Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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Die Kathrine ging mit, wohin sie ihre Freundin führte, aber sie sah und hörte nichts mehr von alledem, was um sie herum vorging, so ganz und allein waren ihre Gedanken bei der noch immer unbegreiflichen Tatsache, daß Herr von Dorsek, derselbe, der ihr liebes, gutes, engelbraves Fräulein hatte sitzenlassen und unglücklich gemacht, hier in Java als gemeiner Soldat rechts und links marschieren müsse. – Und weshalb war er herübergekommen? Hatte sie nur der Zufall hier zusammengeführt, dann sah sie wieder nicht ein, wie das möglich gewesen wäre, und sollte sie jetzt ihrem Fräulein diese Begegnung verheimlichen oder ihr alles offen und ehrlich gestehen? Alle diese Dinge gingen ihr so wirr und wild im Kopf herum, daß sie von der Außenwelt, wie schon gesagt, nichts mehr sah, und der Köchin aus dem Hotel Bellevue, die geglaubt hatte, wunder welchen Genuß sie ihrer Freundin durch einen solchen Spaziergang bereite, so lange verkehrte oder gar keine Antworten gab, bis diese endlich die Geduld verlor.

»Da gehen wir heim!« rief sie, »wenn du immer nur in dich hineinsiehst und lauter Albernheiten schwatzt, wenn ich dich was frage. Braucht man doch nicht in der Hitze herumzulaufen, wenn man weiter nichts ansehen will als den Fahrweg, auf dem man den Staub aufwühlt.« Und damit lenkte sie wirklich in gerader Richtung nach dem Hotel ein, ohne daß die Kathrine die Drohung gehört oder den veränderten Kurs beachtet hätte. Sie hielt sich nur, in einer Art von Instinkt, dicht neben der Köchin, um den Weg nicht zu verlieren, und war jetzt so weit mit sich ins reine gekommen, daß sie Herrn Wagner alles mitteilen und ihrem Fräulein vorerst noch nichts sagen wolle. Der Herr Wagner war ein guter und braver Mensch, auf den man sich in jeder Hinsicht verlassen konnte; er meinte es auch gut mit ihrem Fräulein, das hatte er dadurch bewiesen, daß er sie zu den guten, lieben Leuten brachte, wo sie sich viel wohler fühlen konnte als in einem Hotel, und wenn es das beste gewesen wäre. Er würde dann auch wohl Rat wissen, was in dieser Sache zu tun sei und ob man dem Fräulein etwas davon sagen dürfe oder nicht. Zu dem Entschluß war sie gerade gekommen, als sie das Hotel wieder erreichten, und hier, ohne von der Emilie auch nur Abschied zu nehmen, lief sie so rasch sie konnte zu Herrn Wagners Zimmer hinauf. Sie mußte das Geheimnis nämlich loswerden, ehe sie ihr Fräulein wieder traf, denn die hätte es ihr ja auf der Stelle angesehen, daß irgend etwas mit ihr vorgegangen und nicht in Ordnung sei. Einmal mit sich über etwas im reinen, ließ sich auch die Kathrine durch nichts mehr abhalten, es durchzuführen, klopfte an Herrn Wagners Zimmer an und trat, da nicht gleich »herein!« gerufen wurde, auch ohne das in die fremde Stube ein.

Wie sie indessen die Tür aufmachte, stutzte sie doch, denn Herr Wagner war wohl zu Haus, aber nicht allein. Der alte Herr Lockhaart saß nämlich bei ihm am Tisch, und sie hatten darauf Briefe ausgebreitet und schienen miteinander in eifrigem Gespräch. Sobald aber die Tür aufging, drehten sich beide rasch nach dem Geräusch herum, Lockhaart eben nicht mit einem übermäßig freundlichen Gesicht, und die alte treue Magd erschrak nicht wenig, den »Brummbär«, wie sie ihn noch immer nannte, im Weg zu finden. Allerdings hatte er sich hier an Land viel, viel freundlicher gegen sie und besonders gegen ihr liebes Fräulein gezeigt als auf dem Schiff, und sie fing schon an zu glauben, daß er vielleicht nicht einmal so schlimm sei, wie er sich mache. Nichtsdestoweniger fürchtete sie sich noch immer vor ihm – vielleicht auch aus alter Gewohnheit – und wollte deshalb eben wieder zurückfahren und die Tür ins Schloß drücken, .als sie Wagner anrief: »Heda, Kathrine! Was gibt's? Wollen Sie zu mir?«

