Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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22. Horbach erhält Krankenbesuch. – Heffken zeigt Interesse an Hedwigs Schicksal

Dicht vor dem Eisengittertor hielt der Wagen, und die beiden Freunde stiegen aus, um zu Fuß zu jener Abteilung der Gebäude hinüberzugehen, in der die Fieberkranken abgesondert von den übrigen lagen.

Das Hospital bestand deshalb aus mehreren niedrigen und luftigen Gebäuden, einstöckig, und jedes von einem freien Gartenplatz umgeben, auf der einen Seite dabei durch den Fluß, auf der anderen durch Mauern von der Nachbarschaft getrennt, um jeden Verkehr mit der Außenwelt, um den der Arzt nicht wußte, zu verhindern. Nur zu häufig kommt es nämlich vor, daß Rekonvaleszenten, denen besonders Spirituosen auf das strengste verboten sind, alles daransetzen, sich diese trotzdem zu verschaffen, und ein für die Kranken selber sehr gefährlicher, für die Unternehmer aber sehr lukrativer Handel wird deshalb fortwährend und trotz aller Aufmerksamkeit und Vorsicht besonders von Chinesen mit dem Hospital geführt. Allerdings stehen strenge Strafen darauf, wenn man einen solchen Schmuggler dabei erwischt. Das aber hält die übrigen nicht ab, es immer wieder aufs neue zu versuchen, und oft müssen besondere Aufseher nur deshalb angestellt werden, die anderen Aufseher wieder zu überwachen.

»Weißt du, wo der Bursche liegt?« sagte Wagner, als die beiden Männer zwischen den sauber gehaltenen Beeten des Gartens hindurchschritten.

»Ungefähr«, lautete van Roekens Antwort. »Die Fieberkranken sind übrigens, wenn ich mich nicht irre, mit den am Delirium tremens Leidenden in einem Haus, wenigstens unter einem Dach, und wir haben da keinesfalls weit zu gehen, um ihn zu finden.«

»Und du willst ihm den Tod seines Vaters noch nicht mitteilen?«

»Nein«, sagte van Roeken, »obgleich ich nicht glaube, daß er ihn sich sehr zu Herzen nehmen würde. Erst müssen wir ihn gesund und aus dem Spital heraus haben.«

»Aber gibst du ihm dann Geld, beginnt er das alte Leben von neuem; er wird es sowieso tun, nur auf seinen jährlichen Wechsel hin. Mit einem so verdorbenen Subjekt würde ich jetzt auch keine Umstände weiter machen, ihm einfach sagen, was geschehen ist und daß er von mir Reisegeld zu erwarten habe – und damit basta.«

»Vielleicht wäre es auch das beste«, meinte van Roeken, der sich damit einer Mühe enthoben sah, »jedenfalls müssen wir uns den Patron aber erst einmal ansehen. Wer weiß, wie es mit ihm steht. Schade nur um das Geld, das in solche Hände fällt.«

Sie waren indessen durch eine der Türen in den Raum getreten, in dem die leichteren Fieberkranken lagen, und befanden sich hier in einem weiten, luftigen Schlafsaal, der, dem Klima angemessen, mit allen nur möglichen Bequemlichkeiten für die Kranken versehen war. Diesen ziemlich hohen Saal umgab eine etwa zehn bis elf Fuß hohe Mauer ohne Fenster, das Dach war dagegen hoch auf Zwischenpfeiler gestellt, so daß die Luft von allen Seiten freien Durchgang hatte, und während dort zugleich reichlich Licht hereinfiel, konnte kein sonst so schädlicher Zug die Kranken treffen. Den ganzen Saal entlang standen zwei Reihen eiserner Betten, alle mit schneeweißem Leinen überzogen und immer weit genug voneinander entfernt, daß die zahlreichen Krankenwärter vor, hinter und zwischen ihnen hindurchgehen konnte, um die Patienten zu bedienen oder ihnen sonst eine nötige Hilfe zu leisten. Das Ganze stand unter einem Oberarzt und war von diesem erst in neuerer Zeit auf das vortrefflichste und in ganz militärischer Ordnung eingerichtet worden. Er beaufsichtigte alles, während die Unterärzte, denen jeweils eine bestimmte Sektion zugewiesen war, die Kranken unter seiner Leitung behandelten. Was unter den günstigsten Umständen überhaupt für die Kranken geschehen konnte, wurde hier geleistet, und die Rekonvaleszenten fanden in dem sorgfältig gehaltenen Garten, in dem zugleich die Pflanzen und Gewächse wissenschaftlich geordnet waren, nicht allein Erholung, sondern auch Unterhaltung und Belehrung.

Das Ganze machte überhaupt gar nicht den Eindruck eines Hospitals, noch dazu eines Hospitals in Batavia, das sich der Fremde nur zu leicht mit düsteren und unheimlichen Farben ausmalt, und so geräuschlos schritten die Wärter zwischen ihren Pflegebefohlenen umher, lüfteten hier ein Kissen, reichten dort ein erfrischendes Getränk oder die vorgeschriebene Medizin, und taten das alles mit einer so ruhigen Sicherheit, daß nur hier und da das fieberheiße Antlitz eines der Kranken den Ort verriet, an dem man sich in Wirklichkeit befand.

