Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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Lockhaart war indes das Flüstern Joosts mit dem Chinesen nicht entgangen; aber er wußte auch, daß Joosts eigenes Interesse nur darin lag, ihnen zu dienen, und konnte ihn deshalb recht gut sich selber überlassen. Daß er den Eingeborenen jeden Augenblick seiner eigenen Sicherheit opfern würde, verstand sich außerdem von selbst – zu diesem Zweck hätte er keinen Menschen auf Gottes Erdboden geschont. Während sich nun die kleine Gesellschaft in der offenen Veranda sammelte, konnte Lockhaart, der sie alle scharf beobachtete, die Veränderung nicht entgehen, die mit Salomon Holderbreit, und zwar sehr zu seinem Vorteil, stattgefunden hatte. An Bord der Rebecca nämlich war er nur ein unausstehlich eingebildeter protestantischer Geistlicher gewesen, der sich für unfehlbar hielt und seine Reise nach Java als einen einfachen Siegeszug betrachtete, in dem er rechts und links die Ungläubigen zu Boden mähen und gute Christen daraus entstehen lassen würde. Stattdessen hatte er hier, so kurz sein Aufenthalt auch bis jetzt war, doch noch nichts als Enttäuschungen erlitten. Selbst mit der Sprache kam er nirgends weiter und hatte doch bis vor kurzem noch geglaubt, daß die Eingeborenen Holländisch verstanden, also ihm auf halbem Weg entgegenkämen. Wo er ging und stand, brauchte er daher Unterstützung und Hilfe von anderer Seite, und das einzige, was er den Leuten dafür bieten konnte: seine Überzeugung von der Alleinseligmachung der christlich evangelischen Religion, hatte hier so wenig Wert und wurde überall so gleichgültig zurückgewiesen, daß er mit jedem Tag mehr und mehr in sich ging und schon keine Spur von Übermut mehr zeigte. Salomon Holderbreit, ehe ihn der christliche Stolz aufblies, war auch ein ganz einfacher, braver Mensch gewesen, der vielleicht seine geistigen Kräfte etwas überschätzte, aber wissentlich nie etwas Böses oder auch nur Unrechtes tat. Er hatte nur, wie leider sehr viele seiner Klasse, die feste Überzeugung, daß seine Dogmen den alleinigen Urquell aller Wahrheit, alles Wissens umschlössen, und dadurch auch in seine Hand die Macht gegeben sei, zu segnen und zu fluchen. In diesen Theorien den größten Teil seines Lebens verbracht, trat er eigentlich hier zum erstenmal in das praktische Leben hinaus und fand sich da plötzlich von einem Volk umgeben, das ihn völlig ignorierte und sich ohne alles das, was er ihm bringen wollte und konnte, vollkommen wohl und anscheinend glücklich fühlte. Es wäre überhaupt allen Missionaren zu wünschen, daß sie erst einmal eine Lehrzeit in einer der holländischen Kolonien bestünden. Salomon Holderbreit gab deshalb allerdings die Vorsätze, mit denen er Java betreten hatte, noch nicht auf; seine Ansprüche aber hatten sich um ein Bedeutendes verringert, und er selber war dadurch, was nur vorteilhaft für ihn sein konnte, um ein großes Teil bescheidener geworden. Viel trug ebenfalls dazu die letzte Erfahrung mit Herrn Joost bei, denn vorher hatte er sich für eine Art von Menschenkenner gehalten, der nicht so leicht hinters Licht geführt werden könne. Hier aber mußte er sich doch eingestehen, daß er durch einen ganz gemeinen Betrüger düpiert worden war. Daß aber Lockhaart und Wagner noch mit dem Mann umgingen, verwirrte ihn gänzlich; denn seiner Meinung nach mußte auf einen entdeckten Betrug, noch dazu wenn man den Täter dabei ertappte, auch unfehlbar die Strafe folgen. Herr Joost wurde aber von den beiden Herren, so wenig sie ihn auch beachteten, noch immer als ihresgleichen behandelt – freilich nur deshalb, um bei den Damen keinen Verdacht zu erregen und diese nicht zu beunruhigen. Wohin sollte das aber führen? Zum erstenmal in seinem Leben fing er übrigens an, sich in Damengesellschaft wohl zu fühlen, und am meisten setzte ihn das vollständig veränderte Benehmen seiner Reisegefährtin in Erstaunen. An Bord immer still, niedergeschlagen und traurig, nicht selten in Tränen, dabei mit eingefallenen, bleichen Wangen, hatten diese wenigen Wochen genügt, eine fast wunderbare Umwandlung mit ihr zu bewirken. Aufgeblüht war sie in der kurzen Zeit wie eine junge Rose, und wenn man sie auch noch nicht gerade heiter nennen konnte, lag doch ein stiller, glücklicher Friede auf ihren lieben Zügen. Bewirkte das nur die gegenwärtige Gesellschaft, die herrliche Szenerie, vielleicht die frische Bergluft? Jedenfalls, wie sich Herr Holderbreit das zusammenstellte, war sie in gedrückten, ungewissen Verhältnissen nach Java gekommen, was sie an Bord so niederdrückte; jetzt dagegen hatte sie eine Anstellung als Gesellschafterin in einer anständigen Familie bekommen; die erste Sorge war dadurch von ihr genommen, und die fast welke Blume hob gekräftigt ihr Köpfchen wieder empor. Nur über das eine zerbrach er sich vergebens den Kopf: als was sie hier »ihre alte Verwandte« untergebracht hatte?

