Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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»Aha!« rief er, »die Weißen haben nach Tjoemboeloeit hinüber gewollt, aber gestern in der Nacht hat der Wind zwei mächtige Yamudjus quer über den Weg geworfen, und denen konnten sie nicht ausweichen – da sind sie wieder.«

»Und wenn sie sehen, daß wir beide Geldgeschäfte miteinander haben –« sagte Joost zögernd.

»Dann können sie vielleicht glauben«, lachte der Javaner höhnisch, »daß Ihr irgendein unehrenhaftes Gewerbe treibt. Kommt mit in Tsin-fus Haus – bis sie ausgestiegen sind, kann unsere Sache abgemacht sein.«

»Aber die beiden?« fragte noch zögernd Joost, dem nichts Erwünschteres hätte kommen können, obgleich er sich hütete, es zu zeigen, indem er auf die Gefangenen deutete.

»Bah!« sagte Klapa finster, während er schon der niedrigen Wohnung des Chinesen zuschnitt, »was kümmern sich die Wolandas um gebundene oder mißhandelte Kinder dieser Berge? Ja, wenn es Leute ihrer Farbe wären! Komm, Tsin-fu – kommt, Tuwan. Ich habe schon zu lange hier oben gezögert und muß fort.« Und mit diesen Worten schritt er über den freien Platz und betrat, von Joost und dem Chinesen dicht gefolgt, das Haus. Kaum aber hatte er die Schwelle überschritten, als Tsin-fu, der sich wohl hütete, ihm zu nahe zu kommen, von außen die Tür zuwarf. Im nächsten Moment schon prallte Klapa wieder von innen dagegen, aber des Chinesen wie auch Joosts Gewicht verhinderten, daß er den Ausgang erzwingen konnte, wenn er auch die Tür selber in Stücke brach. Zu gleicher Zeit warfen sich die im Innern postierten Oppass auf den Burschen, und Lockhaart und Wagner sprangen zu ihrer Hilfe herbei. Klapa hatte aber auch schon, als er seine Flucht abgeschnitten sah, den Kris aus seinem Gürtel gerissen, und während die eingeborenen Gerichtsdiener erschrocken vor dem Stahl zurückfuhren, rannte der zur Verzweiflung getriebene Javaner mit zum Stoß erhobener Waffe voll gegen Lockhaart an. Ein kleines offenes Fenster lag hinter diesem, und Klapa wußte recht gut, daß er frei war, sowie er das erreichte.

Lockhaart selber fand übrigens etwas zu spät, daß er sich doch hätte mit irgendeiner Waffe versehen sollen, und wäre es nur ein Stock gewesen, um den tollen Angriff des Rasenden abzuwehren. In dem engen Raum konnte er nicht einmal zur Seite springen; mit einem Satz aber flog der Javaner gegen ihn an, und der rechte Arm fuhr zurück, um den todbringenden Stoß zu führen, als Wagner blitzschnell das Handgelenk ergriff, das die Waffe hielt, und mit eiserner Gewalt den Arm des Eingeborenen fast aus der Kugel drehte. Im nächsten Moment schon traf Lockhaarts Faust den Wütenden mit gut gezieltem Stoß zwischen die Augen, und als er zurücktaumelte, griffen auch jetzt die Oppass zu und hatten ihn bald machtlos in ihrer Gewalt.

Das alles bedurfte aber nur weniger Sekunden, denn noch hielten die anrollenden Wagen nicht vor dem Haus, auf dessen freiem Vorplatz sie allein wenden konnten, als Klapa schon, seiner Waffe beraubt, mit gebundenen Händen und Füßen am Boden lag, und Lockhaart, Wagners Hand ergreifend, herzlich sagte: »Ich danke Ihnen, Wagenaar, Sie kamen zur rechten Zeit, und ich fürchte fast, der Bursche hätte ohne Ihr Dazwischentreten ein häßliches Loch in meine Haut gestoßen. Die braunen Schufte sind doch keinen Deut wert, wenn man sich wirklich einmal auf sie verlassen will.«