»Ja, Herr Wagner«, sagte die Alte verlegen, indem sie in der halb wieder zugeklemmten Tür steckenblieb, »ich – aber ich – ich meine, daß...«

»Na, nur keine langen Umstände und Redereien!« rief Lockhaart ärgerlich, »wir haben hier mehr zu tun als lange zu nötigen.«

»Ja«, sagte die Kathrine, sich ein Herz fassend, »nix für ungut – aber – ich wähs net – ich möcht' eppes mit dem Herrn Wagner allein schwätze.«

»So? – Na, das ist wenigstens Deutsch«, sagte Lockhaart, indem er von seinem Stuhl aufstand, »dann geh' ich natürlich so lange hinaus.«

»Bitte, lieber Herr Lockhaart«, bat aber Wagner, seinen Arm ergreifend, »bleiben Sie hier; wir haben nichts miteinander zu reden, was Sie nicht hören dürften, denn wahrscheinlich betrifft es doch Fräulein Bernold, und wer nähme herzlicheren Anteil an ihrem Schicksal als Sie.«

»Betrifft es das Fräulein?« fragte Lockhaart, zur Magd gewandt.

»Ja un nein«, sagte die Kathrine, die indessen ganz ins Zimmer gekommen war, »wie mer's nimmt – dem Herr Wagner wohlt' ich nur sage, daß er – daß er da is.«

»Daß er da ist? – Wer?!« rief Wagner verwundert und sah Lockhaart dabei mit einem rasch forschenden Blick an.

»Nu er«, meinte die Kathrine. »Sie wisse's ja schon aus dem Schreiben vom alte Herrn Scharner – der Herr Baron – der Herr Baron von Dorsek.«

»In der Tat?« rief Wagner, »Sie haben ihn gesehen?«

»Draußen auf dem freie Platz, wo alls die Soldate marschiere. Die Rekrute ware ebe eingerückt und lage unter die Bääm alls newenenanner. Do lag er dazwischen.«

»Und hat er Sie gesehen?« rief Wagner.

»Geschwätzt hawe mer mitenanner«, sagte die alte Kathrine. »Gemeiner Soldat ist er worde, und wie se angefange hawe zu trommeln, hat er marschiere gemußt. Das kommt von die Buwesträäch.«

»Und weiß er, daß Fräulein Bernold ebenfalls hier ist?«

»Na, das kann sich ä klaans Kind denke«, sagte die Kathrine, »wo ich bin, ist das Fräulein aach.«

Lockhaart hatte noch kein Wort gesprochen und nur langsam, leise vor sich hin den Namen Dorsek wiederholt. Jetzt stand er auf, ging ein paarmal im Zimmer auf und ab und sagte endlich, vor der Kathrine stehenbleibend: »Es ist gut, Kathrine – sagen Sie aber Ihrem Fräulein noch nichts davon, bis – bis wir selber mit ihr darüber gesprochen haben – Sie können gehen..«

Die Kathrine gehorchte dem Befehl auf das pünktlichste, auf der Treppe aber blieb sie eine ganze Weile stehen, nur um so viel besser erstaunen zu können, denn jetzt auf einmal fiel ihr erst ein, daß keiner der beiden Herren auch nur im geringsten überrascht gewesen war. Sie hatte geglaubt, daß sie die außerordentlichste Neuigkeit brächte, und die da oben taten, als ob sie es schon seit acht Tagen wüßten. Und hatte denn der alte Herr Lockhaart die Geschichte mit dem Herrn von Dorsek auch erfahren? Das wäre nun gerade gar nicht nötig gewesen, daß das alle Welt wußte, was ihrem armen jungen Fräulein beinahe das Herz gebrochen hatte. Und nichts davon sagen sollte sie, wo ihr das Herz bis zum Überlaufen voll war? – Wenn sie das nur aushielt. Solange ihr Fräulein nicht nach Hause kam, ja, da wollte sie kein Wort mit ihr darüber sprechen, aber nachher – nachher mußte sie erst überlegen, was sie am besten täte, und mit dem Entschluß ging sie hinüber in ihr eigenes Kämmerchen.

