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Der Rappe des Komturs

Herr Konrad Schmid legt' um die Wehr,
Man führt ihm seinen Rappen her:
»Den Zwingli lass' ich nicht im Stich,
Und kommt ihr mit, so freut es mich.«
Da griffen mit dem Herren wert
Von Küßnacht dreißig frisch zum Schwert:
Mit Mann und Roß im Morgenrot
Stieß ab das kriegbeladne Boot.
Träg schlich der Tag; dann durch die Nacht
Flog Kunde von verlorner Schlacht.
Von drüben rief der Horgnerturm,
Bald stöhnten alle Glocken Sturm,
Und was geblieben war zu Haus:
Das stand am See, lugt' angstvoll aus.
Am Himmel kämpfte lichter Schein
Mit schwarzgeballten Wolkenreih'n.
»Hilf Gott, ein Nachtgespenst!« Sie sahn
Es drohend durch die Fluten nahn.
Wo breit des Mondes Silber floß,
Da rang und rauscht' ein mächtig Roß,
Und wilder schnaubt's, und näher fuhr's ...
»Hilf Gott, der Rappe des Komturs!«
Nun trat das Schlachtroß festen Grund,
Die bleiche Menge stand im Rund.
Zur Erde starrt' sein Augenstern,
Als sucht' es dort den toten Herrn ...
Ein Knabe hub dem edeln Tier
Die Mähne lind: »Du blutest hier!«
Die Wunde badete die Flut,
Jetzt überquillt sie neu von Blut,
Und jeder Tropfen schwer und rot
Verkündet eines Mannes Tod.
Die Komturei mit Turm und Tor
Ragt weiß im Mondenglanz empor.
Heimschritt der Rapp' das Dorf entlang.
Sein Huf wie über Grüften klang.
Und Alter, Witwe, Kind und Maid
Zog schluchzend nach wie Grabgeleit.

Conrad Ferdinand Meyer

 


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