Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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Van Roekens hatten ihren Empfangsabend, und so ungern Wagner dorthin ging, weil ihm die Frau von jeher unangenehm war, so ließ es sich heute dennoch nicht vermeiden. Noch besonders eingeladen, hatte er zugesagt, und wenn ihn sein Herz auch zu Romelaers zog, wo er jetzt, die junge, reizende Marie im Arm, hätte durch den Saal fliegen können, mußte er schon, wenigstens ein paar Stunden, dort ausharren – Mevrouw van Roeken würde es ihm sonst im Leben nicht verziehen haben. Wider Erwarten fand er bei van Roekens nur eine sehr kleine Gesellschaft und noch dazu großenteils von »gemischtem Blut« – allerdings mit die reichsten Leute der Kolonie und viele Verwandte von Mevrouw. Unter diesen hatte sich aber auch Heffken eingefunden, der in besonderer Gunst bei Frau van Roeken stand, weil er ihren Launen zu schmeicheln und mit einem gewissen Talent und Witz, wie mit hinlänglicher Bosheit interessant zu sein, die gesellschaftlichen Schwächen der Kolonie zu geißeln wußte. Er kannte dabei die Geheimnisse von jeder Familie – oder tat wenigstens, als ob er sie kenne –, wobei ihm sein nicht unbedeutendes Kombinationstalent vortrefflich zustatten kam. Er war daher vor allen anderen der Mann, den Mevrouw brauchen konnte, um ihr nicht allein manche müßige Stunde zu Haus zu verkürzen, sondern auch hinlänglichen Stoff zu liefern, andere Gesellschaften dadurch in Erstaunen zu setzen, daß sie eben alles wisse. Heffken war es dabei keineswegs entgangen, daß ihn Mynheer van Roeken nicht mochte; das genierte ihn aber nicht im mindesten, denn Mevrouw war eben der »Herr« im Hause und van Roeken selber eine unvermeidliche Nebensache, über die man nur nicht hinwegkonnte und die man dulden mußte. Daß ihn Heffken auf diese Weise betrachtete, konnte van Roeken kein Geheimnis bleiben und ärgerte ihn vielleicht am meisten.

Wagner stand mit dem kleinen boshaften Buchhalter auf einem besseren und daher friedlicheren Fuß. Ihre Wege hatten sich noch nie gekreuzt und liefen deshalb, ohne ein weiteres Hindernis, ruhig nebeneinander her. Wagner wußte freilich, daß Heffken auch auf ihn herabsah, weil er eben ein Deutscher war und dem Holländer deshalb von vornherein das Wasser nicht reichen konnte. Zu gutmütig aber, diese kleine Nationaleitelkeit mehr zu beachten, als sie verdiente, ließ er ihn eben gehen, fertigte ihn kurz ab, wenn er einmal übermütig werden wollte, und sah dem kleinen, ohnehin von der Natur so sparsam bedachten Mann dafür wieder manche von seinen Schwächen nach, die ihn selber weiter nicht berührten.

Heffken war von dem letzten Krankenlager der Kriswunden, über deren Ursache er sich eine ganz glaubwürdige Erzählung ausgedacht hatte, noch ziemlich angegriffen und sah heute noch bleicher als gewöhnlich aus, war aber trotzdem gerade heute aufgeweckter und munterer als je und wußte wieder eine Menge Stadtneuigkeiten – meist Skandalgeschichten – und Anekdoten, die Mevrouw in einem steten Lachen hielten. Mevrouw wurde aber ernsthaft, als Heffken mitten in einer anderen Anekdote eine Anspielung auf die junge Fremde machte und dabei van Roeken mit einem ganz eigentümlichen Blick von der Seite ansah. Ob er indessen in dieser Hinsicht wirklich diskret war oder noch nicht mehr davon wußte, als daß sie eben angekommen war und von dem Geschäft Wagner und van Roeken protegiert wurde, mußte dahingestellt bleiben. Daß er jedoch van Roeken in eine unbehagliche Stimmung brachte, konnte ihm nicht entgehen und war Grund genug für ihn, die Sache wenigstens nicht ruhen zu lassen. Wagner sah das, und da er Heffken nicht einer direkten Bosheit für fähig, sondern das Ganze mehr für Neckerei hielt, beschloß er, dem ein Ende zu machen. Dadurch überhaupt, daß er die Sache immer und immer wieder berührte, mußte Mevrouw zuletzt so neugierig werden, daß sie am Ende mit ihrer gewöhnlichen Rücksichtslosigkeit irgendeinen Fauxpas beging, der nicht allein ihren Mann, sondern auch die arme Fremde kompromittierte. Als sich die Gelegenheit ergab, nahm er deshalb den kleinen Buchhalter beiseite und sagte freundlich: »Heffken, ich möchte ein paar Worte mit Ihnen sprechen.«

»Stehe mit Vergnügen zu Diensten. Eine Neuigkeit?«

»Nein – ich möchte Sie nur bitten – Sie erwähnten vorhin ein paarmal in Gegenwart von Mevrouw die junge Dame, die mit der Rebecca angekommen ist.«

»Ja«, nickte Herr Heffken und hielt den Kopf dabei gesenkt, so daß Wagner das um seine Augen zuckende verschmitzte Lächeln nicht sehen konnte.

