Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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2

Eines Tages machte sich ein Stocken des Gewerbes bemerkbar. Die Weber im ganzen Lande klagten; sie konnten nicht mehr mitkommen, es war eine lähmende Krankheit, von der sie betroffen wurden. Der Markt hatte plötzlich niedrigere Preise, die Beschaffenheit der Ware hatte sich verändert.

Dies geschah gegen das Ende der fünfziger Jahre, als von Amerika aus die neuen Maschinenwebstühle eingeführt wurden. Da fruchtete kein Fleiß mehr, das billige Produkt, das die Maschine zu liefern vermochte, raubte der Handarbeit den Absatz.

Gottfried Nothafft ließ sich's zuerst nicht verdrießen; so läuft ein Rad noch, wenn der Antrieb gehemmt wird. Aber nach und nach verging ihm die Lust. In einem einzigen Winter wurde sein Haar grau, und mit fünfundvierzig Jahren war er ein gebrochener Mann.

Und da, als die Armut drohend vor der Türe stand und Mariannes Gemüt durch Haß befleckt war, erfüllte sich die Sehnsucht des Ehepaares, und die Frau wurde, im zehnten Jahr der Ehe, schwanger.

Der Haß, den sie hegte, galt der Maschine. In ihren Träumen wurde die Maschine zu einem Ungeheuer mit stählernen Schenkeln, das tückisch kreischend Menschenherzen verschlang. Es erbitterte sie die Ungerechtigkeit eines Vorgangs, bei dem in frecher Mühelosigkeit gedieh, was ehedem unter den bedächtigen Fingern des Webers sinnvoll und natürlich erstanden war.

Die Gesellen mußten einer nach dem andern entlassen werden, und ein Webstuhl nach dem andern kam auf den Dachboden. Tag für Tag schlich Marianne hinauf und kauerte stundenlang vor den Geräten, die einst eine wohltätig bestimmbare Kraft in Bewegung gesetzt hatte und die jetzt Leichnamen glichen.

Gottfried ging mit seinen Lagervorräten hausierend über Land. Einmal kehrte er zurück und brachte ein Stück Maschinengewebe mit, das ihm ein Kaufmann in Nördlingen geschenkt hatte. »Sieh doch, Marianne, was das für ein Ding ist,« sagte er und reichte ihr den Stoff. Aber Marianne zog schaudernd die Hand davon weg, als hätte sie den Raub eines Mörders erblickt.

Nach der Geburt des Knaben verloren sich die krankhaften Empfindungen, dafür verfiel Gottfried von Monat zu Monat mehr. Und wenn er auch die Jahre überstand, er hatte aufgehört, ein heiterer Mensch zu sein, und freute sich nicht einmal des heranwachsenden Knaben. Als er seine eigenen Waren verkauft hatte, übernahm er fremde und schleppte sich mühsam von Dorf zu Dorf, Sommer und Winter hindurch.

Trotz der Knappheit, die im Hause herrschte, war Marianne überzeugt, daß Gottfried erspartes Geld zurückgelegt habe, und gewisse Andeutungen des Mannes hatten diese Hoffnung befestigt. Es gehörte zu seinen eigentümlichen Lebensansichten, die Frau über den wahren Stand seines Vermögens im unklaren zu lassen. Als die Läufte immer schlechter wurden, schwieg er über diesen Punkt völlig.


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