Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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7

Und Daniel zog nach Eschenbach, in das elterliche Häuschen. Seine Schüler mieteten sich bei einigen Bürgern ein.

Den Leuten im Ort galt er als ein Original, und sie lächelten, wenn von ihm die Rede war oder wenn sie ihn versunken, nach seiner Art, durch die Gassen wandeln sahen. Doch es war kein böses Lächeln; der anfängliche Spott darin verschwand bald und machte einer ungewissen Empfindung des Stolzes Platz.

Er gewann eine heimliche Macht über die Menschen, die mit ihm in Berührung kamen, und viele fragten ihn in schwierigen Lebensumständen um Rat. Insbesondere seine Schüler beteten ihn an. Er hatte die Gabe, sie zu spannen und hinzureißen. Die Mittel, deren er sich dabei bediente, waren die einfachsten. Die selbstleuchtende Persönlichkeit, der Einklang zwischen Wort und Tun, der Menschenernst, der Menschenblick, die Hingebung an eine Sache und das große Gefühl von ihr, das waren seine Mittel.

Er wurde ein berühmter Lehrer, mit jedem Jahr mehrte sich die Zahl derjenigen, die seiner Unterweisung teilhaftig werden wollten. Aber er nahm nur wenige an, die besten nur, und die Sicherheit, mit der er wählte und sonderte, war untrüglich.

Keine Lockung konnte ihn bewegen, den abgeschiedenen Ort, auf dem er zu leben gewillt, zu verlassen.

Er hatte meist ein freundliches Wesen, war auch nicht zerstreut und beobachtete mit Genauigkeit und Schärfe, was sich rings um ihn ereignete. In Zorn geriet er nur, wenn er irgendwo Zeuge von Tierquälereien wurde, und einst hatte er, zum Hallo der Gassenjugend, einen heftigen Streit mit einem Fuhrmann, der seinen mageren Gaul vor dem schwerbeladenen Wagen unter wütenden Peitschenschlagen vorwärtstrieb. Da lachten die Leute ergötzt und sagten: »Er ist halt närr'sch, der Professor.«

Agnes führte ihm den Haushalt und sorgte treu für alle seine Bedürfnisse. Wenn er vom Hause ging, brachte sie ihm Hut und Stock, und jeden Abend, bevor sie sich schlafen legte, küßte sie ihn auf die Stirn. Sie sprachen fast nie miteinander, doch auf stille Weise war ein Einverständnis zwischen ihnen entstanden.

In Gottfried wuchs ihm ein wohlgeartetes Kind heran. Er hatte Daniels Körperformen und die Augen Lenores. Ja, es waren die Augen mit dem blauen Feuer, auch hatte er Lenores märchenhafte Unberührbarkeit und ihren Abscheu gegen alle Lüge und Verstellung. Daniel erblickte darin ein Naturspiel von ergreifendem Tiefsinn; alle Gesetze des Bluts schienen wesenlos, und oft irrte sein Gefühl zwischen Dank und Staunen.

Von Dorothea hörte er eines Tages, daß sie ihr Leben als Violonistin bei einer Damenkapelle friste. Er forschte weiter nach, die Spuren führten nach Berlin, dann verloren sie sich. Ein paar Jahre später wurde ihm mitgeteilt, sie sei die Mätresse eines böhmischen Gutsbesitzers und fahre im Automobil an der italienischen Riviera spazieren.

Auch der Tod des Herrn Carovius wurde ihm berichtet. Seine letzte Stunde, hieß es, sei schwer gewesen, und er habe in einem fort gerufen: »Meine Flöte, gebt mir meine Flöte!«


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