Seine Aufmerksamkeit wurde aber bald wieder auf seine nächste Umgebung gelenkt, die zu viel Neues und Wunderbares bot, um lange unbeachtet zu bleiben. Zum erstenmal befand er sich nämlich in der Behausung eines dieser chinesischen Götzenanbeter, von denen er schon früher so viel gehört und gelesen und die er in Batavia auch in großer Zahl auf den Straßen gesehen, aber noch nie hatte näher beobachten können. Selbst unterwegs wichen diese dem Europäer gewöhnlich aus, wenn er sich noch dazu nicht einmal mit ihnen in ihrer Verkehrssprache, der malaiischen, unterhalten konnte. Hier aber war eins der prächtigsten Exemplare, mit einem wahren Staatszopf, dessen unterstes Ende ein rotseidenes Bändchen zierte, mit ziemlich schräg geschlitzten Augen, gelber Hautfarbe, weißer Jacke und Hose – wie sie ja auch auf Teekisten getreulich abgebildet stehen –, der ihnen eine tiefe Verbeugung nach der andern machte, und unter dessen Leitung jetzt ein paar echte Chinesinnen irdene Teebretter mit sehr kleinen Tassen und dazu passenden Kannen brachten.

Salomon Holderbreit schielte unwillkürlich nach ihren Füßen hinab, die auch unter den nicht zu langen Kleidern vollständig sichtbar waren. Sie trugen aber keine Spur von Verkrüppelung und hatten weit eher in Länge und Breite sehr reichliches Maß. Er wußte damals noch nicht, daß die ausgewanderten Chinesen entweder dieser Unsitte nicht mehr frönen oder auch – als sie ihr Vaterland verließen – nicht zu der vornehmen Klasse gehört hatten, die allein ihren Stolz darin sehen konnte, die Töchter zu verkrüppeln und dadurch zu jeder Hausarbeit unfähig zu machen.