Van Roeken, der häufig Gelegenheit gehabt hatte, den Platz zu besuchen, wandte sich jetzt an einen der jungen im Vorzimmer befindlichen Ärzte, der die Wache hatte, um das Lager Horbachs zu erfragen, und wurde von diesem zu dem Bett des Rekonvaleszenten, als welchen ihn der Arzt selber bezeichnete, geführt. Horbach lag dort, ein Buch in der Hand, in dem er blätterte, und wenig auf die Leute achtend, die fortwährend in dem Saal hin und her gingen, bis die beiden Freunde an seinem Bett stehenblieben und van Roeken ihn anredete.

»Ah – Besuch?« sagte der Kranke lächelnd, indem ein leichtes Rot seine etwas eingefallenen und bleichen Wangen färbte. »Herr van Roeken – Herr Wagner – die ganze Firma. Das ist sehr freundlich von Ihnen, wenn ich mir wirklich diese Ehre zuschreiben darf.«

»Wir hatten hier im Hospital zu tun, Herr Horbach«, sagte van Roeken, indem er näher zu ihm trat, »und da wir hörten, daß Sie sich hier befinden, wollten wir doch einmal sehen, wie es Ihnen geht. Ich bemerke übrigens zu meiner Freude, daß Sie sich auf dem Wege der Besserung befinden.«

»Noch nicht reif zum Abfahren, mein lieber Herr van Roeken«, lächelte Horbach, indem er abwechselnd die Züge der beiden scharf und forschend beobachtete, »tut mir leid, wenn ich damit vielleicht eine angenehme Hoffnung von irgendeiner Seite zerstören sollte; merkwürdige Lebenskraft, wie? Meinen Sie nicht?«

»Mein lieber Herr Horbach«, sagte Wagner ruhig, »Sie können allerdings Gott nicht genug für Ihre gesunde Konstitution danken, denn was ein Mensch imstande ist zu leisten, um seine Gesundheit mutwillig und geflissentlich zu zerstören, das haben Sie allerdings redlich und unverdrossen getan. Hunderte lägen an Ihrer Stelle in der Tat schon jahrelang auf dem hiesigen Kirchhof, anstatt nur in dessen Vorhof – im Hospital. Um Ihnen indessen zu beweisen, daß wir nicht in der Hoffnung hierher kamen, Sie sehr gefährlich krank oder gar tot zu finden, ja, daß wir im Gegenteil wünschen, Sie wieder vollständig hergestellt und im Freien zu sehen, möchte ich Sie fragen, was wir für Sie tun können. Wenn Ihr gewöhnlicher Wechsel auch noch nicht von Deutschland für Sie angekommen ist, möchten wir Sie doch nicht länger als nötig hier im Krankenhaus wissen, wo Sie sich draußen vielleicht rascher erholen können. Natürlich unter der Bedingung, daß Sie endlich einmal Ihr wildes Leben einstellen, wenn nicht der Kolonie, so doch Ihrer selbst wegen.«

Horbach sah erst Wagner und dann van Roeken erstaunt und nicht ganz ohne Mißtrauen an. Die beiden Leute hatten sich allerdings früher unendlich viel Mühe gegeben, ihn zu einem ordentlichen Leben zu bringen, als aber alles fehlschlug und er immer wieder sein wüstes Treiben von vorn begann, ihn seit etwa einem Jahr ganz aufgegeben. Was bewog sie jetzt plötzlich, ihm auch aufs neue ihre Hilfe anzubieten? Denn daß er sich ihrer nicht würdig gezeigt hatte, wußte er recht gut. Aber was kümmerte das ihn? Horbach war wirklich nicht der Mann, eine aus irgendeiner Ecke angebotene Hand zurückzustoßen, wenn sie ihm augenblicklich nützen konnte; alles weitere mochte er dann ruhig der Zeit überlassen.

»Sie fühlen sich doch wohl genug, das Hospital verlassen zu können?« fragte ihn van Roeken.

»Ich denke ja«, erwiderte Horbach, »habe eine verwünscht häßliche Zeit durchgemacht.«

»Der junge Mann«, mischte sich hier der Arzt in das Gespräch, der inzwischen den Saal hinabgegangen war und wieder zurückkam, »hat ein sehr schweres Fieber erstaunlich schnell überwunden. Acht Tage lag er völlig besinnungslos und phantasierte in einem fort; am neunten besserte sich sein Zustand wie durch ein Wunder. Er hat eine vortreffliche Natur.«

»Selbst die Ärzte haben mich nicht totmachen können«, lächelte Horbach.

»Und glauben Sie, daß er fortgeschafft werden kann?« fragte Wagner den Arzt.

