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Der Dorfkirchhof

Friedlich Dorf, nach alter Sitte
Hast du noch dein Kirchlein stehn
In des stillen Hofes Mitte,
Wo zur Ruh' die Toten gehn.

Sonntags wallet die Gemeine
Beim Geläute dahinaus;
Zwischen Kreuz und Leichensteine
Zieht die Schar ins Gotteshaus.

Wird sie nicht, um Gräber lenkend,
Schon zu tieferm Ernst gestimmt,
Daß die Seel', ihr End' bedenkend,
Besser Gottes Wort vernimmt?

Will sein Kind zur Taufe tragen
Hier ein Vater wohlgemut,
Sieht er nicht den Hügel ragen,
Wo so manches Kindlein ruht?

Flüstert nicht ein Hauch des Windes
Aus der Kleinen Gruft herauf:
Pflege doch des zarten Kindes,
Zieh es früh zum Himmel auf!

Wann beim hellen Festgeläute
Naht die muntre Hochzeitschar,
Wandeln die geschmückten Bräute
Zwischen Grüften zum Altar.

Vor der Jungfrau mit der Krone
Bebt am Kreuz der Flitterkranz,
Mahnt zum Ernst mit leisem Tone
Mitten durch Musik und Tanz.

Aber wankt in tiefen Schmerzen
Eine Schar zum Grabesrand,
Dann für die gebrochnen Herzen
Ist der Trost auch nah zur Hand.

Gleichwie sanfter ja die Kinder
Weinen in der Mutter Schoß,
So vor Gottes Haus gelinder
Ringen sich die Tränen los.

Sanfter selbst die Toten ruhen
In der Kirche Hut und Acht,
Gleichwie Kinder in den Truhen,
Wo die treue Mutter wacht. –

Dörflein, deine Kirch' umkränzet
Grün des Friedhofs ernst Geheg',
Und der Totenacker grenzet
Hart an deinen Lebensweg.

Wenn in deine Fest' und Freuden
Oft ein Sterbgedanke bricht,
So verklärt sich auch dein Leiden
In des ew'gen Glaubens Licht.

Adolf Stöber (1840)

 


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