»Es war nur ein glücklicher Zufall«, erwiderte Wagner »daß er mich in dem dunklen Raum erst bemerkte, als es für ihn zu spät war. Wie schlau sich aber Tsin-fu in Sicherheit zu bringen wußte!«

»Das sind alles feige Halunken«, lachte Lockhaart, »hol sie der Henker! – Nun, Mynheer Joost, ich bestätige Ihnen hiermit, daß Sie Ihr Versprechen erfüllt haben. Sobald Sie Ihr Zeugnis in Batavia abgelegt haben, können Sie gehen, wohin Sie wollen; denn die Kolonialregierung wird sich wohl das Vergnügen versagen müssen, Ihnen einen längeren Aufenthalt hier zu gestatten.«

»Wir haben beide aneinander nichts verloren«, sagte Herr Joost trocken, »und beide keine gegenseitigen Gefälligkeiten zu erwidern.«

»Allerdings nicht«, erwiderte ebenso lakonisch Lockhaart, »da wir den Preis Ihres Halses als zu unbedeutend nicht in Anrechnung bringen dürfen. Doch fort mit den Torheiten; wir haben Ernsteres zu tun. Mynheer Joost, Ihnen übertrage ich hiermit die Bewachung des Javaners, zu der Ihnen außerdem zwei der Oppass zur Verfügung stehen. Sie selber haben dabei auch das größte Interesse, daß er in sicherem Gewahrsam bleibt, denn in diesem Fall gewinnen Sie Ihre Freiheit, – im andern möchte ich nicht in Ihrer Haut stecken, mit den Gesetzen und der Rache dieses gewissenlosen Schuftes hinter sich. Das also ist Ihre Sache, und nun, Wagenaar, wollen wir einmal sehen, was um Gottes willen unsere Gesellschaft wieder zurückbringt.«

»Was auch immer«, sagte Wagner, »ich glaube, die heranfahrenden Wagen haben uns den Fang erleichtert.«

»Mag sein; es hätte aber auch gerade das Gegenteil geschehen können, und da trägt van Straatens bodenlose Bequemlichkeit wieder allein die Schuld. Jedenfalls haben sie irgendein Hindernis im Weg gefunden, und mein guter Schwager ist ohne sich den Henker darum zu kümmern, was hier vorgeht, augenblicklich wieder umgekehrt.«

Ein Schmerzensschrei Tsin-fus unterbrach ihn hier und schien durch Mynheer Joost selber veranlaßt. Während dieser nämlich mit Lockhaart sprach, mochten dem Chinesen allerlei Bedenklichkeiten gekommen sein, ob die Wolandas den verzweifelten Burschen nicht am Ende doch wieder frei ließen, und was ihm selber dann bevorstand, wußte er genau. Das Geratenste schien es ihm deshalb, jetzt, da er den Wünschen der Europäer Folge geleistet hatte, auch seinen eigenen Interessen dadurch Rechnung zu tragen, daß er sich Klapa wieder verband, indem er diesem selber bei seiner Befreiung half – dann konnte er doch an ihm keine Rache nehmen. Was kümmerten ihn das Gesetz und die Gerichte? Leider sollte er aber seinen listigen Plan nicht durchführen können; denn Mynheer Joost war selber zu sehr an der Sache interessiert, um den Javaner lange aus den Augen zu lassen. Ebensowenig traute er dem Sohn des Himmlischen Reiches, dessen Furchtsamkeit er kannte, und ertappte auch Tsin-fu gerade in dem Augenblick, als er sich hinter Klapa entlangdrängte und mit einem kleinen scharfen Messer den seine Arme umschlingenden Bast zu durchschneiden versuchte. Wie ein Geier auf seine Beute, so fuhr Joost auf den erschreckten Chinesen, und der Schlag, mit dem er ihn auf den bloßen Nacken traf, hatte ihm den Schrei herausgepreßt. Lockhaart drehte den Kopf danach um und erriet leicht, was da vorgefallen war, lachte aber nur und verließ mit Wagner das niedrige Haus. Er wußte jetzt seinen Gefangenen unter ganz vortrefflicher Aufsicht. Draußen waren in der Zwischenzeit die Carretas wieder vorgefahren, und Mynheer van Straaten stieg behaglich aus, um den Damen ebenfalls aus dem Wagen zu helfen.

