Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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47. Die Falle schnappt zu

Kaum waren übrigens die Wagen hinter der ersten Biegung der Straße verschwunden, als Joost zu Lockhaart trat und sagte: »Ich hoffe, Sie setzen soviel Vertrauen in mich, daß ich alle Kräfte aufbieten werde, mein Versprechen zu erfüllen?«

»Allerdings tue ich das«, erwiderte der alte Herr, »eben weil ich weiß, daß es Ihr eigener Vorteil ist.«

»Gut – dann muß ich Sie aber jetzt auch bitten, meine Anordnungen genau zu befolgen, ich stehe Ihnen sonst für keinen Erfolg und kann, wenn das Unternehmen mißglückt, nicht verantwortlich gemacht werden. Ich betrachte mich, Ihrem Versprechen nach, überhaupt schon jetzt als freier Mann, nachdem ich jeder mir auferlegten Verpflichtung nachgekommen bin.«

»Hoho, nicht so rasch, mein werter Herr«, sagte Lockhaart, »zuerst müssen wir den Burschen wirklich haben. Entschlüpft er uns dann wieder durch unsere Schuld, können Sie allerdings nicht dafür verantwortlich gemacht werden. Doch was sollen wir jetzt tun?«

»Gehen Sie beide in Tsin-fus Hinterstube, meine Herren«, erwiderte Joost, »und lassen Sie sich unter keinen Umständen blicken. Durch eine kleine Öffnung im Bambus können Sie trotzdem alles sehen, was hier vorgeht.«

»Und die Oppass?«

»Sind dort schon untergebracht und wissen genau, wie sie sich zu verhalten haben. Zögern Sie aber noch fünf Minuten hier, so mögen Sie auch die Verantwortung für das Mißlingen unseres Planes tragen.«

»Donnerwetter«, lachte Lockhaart, »wir stehen unter strenger Kontrolle; aber es kann nichts helfen, er hat recht – wollen wir ihm gehorchen, Wagenaar?«

»Da wir wenigstens zusehen können, habe ich nichts dagegen«, sagte der junge Mann. »Ihnen, Herr Joost, möchte ich aber vorher noch mitteilen, daß auch ich den Oppass strengen Befehl gegeben habe, Sie nicht aus den Augen zu lassen. Spielen Sie daher ein doppeltes Spiel, dann sollen Sie uns wenigstens nicht unvorbereitet finden.«

»Sehr verehrter Herr«, brummte Joost mit mürrischem Trotz, »ich habe Ihnen gesagt, was Sie tun müssen, um unseren Plan zu fördern. Es steht jetzt in Ihrem Belieben, ihn zu stören, soviel Sie wollen.«

»Kommen Sie, Wagenaar«, sagte Lockhaart, »der Vent hat recht und wird nicht daran denken, uns zu hintergehen – eben weil es sein eigener Nutzen ist. Alles weitere besprechen wir da drinnen.« Und Wagners Arm ergreifend, führte er ihn mit sich in das kleine Haus des Chinesen, in dem ihnen Tsin-fu ein paar bequeme und gut versteckte Sitze anwies. Auch die Oppass hatten schon eine ganze Weile ihre Plätze eingenommen, als drüben im Wald der langgezogene, schwermütige Ruf eines Heulaffen laut und, etwas weiter zur Rechten, beantwortet wurde. Dann war alles wieder still, und es dauerte wohl noch eine volle Viertelstunde, bis am Waldsaum des nächsten Hügels zuerst eine einzelne Gestalt sichtbar wurde. Joost rief einem der neben ihm kauernden Malaien ein paar Worte zu, und dieser sprang auf, blies seine Tabakslunte scharf an und brachte bald ein kleines Häufchen dort zusammengescharrter welker Blätter zum Brennen. Ein paar Stücke trockenen Holzes darauf gelegt, erzeugten einen leichten Rauch, der hoch und gerade in die reine Luft hinaufwirbelte. Die Gestalt drüben war indessen wieder verschwunden, aber gleich darauf erschien ein kleiner Trupp von Javanen. Dicht gedrängt passierten sie die Lichtung, bis sie wieder an demselben Hügel, auf dem die Wohnung des Chinesen lag, von den überhängenden Büschen verdeckt wurden.

