Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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45. Eine Hütte im Urwald. – Klapas Schurkerei

Hoch droben in den Bergen, scheinbar abgeschnitten von dem Verkehr mit der übrigen Welt und so einsam und still, als ob sie nicht von grünen Wäldern, sondern von stürmenden Wogen umgeben wäre, lag eine kleine indonesische Hütte. Aus der Luft gesehen, hätte sie jedenfalls den Eindruck gemacht, als ob ihr Erbauer den Wald eigens dazu ausgehöhlt und diese Hütte wie ein Ei in ein Nest hineingelegt habe. Aber auch wer aus den Büschen heraus den kleinen freien Platz betrat, wurde von dem Wald wie von einer festen Wand umdrängt, und während riesige silbergraue und säulenartige Stämme eine von zu Festons geschlungenen Lianen und Orchideen trugen, ragten darunter die leicht gefiederten Wipfel der Farnpalmen sowie die breiten, vom Wind eingerissenen Blätter der wilden Pisangbäume hervor. Still und versteckt in diesem Gewirr von Bäumen und Pflanzen, wie es nur eben ein solcher gebirgiger und von reichen Quellen durchzogener Tropenstrich erzeugen kann, lag diese enge Bambushütte mitten in einem kleinen Feld, das zur einen Hälfte mit rotem Reis, zur anderen mit Katjang tjinaKatjang tjina (chinesische Bohne), die Erdnuß, die auch in Nordamerika sehr viel angepflanzt wird und nußartig schmeckt. bepflanzt war. Schatten aber gaben ihr ein paar Mango- und Mangostabäume, während zwei Kokospalmen und eine Areka ihre auf solcher Bergeshöhe ziemlich niedrigen Stämme mühsam durch das Laub der Fruchtbäume drängten und ihre Kronen mit deren breiten Wipfeln mischten. Wohl führte nun von hier aus ein schmaler Weg in den Wald hinein und durch ihn hindurch zu den Wohnungen anderer Menschen. Selbst von der Wohnung aus war er aber gar nicht zu sehen, denn breite Pisangblätter hingen darüber hin, und die wilde Himbeere drängte ihre Schößlinge von rechts nach links hinüber. Ein Fremder hätte ihm aber allein niemals folgen können, denn obgleich er früher mit dem Klewang ausgehauen worden war, brauchte diese Vegetation keine Jahre, nicht einmal Monate, ihn wieder von allen Seiten zu überwuchern. Der Wanderer mußte dazu bald einem hinübergestürzten Baum ausweichen, bald an einer felsigen Ravine hinunterklettern, und hatte man einmal den Pfad verloren, selbst wenn man auch der Richtung treu blieb, wäre es nicht möglich gewesen, ihn wiederzufinden.

In früheren Zeiten mochte diese Stelle im Wald freilich mehr Leben gezeigt haben, denn jedenfalls hatte hier einmal, wie die zurückgelassenen Kokos- und Arenpalmen auch bezeugten, ein Kampong gestanden. Aus irgendeinem Grund aber – vielleicht der überhandnehmenden Tiger wegen – war er von den Bewohnern verlassen worden, und kaum nicht mehr zurückgehalten, wucherte das reiche Pflanzenleben überall empor. Die alten Hütten zerfielen und verfaulten; wo sie standen, keimten junge Stämme auf und reckten schon nach kurzer Zeit die Zweige aus, und während die eigentliche Lichtung noch immer die Öffnung in dem Urwald zeigte, der den Kampong einst umschloß, hob sich das Grün der Büsche mit jedem Jahr mehr und mehr empor und drohte schon bald wieder die alte Höhlung auszufüllen. Dort hinein hatten die neuen Bewohner jetzt ihre einfache Heimat gebaut, und nicht etwa der günstigen, versteckten Lage wegen, denn ähnliche hätten sie auch an vielen anderen Stellen gefunden, wo sie noch außerdem nicht mit solch üppig gewaltigem Pflanzenwuchs zu kämpfen hatten wie gerade hier, aber die zurückgelassenen Palmen und Fruchtbäume gaben dem Platz auch wieder einen Vorteil, den ihnen kein anderer Punkt im wirklichen Urwald bieten konnte. Wie schwer hier freilich Patani hatte arbeiten müssen, um der Wildnis diesen kleinen Acker abzuzwingen und den alten Fruchtbäumen wieder Licht und Freiheit zu geben, wußte nur er; aber mit leichtem Herzen ging er daran, denn galt es nicht seinem eigenen kleinen Herd, galt es nicht seinem armen Mädchen, seiner Melattie ein Obdach, eine Heimat zu gründen? Schon früher hatte er sich diesen Platz, den selbst von den Eingeborenen nur wenige kannten, ausgesucht. Er, vor vielen anderen, würde auch vielleicht ein Anrecht darauf gehabt haben, denn er war hier geboren worden und sein Vater einer von denen gewesen, die das Tal bewohnt hatten. Des verlassenen Ortes konnte sich aber jeder wieder bemächtigen, wenn auch nur wenige Mut genug besaßen, all den Gefahren und der Arbeit zu begegnen, die sie hier erwartete. Sobald er deshalb seine Sawa und seinen Büffel verkauft hatte, um den Erlös daraus Hetavi für die Tochter anzubieten, war er daran gegangen, hier eine Hütte zu bauen und die Wildnis zu lichten. Was kümmerten ihn die Tiger, für die er Fallen grub und denen er mit Lanze und Kris begegnen konnte; sein Weib wollte er schon vor ihren Fängen schützen, und seinen Lebensunterhalt zwang er dem Boden ab, allen gierigen Weißen zum Trotz.

