als er es sah, daß Heffkens boshafter Blick auf ihm haftete, aber nicht um alles in der Welt hätte er es ihn merken lassen, und nur desto öfter und rascher leerte er sein Glas.

Von jetzt an kam reges Leben in die Gesellschaft; die Unterbrechung durch die beiden Trunkenbolde hatten sie aber immer noch nicht vergessen, und von allen Seiten wurden Anekdoten aus beider indischem Leben erzählt, die manches Tragische, oft aber auch unendlich viel Komisches boten.

»Kennt ihr denn schon die letzten Fahrten dieses Nitschke mit Kuhn?« sagte endlich Heffken, der eben die zweite Bowle fertig gemischt hatte und sich wieder bequem in seinem chinesischen Stuhl dehnte, die Havanna im Mund, das Glas vor sich auf der breiten Lehne.

»Mit Kuhn? Nein!« rief Bylderheer. »Kuhn lebt so weit da draußen, daß man nur selten etwas von ihm erfährt.«

»Die sind köstlich«, lachte Heffken vor sich hin, »und wenn ihr nichts dagegen einzuwenden habt, will ich sie gern erzählen. Ich habe sie aus Kuhns eigenem Mund, der wohl mit niemandem weiter darüber gesprochen hat, um den Burschen, solange er sich ordentlich betrug, nicht noch mehr lächerlich zu machen. Da er allerdings wieder ausgebrochen ist, braucht es kein Geheimnis zu bleiben, ja es wäre eigentlich auch schade darum.«

»Heraus dann damit, heraus! Eine gute Geschichte darf nicht verlorengehen!«

»Sehr schön«, sagte Heffken. »Bitte, Keurhuis, helfen Sie einmal der Kröte da die etwas hohe Stufe herauf; sie hat sich schon die letzte Viertelstunde die größte Mühe gegeben, zu mir zu kommen, und scheint etwas schwach auf den Hinterbeinen zu sein.«

Van Roeken winkte einem der Malaien, der das »schwache Geschöpf« mit einem Stock zurück und auf den Rasen schnellte, und Heffken begann:


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