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Der Sommerabend

(Ins Hochdeutsche übertragen von Robert Reinick)

O sieh, wie ist die Sonne müd',
Sieh, wie sie still nach Hause zieht!
O sieh, wie Strahl um Strahl verglimmt,
Wie sie ihr Tüchelchen da nimmt,
Ein Wölkchen, blau mit rot vermischt,
Und sich damit die Stirne wischt!

Wahr ist es, sie hat schlimme Zeit,
Im Sommer gar! Der Weg ist weit,
Und Arbeit find't sie überall:
In Haus und Feld, in Berg und Tal
Drängt alles sich nach ihrem Schein
Und will von ihr gesegnet sein.

Manch Blümlein hat sie ausstaffiert,
Mit Farben prächtig ausgeziert.
Dem Bienchen gibt sie seinen Trunk
Und sagt zu ihm: »Hast auch genung?"
Kam noch ein Käferchen in Eil',
Gewiß bekam es auch sein Teil.

Manch Samenhülschen sprengt sie auf
Und holt den Samen draus herauf.
Wie bettelten die Vögelchen,
Wie wetzten sie die Schnäbelchen!
Und keins geht hungrig doch zu Bett,
Das nicht sein Teil im Kröpfchen hätt'.

Der Kirsche, die am Baume lacht,
Hat rote Backen sie gemacht.
Und wo im Feld die Ähre schwankt,
Und wo am Pfahl die Rebe rankt,
Gleich kümmert sich die Sonne drum,
Hängt ihnen Laub und Blüten um.

Und auf der Bleiche, seht doch an!
Macht sie sich Arbeit, wo sie kann;
Das hat dem Bleicher schon behagt,
Doch hat er nicht »Gotts Lohn!« gesagt.
Ist irgend Wäsche wo im Ort,
Sie trocknet hier, sie trocknet dort.

Und wirklich wahr: allüberall.
Wo irgend nur die Sens' im Tal
Durch Gras und durch die Halme ging.
Da macht sie Heu. Wie geht das flink!
Es will was sagen, meiner Treu,
Am Morgen Gras, am Abend Heu.

Drum ist sie jetzt so schrecklich müd'
Und braucht zum Schlaf kein Abendlied.
Kein Wunder ist es, wenn sie schwitzt!
Sieh, wie sie auf dem Berg da sitzt;
»Schlaft alle wohl!« so ruft sie jetzt
Und lächelt noch zu guter Letzt.

Da ist sie weg! Behüt' dich Gott!
Der Hahn am Kirchturm, seht, wie rot!
Er guckt ihr nach ins Haus hinein.
Du Naseweis, so laß es sein!
Da hat er es! In guter Ruh'
Zieht sie den roten Vorhang zu.

Ich denk', wir gehen auch ins Nest.
Wen sein Gewissen ruhig läßt,
Schläft sicher ein auch ohne Lied,
Die Arbeit macht von selber müd';
So manches ist doch heut vollbracht.
Gott geb' uns eine gute Nacht!

Johann Peter Hebel

 


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