»Nun, Ihr seid schon wieder zurück?« fragte ihn Lockhaart kopfschüttelnd.

»Gewiß«, sagte sein Schwager, sich eine frische Zigarre anzündend, »lag doch der halbe Wald quer über den Weg.«

»Und warum habt Ihr nicht Leute holen lassen, ihn wegzuräumen?«

»Sind auch jetzt oben«, erwiderte van Straaten, »hatte aber nicht Lust, solchen Regenschauer dort abzuwarten, wie wir gestern bekamen. – Habt Ihr ihn?«

»Ja, allerdings – aber beinahe wäre durch...«

»Bah, so ist ja alles in Ordnung«, unterbrach ihn gleichgültig der Holländer; »ist übrigens rascher gegangen, als wir dachten, und wir kehren jetzt gleich mit euch nach Bandong zurück.«

»Dann willst du nicht mit den Damen in die Teeplantage fahren?«

»Allerdings, aber nicht auf dem Weg, den Gott weiß wie lange kein Wagen mehr passiert hat. Für heute abend wär' es außerdem für einen Besuch zu spät geworden, und wir müssen denken, wir hätten nur eben eine Spazierfahrt gemacht.«

»Um Gottes willen!« rief Hedwig, die mit gefalteten Händen, Angst und Mitleid ins Gesicht geschrieben, neben der unglücklichen Melattie stehengeblieben war, »weshalb sind der armen Frau die Hände auf den Rücken gebunden? Was hat sie verbrochen?«

»Was die Frau verbrochen hat, weiß ich nicht einmal«, erwiderte Lockhaart, »ich glaube, das ist eine Privatangelegenheit des Herrn Joost. Der Bursche da aber soll, soviel ich weiß, derselbe sein, der seinen Kris gegen einen Europäer gehoben und ihn verwundet hat. Wenn das auch ein sehr nichtsnutziges Subjekt war, dürfen wir es doch schon des schlimmen Beispiels wegen nicht durchgehen lassen.«

»Ich fürchte, Sie werden diesmal eine Ausnahme machen müssen«, sagte da Wagner, der noch immer den Klapa abgenommenen Kris in der Hand trug und, schon während er sprach, Patanis Fesseln damit durchschnitt.

»Alle Teufel, was machen Sie!« rief Lockhaart erschrocken. »Sie bringen sich in böse Konflikte mit der Kolonialregierung.«

»Die ich dann auch auszufechten habe«, sagte Wagner ruhig. »Zufällig aber kenne ich durch einen unserer malaiischen Diener, jenen Tojiang, der auch mit Klapa besser bekannt ist, als er gern eingestehen mag, das ganze Unrecht, das diesen beiden Leuten von Heffken und unseren leidigen Gesetzen geschehen ist, und will nicht selber mit dazu beitragen, sie noch unglücklicher zu machen, indem ich sie einer vollkommen ungerechten Strafe ausliefere.«

Patani war frei, und ein wahrhaft seliges Lächeln zuckte über seine Züge, als ihm Wagner den Kris und mit einem Zeichen auf Melattie auch die Erlaubnis gab, deren Fesseln zu lösen. Im Nu fuhr er auf die arme geängstigte Frau zu, und wenige Sekunden später stand sie, von ihren schmählichen Fesseln befreit, neben ihm.

