Auswahl Deutscher Gedichte für höhere Schulen
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Der Tanzbär

Ein Bär, der lange Zeit sein Brot ertanzen müssen,
Entrann und wählte sich den ersten Aufenthalt.
Die Bären grüßten ihn mit brüderlichen Küssen
Und brummten freudig durch den Wald,
Und wo ein Bär den andern sah,
So hieß es: Petz ist wieder da!
Der Bär erzählte drauf, was er in fremden Landen
Für Abenteuer ausgestanden,
Was er gesehn, gehört, getan,
Und fing, da er vom Tanze red'te,
Als ging er noch an seiner Kette,
Auf polnisch schön zu tanzen an.
Die Brüder, die ihn tanzen sahn,
Vewunderten die Wendung seiner Glieder,
Und gleich versuchten es die Brüder;
Allein, anstatt wie er zu gehn,
So konnten sie kaum aufrecht stehn,
Und mancher fiel der Länge lang danieder.
Um desto mehr ließ sich der Tänzer sehn.
Doch seine Kunst verdroß den ganzen Haufen.
Fort, schrieen alle, fort mit dir!
Du Narr willst klüger sein als wir?
Man zwang den Petz davonzulaufen.

 

Sei nicht geschickt, man wird dich wenig hassen,
Weil dir dann jeder ähnlich ist;
Doch je geschickter du vor vielen andern bist,
Je mehr nimm dich in acht, dich prahlend sehn zu lassen.
Wahr ist's, man wird auf kurze Zeit
Von deinen Künsten rühmlich sprechen;
Doch traue nicht, bald folgt der Neid
Und macht aus der Geschicklichkeit
Ein unverzeihliches Verbrechen.

Christian Fürchtegott Gellert (1746)

 


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