Außer dem Tee, den der Chinese ohne Milch und Zucker trinkt, obgleich für die Europäer Zucker gegeben wurde, standen noch eine Menge verschiedener, sehr delikat eingemachten Früchte auf dem Tisch, und der alte Tsin-fu, wie er von Lockhaart genannt wurde, machte auf eine liebenswürdige Weise die Honneurs. Joost hatte sich nicht mit zu der Gesellschaft gesetzt, und Holderbreit sah, wie er mehrmals in dem Haus, in dem er sehr bekannt schien, aus und ein ging. Gern hätte auch er es betreten, um einmal die innere Einrichtung zu betrachten, aber er getraute es sich nicht, bis ihn Lockhaart endlich beim Arm nahm und hinüberführte.

»Kommen Sie, Sie Heidenbekehrer«, lachte er, »ich will Ihnen den Feind auch von Angesicht zu Angesicht zeigen, den Sie nun schon eine lange Zeit bekämpfen, ohne ihn je gesehen zu haben, denn bis jetzt kennen Sie ihn doch nur vom Hörensagen.«

»Den Feind?« sagte Salomon Holderbreit erstaunt, »den Bösen?«

»Den bösen und den guten«, lachte Lockhaart. »Sie finden sie hier dicht beieinander. Aber«, setzte er ernsthaft hinzu, »keine Ausbrüche von fanatischer Leidenschaft da drinnen, wenn ich bitten darf. Dieser langzöpfige Wirt darf nicht merken, daß wir unter seinem eigenen Dach unehrerbietig von dem sprechen, was er für gut und heilig hält, er hätte sonst das Recht, uns augenblicklich vor die Tür zu setzen.«

»Aber ich kann mich doch wahrhaftig nicht vor einem Götzen beugen!« rief der Geistliche empört.

»Gott bewahre«, sagte Lockhaart, »das wird auch gar nicht verlangt! Nur ruhig und anständig sollen Sie sich betragen und Ihre Meinung vorläufig für sich behalten; doch da sind wir an Ort und Stelle.« Noch während sie sprachen, hatten sie die Schwelle überschritten, wohin ihnen Tsin-fu wieder mit den devotesten Verbeugungen und der Einladung folgte, sein Haus ganz als das ihre zu betrachten. Salomon Holderbreit aber, so sehr er es sich auch früher gewünscht hatte, die innere Einrichtung einer chinesischen Wohnung einmal genauer betrachten zu dürfen, sah im ersten Augenblick weiter nichts als den vor ihnen aufgestellten Altar. Vor diesem brannte nämlich eine Lampe und standen mehrere Gefäße, in denen rote und sehr dünne glimmende Stäbchen einen Weihrauchgeruch verbreiteten.Dieselben kleinen Stäbchen stecken die Chinesen beispielsweise auch auf ihren Dschunken auf See um den Kompaß herum, der in einer mit Sand gefüllten Büchse liegt. Der Altar bestand aber nur in einem kleinen Gesims an der Wand, etwa so breit wie der Überbau eines englischen Kamins; doch hing darüber ein großes und eigentümliches Bild.

Es stellte zwei Männer, lebensgroß und in chinesischer Tracht, dar, die aber einen ganz entgegengesetzten Charakter zur Schau trugen. Der eine war von behäbiger Gestalt ein dicker, fetter und augenscheinlich gemütlicher Mann, ziemlich weiß im Aussehen und in einem bequemen Lehnstuhl sitzend. Neben diesem aber, zu ihm hinübergebeugt und den Finger erhoben, als ob er ihm etwas in das Ohr flüsterte, stand eine andere, schwarze Gestalt mit verzerrtem Antlitz, funkelnden Augen und gefletschten Zähnen, mit einem Wort: das böse Prinzip in jeden Zug geschrieben. Neben dem Altar hingen noch rechts und links einige mit vergoldetem Schnitzwerk verzierte Tafeln, welche die Namen der verstorbenen Vorfahren Tsin-fus trugen.

