Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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16

Einige Wochen darnach ereignete es sich, daß eine wirkliche Sängerin zu Daniel kam, und daß er von ihr, in wunderbarer Vollendung des Gesangs, mehrere von den Liedern hörte, die er komponiert und die er schon gänzlich von der Welt vergessen geglaubt.

Es war dies ein sehr geheimnisvoller Besuch. Eines Nachmittags, bei schrecklichem Schneetreiben, hatte es an der Wohnung unten geläutet, und als Gertrud öffnete, sah sie eine schwarzverschleierte Dame vor sich stehen, die den Kapellmeister Nothafft zu sprechen verlangte. Gertrud führte sie zu Daniel hinauf; die Fremde sagte ihr, sie habe sich seit langem gewünscht, sein Bekanntschaft zu machen, und da sie, auf der Durchreise nach Italien begriffen, durch die Erkrankung einer nahen Angehörige genötigt, hier habe Aufenthalt nehmen müssen, sei ihr dies wie ein Wink des Schicksals erschienen, und sie komme nun, ihn zu begrüßen, vor allem aber, ihm für die Lieder zu danken, die ihr einstmals, in einer schweren Stunde ihres Lebens, ein Freund geschenkt habe.

Sie sprach mit einem Akzent, der nordisch klang, dabei leicht, fließend und wie jemand aus der großen Welt. Daniel fragte, mit wem er das Vergnügen habe, da lächelte sie und bat um die Erlaubnis, ihm ihren Namen vorenthalten zu dürfen; es sei ja nichts daran gelegen, wie sie heiße; vielleicht denke er späterhin lieber an eine Unbekannte, die ihm nur ihre Verehrung und Dankbarkeit habe beweisen wollen, als an ein Fräulein Soundso; als Namenlose hoffe sie besser in seinem Gedächtnis zu bleiben wie als eine, von der man nur wisse, was alle von ihr wüßten.

Die Mischung von Scherz und Ernst, von Geist und Empfindung in den Worten der Fremden behagte Daniel wohl. Er antwortete zwar knapp und kühl, es war jedoch zu bemerken, daß er sich mit der Besucherin freute, brachte sie ihm doch zum Bewußtsein, daß sein Geschaffenes nicht in einen echolosen Abgrund gesunken war. Nach einer Weile kam das Gespräch neuerdings auf die Lieder, und da sagte die Fremde, sie möchte ihm gern das eine oder das andere Lied vorsingen. Daniel war gleich damit einverstanden, er holte die Noten hervor, setzte sich ans Klavier, und die rätselhafte Frau fing an zu singen. Schon bei den ersten Tönen horchte Daniel hoch auf, eine solche Stimme hatte er noch nie vernommen; so weich, so rein, so seelenvoll, so über alle Schule und Konvention hinaus. Nach dem ersten Lied sah er befangen an der Sängerin empor und murmelte: »Wer sind Sie denn? Wer sind Sie?«

»Keine Recherchen, bitte,« erwiderte die Sängerin lachend und über das mittelbare Lob, das ihr sein Benehmen spendete, froh errötend, »das nächste noch, das Eichendorffsche.«

Gertrud, die sich in ihrem vernachlässigten Anzug nicht länger als nötig war hatte zeigen wollen, war wieder in ihre Küche hinuntergegangen; jetzt trat, nach schüchternem Pochen, Lenore ein. Als sie die Stimme gehört, war sie überrascht in den Flur geeilt, und dann hatte sie nicht widerstehen können, sie wollte die Sängerin sehen.

Daniel nickte ihr mit strahlenden Augen zu, die Fremde grüßte gelassen und heiter, hierauf begann sie das nächste Lied, dann das dritte, und so alle sechs. Hinter der Tür aber stand der alte Jordan, hatte die Hände vor das Gesicht gedrückt und lauschte erschüttert.

»So, nun muß ich aber fort,« sagte die Fremde, als sie das letzte Lied geendet hatte. Sie reichte Daniel die Hand und fügte hinzu: »Es war eine schöne Stunde.«

»Es war eine der schönsten, die ich erlebt habe,« antwortete Daniel.

»Leben Sie wohl.«

»Leben Sie wohl.«

Und die fremde Dame ging und hinterließ nichts als die Erinnerung an ein Glück, das je märchenhafter wurde, je weiter es die stürmische Zeit entrückte. Daniel sah sie nie wieder, horte nie wieder von ihr.


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