Auswahl Deutscher Gedichte für höhere Schulen
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Von Kaiser Karl dem Großen

Wie Kaiser Karl schreiben lernte

Als Kaiser Karl zu Jahren kam und war der Große worden
Und streckte seinen Zepter aus nach Süden und nach Norden,
Da gab's ins weite Kaiserreich wohl auszuschreiben viel,
Doch der so stark den Zepter hält, führt schwach den Federkiel.

Wohl lernt' er in der Jugend einst ein rasches Roß zu reiten,
Zu schwimmen durch den wilden Strom, mit Schwert und Speer zu streiten;
Noch ist dem Mann kein Hengst zu wild, kein Fluß zu rasch und tief,
Nur eines fällt dem Helden schwer: zu schreiben einen Brief.

Da geht der große Kaiser noch beim Schreiber in die Schule
Und müht sich wie ein Schülerknab' mit seiner Federspule,
Doch bleibt der schwertgewohnten Hand der leichte Kiel zu schwer,
Er seufzt: »Was Hänschen nicht gelernt, das lernt der Hans nicht mehr.«

Nun, alter Kaiser, tröste dich: Kannst du ihn schlecht nur schreiben,
Dein Name wird im deutschen Land wohl angeschrieben bleiben;
Du schriebst ihn mit dem scharfen Schwert in Erz und Marmelstein,
Du schriebst mit deinen Taten ihn ins Buch der Zeiten ein.

Ihr Kinder aber werdet nicht mit Blut und Eisen schreiben,
Drum sollt ihr eure Schreibekunst mit Tint' und Feder treiben;
Ihr grabet eure Namen nicht in Erz und Marmelstein,
Drum schreibet eure Lektion ins Schulheft sauber ein.

Doch ist der letzte Punkt gemacht, so legt abseits die Schriften
Und springt hinaus in Flur und Wald, die Brust euch auszulüften,
Und streckt die Glieder, schwingt und ringt, wie Junker Karl getan,
Das steht der deutschen Jugend wohl und schützt den deutschen Mann.

Denn jung gewohnt ist alt getan, das Bäumchen muß man biegen,
Der alte Baum, der harte Stamm, der mag sich nimmer schmiegen.
Das lernt vom alten Kaiser Karl; das Schreiben ward ihm schwer,
Denn was das Hänschen nicht gelernt, das lernt der Hans nicht mehr.

Karl Gerok

 

Wie Kaiser Karl in Büchern las

Als Kaiser Karl sein Heldenschwert, die Leuchte der Germanen,
Zur Ruh' gehängt im Siegessaal samt seiner Feinde Fahnen,
Da saß der alte Held im Stuhl und hörte gern mit an,
Dieweil sein Tagewerk vollbracht, was andere getan.

Und Eginhard und Alkuin, die mußten oft ihm lesen
Von Helden, die zuvor gelebt, von Zeiten, die gewesen,
Und sammeln ein und schreiben auf aus deutschen Volkes Mund,
Was von der Ahnen Taten noch die Sage machte kund.

Am Mittagstisch bei Wild und Fisch, die Tafel ihm zu würzen,
Um Mitternacht, wenn er erwacht, die Stunden ihm zu kürzen.
Lag ihm zur Hand manch alter Band, manch köstlich Pergament,
Weil jugendlich der greise Held von Wißbegierde brennt.

Denn in des Volkes Kindermund, in Lied und Spruch der Alten,
Da rauscht manch frischer Weisheitsquell wie aus Granites Spalten;
Tief wurzelt unter Stein und Moos der Eiche mächt'ger Schaft:
So gründen in der Vorzeit Schoß die Wurzeln unsrer Kraft.

Die Lehrerin der Könige, das ist die Weltgeschichte,
Sie lehrt, wie ein gerechter Gott die Groß' und Kleinen richte,
Sie lehrt, wie in der Jahre Lauf das Nichtige vergeht,
Sie lehrt, wie in der Zeiten Sturm das Tüchtige besteht.

Und hört er so der Ahnen Lob, da schwant's dem alten Helden,
Daß einst auch seines Namens Ruhm die Sagenbücher melden,
Und Alkuin und Eginhard, sie schreiben heimlich auf
Des Kaisers schlichte Lebensart und großen Heldenlauf. –

Verwittert ist sein Heldenleib im Kaiserdom zu Aachen,
Doch lebt sein großer Name noch in aller Völker Sprachen,
Doch lebt der alte Kaiser Karl in deutschem Lied und Wort,
Solang die deutsche Zunge klingt, bei seinen Deutschen fort.

Karl Gerok (1867)

 

Wie Kaiser Karl Schulvisitation hielt

Als Kaiser Karl zur Schule kam und wollte visitieren,
Da prüft' er scharf das kleine Volk, ihr Schreiben, Buchstabieren,
Ihr Vaterunser, Einmaleins und was man lernte mehr;
Zum Schlusse rief die Majestät die Schüler um sich her.

Gleichwie der Hirte schied er da die Böcke von den Schafen;
Zu seiner Rechten hieß er stehn die Fleiß'gen und die Braven.
Da stand im groben Linnenkleid manch schlichtes Bürgerkind,
Manch Söhnlein eines armen Knechts von Kaisers Hofgesind.

Dann rief er mit gestrengem Blick die Faulen her, die Böcke,
Und wies sie mit erhobner Hand zur Linken in die Ecke.
Da stand in pelzverbrämtem Rock manch feiner Herrensohn,
Manch ungezognes Mutterkind, manch junger Reichsbaron.

Da sprach nach rechts der Kaiser mild: »Habt Dank, ihr frommen Knaben!
Ihr sollt an mir den gnäd'gen Herrn, den güt'gen Vater haben;
Und ob ihr armer Leute Kind und Knechtesöhne seid –
In meinem Reiche gilt der Mann und nicht des Mannes Kleid.«

Dann blitzt' sein Blick zur Linken hin, wie Donner klang sein Tadel:
»Ihr Taugenichtse, bessert euch! Ihr schändet euern Adel.
Ihr seidnen Püppchen, trotzet nicht auf euer Milchgesicht!
Ich frage nach des Manns Verdienst, nach seinem Namen nicht.«

Da sah man manches Kinderaug' in frohem Glanze leuchten
Und manches stumm zu Boden sehn und manches still sich feuchten.
Und als man aus der Schule kam, da wurde viel erzählt,
Wen heute Kaiser Karl gelobt und wen er ausgeschmält.

Und wie's der große Kaiser hielt, so soll man's allzeit halten,
Im Schulhaus mit dem kleinen Volk, im Staate mit den Alten:
Den Platz nach Kunst und nicht nach Gunst, den Stand nach dem Verstand!
So steht es in der Schule wohl und gut im Vaterland.

Karl Gerok

 


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