Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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21. Mevrouw van Roeken, ihr Gatte und Wagner

So aufgeregt fühlte sich Wagner durch diese Unterredung, daß er jetzt mit niemandem zusammenkommen mochte, um in irgendein gleichgültiges Gespräch verwickelt zu werden. Es drängte ihn auch, van Roeken aufzusuchen, und den linken Weg einschlagend, der um das Haus herumführte, traf er seinen Bendi dort unter einer kleinen Gruppe von Muskatnußbäumen, warf sich hinein und befahl dem Kutscher, so rasch er könne nach Hause zurückzufahren. Er vergaß dabei ganz, daß er unterwegs hatte Hedwigs Dienerin anreden und sie nach dem Brief fragen wollen. Der Bendi mit der alten treuen Kathrine, die indessen glücklicherweise das Schreiben in seinem Haus gelassen hatte, rollte unbemerkt an ihm vorüber, und er kam eigentlich erst wieder zu sich selber, als ihm daheim Nitschke begegnete und den ihm anvertrauten Brief übergab. Herr Nitschke wollte ihm dabei, nicht ohne Humor, eine Schilderung der komischen Alten geben, die sich erst vor dem Haus, ehe er dazukam, mit den verwunderten Malaien auf Deutsch herumgezankt hatte. Wagner war aber jetzt nicht in der Stimmung, ihm geduldig zuzuhören, nahm den Brief an sich, sprang wieder in den Wagen und befahl dem Kutscher, so rasch sein Pferd laufen könne, ihn zu Herrn van Roekens Wohnung zu fahren. Hier aber verweigerte der Malaie den Gehorsam. Das Pferd hatte die Tour zum Hotel der Nederlanden hin und zurück gemacht, andere, frischere standen im Stall, und er erklärte, nicht fahren zu wollen, bis er nicht ein anderes Tier eingespannt habe. Wagner mußte sich ihm fügen; in dem heißen Klima Batavias dürfen die Tiere nicht unnötigerweise zu sehr angestrengt werden, und während der Bursche das Pferd ausschirrte und in den Stall brachte, warf er sich in einen Stuhl, um den Brief zu lesen, den ihm die Fremde von Deutschland mitgebracht hatte.

Er war lang und eng geschrieben, und das frische Pferd schon wieder eine gute Weile eingespannt und fertig; aber er winkte mit der Hand, ihn ungestört zu lassen, bis er das Schreiben zu Ende durchgelesen habe, und selbst dann noch saß er längere Zeit mit dem Brief in der Hand und darüber hinweg in den Wipfel eines mächtigen Waringhi starrend, bis ihn Nitschke, der ihn mit keiner Bewegung unterbrochen hatte, endlich darauf aufmerksam machte, daß der Wagen warte.

»Ich danke Ihnen«, sagte Wagner freundlich, sprang von seinem Stuhl auf und ließ sich, so rasch das Pferd laufen konnte, dem Ort seiner Bestimmung zuführen.

Unterwegs las er den Brief noch einmal durch und war noch nicht wieder damit fertig, als das leichte Fuhrwerk schon in van Roekens Anwesen einlenkte und vor der Veranda hielt, in der Mevrouw eben, behaglich in einem chinesischen Lehnstuhl ausgestreckt und mit einem kleinen malaiischen Mädchen neben sich, das ihr Kühlung zufächeln mußte, die nötigen Befehle erteilte, den Mittagstisch zu decken. Van Roeken lag neben ihr in einem ähnlichen Stuhl, die Zeitung lesend und mit einer Manilazigarre zwischen den Lippen, stand aber auf, als er Wagner in dem heranfahrenden Wagen erkannte, und ging ihm entgegen, um ihn zu begrüßen.