Wenn er auch freilich damals nicht daran dachte, daß er diese stille Wohnung einmal als Flüchtling und Verfolgter wieder aufsuchen sollte, hatte er doch zu keinem Menschen davon gesprochen. Er verkehrte überhaupt mit wenigen, und der einzige, der ihn einst hier bei der Arbeit traf, war jetzt ein Flüchtling und Verfolgter wie er, freilich mit größerer Schuld, als man ihm vorwerfen konnte. Aber auch Klapa hatte den Ort nicht wieder betreten, wenigstens wußte Patani nichts davon. War er in die Ansiedlungen zurückgekehrt? Hatte er sich einem anderen Teil des Innern zugewandt? Patani hörte nichts mehr davon, kümmerte sich nicht darum. Klapa war stets ein schlechter, gewissenloser Mensch gewesen, und Patani hielt nie mit ihm Verkehr. Gleich nach seiner Flucht aus Batavia, wo er die ihm schändlich geraubte und verkaufte Geliebte glücklich aus den Händen jenes Schurken befreite, hatte er zuerst mit ihr in einem Boot Java verlassen wollen. Einer jener plötzlichen Stürme aber, die in den Tropen nicht selten bei blauem Himmel entstehen und so rasch vorbeitoben, wie sie entstanden sind, warf sein Boot in Trümmern an das Land zurück, und kaum, daß er sich noch mit Melattie in den Wald flüchten konnte, ehe ihn die Strandwachen fanden und festhielten. Der größten Gefahr entging er indes zum zweitenmal, als er sich ein anderes Boot verschaffen wollte. Man war auf ihn aufmerksam geworden, und es blieb ihm jetzt nichts anderes übrig, als mit Melattie in seinen alten Zufluchtsort in die Berge zu fliehen.

Mit unsagbaren Mühseligkeiten hatte das arme Mädchen freilich auf dem Marsch zu kämpfen, denn sie mußten ihre Spur so geheim wie möglich halten. Nur bei dem heimatlichen Kampong rasteten sie in einem Bambusdickicht, und mit der Abenddämmerung schlich Melattie in die Hütte ihrer Mutter, um ihr Trost über ihr Schicksal zu bringen. Dann flohen sie, so rasch sie konnten, immer waldeinwärts, bis sie den stillen Fleck tief in der Bergschlucht erreichten und ziemlich sicher waren, hier nicht von Europäern gefunden oder belästigt zu werden. War eine Zeit dann über jenen Vorfall vergangen, dann durfte Patani wohl eher daran denken, wieder zur Küste zurückzukehren und nach den »Tausend Inseln« hinüber zu ziehen, falls ihm hier irgendeine Gefahr drohte. Aber schon der Gedanke schien ihm schrecklich: sein Vaterland für immer zu verlassen. Wenige Menschen hängen mit solcher Innigkeit an ihrer Heimat wie die Bewohner dieser Inseln; niemand hat gerechteren Grund dazu. So hoffte er denn auch, hier unbemerkt, unbeachtet, in dem Schatten derselben Bäume, unter denen einst die Hütte seiner Eltern stand, und von der ihn umgebenden freundlichen Wildnis geschützt, sein Leben genießen zu dürfen. Hierher drang nicht das rege Treiben der Welt, die, während er verborgen blieb, zu seinen Füßen lag. Nur das Gebrüll des hungrigen Tigers schallte vielleicht einmal in ruhiger Nacht durch den Wald, oder der Schrei des seltsamen Pfeffervogels brach die Stille und antwortete dem klagenden Ruf eines Heulaffen, der sich in irgendeinem Baumwipfel langweilte.