Tsin-fu saß jetzt wieder mit Mynheer Joost ganz allein draußen unter dem offenen Dach, und die beiden würdigen Männer tranken Tee zusammen. Herr Joost machte seinem chinesischen Freund aber so wichtige Mitteilungen über die künftige Stellung seines bisherigen Protektors Heffken, daß Tsin-fu, in Angst und Schrecken über die Gefahr, in der er selbst vielleicht noch schwebte, ganz ihr eigentliches und augenblickliches Vorhaben vergaß. Hatte er doch bis jetzt nur geglaubt, daß es sich allein darum handele, den eingeborenen Unterhändler, der den Weißen in Batavia vielleicht unbequem geworden war, aus dem Weg zu schaffen. Darin fand er dann auch nichts Ungewöhnliches oder Außerordentliches. Daß es aber einem der Tuwans selber an den Kragen ging, gab der Sache eine ganz andere Wendung, und Tuwan Heffken wußte allerdings mehr von ihm, als ihm in diesem Augenblick lieb war. Aber jetzt blieb keine Zeit zum Nachdenken, denn in diesem Augenblick erschien Klapa selber, dem schmalen Fußpfad folgend, der aus den Büschen herausführte und von dem aus er den kleinen Platz vor dem Haus schon länger hatte erkennen können.

»Tabé, Tuwan! Tabé Tsin-fu«, sagte er, mit einem Blick das ganze Terrain um sich her überfliegend. Sein Auge haftete dabei auf den frischen Räderspuren, nach denen er den Kopf drehte. Aber er konnte auch sehen, daß sie die nächste Steigung passiert, also den Platz verlassen hatten, und Europäer besuchten diese Gegend zu häufig, als daß ihm das auffallen konnte.

»Tabé, Klapa!« entgegnete ihm Joost, der hier das Wort nahm, »hast du dein Versprechen gehalten?«

»Ich? Ja«, sagte der Javaner, »haltet Ihr nun auch vorher das Eure.«

»Das Geld ist bereit, Klapa. Du weißt, daß ich dich nicht darum betrügen würde«, sagte Joost finster, »weshalb also die Umstände?«

»Ja, ja«, lachte Klapa still vor sich hin, »ich kann meine Laune haben so gut wie Ihr. Außerdem sind mir heut schon viel zuviele Wolandas hier gewesen, die Gegend riecht nach ihnen, und Klapa hat zwischen ihnen nicht gern viel zu tun. Haltet mich nicht auf, gebt mir das Geld, und Patani und Melattie sind in Eurer Gewalt.«

»Was geht mich Patani an!« brummte Joost, denn Klapa kam noch immer nicht näher und blieb am Rand der Dickung stehen. Ein einziger Sprung von dort aus, und er war wieder im Dickicht drin, in dem sie ihn im Leben nicht gefunden hätten. »Liefere den an den Residenten ab, der dir den Fanglohn zahlen wird, oder laß ihn laufen, was kümmert's mich. Ich habe dir nur aufgetragen, das Mädchen herzuschaffen.«

»Ja, wie Ihr's versteht«, murrte Klapa finster vor sich hin, »nur das Mädchen, natürlich, damit mir der tollköpfige Bursche, der Patani, der mit seinem Kris selbst den Weißen zu schnell ist, nachher bei erster Gelegenheit die Bezahlung durch den Leib rennt. Ihr wißt recht gut, daß ich es Tuwan Heffken in der Stadt gleich sagte: wenn er die eine haben wolle, müsse er den andern auch nehmen, seiner und meiner Sicherheit wegen, und er ging darauf ein. Ihr selber wärt Eures Lebens nicht eine Stunde sicher, wenn Ihr die Dirne aus den Bergen führtet und Patani frei auf Eurer Fährte hättet. Glaubt Ihr, der ließe Euch nur bis Tjanjor mit Eurer Beute kommen?«