»Ah, Tuwan Wagner, tabé!« rief auch Mevrouw van Roeken, ohne ihre Stellung im mindesten zu verändern und in ihrem gebrochenen oder vielmehr mit malaiischen Wörtern reichlich gemischten Holländisch. »Wie geht es? Das ist recht, daß Sie gerade jetzt kommen, da können Sie gleich mit uns essen. Mynheer van Roeken ist sowieso immer bei Tisch so schrecklich langweilig und macht nur den Mund auf, wenn er etwas hineinstecken will.«

»Guten Tag, Mevrouw«, grüßte sie Wagner, indem er auf sie zuging und ihr die Hand bot, die sie freundlich lächelnd nahm, dabei aber in ihrer alten Lage blieb, »wie geht es Ihnen? Noch immer des Lebens Last und Hitze tragend?«

»Wel, Mynheer, wel!« seufzte die dicke, fette Dame, die mit ihrer bronzefarbenen Haut ihre Abstammung nicht verheimlichen konnte. »Wir armen Frauen führen auch ein geplagtes Leben, Kassiang – aber die Männer wollen es immer nicht einsehen – wenigstens sobald sie Ehemänner sind. Solange sie noch so herumlaufen, ist es freilich was anderes.«

»Warst du dort?« flüsterte ihm van Roeken zu.

»Ja; ich muß dich dann dringend allein sprechen.«

»Nun«, sagte die Dame, der die paar leise gewechselten Worte trotz ihrer behaglichen Stellung nicht entgangen waren, »was haben die beiden Herren miteinander zu flüstern? Geheimnisse?«

»Geschäftssachen, liebes Kind«, sagte van Roeken gleichgültig, »wir tun dir einen Gefallen, wenn wir dich damit verschonen.«

»Es ist merkwürdig«, sagte Mevrouw mit etwas scharfer und schneidender Betonung, »wieviel Geschäfte Mynheer van Roeken hat, seit wir miteinander verheiratet sind. Vorher hab' ich im Leben nichts von Geschäften gehört, und jetzt nehmen sie kein Ende.«

»Es ist eine höchst unbedeutende Sache, Mevrouw«, nahm da Wagner das Wort, der die Gelegenheit passend fand, seinen etwas voreiligen Schritt mit Nitschke dem Kompagnon mitzuteilen und jetzt dessen Zugeständnis zu erlangen. Da er nämlich schon vorher mit ihm geflüstert hatte, mußte es Mevrouw nun darauf beziehen, und van Roeken konnte nicht anders als einverstanden damit sein. »Ich habe Ihrem Gatten nur eben mitgeteilt, daß ich ein bisher etwas liederliches Subjekt, das aber fest versprochen hat, sich von nun an zu bessern und ordentlich zu werden, in das Geschäft genommen habe – den Deutschen Nitschke.«

Van Roeken mußte wirklich an sich halten, sein Erstaunen darüber nicht ganz unvermittelt zu verraten, Mevrouw hätte sonst jedenfalls Verdacht geschöpft. Er drehte sich deshalb nur rasch ab und sagte: »Du hättest auch etwas Gescheiteres tun können, denn Nitschke ist ein durch und durch verdorbenes Subjekt, das sich im Leben nicht wieder bessern wird. Wir haben drei oder vier Wochen den Ärger mit ihm, um ihn dann sicher wieder fortzuschicken.«

»Ich glaube nicht«, sagte Wagner, »er ist vollkommen niedergedrückt und herunter...«

»Das war er schon zehnmal, und es hat ihn nie gehindert, sowie er sich nur ein klein wenig erholt hatte, mit beiden Füßen wieder in das tolle und liederliche Leben hineinzuspringen. Wir haben nur, wie gesagt, für die Zeit den Ärger und vielleicht auch den Schaden davon. Übrigens bin ich mit dir quitt und darf nicht einmal viel sagen, denn heute morgen habe ich Horbachs früheren Diener, den nichtsnutzigsten Halunken, der je in einer malaiischen Haut gesteckt hat, als Packer in Dienst genommen. Die beiden können ein prächtiges Gespann geben, und wir werden unsere Freude an ihnen erleben.«