Aus Pfosten mit geflochtenen Bambuswänden aufgerichtet, das Dach mit fest zusammengeschnürten Palmenfasern gedeckt, lag hier die kleine Hütte, der selbst ein Gärtchen nicht fehlte, um alles das zu ziehen, was die Natur ja so im Überfluß bot und was sie doch zu ihrem Leben brauchten. Freilich sah alles noch ein wenig neu, noch nicht recht eingewohnt aus; noch war die Wunde nicht ordentlich vernarbt, die Patanis Klewang dem Wald geschlagen hatte. Aber dennoch trieb schon der breitblättrige Pisang seinen saftigen dicken Stamm aus der noch feuchten Erde auf, die Sirihpflanze schlang ihre grüne Ranke um junge Stämme des Kaffeebaums, den eine frühere Generation gepflanzt hatte, und die zwei schlanken Arekapalmen, die dicht vor dem Eingang der Hütte standen, schüttelten ihre reifen Nüsse auf den Boden nieder. Auch das Innere der kleinen Wohnung war ärmlich genug und bestand in wenig mehr als einer ordinären Binsenmatte, ein paar mit Kapaswolle gestopften Kopf- und Kniekissen und mehreren kurzgeschnittenen Bambusstöcken, um Wasser darin zu holen; die Hütte aber war Melatties Wohnung, und Patani sah seinen Himmel darin. Dieser Teil der Erde ist auch jedenfalls noch ein Land, in dem »eine Hütte und ihr Herz« genügen, glücklich zu sein und zu bleiben – aber die Schlange fehlte auch diesem Paradies nicht.

Klapa war einer jener gesetzlosen Burschen, die sich unter allen Völkern, in allen Lebensverhältnissen finden und entweder zu genial oder – zu faul zum Arbeiten sind. Daß sich dergleichen Gesellen dann nicht selten außergewöhnliche Wege bieten, Geld zu verdienen, läßt sich denken. Sie sind nie durch eine feste Beschäftigung abgehalten, den passenden Moment zu ergreifen; sie haben immer Zeit und eine Art von Instinkt, das für sie Passendste und Bequemste herauszusuchen. Nur mit der Polizei geraten derartige Menschen zuletzt in Widerspruch und führen eigentlich ihr ganzes Leben lang einen Guerillakrieg gegen sie, der allerdings fast immer zu ihrem Nachteil endet. Sie behaupten dann, in dem Bewußtsein, daß noch tausend andere ihres Gelichters draußen frei ihr Unwesen treiben, sie hätten kein Glück und verschwinden vom Schauplatz ihrer bisherigen Tätigkeit, um anderen, Schlaueren eine Zeitlang Platz zu machen. Wir finden derartige Subjekte ebensowohl in den zivilisiertesten Städten Europas, in London, Paris oder Berlin, wie auf den Inseln der Südsee oder unter den wilden Horden der amerikanischen Wildnis – ob in Australien, ob in Afrika, innerhalb der Polarkreise oder unter dem Äquator. Nur ihre Wirksamkeit ist verschieden und muß sich natürlich den sie umgebenden Verhältnissen anpassen, aber alle diese Vagabunden sind nach einer einzigen Schablone gezeichnet, und es bleibt sich vollständig gleich, ob sie in einer schwarzen, weißen, gelben oder braunen Haut stecken. Klapa trug eine braune, und er war eins der durchtriebensten und gewissenlosesten Exemplare seiner Art.