»Wenn Sie mir und – van Roeken einen Gefallen tun wollen«, fuhr Wagner fort, »so – unterlassen Sie es.«

»Aber weshalb?« sagte Heffken, indem er jetzt mit der unschuldigsten Miene von der Welt zu Wagner aufsah. »Ich wüßte nicht, daß...«

»Sie haben einen Hintergedanken dabei«, unterbrach ihn aber Wagner, den diese Miene nicht täuschte; »da ich aber weiß, daß Sie nicht Unfrieden in der van Roekenschen Familie stiften wollen, obgleich Sie auf dem besten Wege dazu sind, genügt Ihnen gewiß die Andeutung, daß die Gegenwart der jungen Dame...«

»Die Gegenwart der jungen Dame...?« wiederholte Heffken lauernd.

»... daß wir Ihnen beide dankbar sein würden, wenn Sie es unterließen«, brach Wagner kurz ab.

»Wir? Das Geschäft also«, lächelte Heffken. »Ich wußte in der Tat nicht, daß die Dame Geschäftssache sei.«

»Und wer hat Ihnen das gesagt?«

»Mein lieber Herr Wagner«, lächelte Heffken still vor sich hin, »Sie haben allerdings recht, mir zuzutrauen, daß ich nicht absichtlich Unfrieden in diese mir befreundete Familie bringen möchte. Wenn man aber vollkommen unschuldig ein Thema berührt, das, ohne daß man es weiß, verboten ist, so trägt niemand die Schuld als die, die eben unnötigerweise ein Geheimnis aus der Sache machten. Ich bin – ich muß es zu meiner Schande gestehen – entsetzlich neugierig, aber dabei auch außerordentlich diskret, wo ich eben in das Vertrauen gezogen werde. Schwebt also um die junge Dame irgendein Geheimnis, so gebe ich Ihnen mein Wort, daß ich es noch auf irgendeine Weise herausbekomme.«

»Und wenn Sie sich nun vollständig irrten?«

»Ich will Ihnen etwas sagen, mein lieber Herr Wagner«, fuhr Heffken wieder mit seinem eigentümlichen Lächeln fort. »Ich habe in der Tat schon einen Verdacht, und hätte van Roeken mir ehrlich – wie es sich unter so alten Freunden gehört – die ganze Sache gesagt, so wäre ich – wie Sie mir auf mein Wort glauben können – der letzte, der unrechten Gebrauch davon machen würde. Ja, im Gegenteil, ich hätte ihm wahrscheinlich in mancher Hinsicht gerade in dieser Sache von Nutzen sein können.«

»Sie haben einen Verdacht? Und welchen?«

»Das will ich Ihnen ganz aufrichtig sagen«, antwortete Heffken. »Van Roeken hat, wie ich genau weiß, und zwar aus seinem Munde, nach Europa um eine Frau geschrieben. Sie erinnern sich vielleicht selber der Wette, die er uns an seinem letzten Geburtstag anbot. Bald darauf überraschte er uns, und ich glaube auch sich selber, durch die plötzliche Verbindung mit Mevrouw, die er Knall auf Fall heiratete. Inzwischen kommt jetzt die angeforderte junge Dame an, und unser Freund befindet sich – nachdem er früher keine einzige Frau bekommen konnte – in der höchst sonderbaren Situation, zwei zu haben, so daß – wie das gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten der Fall ist – die eine nichts von der anderen wissen darf. Hab' ich recht?«

Wagner zögerte mit der Antwort. Er warf einen Blick über seine Schulter; die übrigen waren gerade in ein eifriges Gespräch verwickelt. Soviel sah er ein: Heffken hatte vielleicht großenteils durch van Roekens eigenen Leichtsinn alles teils schon erfahren, teils erraten, und unter diesen Umständen blieb es in der Tat das beste, ihn zum Vertrauten zu machen. Es war wenigstens der einzige Weg, ihn hier zum Schweigen zu bringen.

»Und wenn Sie recht hätten?« sagte er leise.