»Ist das etwa Tojiang?«

»Derselbe. Du kennst den Patron?«

»Gewiß; nun, er kann arbeiten, wenn er will.«

»Er will aber nie.«

»Wir werden ihn schon dazu bringen, und Nitschke versteht vielleicht sogar am besten mit ihm umzugehen.«

»So peitschen wir einen mit dem andern«, lachte van Roeken. »Und zu was kannst du Nitschke gebrauchen?«

»Zur englischen Korrespondenz – er ist der Sprache vollkommen mächtig, und es ist überhaupt jammerschade, daß der Bursche seine wirklich tüchtigen Kenntnisse nicht früher und besser verwertet hat. Er weiß am kleinen Finger mehr als der ganze Horbach.«

»Und gerade wegen Horbach wollte ich mit dir sprechen. Ich habe heute erst zufällig die Nachricht durch einen Passagier erhalten, der mit der letzten Mail angekommen ist, daß Horbachs Vater in Deutschland gestorben ist und ihm ein sehr bedeutendes Vermögen hinterlassen hat.«

»Keinenfalls zu groß für Herrn Horbach, um rasch damit fertig zu werden«, sagte Wagner; »aber warum hast du das heute erst erfahren?«

»Um Porto zu ersparen, sind die Leute daheim so schlau gewesen, den Brief einer Gelegenheit – einem herüberkommenden Passagier – anzuvertrauen, und der hat ihn natürlich so lange in der Brieftasche behalten, bis er ihm einmal zufällig wieder in die Hände kam.«

»Und wo steckt Horbach jetzt?«

»Er liegt im Spital«, sagte van Roeken, »wohin sie ihn schon vor vierzehn Tagen, als sie ihn einmal morgens auf dem pasar haroeh betrunken und in Fieber fanden, geschafft haben. Mir ist jetzt ein Wechsel für ihn auf unser Haus geschickt worden, und das beste wird sein, daß wir am Nachmittag zusammen hinfahren und sehen, wie es ihm geht und ob er von dort zu transportieren ist.«

»Und wenn er erfährt, daß er so viel Geld geerbt hat, ist das erste, was er tut, daß er sich vor lauter Freude den Tod an den Hals trinkt.«

»Ein Unglück wäre es nicht«, sagte van Roeken gleichgültig; »aber solange es geht, müssen wir es doch verhindern. Er soll es nicht eher erfahren, bis er wieder vollkommen hergestellt und bei vollem Verstand ist. Außerdem hat er in der letzten Zeit ein so entsetzlich wüstes Leben geführt, daß ihm Ruhe und Ordnung nach diesem Toben guttun wird.«

»Sonderbar«, sagte Wagner, »da wird so viel von diesem ungesunden, ja tödlichen Klima Batavias gesprochen, wo man sich, um den gefährlichsten Folgen zu entgehen, vor jeder Extravaganz im Essen und Trinken auf das strengste zu hüten hätte, und diese beiden Menschen, der Horbach und der Nitschke, haben jetzt jahrelang mit ihrer Gesundheit förmlich herumgewütet, ohne mehr als ein gelegentliches Unwohlsein, von dem sie in Europa nicht rascher wieder geheilt worden wären. Die Burschen müssen wahrhaft eiserne Körper haben.«

»Spiritusflaschen«, sagte van Roeken wegwerfend, »wir dürfen die beiden noch immer als spezielle Landplage betrachten, und ich will meinem Gott danken, wenn wir sie erst einmal auf der Insel wieder los sind.«

»Jetzt hört einmal mit eurem langweiligen Gespräch auf!« rief Mevrouw van Roeken, die in immer wachsender Ungeduld der für sie trostlosen Unterhaltung gefolgt war.

»Liebes Kind, ich sagte es dir gleich«, erwiderte, mit den Achseln zuckend, ihr Mann, »daß du keine Freude an unserer Unterhaltung finden würdest.«


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