Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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7

Herr Carovius war bezahlt worden. Das Konsortium stiller Hintermänner hatte sich aufgelöst.

Nie hat es einen befriedigten Gläubiger gegeben, der so unglücklich war wie Herr Carovius. Er hatte kein Wegziel mehr; auch die Wegweiser waren zerbrochen. Das Geld hatte er bekommen, schön; auf seinen Teil war sogar ein Profit von über sechstausend Mark gefallen. Aber was wog das gegen die Erwartung des großen Kladderadatschs? Was bedeutete Wohlleben und Besitz gegen den Genuß, den man beim Fall von Gestirnen empfindet? Was hatte noch Reiz in der Welt, nachdem diese hoffnungsvolle Angelegenheit, die als eine Tragödie begonnen und sich so gesteigert hatte, daß man glauben durfte, alle Gegensätze der menschlichen Natur würden vernichtend zusammenprallen, als ein gemeines Rührstück mit allseitiger Versöhnung geendet hatte?

Aber es lag nicht an dem allein, daß Herr Carovius, bisher eine elastische Gestalt, einer von den unverwüstlichen Junggesellen, denen keine Schranke gesetzt scheint, sich plötzlich alt werden fühlte. Eine Unruhe war in seinem Gemüt, eine böse Ahnung, eine Angst vor Wetterwechsel.

Er spürte einen inneren Hunger und hatte gleichwohl keinen rechten Appetit mehr auf die Dinge. Verloren, seufzte es in ihm, verspielt und vertan. Doch es konnte denen, die sich auf seine Kosten bereichert hatten, nicht zum Gedeihen ausschlagen, das wußte er.

Seine Haare fielen aus, und er bekam das Reißen in den Gliedern. Bei zehn Grad Wärme schepperte er, und wenn es regnete, blieb er zu Hause. Er fing an, sich auf eigene Faust mit der Medizin zu beschäftigen, namentlich mit der Heilwissenschaft der Altvordern. Er las die Schriften des Paracelsus und erklärte alle, die nach Paracelsus geschrieben und geforscht hatten, für Quacksalber und Giftmischer.

So wurde er auch in allem Musikalischen immer krauser und wunderlicher. Er hatte einen altnürnbergischen Komponisten entdeckt, des Namens Staden, und in dessen Oper Seelewig, der ersten deutschen Oper überhaupt, wollte er den Gipfel der Kunst erblicken, über Mozart und Bach hinaus. Er spielte seiner Nichte Dorothea Arien und Chöre aus »Seelewig« vor.

»Wenn du das kapierst,« eiferte er, »wenn du's so weit bringst, daß ich in deinem Spiel hören kann, was da drinnen liegt, Himmel und Hölle in einem Griff und Bogenstrich, dann, du Maulaffe, bin ich imstand und setz dich zu meiner Erbin ein.«

Das war das sehnlich erwartete Wort für Dorothea. Es bestätigte ihre Berechnung, es krönte ihre Träume. Um es endlich zu vernehmen, war ihr keine Mühe des Werbens zu viel gewesen.

Herr Carovius war ja nicht verwöhnt. Seit ihm die Schwester den Haushalt geführt, hatte sich nie ein Frauenzimmer um ihn bekümmert. Aber damals war er jung gewesen; hatte sich noch im Wahn befunden, sie warteten auf ihn, die Weiber, und er habe bloß nötig, mit dem Finger zu winken, damit sie scharenweise herbeistürzten. Und nur weil er die Mißlichkeit der Wahl und die Unkosten gescheut, hatte er es unterlassen zu winken und ihnen großmütig die Freiheit geschenkt.

Daß so eine kleine weiche Frauenhand wie die Berührung eines Zauberstabs wirken konnte, erfuhr er jetzt. Was für eine angenehme Fratze das Döderleinsche Erzeugnis hat, dachte er. Und wenn Dorothea, die ihm noch immer einredete, daß sie ihn heimlich besuchte, als sie sich der Zustimmung ihres Vaters schon lang versichert hatte, einige Tage hindurch ausblieb, wurde er ganz wild und hackte Holz in seiner Küche, um nur etwas zerschlagen zu können.

Übrigens gaben die musikalischen Unterweisungen, die er Dorothea angedeihen ließ, dem jungen Mädchen einen neuen Begriff von ihrer Kunst und weckten ihren Ehrgeiz. Befriedigt von ihrer Willigkeit und ihren Fortschritten, nannte sie Herr Carovius bisweilen scherzhaft den künftigen weiblichen Paganini des Zeitalters und dichtete für sich selbst die Rolle eines dämonischen Impresarios.

Aber was ihm an Dorothea immer mehr auffiel und ihn erstaunen machte, war ihr Verhältnis zu den Spiegeln.

Der Spiegel übte eine unwiderstehliche Gewalt auf sie aus. Begehrliches Entzücken malte sich in ihrem Gesicht, wenn sie beim Vorübergehen ihr Bild im Spiegel fing und hielt, eine lüsterne Unruhe vorher, zurückziehende Ungewißheit nachher. Im Glanz der Augen lag stets Verlangen nach dem Spiegel, Schritt und Gebärde schienen sich im Spiegelgefühl Aufgaben zu stellen und Überraschungen zu bereiten. Die ganze Person lebte wie in Gemeinschaft mit einer geisterhaften Spiegelschwester, deren geliebten Anblick sie sich so oft als möglich zu verschaffen trachtete.


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