»Dann beweist es nur, wie wenig mich Ihr Freund kennt«, erwiderte Heffken ruhig, »er würde sonst gleich von Anfang an aufrichtig gegen mich gewesen sein. Möglich sogar, daß ich ihm einen Ausweg angeboten hätte, die fatale Sache ohne weiteres zu beseitigen.«

»Und werden Sie jetzt, nachdem Sie davon unterrichtet sind, nichts weiter gegen Mevrouw erwähnen? Werden Sie die Sache auf sich beruhen lassen?«

»Aber, lieber Wagner«, sagte Heffken gutmütig, »das versteht sich ja doch wohl von selbst. Beantworten Sie mir nur noch eine Frage: was gedenkt Ihr Freund jetzt zu tun?«

»Die Sache ist abgemacht«, sagte Wagner, der nicht wünschte, daß sich gerade Heffken weiter damit befasse. »Van Roeken hat leichtsinnig gehandelt, wie sich nicht leugnen läßt – wie er selbst nicht leugnet; da er aber natürlich weitere Verbindlichkeiten nicht einging und sich in diesem Fall freie Wahl vorbehalten mußte, wird oder ist vielmehr die junge Dame schon zufriedengestellt. Sie bekommt ihre Reise vergütet, außerdem eine kleine Summe Geld und wird mit dem nächsten Schiff nach Europa zurückkehren. Sie sehen, Herr Heffken, daß ich in jeder Hinsicht offen gegen Sie bin. Geben Sie mir nun aber auch Ihr Ehrenwort, gegen jedermann von dem, was ich Ihnen eben mitgeteilt habe, zu schweigen?«

Heffken besann sich einen Augenblick, dann legte er seine Hand in die ihm dargebotene Rechte und sagte: »Mit Vergnügen, mein lieber Herr Wagner. Ich begreife jetzt erst ganz van Roekens delikate Situation und würde der letzte sein, der ihm weitere Unannehmlichkeiten bereitete; er sitzt außerdem schon fest genug drin. Also – wie Sie sagen, ist die Sache vollständig abgemacht und reguliert?«

»So vollständig, wie es wenigstens in der kurzen Zeit möglich war. Van Roeken wird dadurch von all seinen Verbindlichkeiten befreit.«

»Und die junge Dame hat auch keine weiteren?«

»Gott bewahre. Sie ist vollkommen eigenständig.«

»Sehr schön«, lachte Heffken, sich vergnügt die Hände reibend, »da hat sich das Ganze noch viel besser abgewickelt, als ich geglaubt habe. Sehen Sie, wie gescheit das war, daß Sie mir einen Wink gaben. In der besten Absicht hätt' ich da wirklich Unheil stiften können.«

»Aber was haben die beiden Herren denn da nur so angelegentlich zu besprechen!« rief in diesem Augenblick Mevrouw herüber, »irgendein Geheimnis, das man nicht wissen darf?«

»Nicht im geringsten«, lachte Heffken, »wir sprachen von Kaffee und Zimt.«

»Haben Sie schon von dem letzten Einbruch gehört?« sagte Mevrouw, »von dem uns Mynheer Rastlopp eben erzählt?«

»Von dem letzten Einbruch!« rief Heffken, drehte sich um und ging in die entfernteste Ecke des Zimmers, wo auf einem kleinen Tisch einige Likörflaschen und Gläser standen.

»Sehen Sie, daß Sie doch nicht alles wissen, mein kluger Herr. In Buitenzorg haben sie einen Chinesen erwischt, der bei Hoodwell u. Co. heute gegen Morgen einbrechen wollte. Auf frischer Tat, noch dazu mit allen möglichen Werkzeugen und Mordinstrumenten, ertappt. Die Post hat eben die Nachricht mitgebracht.«

Heffken hatte sich ein Glas Likör eingeschenkt und mit einem Zug geleert. Er holte, als er sich der Gesellschaft wieder zudrehte, tief Atem und sagte gleichgültig: »Der dumme Teufel hätte vorher wissen können, daß er erwischt wird. Unsere Vorsichtsmaßnahmen sind überall so ausgezeichnet getroffen, daß ein Diebstahl mit Einbruch fast unmöglich ist.«

»Wenn uns unsere übergroße Sicherheit nur nicht einmal schadet«, sagte ein anderer Kaufmann von sehr dunkler Färbung, der lang ausgestreckt in einem Rohrstuhl lag. »Wir verlassen uns viel zu sehr auf unsere Oppass, bis wir einmal tüchtig mit diesen selber auflaufen. Wenn man aber auch wirklich so einem Lump nicht mehr traut, kann man ihn nachher nicht einmal gut wegschicken, da er mit allen Schlichen und Gängen im ganzen Lager bekannt ist.«

»Apropos«, lachte van Roeken, zu Wagner gewandt, »da wir gerade von Lumpen reden, fällt mir mein neuer Hausgenosse ein. Mir ist seine Ankunft noch gar nicht gemeldet.«

»Hast du denn seinen früheren Diener, den Tojiang, auch hier im Haus?« fragte Wagner.