»Hm«, sagte Joost, als ob er von den Worten Klapas überzeugt wäre, »darin hast du allerdings recht, und ich habe vorher an die Gefahr, in die ich selber kommen könnte, nicht einmal gedacht. Gut, ich kann ihn ja ebensogut wie du an den Residenten in Bandong abliefern, der dann schon wissen wird, was er mit ihm zu tun hat.«

»Und wenn er ihn wieder frei ließe?«

»Frei?« rief Joost lachend aus. »Hat er nicht das Blut eines Weißen, noch dazu eines holländischen Beamten, vergossen, und glaubst du, daß sie das je ungestraft lassen? Wenn er nicht gehängt wird, weil der Verwundete mit dem Leben davongekommen ist, so wäre doch Verbannung das wenigste, was ihm bevorsteht.«

»Das dacht' ich mir«, sagte Klapa, zufrieden mit dem Kopf nickend, »und das wäre für uns alle das beste. Patani ist ein wilder und gefährlicher Bursche und haßt die Wolandas.«

»Dann schaff deine Gefangenen her«, sagte Joost, »ich habe Leute mitgebracht, die sie in Obhut nehmen können.«

»Leute?« fragte Klapa mißtrauisch. »Wen?«

»Ein paar Oppass vom Residenten. Wenn du ihnen nicht begegnen magst, geh in Tsin-fus Haus; dort werd' ich dir auch das Geld auszahlen.«

»In Tsin-fus Haus?« wiederholte immer noch halb unschlüssig der Eingeborene. »Aber bah!« rief er plötzlich, den Kopf zurückwerfend und den Chinesen mit seinen dunklen Augen scharf fixierend, »Tsin-fu kennt Klapa. Er weiß, daß er gegen ihn nicht falsch sein darf, oder – es wäre ihm zu wünschen, er hätte die Preanger Regentschaften und diese Berge in seinem Leben nicht gesehen.«

»Klapa weiß, daß Tsin-fu der Freund seines Stammes ist«, sagte der Chinese ängstlich, denn er geriet hier in doppelte Verlegenheit und Gefahr, wenn der Fang dieses schlimmen Burschen mißlang. Heffken konnte ihn dann verraten und diese Rothaut ihm jede Stunde das leichte Haus mit allen seinen Vorräten über dem Kopf anzünden, ohne daß er imstande gewesen wäre, es zu verhindern. Der Javaner beachtete ihn aber schon nicht mehr. Hier, dicht an der Grenze seiner Wildnis, fürchtete er wenig von seinen Feinden, am wenigsten von dem Chinesen selber, dessen feige Natur er kannte und der ihm schon dadurch auch für des Weißen Ehrlichkeit Bürgschaft leisten mußte. Wie er gekommen war, verschwand er deshalb auch wieder in den jenen kleinen Platz umgebenden Blütenbüschen, und bald darauf erschienen Patani voran und hinter ihm Melattie, ihre Arme mit Bastseilen auf dem Rücken festgebunden und der Mann von zwei Malaien, die Frau von einem einzelnen alten Burschen geführt. Der unglückliche Patani war mit Blut bedeckt, denn er hatte sich nicht gutwillig seinem Feind ausgeliefert, und nur durch Hinterlist und Verrat war er so rasch überwältigt worden. Bis zum letzten Moment, solange er nur noch die Möglichkeit einer Befreiung sah, hatte er sich auch mit Anstrengung aller seiner Kräfte gewehrt; jetzt, wo er alles vergebens wußte, schritt er still und mit gesenktem Kopf zwischen seinen Führern dahin. Es sollte so sein; sein Schicksal war erfüllt – Allah wollte, daß er an seine Feinde ausgeliefert wurde, um dort für das vergossene Blut den Tod zu erleiden – was konnte er dagegen machen? Von dem Moment an, wo dieses Gefühl der erreichten Bestimmung, der Fatalismus der Mohammedaner, seine Seele erfaßt hatte, rührte er kein Glied mehr zu seiner Verteidigung. Es wäre ja doch nutzlos gewesen.