»Ohne Bedenken«, sagte dieser; »nur muß sich der Patient die nächste Zeit noch sehr diät halten und besonders vor Spirituosen hüten, denn ein Rückfall könnte unangenehmste Folgen haben.«

Van Roeken nahm Wagner beiseite und flüsterte ihm leise zu: »Es wird mir nichts anderes übrigbleiben, als ihn in mein Haus zu nehmen; wir können ihn sonst in keiner Weise überwachen, und dort geniert er sich auch noch am ehesten vor meiner Frau. Sobald dann ein Schiff segelfertig ist, sagen wir ihm alles und schicken ihn an Bord. Vielleicht kann er nachher mit Fräulein Bernold die Reise zurück nach Deutschland machen.«

»Das wäre eine Gesellschaft für eine junge Dame«, sagte Wagner finster, »wie magst du nur an so etwas denken!«

»Nun, das bleibt ja auch Nebensache«, meinte van Roeken.

»Und inzwischen«, lachte Wagner, »haben wir beide uns in die zwei liederlichsten Menschen dieser ganzen Insel geteilt. Wir wollen nun einmal sehen, wessen Erziehung besser ist – deine mit Horbach oder meine mit Nitschke.«

»Können Sie mir vielleicht sagen, wo Nitschke jetzt steckt?« fragte Horbach, der die beiden Freunde nicht aus den Augen gelassen und jedenfalls das letzte Wort verstanden hatte.

Van Roeken drehte sich etwas überrascht zu ihm um, und Wagner sagte: »In meinem Haus, Herr Horbach. Herr Nitschke hat sich entschlossen, ein anderes Leben zu beginnen, und wird in der nächsten Zeit in unserem Kontor arbeiten.«

»Alle Wetter!« rief Horbach erstaunt, »da weiß ich wahrhaftig nicht, wessen Mut ich mehr bewundern soll, den seinigen oder den Ihrigen. Aber hol's der Teufel; er hat vielleicht recht. Es ist auch ein elendes Leben, sich immer so herumzutreiben, wie wir beide es in der letzten Zeit getan haben. Ich hätte selber Lust, es einmal in anderer Weise zu versuchen.«

»Ich will Ihnen Gelegenheit dazu geben, Herr Horbach«, sagte van Roeken, »und Sie so lange in meine Wohnung nehmen, bis Sie sich vollständig erholt haben. Natürlich müssen Sie mir versprechen, sich in meinem Haus ordentlich und mäßig zu betragen.«

»Meine Herren«, sagte Horbach, »Sie setzen mich in immer größeres Erstaunen. Batavia muß sich, seit ich hier im Fieber lag, außerordentlich verändert haben, oder irgendwo in der Welt ist eine Schraube losgegangen. Wie dem aber auch sei, ich nehme Ihr Anerbieten unter den gestellten Bedingungen an – sobald ich nämlich imstande bin, diesen Ort zu verlassen.«

»Der Arzt hier bestätigt Ihnen, daß Sie es können«, sagte van Roeken.

»Auf anständige Weise nicht«, versicherte aber Horbach; »ich besitze nämlich keine weitere Garderobe als die, mit der ich hier im Bett liege, und wenn diese auch dem Klima vollkommen genügt, so würde ich mich doch höchst sonderbar in einem Bendi darin ausnehmen und keinenfalls Ihrer Frau Gemahlin vorgestellt werden können.«

»Aber was, um Gottes willen, ist aus Ihren Kleidern geworden!« rief van Roeken erstaunt.

»Tut mir leid, Ihnen keine genaue Auskunft darüber geben zu können«, sagte Horbach ruhig; »meine Erinnerung reicht kaum so viele Stunden zurück, als Tage dazu nötig wären.«

»Ohne Kleider können Sie natürlich das Hospital nicht verlassen«, meinte van Roeken, »ich werde Ihnen deshalb gegen Abend, wenn es kühl geworden ist, einen Bendi – den Sie dann gleich benutzen können, zu mir zu kommen – mit dem Nötigsten schicken. Alles übrige hier im Hospital werde ich ebenfalls regeln, so daß Sie sich um weiter nichts zu sorgen haben. Das wäre also abgemacht?«

»Vollkommen«, lächelte Horbach, »und, wie ich hoffe, zu allseitiger Zufriedenheit. Also Nitschke in fester Arbeit – hm, hm, hm, was doch nicht alles aus einem Menschen werden kann. Armer Nitschke!«

»Sie sind unverbesserlich«, lachte Wagner.

»Also guten Tag, Herr Horbach«, sagte van Roeken, der sich nicht länger mit dem Mann einlassen mochte. »Um sechs Uhr etwa wird der Wagen hier sein und Sie abholen. Halten Sie sich bereit.«

»Ich werde jedenfalls zur bestimmten Zeit zu Haus sein«, versicherte Horbach und grüßte, als ihm die beiden Freunde zunickten, mit einer entlassenden Handbewegung hinter ihnen drein.


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