Auswahl Deutscher Gedichte für höhere Schulen
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Abendlied

Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
   Am Himmel hell und klar.
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
   Der weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille
Und in der Dämmrung Hülle
   So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
   Verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen
   Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
   Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolzen Menschenkinder,
Sind eitel arme Sünder,
   Und wissen gar nicht viel.
Wir spinnen Luftgespinste
Und suchen viele Künste
   Und kommen weiter von dem Ziel.

Gott, laß uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglich's trauen,
   Nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden
Und vor dir hier auf Erden
   Wie Kinder froh und fröhlich sein!

Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
   Durch einen sanften Tod!
Und wenn du uns genommen,
Laß uns in Himmel kommen,
   Du, unser Herr und unser Gott!

So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder!
   Kalt ist der Abendhauch.
Verschon' uns Gott, mit Strafen
Und laß uns ruhig schlafen
   Und unsern kranken Nachbar auch!

Matthias Claudius

 


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