Lockhaart war indessen oben vor Wagner stehengeblieben und sagte mit finster zusammengezogenen Brauen: »Sehen Sie, ich hatte recht! Er war dazwischen, und das Schicksal hat hier, in einem vollkommen entlegenen Teil der Welt, auf die seltsamste Weise drei Personen zusammengeführt, die sich vollständig voneinander losgerissen glaubten.«

»Und weiß Dorsek, daß Sie hier sind?« fragte Wagner.

»Er weiß jedenfalls, daß ich wieder nach Indien gegangen hin, und wird mich wahrscheinlich in Batavia vermuten. Weshalb er aber den Schritt getan hat, da er mich dort nicht aufsuchte, kann ich nicht ergründen.«

»Und wenn er Hedwig nun wieder begegnet?«

»Das darf nicht geschehen!« rief Lockhaart schnell. »Wenigstens – wenigstens jetzt noch nicht. Als gemeiner Soldat darf er nicht einmal wagen, eine Dame anzureden; er könnte ihr keine schlimmere Beleidigung antun.«

»Wenn er auf diese Weise seine Lage zu verbessern glaubte«, sagte Wagner achselzuckend, »dann hat er sich böse geirrt.«

»Das ist ja eben das Unglück!« rief der alte Lockhaart, »daß sich das tolle junge Volk in Deutschland den Stand eines indischen Soldaten als beneidenswert, abenteuerlich, romantisch und Gott weiß was noch denkt. Die jungen Tollköpfe träumen von Palmen, Tigern und indischen Häuptlingen, gegen die sie ins Feld rücken sollen, um irgendein Eldorado voll Gold und Edelsteinen zu erobern, und ist ihre Existenz im alten Vaterland ruiniert, glauben sie nichts Besseres tun zu können, als solch einer neuen Auferstehung in die Arme zu springen. Daß sie hier fast nichts zu tun haben, als in der heißen Sonne zu exerzieren und marschieren, in einem todbringenden Küstenstrich im Quartier zu liegen und sich höchstens einmal mit einem unsichtbaren Feind zu schlagen, der aus Dickichten heraus mit vergifteten Pfeilen schießt, erfahren sie gewöhnlich erst, wenn es zu spät ist und sie nicht mehr zurück können.«

»Sollte er vielleicht diesen verzweifelten Schritt getan haben, nur um – Fräulein Bernold zu folgen?« sagte Wagner schüchtern.

»Bah – Unsinn!« rief der alte Herr, »das hätte er zu Hause bequemer haben können. Nein, ein toller Zufall hat ihm den Streich gespielt, und ich möchte wohl wissen, was er dazu sagt.«

»Wollen Sie ihn sprechen?«

»Nein, Gott bewahre! Wenn er mich nicht aufsucht, fällt es mir nicht ein, ihm entgegenzusehen. Ich weiß nicht einmal, ob ich ihn vorließe, selbst wenn er mich sprechen wollte. Übrigens müssen wir unter diesen Umständen fort von hier, und das morgen mit dem frühesten. Auf dem Rückweg können wir nachher mit mehr Muße die Sehenswürdigkeiten von Buitenzorg bewundern – wenn die Rekruten erst einmal wieder von hier ausgerückt sind.«

»Die Damen werden aber einen Grund dafür wissen wollen.«

»Natürlich«, brummte Lockhaart, »denn wann hätten sich Damen schon je einmal damit begnügt, einer Anordnung zu folgen, ohne zu fragen warum? Meinem Schwager werde ich aber sagen, ich hätte Briefe wegen jenes Klapa bekommen, damit ist der zufrieden, und der mag seine Frauenzimmer nachher in der unschuldigsten Art von der Welt weiter anlügen. Um welche Zeit wollten die Herrschaften denn zu Hause sein, daß wir unsern Tee nicht allein mit der alten Kathrine trinken müssen?«

»Ich weiß es wahrhaftig nicht; aber ich glaube doch nicht, daß sie den ganzen Abend dort bleiben werden.«

»Meinetwegen; dann können sie aber auch in der Nacht ihre Siebensachen wieder zusammenpacken, denn ich werde mir gleich den Wirt rufen und die Postpferde auf morgen früh um halb sechs Uhr bestellen. Um die Zeit müssen wir im Wagen sitzen. Ach, Wagenaar, Sie könnten mir den Wirt gleich einmal heraufschicken. Sie gehen doch hinaus?«

»Ich war eben im Begriff.«

»Sehr gut – ich möchte ihn sprechen.« Damit legte er die Hände auf den Rücken und nahm seinen Spaziergang in der Stube wieder auf.


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