Jetzt aber, gerade aus dem flachen Land mit der Ernte seiner Tätigkeit zurückgekehrt, wollte er sein Leben auch genießen und, vorerst wenigstens, nichts unternehmen, was ihn hätte in neue Gefahr bringen können. Schon oft hatte er ja das alte Mittel bewährt gefunden: sich nur eine Zeitlang außer Sicht zu halten. Hier in den Bergen wußte er genau Bescheid, kannte jeden Wildpfad, jeden Taleinschnitt und würde sich, einmal in dem Schatten dieser Wälder, nicht gefürchtet haben, und wenn er die ganze batavische Polizei hinter sich gewußt hätte. Klapa hatte, wie schon gesagt, vor längerer Zeit einmal – als er sich auch abseits hielt, um einer unerwünschten Begegnung mit den Oppass des Residenten zu entgehen – Patani hier im Wald und dem alten Kampong getroffen. Nachher war er ihm aus den Augen gekommen, und erst später erfuhr er in einer der benachbarten Dessas, daß die Polizei der Wolandas nach Patani gesucht habe, weil er einen Weißen in Batavia mörderisch angefallen und ein von diesem gemietetes Mädchen gestohlen habe. Man glaubte damals allerdings in der ganzen Gegend, Patani sei zur See entkommen; Klapa aber wußte es besser und suchte und fand eines Tages wieder den still versteckten freundlichen Platz im Wald, der zwei glücklichen Menschen Schutz und Obdach gab – der nun zwei bis dahin glückliche Menschen in Angst und Sorge sah, als er sie verließ.

Rücksichtslos alles unter die Füße tretend, was ihm selbst und seiner Sinnenlust im Wege stand, hatte er eine Zeit, in der Patani auf der Jagd abwesend war, benutzen wollen, ihm sein treues Weib abspenstig zu machen. Er log ihr von einer freundlichen Dessa vor, die ihm gehöre, von fruchtbaren Sawas und fetten Herden, und wollte sie mit sich in den Wald locken. Aber Melattie wies ihn schnöde ab, und als er zudringlicher und kecker wurde, erschien zur rechten Zeit Patani, dem der Bursche kaum entgehen konnte. Wie der Kiedang seiner Wälder floh er in das Dickicht hinein, und der ihm nachgeschleuderte Arit blieb zitternd in dem schlanken Schaft einer Kokospalme stecken, hinter der der Flüchtling eben kaum verschwunden war. Von der Zeit an verlebte Melattie keine ruhige Stunde mehr, denn immer fürchtete sie die Rache Klapas, der, wie sie recht gut wußte, mit den Weißen in Batavia in ständiger Verbindung stand. Patani aber, wenn er die Gefahr auch nicht für geringer hielt, zeigte es doch weniger und suchte auch die Furcht bei Melattie zu zerstreuen – doch es gelang ihm nicht. Patani – das wußte Melattie recht gut – hatte nach einem Europäer mit dem Kris gestoßen, also ihn auch, ihrer Meinung nach, jedenfalls getötet; und wenn er von den Holländern gefangen wurde, war ihm der Tod durch Henkershand gewiß.

Patani, durch ihre Sorgen endlich auch angesteckt, traute diesem Klapa ebensowenig wie sie; und um nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein, an irgendeinem Tag einmal überfallen und gefaßt zu werden, beschloß er, mit seiner Frau wieder nach der Nordküste Javas hinabzusteigen. So viel Geld hatte Patani noch zur Not, um irgendein kleines Boot zu kaufen, und erst einmal draußen auf See, trafen sie schon eine Prau an, die sie an irgendeiner der zahlreichen, den Archipel ausfüllenden Inseln absetzen konnte. Freilich, sein schönes, liebes Java mußte er dann verlassen, um nie, niemals vielleicht hierher zurückzukehren, und das Herz hätte ihm bei dem Gedanken brechen mögen – doch was half's? Wäre er seiner Freiheit, seiner Melattie beraubt worden, hätte es ihm auch das Herz gebrochen, und lieber Verbannung mit ihr, als ein Paradies ohne sie ertragen. Patani hatte auch schon alle die nötigen Vorbereitungen getroffen, Lebensmittel für einen längeren Marsch zusammengepackt und ihre Abreise schließlich auf den Abend dieses Tages festgesetzt. Mochte die Hütte dann wieder zerfallen, geradeso wie jene, die vor ihr an dieser Stelle stand; mochte der Wald sich wieder über dem stillen, lauschigen Plätzchen schließen und der wilde Pfau aufs neue das Feld, das der Mensch gesät hatte, plündern und abends in den nächsten Palmen aufbäumen; mochte der Tiger wieder die Lichtung umschleichen, wo ihn die Nähe menschlicher Wohnungen nicht mehr schreckte. Er wußte, daß die Rache der weißen Männer, weil er das Blut eines ihres Stammes vergossen hatte, bald gefährlicher sein würde als der Zahn des gierigsten Tigers, als alle Schrecken seiner Wildnis, und vor deren Rache konnte ihn eben nichts retten. Was wußten diese Christen von Versöhnung – von Verzeihen!