»Da haben Sie die ganze Bescherung«, sagte Lockhaart ruhig, während Holderbreit überrascht vor dem Bild stehenblieb. »Der dicke, gemütliche Schmerbauch ist Tepikong oder das gute Wesen, mit dem sie übrigens nicht viel Aufhebens machen, da er sich nicht in Respekt zu setzen weiß. Sie halten ihn für zu gut, als daß er ihnen schaden möchte – jedenfalls eine Lehre, die uns in ihrer Allbarmherzigkeit beschämt. Der andere daneben ist aber Seitan oder der böse Geist, und dem bringen sie hauptsächlich die Opfer, weil sie wissen, daß er nicht mit sich spaßen läßt.«

»Seitan?« fragte Holderbreit erstaunt, »das klingt ja fast wie Satan und berührt sich da vielleicht mit unserem Glauben.«

»Da haben Sie recht«, sagte Lockhaart trocken, »es ist alles ein Teufel.«

Als er sich umdrehte, stand Joost hinter ihm und flüsterte ihm zu: »Es wird höchste Zeit, daß wir die Damen entfernen. Klapa hat eben einen Boten geschickt, daß er Melattie und Patani aufgespürt und gefangen habe und schon mit ihnen unterwegs sei.«

»Dann wird ihm der Bote jedenfalls melden, welche Gesellschaft hier versammelt ist«, erwiderte, ungeduldig den Kopf schüttelnd, der alte Herr.

»Das fürchtete ich auch«, sagte Mynheer Joost. »Ich habe den Boten deshalb durch zwei der Oppass festhalten und binden lassen. Einer von ihnen muß jetzt bei ihm bleiben, damit er nicht loskommt, sonst sehen wir den schlauen Burschen im Leben nicht hier.«

»Brav! Brav!« nickte Lockhaart, »das war gescheit. Nun, Sie wissen am besten, für wen Sie es tun. Kommen Sie, die Frauen wollen wir bald unterwegs haben. Ist alles mit Tsin-fu besprochen?«

»Alles; dem Chinesen liegt besonders daran, diesen Klapa aus seiner Nachbarschaft fortzubekommen, denn mehrere bei ihm verübte Diebstähle haben den verwegenen und schlauen Burschen ganz sicher ebenfalls zum Urheber.«

»Desto besser, desto besser. Kommen Sie, Holderbreit – Sie müssen mit den Damen aufbrechen, wenn Sie die Teeplantage noch vor Nacht erreichen wollen.«

»Werden Sie uns nicht begleiten?« fragte der Geistliche erstaunt, und er wäre vielleicht nicht böse darüber gewesen, Herrn Lockhaarts Gesellschaft auf kurze Zeit entbehren zu müssen.

»Ja«, sagte dieser aber, »gewiß begleiten wir Sie; Sie sollen nur vorausfahren, denn wir haben noch einiges hier zu besprechen und möchten doch die Damen nicht aufhalten. Wo sind die Pferde?«

»Die kommen eben«, sagte Joost, »ich hatte mir schon erlaubt, sie zu bestellen, um keinen Aufenthalt zu verursachen.«

»Sehr recht! Jetzt werden wir gleich in Ordnung sein«, und mit diesen Worten ging er auf seinen Schwager zu, um mit ihm, was nötig war, zu besprechen. Wagner hatte inzwischen die Damen zu ihrer Carreta begleitet, und Herr Holderbreit gab sich schon der Hoffnung hin, diesmal zu ihnen gesetzt zu werden, fand aber, daß er sich wieder geirrt hatte, da van Straaten nicht mit zurückblieb, sondern sich mit dem Geistlichen in die Kalesche setzte, die vorher Joost und Herrn Holderbreit beförderte. Die Damen folgten in dem anderen Wagen dicht hinter ihnen, und da es ziemlich steil bergan ging, sollten sie nur langsam vorausfahren; die noch zurückbleibenden Herren wollten dann versuchen, sie später einzuholen. Gelang ihnen das nicht, so war als Treffpunkt die Teeplantage von Tjoemboeloeit bestimmt worden.


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