Auswahl Deutscher Gedichte für höhere Schulen
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Dramaturgische Epistel

Weil dir die Quelle des Liedes gemach bei schwindender Jugend
Spärlicher fließt, und du doch von der süßen Gewöhnung des Dichtens
Nimmer zu lassen vermagst, so sehnst du dich, schreibst du, nach anderm
Ziel und möchtest dich gern als dramatischer Dichter versuchen.
Aber wiewohl du die Welt und das Herz und die Wege des Schicksals
Kennst und ein Meister dich fühlst, das geflügelte Wort zu gestalten.
Lehrt Erfahrung dich doch, den getreuen Besucher des Schauspiels,
Daß du noch anderer Dinge bedarfst, um herab von den Brettern
Auf das versammelte Volk, im Kothurn hinschreitend, zu wirken.
Und so kommst du zu mir, der den Sprung schon über die Lampen
Nicht unglücklich gewagt, und verlangst für das gleiche Beginnen
Freundlichen Rat. Aus welchem Gebiet und mit welcherlei Rücksicht,
Fragst du, wähl' ich den Stoff? Und worauf in Entwurf und Behandlung
Acht' ich zumeist, daß der Bühne gerecht mein Werk sich erweise?
Das heißt freilich ins Große gefragt und mit wenigen Worten
Vieles begehrt, und wär' ich der Mann, auf jeglichen Punkt dir
Gründliche Rede zu stehn, zum Buch wohl schwölle der Brief an.
Doch nicht reicht mir die Kraft. Und so laß mich vom Faß dir den Becher
Schöpfen, so gut ich vermag. Vielleicht auch g'nügt es zum Anfang.
Wenn dir das epische Lied unsterbliche Taten und Leiden
Singt aus vergangener Zeit und im ruhigen Licht der Erinnrung
Klar das Gewordene zeigt, so sagt des Dramatikers Name,
Daß er als Handlung dir das Geschick des erkorenen Helden
Vorzuführen gedenkt; als ein Werdendes sollst du es anschaun,
Wie's aus den Tiefen der Brust im Streit sich entfaltend emporwächst.
Denn die Handlung beruht auf der Wahl und die Wahl auf dem Zwiespalt.
Drum, was immer noch sonst sich vereinigen muß, dem Gedichte
Körper und Fülle zu leihn, die belebende Seele des Dramas
Bleibt das Menschengemüt im Kampf mit sich selbst und dem Weltlauf,
Wenn zur Rechten sich ihm, zur Linken die Pfade verwirren,
Während der Stunde Gebot mit Gewalt fortdrängt zur Entscheidung.
Aus dem Entschluß dann sproßt, wie die Tat mit der Tat sich verwickelt,
Durch die bestimmende Macht nachwachsender Folgen das Schicksal.
Frei nur ist der entscheidende Schritt, notwendig das andre.
Dessen gedenk nun wähle den Stoff und wähl' ihn dir also,
Daß sich der innere Kampf, durch den du den Helden hindurchführst,
Tief in der Menschennatur, jedwedem verständlich, begründe.
Denn das fesselt uns nur, was die eigene Brust als natürlich
Nachzuempfinden vermag. Fremdartiges läßt und Gesuchtes
Kalt, wie verschwenderisch auch der Poet mit Schmuck es umkleide.
Aber begreifen wir ganz in der Seele des Helden den Zwiespalt,
Fühlen wir nach, was zur Tat ihn bewegt, und bleibt er im Innern
Unserm Verständnis vertraut, so bedünkt's von wenig Gewicht mir,
Ob er im Kreuzzugspanzer erscheint, im spanischen Hofrock,
Oder ob er sich hüllt in die Falten der römischen Toga.
Denn stets bleibt sich das Menschliche gleich, und die Wetter im Busen
Sind dieselben noch heut, die vor Jahrtausenden grollten.
Kleid und Gesittung verwandelt die Zeit, und es werde der Dichter
Ihnen gerecht, doch, klug mit gelinderem Stift sie umreißend,
Zeig' er inmitten des Bilds, was allen Zeiten gemein ist.
Selbst der begehrteste Stoff, der vaterländische, wirkt nur,
Wenn er getragen erscheint vom Menschlichen, das er uns freilich
Oftmals dann zu erhöhen vermag, doch nie zu ersetzen.
Aber bewegt dich ein Stoff, der so der Vernehmenden Anteil
Dir nachhaltig zu fesseln verheißt, dann prüfe vor allem,
Ob er als Fabel sich dir darstellt in geschlossener Einheit,
Voll und sich selber genug, und ohne zerstreuendes Beiwerk
Auf dasselbige Ziel hinstrebend mit sämtlichen Fäden;
Denn wie verwickelt und reich dir die Handlung zu weben erlaubt ist,
Nur ein großes Geschick hat Raum im Rahmen des Dramas.
Dann erst geh an den Bau, der, wie sich die Handlung in Anlaß,
Schürzung und Lösung zerlegt, dreiteilige Gliederung fordert.
Aber der mittlere Teil, wo der Held, bald innerlich uneins,
Bald von außen bedrängt, durch gesteigerte Hemmungen vordringt,
Heischt den bedeutendsten Raum und erwächst selbst wieder zur Dreiheit,