»Ich werde mich hüten«, sagte van Roeken, »der schläft mit den übrigen Arbeitern in der Stadt und bekommt nur bezahlt, was er den Tag über leistet. Ich habe mich mit dem Burschen nicht weiter einlassen wollen. He! Sapáda – ist Tuwan Horbach in dem Bendi gekommen?«

»Tra tau, Tuwan«, antworteten die verschiedenen Diener achselzuckend – »haben ihn nicht gesehen.«

»Das ist merkwürdig«, sagte van Roeken, indem er von seinem Stuhl aufstand und zum hinteren Teil des Hauses ging.

»Ist etwas vorgefallen?« fragte Mynheer Rastlopp.

»Nicht das geringste«, erwiderte van Roeken; »ich habe nur vor beinahe drei Stunden ein Bendi hinunter zum Hospital geschickt, um den liederlichen Horbach von dort abzuholen; aber weder Bendi noch Horbach lassen sich blicken.«

»Der Kutscher wird versehentlich nach Haus gefahren sein«, sagte Wagner.

»O bewahre!« rief Roeken. »Ich habe ihn nicht allein im voraus bezahlt, um Horbach kein Geld in die Hände zu geben, sondern auch die versprochenen Wäsche- und Kleidungsstücke mitgeschickt.«

»Und kennst du den Kutscher?«

»Versteht sich; es ist ein Geschirr von Thihaing aus dem nächsten Kampong, wo ich stets mein Fuhrwerk holen lasse, wenn ich einmal mit meinen Pferden auf dem trocknen sitze.«

»Dann schickt doch einmal hinüber«, sagte ein anderer der Gäste, »das ist das einfachste. Ein Diener kann in einer Viertelstunde wieder zurück sein.« Van Roeken befolgte den Rat und schickte einen von seinen Leuten ab, um sich zu erkundigen, was aus Bendi und Passagier geworden wäre. Der Bursche kam auch in sehr kurzer Zeit, aber mit der Meldung zurück, daß der Kutscher schon seit einer Stunde etwa wieder zu Haus sei. Er habe den weißen Tuwan aus dem Hospital abgeholt und ihm das Paket mit Kleidungsstücken übergeben, wie ihm befohlen war. Der Tuwan hatte sich aber nicht hierher fahren lassen wollen, sondern verlangte, in die Stadt, auf den chinesischen Markt geschafft zu werden. Natürlich konnte sich der Malaie dem Weißen nicht widersetzen. Auf dem chinesischen Markt sei der Tuwan dann ausgestiegen und habe ihm befohlen, nach Haus zurückzufahren – weil er ihn nicht mehr brauche. – Van Roeken schüttelte zu dem seltsamen Bericht den Kopf; heut abend ließ sich aber doch nichts mehr in der Sache tun. Morgen wollte er dann zusehen, wie das Ganze zusammenhing. Heffken, der sich außerordentlich wenig darum kümmerte, was aus dem »nichtsnutzigen Deutschen« geworden war und ob er sich je wiederfinde, hatte sich inzwischen mit einigen anderen Herren zu einer Partie Whist gesetzt, und als Mynheer Rastlopp fortging, nahm van Roeken seine Stelle ein.

Wagner hatte sich um elf Uhr empfohlen, um noch zu Romelaers hinüberzufahren, wo er auf das herzlichste empfangen wurde, und van Roeken wäre zuletzt auch gern zu Bett gegangen, aber Heffken schien heute abend unermüdlich in Whist und Anekdoten. Er wollte nicht aufhören zu spielen wie zu erzählen, und während Mevrouw schon lange in ihrem Rohrstuhl sanft schlummerte, provozierte er noch immer wieder einen neuen Rubber.

Van Roeken als Hausherr konnte natürlich nicht aufbrechen, und Heffken wäre diesmal vielleicht bis zur Morgendämmerung sitzen geblieben, hätten die anderen beiden Herren nicht endlich den todmüden Wirt erlöst.

Es war zwei Uhr morgens, als man die armen Teufel von Malaien, die schon seit vielen Stunden draußen auf dem Bock ihrer Fuhrwerke saßen und ihre Herren erwarteten, endlich herbeirief. Die Boedjangs zündeten ihre Bambusfackeln an und stiegen hinten auf; die Kutscher schnalzten mit der Zunge, und fort rasselten die Wagen in die stille, sternhelle Nacht hinein, bis ihre Lichter endlich in der Ferne, wie sinkende Sterne, erloschen.


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