»Das lohne Ihnen Gott«, sagte Hedwig leise zu Wagner, als sie ihm fast unbewußt die Hand entgegenstreckte. »Sie haben ein gutes Werk an diesen Unglücklichen getan!«

»Aber was hilft es ihnen?« sagte kopfschüttelnd Lockhaart. »Wenn dieser Bursche ein Verbrechen begangen hat, ist ihm das jetzt nur eine Galgenfrist, denn er muß sich wie ein Stück Wild im Wald versteckt halten, und zuletzt wird er doch einmal wieder eingefangen.«

»Das soll aber nicht geschehen«, entgegnete freundlich der junge Mann. »Ich selber will zum Gouverneur gehen und für das künftige Betragen des armen Teufels Bürgschaft leisten. Daß er damals seinen Kris zog, geschah ja doch nur in Notwehr. denn man hatte ihn schon fast zur Verzweiflung getrieben. Die Frau aber ist ganz schuldlos und... Doch ich erzähle Ihnen die Sache lieber auf dem Heimweg ausführlich, und ich bin fest davon überzeugt, Sie versagen mir Ihre Fürsprache bei seiner Exzellenz nicht.«

»Und was wird jetzt mit den armen Leuten?« fragte Hedwig mitleidig.

»Es soll ihnen nichts Übles mehr geschehen, liebes Fräulein«, sagte der junge Mann. »Verlassen Sie sich auf mich; ich werde dafür sorgen. Hier, Patani«, wandte er sich dann in dem Dialekt dieser Berge an den jungen Eingeborenen, der noch immer den Kris in den Händen hielt und zweifelnd von einem der Weißen zum anderen sah. Verstand er doch nicht die Worte, die sie zusammen sprachen und wußte deshalb nicht, ob seine Befreiung nur der Gegenwart der Frauen galt oder ernst gemeint sei. Aber die Schnüre ließ er sich nicht wieder anlegen, dazu war er entschlossen, und fester griffen seine Finger die Waffe, als sich der Weiße ihm zuwandte.

Wagner war die Bewegung nicht entgangen, aber er sagte lächelnd: »Du brauchst die Waffe nicht mehr – du bist unter Freunden. Geh mit deinem Weib nach Haus – geh zu ihren Eltern oder wohin du willst – du sollst nicht mehr verfolgt werden – ich will selber mit dem Gouverneur sprechen. Damit du aber einen Anfang für deine Wirtschaft hast, nimm das hier – nimm nur – ich verlange nichts von dir dafür. Und zum Beweis, daß du von uns hier nichts zu befürchten hast, gehe nur, sobald es dir gefällt, ungehindert mit deiner Frau fort.«

Patani stand staunend vor dem Weißen. Sein überraschter Blick flog von dessen freundlichem Gesicht zu den Banknoten nieder, die er in der Hand hielt und deren Wert er gut kannte, und wieder zu seinem neuen Beschützer empor. In Dankbarkeit und Ehrfurcht aber kauerte die arme Frau sich zu den Füßen des Europäers nieder; ach, waren es nicht die ersten freundlichen Worte, die seit langer, langer Zeit von fremden Lippen zu ihr gesprochen wurden? Hatte sie denn nicht erst noch vor wenigen Augenblicken nur Nacht und Verzweiflung auf ihrem nächsten Lebenspfad gesehen, und war es nicht diese Hand gewesen, die ihnen Freiheit – Hilfe und Sicherheit bot?

»Es ist gut! Geht! Geht!« rief ihnen Wagner aber abwehrend zu. »Fort, dankt auch mir nicht für das, was ich getan habe. Es war euch Unrecht geschehen und deshalb meine Pflicht, es wiedergutzumachen.« Und ehe ihm Patani auch nur ein Wort des Dankes sagen konnte, drehte er sich um und schritt, so rasch er konnte, zum Haus des Chinesen hinauf, um die Abfahrt der inzwischen dort abgestellten Wagen anzuordnen und vorzubereiten.

Als er sich wieder umwandte, waren Patani und Melattie im Wald verschwunden.


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