Wie die Verwickelung steigt und den Gipfel erreicht und im Umschwung
Schon auf das Ziel hinlenkt, so daß fünf Akte sich runden,
Jeder geschlossen und jeder ein Ring in der Kette des Ganzen
Demnach bilde den Plan und erwäge die Folgen der Szenen
Reiflich, dem Bauherrn gleich, der klug auf dem Blatte den Riß macht,
Eh' er zu mauern beginnt. Denn was als Dichter dich sonst zeigt,
Bildkraft, Redegewalt und der flutende Strom der Empfindung,
Reicht auf der Bühne zum Sieg nicht aus. In der Strenge des Aufbaus
Ruht des Erfolgs Bürgschaft und das große Geheimnis der Wirkung.
Selber ein mäßig Gedicht, dafern mit Verstand es gefügt ward,
Mag von den Brettern erfreun. Doch die geistvoll blühendste Schöpfung
Langweilt, wenn der Poet sie in schlotternder Gliederung hinwarf.
Laß dich darum bei des Stoffs Anordnung der Zeit und der Mühe
Nimmer gereun! Und so sorge zuerst, daß du klar und natürlich
Uns in die Ding' einführst, wie sie stehn beim Beginne der Handlung,
Sei's im bewegteren Bild, das gedrängt die Verhältnisse spiegelt,
Sei es im bloßen Bericht. Denn anfangs, wo sich der Hörer
Ruhig und frisch noch fühlt, der Erzählung lauscht er nicht ungern.
Doch aufsteigend sodann, wie der Ring aus dem Ring an der Palme,
Wachse die Szen' aus der Szene hervor, den Vorübergegangnen
Jegliche kräftig entsproßt und zugleich uns aus der Begegnung
Widersprechender Kräft' und Naturen ein Neues bereitend.
Denn als erstes Gesetz für die Bretter erweist sich der Handlung
Rastlos strebender Gang. Durch ihn nur zwingst du den Hörer
Bis an das Ziel dem Gedicht teilnehmenden Sinnes zu folgen.
Buntaneinandergereihtes zerstreut, Fortschreitendes fesselt.
Meide darum im Verlauf der Entwicklung jeglichen Stillstand,
Halt Abschweifendes fern, sei knapp im Schildern und ruhe
Auf der Empfindung nicht aus, die leicht zu üppig ins Laub schießt.
Was dem Lyriker frommt, dem Dramatiker bringt es Verderben.
Aber vermeid auch jeglichen Sprung; denn das Plötzliche wird uns,
Das kein Zeichen vorher andeutete, frostig bestürzen.
Nur das Werdende spannt und des unausbleiblichen Schicksals
Nahenden Schritt schon von fern mit ahnendem Ohr zu vernehmen.
Aber zugleich hab' acht, daß, wie von Stufe zu Stufe
Schreitend das Stück fortwächst, sich gemach die Bewegung beflügle
Und auf den schwächeren Schlag der gewaltiger treffende folge.
Denn wo die Steigerung fehlt, da erlischt allmählich der Anteil.
Wohl am sichersten triffst du das Maß, wenn leise beginnend
Schritt vor Schritt du die Spannung verstärkst bei jeglicher Szene,
Bis in erschütternder Macht des Geschicks Umschwung sich enthüllt hat.
Auf gleichmäßiger Höh' mag dann fortschreiten die Handlung,
Wenn sie nur nicht absinkt. Doch zuletzt, wo der Knoten sich auflöst,
Steige sie nochmals an, auf erhabenstem Gipfel zu enden.
Darum spare die Kraft und verteile mit Kunst die gebotnen
Mittel, damit sie dir nicht an der Nachdruck heischenden Stelle,
Weil du zu früh sie verschwendet, erschöpft sei'n, oder zu dicht auch
Übereinandergehäuft das Gefühl abstumpfen des Hörers.
Denn wie die Armut lähmt, so erdrückt das Zuviel in der Wirkung.
Stets auch bleibe der Eindruck schön; er erhebe das Herz uns,
Ob er mit Schauern es füllt. Doch wenn du auf weichliche Rührung
Ausgehst oder, der Kunst urewige Schranke verachtend,
Nach dem Empörenden greifst und mit leiblichem Grausen uns anpackst,
Jauchzt der Pöbel vielleicht, doch Melpomene wendet das Haupt ab.
So viel send' ich dir heut. Zwar manches hätt' ich mit Fug auch
Von den Gestalten gesagt, und wie sie der Dichter am besten
Wählt und bestimmt ausprägt zu natürlichen Trägern der Fabel,
Fertig von Anfang die und jene sich innerlich wandelnd;
Aber ich schieb' es hinaus auf andere Zeiten; des Lehrtons
Müde, verlangt mir das Herz in bewegterem Klang sich zu lösen.
Denn schon hört' ich der Schwalbe Gesang, und über den Garten
Säuselt es her vom Gebirg' wie verheißender Odem des Frühlings.
Nimm denn freundlich das Wenige hin. Und laß' es ein Gott dir
Fruchtbar werden im Geist, daß ein stattliches Werk dir gelinge
Allen zur Lust. Denn Wissen ist gut, doch Können ist besser.

Emanuel Geibel

 


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