Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13

Schneller als man gedacht, kam der Winter, und der Platz mit der Kirche lag im Schnee.

Lenore war aufs Eis gegangen und als sie zurückkehrte, wartete sie in der Wohnstube auf Daniel. Mit ihrem Pelzkäppchen saß sie da, müd und versonnen und hielt am Riemen die Schlittschuhe in der Hand.

Als nun Daniel ins Zimmer getreten war und sie begrüßt hatte, blickte sie empor und sagte mit leiser Stimme: »Ich bin guter Hoffnung, Daniel. Seit heute weiß ich's.«

Da ließ er sich auf die Knie vor ihr nieder und küßte ihre Fingerspitzen. Lenore atmete auf, und ein Lächeln von traumhafter Heiterkeit glitt über ihre Züge.

Am andern Tag ging Daniel aufs Rathaus und bestellte das Aufgebot.

Kaum hatte Philippine gehört, daß Daniel und Lenore im Februar heiraten sollten, so verschwand sie spurlos. Die kleine Agnes rief umsonst nach ihrer »Pine«. Erst am sechsten Tag erschien die Unheimliche wieder, ebenso plötzlich wie sie fortgegangen war. Ihre Züge waren abschreckend finster, ihre Haare zerzaust, ihre Kleider zerdrückt und an ihren Stiefeln hingen die Sohlen in Fetzen. Sie war stumm wie ein Klotz und blieb es wochenlang.

Kein Mensch wußte, und keiner hat es je erfahren, was sie während dieser sechs Tage getan und wo sie sich aufgehalten hatte.

Eine kirchliche Trauung war Lenores inniger Wunsch und dessen Erfüllung verursachte Daniel manche Mühe und manchen verdrießlichen Weg. Aber er nahm es auf sich, weil er Lenore nichts von ihrem Glück abhandeln mochte. Und Lenore nähte sich selbst ihr weißes Kleid und ihren Schleier. Gisela Degen, eine jüngere Schwester von Martha Rübsam, und Else Schneider, die Tochter des Pfarrers von Sankt Egydien, sollten Brautjungfern sein. Auch Marianne Nothafft und Eva sollten von Eschenbach hereinkommen; Lenore hatte ihnen schon das Reisegeld geschickt.

»Hilf mir nähen, Philippine,« sagte Lenore eines Abends zu der finstern Hausgenossin, und sie reichte Philippine den Schleier, an welchem der Saum zu nähen war.

Philippine setzte sich schweigend Lenore gegenüber und fing an zu nähen. Unterdes fiel die kleine Agnes bei ihren Gehübungen auf den Boden und schrie kläglich. Lenore eilte hin und hob das Kind auf, da knisterte es plötzlich und wie sie sich umwandte, sah sie, daß der Schleier einen langen Riß hatte. »Was machst du, Philippine, du böses Ding!« rief sie aus.

»Ich hab nichts getan, er ist von selber entzwei gerissen,« brummte Philippine, und ihr Blick entfloh feig.

»Laß es sein, laß die Hände davon, du nähst böse Gedanken hinein,« erwiderte Lenore ahnungsvoll.

Philippine erhob sich. »Zerrissen ist er nun einmal, der Schleier,« sagte sie in düsterm Trotz; »soll's Böses bedeuten, so kommt das Böse doch, ob du mich fortschickst oder nicht.« Sie ging hinaus.

Der Schaden war nicht so arg, wie Lenore gefürchtet. Das zerrissene Stück konnte abgetrennt werden und der Schleier war auch dann noch brauchbar.

Aber von jener Stunde an war eine Traurigkeit über Lenore gebreitet wie erster Nebel des Herbstes über eine schöne Landschaft. Vielleicht war nicht der Riß im Schleier daran schuld; in ihrem Gemüt war kein Schatten eines Aberglaubens; vielleicht war es nur das Glück und die Erfüllung. Es mochte sein, daß Glück und Erfüllung ihr als ein Ende erschienen, weil hernach nichts kommen konnte als der Alltag, der nicht mehr spendet, nur noch raubt.

Vielleicht auch wurde ihr Sinn von dem verspürten Leben in ihrem Leibe umdunkelt, denn das Werdende strahlt seine Melancholien aus so wie das Vergehende. Warum sollte eine reingestimmte Seele nicht innerliche Kunde haben von dem Schicksal, das ihrer harrt und in ihren Träumen nicht um das Unabänderliche wissen?

Anmerken konnte man ihr nichts. Ihr Auge war hell, ihr Blick voll Ruhe. Oft saß sie vor der Maske der Zingarella, die sie jeden Tag mit frischen Blumen umkränzte und die ihr ein geheimnisvolles Bild alles dessen war, was ihr Dasein in sich faßte.

Marianne Nothafft kam allein zur Trauung. Wie damals bei Gertruds Hochzeit hatte sie Eva zu einer Nachbarin gegeben. Sie sagte zu Daniel und Lenore, daß sie es nicht hätte über sich gewinnen können, das Kind mitten im Winter auf die Reise mitzunehmen. Sie sprach von Eva nur mit halblauter Stimme, und ein zärtliches Lächeln spielte um ihren harten Mund.

Bei der Trauung in der Egydienkirche waren der Notar und die Notarin Rübsam anwesend, der Archivrat Bock, der Impresario Dörmaul, Philippine Schimmelweis, ferner Marianne und der Inspektor Jordan. Auf der letzten Bank saß der Herr Carovius, und unter einem Pfeiler stand, ungesehen von den meisten, Eberhard von Auffenberg.

Philippine hockte häßlich zusammengekauert neben dem Inspektor, und hätte sie nicht an ihren Fingernägeln gebissen, so hätte man glauben müssen, sie schlafe.

Während das Brautpaar zum Altar schritt, fiel plötzlich die volle Sonne durch die Kirchenfenster, und es wirkte eigentümlich rührend, als dabei Lenore das Haupt erhob, den Schleier zurückstreifte und mit schimmernden Augen das goldene Licht empfing.

Der alte Jordan hatte die Stirn auf das Betpult gelegt und sein Rücken zitterte.


 << zurück weiter >>