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Die Kaiserwahl

(8. Sept. 1024)

Der fromme Kaiser Heinrich war gestorben,
Des sächsischen Geschlechtes letzter Zweig,
Das glorreich ein Jahrhundert lang geherrscht.
Als nun die Botschaft in das Reich erging,
Da fuhr ein reger Geist in alles Volk;
Ein neu Weltalter schien heraufzuziehn,
Da lebte jeder längst entschlafne Wunsch
Und jede längst erloschne Hoffnung auf.
Kein Wunder jetzo, wenn ein deutscher Mann,
Dem sonst so Hohes nie zu Hirne stieg,
Sich, heimlich forschend, mit den Blicken maß:
Kann's doch nach deutschem Rechte wohl geschehn,
Daß, wer dem Kaiser heut den Bügel hält.
Sich morgen selber in den Sattel schwingt!
Jetzt dachten unsre freien Männer nicht
An Hub- und Haingericht und Markgeding',
Wo man um Esch' und Holzteil Sprache hält:
Nein, stattlich ausgerüstet, zogen sie
Aus allen Gauen, einzeln und geschart,
Ins Maienfeld hinab zur Kaiserwahl.
Am schönen Rheinstrom, zwischen Worms und Mainz,
Wo unabsehbar sich die ebne Flur
Auf beiden Ufern breitet, sammelte
Der Andrang sich: die Mauern einer Stadt
Vermochten nicht das deutsche Volk zu fassen.
Am rechten Ufer spannten ihr Gezelt
Die Sachsen samt der slaw'schen Nachbarschaft,
Die Baiern, die Ostfranken und die Schwaben;
Am linken lagerten die rhein'schen Franken,
Die Ober- und die Niederlotharinger.
So war das Mark von Deutschland hier gedrängt,
Und mitten in dem Lager jedes Volks
Erhub sich stolz das herzogliche Zelt.
Da war ein Grüßen und ein Händeschlag,
Ein Austausch, ein lebendiger Verkehr!
Und jeder Stamm, verschieden an Gesicht,
An Wuchs und Haltung, Mundart, Sitte, Tracht,
An Pferden, Rüstung, Waffenfertigkeit,
Und alle doch ein großes Brudervolk,
Zu gleichem Zwecke festlich hier vereint!
Was jeder im besondern erst beriet.
Im hüllenden Gezelt und im Gebüsch
Der Inselbuchten, mählich war's gereift
Zum allgemeinen, offenen Beschluß.
Aus vielen wurden wenige gewählt.
Und aus den wenigen erkor man zween.
All beide Franken, fürstlichen Geschlechts,
Erzeugt von Brüdern, Namensbrüder selbst,
Kunrade, längst mit gleichem Ruhm genannt.
Da standen nun auf eines Hügels Saum
Im Kreis der Fürsten, sichtbar allem Volk,
Die beiden Männer, die aus freier Wahl
Was deutsche Volk des Thrones wert erkannt
Vor allen, die der deutsche Boden nährt,
Von allen Würdigen die Würdigsten
Und so einander selbst an Würde gleich,
Daß fürder nicht die Wahl zu schreiten schien,
Und daß die Wage ruht' im Gleichgewicht;
Da standen sie, das hohe Haupt geneigt,
Den Blick gesenkt, die Wange schamerglüht.
Von stolzer Demut überwältiget:
Ein königlicher Anblick war's, ob dem
Die Träne rollt' in manches Mannes Bart.
Und wie nun harrend all die Menge stand
Und sich des Volkes Brausen so gelegt.
Daß man des Rheines stillen Zug vernahm
(Denn niemand wagt' es, diesen oder den
Zu küren mit dem hellen Ruf der Wahl,
Um nicht am andern Unrecht zu begehn,
Noch aufzuregen Eifersucht und Zwist),
Da sah man plötzlich, wie die beiden Herrn
Einander herzlich faßten bei der Hand
Und sich begegneten im Bruderkuß:
Da ward es klar, sie hegten keinen Neid,
Und jeder stand dem andern gern zurück.
Der Erzbischof von Mainz erhub sich jetzt:
»Weil doch«, so rief er, »einer es muß sein.
So sei's der ältre!« Freudig stimmten bei
Gesamte Fürsten und am freudigsten
Der jüngre Kunrad; donnergleich erscholl.
Oft wiederholt, des Volkes Beifallsruf.
Als der Gewählte drauf sich niederließ.
Ergriff er seines edeln Vetters Hand
Und zog ihn zu sich auf den Königssitz.
Und in den Ring der Fürsten trat sofort
Die fromme Kaiserwitwe Kunigund':
Glückwünschend reichte sie dem neuen König
Die treu bewahrten Reichskleinode dar.
Zum Festzug aber scharten sich die Reih'n,
Voran der König, folgend mit Gesang
Die Geistlichen und Laien; so viel Preis
Erscholl zum Himmel nie an einem Tag.
Wär' Kaiser Karl gestiegen aus der Gruft,
Nicht freudiger hätt' ihn die Welt begrüßt.
So wallten sie den Strom entlang nach Mainz,
Woselbst der König im erhabnen Dom
Der Salbung heil'ge Weihe nun empfing.
Wen seines Volkes Ruf so hoch gestellt.
Dem fehle nicht die Kräftigung von Gott!
Und als er wieder aus dem Tempel trat.
Erschien er herrlicher als kaum zuvor.
Und seine Schulter ragt' ob allem Volk.

Ludw. Uhland. (Aus »Ernst von Schwaben«, 1817)

 


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