Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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Der Teufel fährt in Flammen aus dem Haus

1

Ungeachtet des Regens wanderten Daniel und Benda bis nach Mitternacht um den Stadtgraben.

Von dem, was ihn so sichtlich erfüllte und quälte, sprach Daniel mit keiner Silbe. Er berichtete von seinen Arbeiten, von seinen Reisejahren, von seiner Stellung an Sankt Egydien und von der andern an der Musikschule, jedoch so allgemein, so abgerissen und hinwerfend, so müd und auch zerstreut, daß Benda schließlich vor Beklommenheit kaum mehr zuhören konnte.

Um eine offenere Rede zu erzwingen, deutete er an, er habe von Gertruds und Lenores Tod erst nach seiner Rückkunft erfahren; es hätte ihn schrecklich angefaßt, und er müsse fortwährend darüber grübeln. Doch sei es ihm nicht um nähere Wissenschaft zu tun, jetzt nicht; er wäre froh, wenn er die Überzeugung gewinnen könne, daß Daniel all des Trüben innerlich Herr geworden sei.

Statt darauf zu antworten, sagte Daniel mit einem Zucken um den Lippen: »Ja, ich weiß, du bist schon lange hier. Hab mich auch im stillen gewundert. Aber es ist nicht leicht, mit einem so problematischen Individuum, wie ich es bin, neuerdings anzuknüpfen.«

»Du fühlst, daß du unrecht hast, während du das sagst,« entgegnete Benda ruhig, »und drum verschmäh ich's auch, mein Warten zu erklären. Problematisch warst du mir nie, bist du mir nicht. Ich finde dich heute noch so ganz und so wahr, wie du immer gewesen bist, obgleich du dich vor mir duckst und verschanzest.«

Daniels Brust hob sich wie im Krampf. Er sagte stockend: »Laß erst das alte Vertrauen wieder wachsen. Ich muß mich erst an den Gedanken gewöhnen, daß einer da ist, der mit mir empfindet. Zwar, du willst, daß ich reden soll. Ich kann aber nicht reden, wenigstens von dem nicht, was du erwartest. Mir graut davor, ich hab's verlernt, die Worte schänden mich, und wenn ich einmal gute Träume hab, bin ich in ihnen so wohlig-, so heiligstumm wie das Tier. Mir graut's, daß ich in mein Inneres langen und dir verrostete Dinge zeigen soll, verschimmelte Früchte, Schlacken und Steinzeug, dir, der einst alles kristallen gekannt hat.«

Sem Auge richtete sich nach oben, dann fuhr er fort: »Doch gibt's vielleicht noch ein anderes Mittel, Friedrich. Schaue, Freund, schaue! Deine Sache war von je das Schauen. Schau, aber mach, daß ich mich nicht dabei krümme wie ein Wurm. Und wenn du geschaut hast, – Weisheit braucht nur ein einziges gesagtes Wort für zehn verschwiegene. Das eine wirst du mir schon entlocken.«

Benda, tief ergriffen, antwortete lange nichts. »Liegt's an einem Weibe?« fragte er sanft, als sie über die Zugbrücke in das öde Tor der Burg gingen.

»An einem Weibe? Nein. Eigentlich nicht an einem Weibe. Mehr am Manne, mehr an mir. Manches Schicksal erreicht seinen entscheidenden Punkt im Glück, manches erst in der Schuld. Der letzte Fall ist bitter. An einem Weibe!« wiederholte er mit einer Stimme, die im Gewölb des Durchgangs ein schauriges Echo gab; »freilich, es ist da ein Weib, wenn man mit der zu tun hat, bleibt einem nichts weiter übrig als die Augen zum Weinen.«

Sie verließen den Torweg. Benda legte Daniel die Hand auf die Schulter und wies mit der andern Hand stumm in die Höhe. Es waren keine Sterne am Himmel, nur Wolken, aber Benda meinte die Sterne. Daniel verstand die Gebärde; seine Lider schlossen sich, um seinen Mund war der Ausdruck eines gewaltigen Schmerzes.


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