Völlig gebrochen war Melattie. Eine anspruchslose Heimat hatte sie verlassen, ja eine Heimat voll Entbehrungen und Sorgen, selbst ohne die Sicherheit, die sonst das ärmliche Dach seinen Insassen gewährt; aber es war doch eine Heimat gewesen. Der wilde Wald, von schlimmen Tieren und oft noch schlimmeren Menschen bewohnt, hatte doch den eigenen Herd umschlossen, an dem sie mit dem Geliebten leben durfte, und sie selber hatte, außer der Sehnsucht nach ihrer Mutter, keinen weiteren Wunsch gehabt oder auch nur gekannt. Da brach die rauhe, mörderische Hand des Feindes über sie herein. Daß sie ihr ganzes Leben lang arbeitsam, ehrlich und brav waren, wen kümmerte das jetzt? Patani hatte gegen die Gesetze der Weißen verstoßen, so jedem Glauben widersprechend diese auch oft sein mochten, ihnen war er verfallen, und ihnen sollte nicht allein jetzt er, nein auch sie geopfert werden. Und konnte das ein Gott der Liebe sein, der solchen Frevel duldete? Handelten so Christen? Und durften sie dann glauben, die Mohammedaner zu überzeugen, daß ihre, die christliche Religion die bessere sei? Arme Melattie! Mache die Lehren Christi, des edelsten, einfachsten, bescheidensten Menschen, nicht für das verantwortlich, was Priester und Laien in seinem Namen sündigen. Wohl ist die christliche Religion eine Religion der Liebe – das wenigstens war der Wille ihres Schöpfers. Daß sie nur zu oft zu einer Religion des Hasses und Blutvergießens wird, ist nur das Werk seiner »Diener« und hat mit der eigentlichen Lehre nichts zu tun. Eine Lehre wurde uns gegeben, einen Glauben haben wir uns daraus gemacht, und der Himmel lächelt blau und freundlich über Christen und Mohammedaner, über Heiden und Juden – ja selbst über Katholiken und Protestanten nieder.

Herr Joost sah indessen mit Befriedigung, daß Klapas erstes Mißtrauen zum Teil beseitigt war, und hoffte, ihn nun auch noch dahin zu bringen, Tsin-fus Haus zu betreten. Sowie er dessen Schwelle dann überschritt, war er gefangen. Klapa schien aber dazu noch immer keine rechte Lust zu haben.

»Hier sind beide«, sagte er jetzt, zu Joost herantretend, indem er auf die kleine Gruppe der Unglücklichen zeigte, »hier sind beide, wie ich es versprach; wo ist das Geld?«

»Nun, das hab' ich ebenfalls mitgebracht, Klapa!« rief Joost rasch; »du sollst es uns nicht etwa so lange borgen, bis du wieder nach Batavia kommst. Aber wahrscheinlich wirst du doch nicht gleich in deine Berge zurückkehren und erst etwas essen und trinken. Außerdem«, setzte er leise zu ihm gewandt hinzu, »hab' ich noch einen Auftrag für dich, bei dem du viel Geld verdienen könntest, wenn du eben Lust und – Mut dazu hättest.«

»Keine gefährlichen Dinge mehr«, sagte aber Klapa, den Kopf schüttelnd, »mein Hals ist schon zu oft in Gefahr gewesen, um dafür zu büßen, was die Hände unternahmen. – Aber was ist es?«

Joost antwortete ihm nicht, sondern drehte den Kopf derselben Richtung zu, nach der schon Klapa aufmerksam hinüberhorchte. Es war der Straße zu, auf der kurze Zeit vorher die beiden Wagen fortfuhren und von woher in diesem Moment schon wieder Rädergerassel herübertönte. Herr Joost war indes darüber ebenso erstaunt wie Klapa, dessen Blick unwillkürlich zu den bleichen Zügen seines Gefährten hinüberflog; die nächste Minute aber sollte ihnen Aufklärung bringen, denn dieselben beiden Wagen, die Tjiledi mit den Damen und Herrn Holderbreit und van Straaten verlassen hatten, kehrten schon wieder dorthin zurück. Herr Joost konnte seine Bestürzung darüber kaum verbergen, doch Klapa lachte.


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