Auswahl Deutscher Gedichte für höhere Schulen
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»Ave Caesar, morituri te salutant!«

(Ebr. 12, 1–4)

»Heil Cäsar dir! dich grüßen, die da sterben!«
So ruft der Gladiatoren rauher Chor;
Gleich wird der Sand mit ihrem Blut sich färben;
Im Tod sich noch ein Lächeln zu erwerben,
Stellt sich die Schar dem Imperator vor.

In weitem Rund mit vollgedrängten Sitzen
Türmt sich der Zirkus auf ins Himmelsblau,
Der Pöbel kürzt die Zeit mit blut'gen Witzen,
Und fünfzigtausend Römeraugen blitzen
Voll Mordbegier nach der ersehnten Schau.

Ein Wink, da stürzen die geübten Schlächter
Den nackten Leib ins blut'ge Schwerterspiel,
Der Zagende stirbt unter Hohngelächter,
Doch Beifallsdonner lohnt den schönen Fechter,
Der malerisch im Todeskampfe fiel.

Entmenschtes Rom! zur Wollust ist das Morden,
Die Menschenschlächterei zur schönen Kunst,
Das Sterben zum Theaterspiel geworden,
Und Nero rührt mit schmelzenden Akkorden
Die Zither sich zur nächt'gen Feuersbrunst.

– Doch sieh, was führt man heut für Gladiatoren
Der Schaubegier des lieben Pöbels vor?
Nicht Parther sind, nicht Perser heut erkoren,
Nicht blonde Jünglinge, am Rhein geboren;
Heut ist's ein ungewohnter Fechterchor.

Sind hier nicht Greise, die zum Kampf sich rüsten?
Nicht Mägdlein, hold ihr Haupt in Scham gesenkt?
Nicht Frauen, mit dem Säugling an den Brüsten?
Merk' auf, o Rom, heut sterben deine Christen,
Die Neros Güte dir zum Schauspiel schenkt!

Still ziehn sie ein in wallendem Gewande;
Mit sanftem Schritt, gleich einer Priesterschar,
Sie stehn im Rund, nun fallen ihre Bande,
Sie knieen nieder in des Zirkus Sande,
Ihr Psalm ertönet fremd und wunderbar.

Sie grüßen ihren Cäsar, doch nicht jenen,
Der in die Hand sein finstres Haupt dort stützt,
Nein, einen, der umjauchzt von Harfentönen,
Hoch ob der Erde blutigen Arenen
Als Friedefürst in goldnen Wolken sitzt.

» Heil Christe dir! dich grüßen, die da sterben,
Kurz ist der Kampf, und ewig ist der Lohn,
O selig, wer um deine Krone werben,
O selig, wer dein himmlisch Reich darf erben,
Nimm unsre Seelen auf, du Gottessohn!«

Sie schaun sich um und schauen mit Entzücken
Den edlen Zeugenkreis, der sie umringt,
Nicht jenen, der mit mordgewohnten Blicken
Im weiten Zirkus, voll bis zum Erdrücken,
Wie eine Riesenschlange sie umschlingt, –

Nein, Engel sind's, die sich hierniederneigen,
Ein lichter Kreis, ein strahlenvoller Kranz;
Mit Kronen winken sie, mit Palmenzweigen,
Kopf drängt an Kopf und Reigen sich an Reigen,
Bis er verschwebt im goldnen Himmelsglanz. –

Numid'scher Leu, nun schüttle deine Mähne,
Die Lämmer Christi schrecket nicht dein Zorn;
Spring an aus deinem Käfig, o Hyäne,
Du Königstiger, wetze deine Zähne,
Zermalme kecklich Christi Weizenkorn!

Zehn blut'ge Leichen schleift man aus den Toren,
Doch zwanzig derer, die sie sterben sahn,
Sie haben morgen schon zum Kreuz geschworen;
Aus Blut wird Christi Kirche neu geboren,
Und jeder Sturm facht frische Flammen an.

Karl Gerok

 


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