Melattie fühlte diesen Abschied von dem so liebgewonnenen Platz wohl noch viel schmerzlicher als ihr Gatte; aber sie sprach kein Wort darüber; keine Klage kam über ihre Lippen, und schweigend rollte sie an dem Morgen die leichte Matte zusammen, ihr einziges Besitztum in der weiten Welt, das sie aus ihrer Heimat mit fortnehmen konnte. Fielen auch die großen, hellen Tränen darauf nieder – was tat's? Patani sah sie ja doch nicht, denn er war noch einmal hinaus in den Wald gegangen, um sein Werkzeug, das er hier zurücklassen mußte, zu verbergen. Wer wußte denn, ob er nicht doch noch einmal hierher zurückkehren könne – und wenn nicht, sollte wenigstens nicht Klapa sein Erbe sein. – Melattie stand vor der Tür, die zusammengerollte Matte über ihre Schulter gehängt, nur den Sarong um die schlanken Hüften und über die linke Schulter noch ein Tuch geworfen, in dem ausgeschälter Reis lag, um unterwegs davon zu zehren. Aber wo blieb Patani? Schon neigte sich die Sonne, und es wurde Zeit, daß sie aufbrachen, wenn sie vor Dunkelwerden noch das offene Land erreichen wollten. Wo er nur blieb? Aber jetzt rauschte es in den Büschen – sie war ihm schon bis dahin, wo sie ihn erwartete, entgegengegangen – jetzt teilte sich das zitternde Bananenlaub, und – vor Schreck brach sie in die Knie und streckte flehend die Arme aus, als im nächsten Augenblick der gefürchtete Klapa mit noch zwei fremden Javanen auf sie zusprang. Wohl dachte sie an Flucht, aber das schwere Bündel, das sie trug, hinderte sie daran, und ehe sie es abwerfen konnte, umschnürte fester Bast die Gelenke ihrer Hände.

»Hilfe!« rief sie jetzt, so laut ihre Stimme trug, um den Geliebten herbeizurufen. »Hilfe! Hilfe! Patani!« – aber nur Klapas höhnisches Lachen antwortete ihr.

»Du hast es vorgezogen, du törichtes Ding«, rief er ihr drohend zu, »bei dem albernen Jungen auszuharren und trockenen Reis zu essen, während ich dir ein reiches Leben bieten konnte. Gut, trage jetzt die Folgen. Die Reise bis Bandong wirst du allerdings mit deinem Schatz zusammen machen können, dort werdet ihr euch aber trennen müssen; denn du wirst deinem rechtmäßigen Herrn wieder nach Batavia geschickt, während Patani Rechenschaft geben mag, weshalb er nach dem Weißen mit seinem Kris gestoßen hat.«

»Patani!« schrie Melattie entsetzt, »Patani! rette dich! rette dich!« und ihr gellender Angstruf schallte durch den Wald.

Aber Klapa spottete: »Gib endlich Ruhe, mein Täubchen! Patani ist so gut in Sicherheit wie du, und wenn er dich hört, kann er leider nicht zu Hilfe kommen. Aber fort mit der Dirne!« rief er dann plötzlich seinen Begleitern zu, »der weiße Tuwan wartet und will heute abend noch nach Bandong fahren. Hebt sie auf, wenn sie nicht freiwillig gehen will; das Ding ist leicht und trägt sich besser den Berg hinunter, als daß man sie, wenn sie sich festhält, führen könnte – fort mit ihr!«

Bei diesen Worten hatte er schon ein dünnes Bastseil von seinem Arm losgeschlungen, und es um Melatties Knie werfend, die er damit fest zusammenzog, befand sich die arme junge Frau wenige Sekunden später machtlos in der Gewalt ihrer Feinde, die mit ihr gleich darauf im dichten Wald verschwanden.


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