Auswahl Deutscher Gedichte für höhere Schulen
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Geharnischte Sonette

O daß ich stünd' auf einem hohen Turme,
Weit sichtbar rings in allen deutschen Reichen,
Mit einer Stimme, Donnern zu vergleichen,
Zu rufen in den Sturm mit mehr als Sturme:

Wie lang willst du dich winden gleich dem Wurme,
Krumm unter deines Feinds Triumphrads Speichen?
Hat er die harte Haut noch nicht mit Streichen
Dir g'nug gerieben, daß dich's endlich wurme?

Die Berge, wenn sie könnten, würden rufen:
»Wir selber fühlten mit fühllosem Rücken
Lang g'nug den Druck von eures Feindes Hufen.«

Des Steins Geduld bricht endlich auch in Stücken,
Den Götter zum Getretensein doch schufen –
Volk, mehr als Stein, wie lang darf man dich drücken?

Ihr Ritter, die ihr haust in euren Forsten,
Ist euch der Helmbusch von dem Haupt gefallen?
Versteht ihr nicht den Panzer mehr zu schnallen?
Ist ganz die Rüstung eures Muts zerborsten?

Was sitzet ihr daheim in euren Horsten,
Ihr alten Adler, habt ihr keine Krallen?
Hört ihr nicht dorther die Verwüstung schallen?
Seht ihr das Untier nicht mit seinen Borsten?

Schwingt eure Keulen! denn es ist ein Keuler;
Er wühlt, er droht, voll Gier nach schnödem Futter
Stürzt er den Stamm, nicht bloß des Stammes Blätter.

Es ist ein Wolf, ein nimmersatter Heuler,
Er frißt das Lamm, er frißt des Lammes Mutter;
Helft, Ritter! wenn ihr Ritter seid, seid Retter!

Frau'n Preußens, nehmt für eure Opfergaben
Das Opfer an des Lieds, das ich euch bringe;
Ihr, die ihr gabt vom Finger eure Ringe,
Sowie ihr gabt vom Busen eure Knaben

Dem Vaterland! In Erzschrift sei gegraben
Eu'r Preis, daß ihn kein Mund der Zeit bezwinge!
Des Ruhms, den eurer Männer blut'ge Klinge
Erfechten wird, sollt ihr die Hälfte haben.

Denn wenn sie selbst, im Sturm des Feindes, Wunden
Erbeuteten, so habt ihr mit dem Kleide
Von euren Schultern ihnen sie verbunden;

Und wenn der Freiheit Tempel aus dem Leide
Neu steigt durch sie, so soll's die Welt erkunden,
Daß, ihn zu schmücken, ihr gabt eu'r Geschmeide.

Es steigt ein Geist, umhüllt von blankem Stahle,
Des Friedrichs Geist, der in der Jahre sieben
Einst tat die Wunder, die er selbst beschrieben,
Er steigt empor aus seines Grabes Male

Und spricht: »Es schwankt in dunkler Hand die Schale,
Die Reiche wägt, und mein's ward schnell zerrieben.
Seit ich entschlief, war niemand wach geblieben;
Und Roßbachs Ruhm ging unter in der Saale.

Wer weckt mich heut und will mir Rach' erstreiten?
Ich sehe Helden, daß mich's will gemahnen,
Als säh' ich meinen alten Zieten reiten.

Auf, meine Preußen, unter ihre Fahnen!
In Wetternacht will ich voran euch schreiten,
Und ihr sollt größer sein als eure Ahnen.«

Habt ihr gehört von jenem Pfahl der Schande,
(Hast, ihn zu stürzen, Himmel, keine Blitze?)
Den euer Feind in seines Babels Sitze
Hat aufgerichtet an der Seine Strande?

Von jenem Obelisk, an dessen Rande,
Vom Fußgestell bis hoch an seine Spitze,
In steinren Feldern alle Austerlitze
Stehn, alle Schmachen eurem Vaterlande?

Auf, Deutsche, auf, aus allen euren Gauen!
Was säumet ihr, mit wütendem Geheule
Zu stürmen, mit verzweifeltem Vertrauen?

Schwingt wie die alten Väter eure Keule
Und schlagt, daß sie kein Gott kann wieder bauen,
In Stücken eure Schmach und ihre Säule!

Der alte Fritz saß drunten in den Nächten
Auf einem Thron, aus Tatenglanz gewoben,
Und dachte, weil den Busen Seufzer hoben,
An sein einst freies Volk, das ward zu Knechten.

Da kam, so lange von des Schicksals Mächten
Im ird'schen Stand des Lebens aufgehoben,
Sein alter Bruder kam jetzt her von droben,
Den sah er und hub an: »Will Preußen fechten?«

Der aber sprach mit Siegesglanz im Blicke:
»Ich komme dir als Bote, daß erschienen
Nun ist die Stunde, wo es bricht die Stricke.«

Da sprang der alte König auf mit Mienen,
Als ob er selbst zu neuem Kampf sich schicke,
Und sprach: »Jetzt will ich wieder sein mit ihnen.«

Wir schlingen unsre Händ' in einen Knoten,
Zum Himmel heben wir die Blick' und schwören;
Ihr alle, die ihr lebet, sollt es hören,
Und wenn ihr wollt, so hört auch ihr's, ihr Toten.

Wir schwören: Stehn zu wollen den Geboten
Des Lands, des Mark wir tragen in den Röhren;
Und diese Schwerter, die wir hier empören,
Nicht eh'r zu senken, als vom Feind zerschroten.

Wir schwören, daß kein Vater nach dem Sohne
Soll fragen und nach seinem Weib kein Gatte,
Kein Krieger fragen soll nach seinem Lohne,

Noch heimgehn, eh' der Krieg, der nimmersatte,
Ihn selbst entläßt mit einer blut'gen Krone,
Daß man ihn heile oder ihn bestatte.

»Der ich gebot von Jericho den Mauern:
Stürzt ein! und sie gedachten nicht zu stehen;
Meint ihr, wenn meines Odems Stürme gehen,
Die Burgen eurer Feinde werden dauern?

Der ich ließ über den erstaunten Schauern
Die Sonne Gibeons nicht untergehen;
Kann ich nicht auch sie lassen auferstehen
Für euch aus eurer Nacht verzagtem Trauern?

Der ich das Riesenhaupt der Philistäer
Traf in die Stirn, als meiner Rache Schleudern
Ich in die Hand gab einem Hirtenknaben; –

Je höh'r ein Haupt, je meinen Blitzen näher!
Ich will aus meinen Wolken so sie schleudern,
Daß fällt, was soll, und ihr sollt Friede haben.«

Wir haben lang mit stummem Schmacherröten
Geblickt auf uns und unsres Landes Schande,
Zu dir aufhebend unsres Armes Bande:
»Wie lang, Herr, willst du sie noch fester löten?«

Jetzt willst du dich, o Retter in den Nöten,
Erbarmen wieder über deinem Lande;
Die Rettung kommt, sie kommt im Städtebrande
Von dir, sie kommt in blut'gen Morgenröten.

O Herr, vom Schweren kann nur Schweres lösen,
Und wir sind schwer gebückt in unsrem Staube;
O eile du, die Kraft uns einzuflößen

Zum Auferstehn! Laß nicht dem Sturm zum Raube
Uns werden in der Rettung Sturmgetösen;
Panier sei Hoffnung, unser Schild dein Glaube!

Friedr. Rückert (1814)

 


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