Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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8

Der Maler Krapotkin hatte einmal den Auftrag bekommen, ein Holbeinsches Bild für den Freiherrn Siegmund von Auffenberg zu kopieren. Er machte das Bild nicht fertig, seine Fähigkeiten waren zu gering, aber er hatte damals den jungen Baron Eberhard kennen gelernt und führte ihn dann, Jahre später, nach einer gelegentlichen Begegnung, zu den Sumpfbrüdern ins Paradieschen.

Nicht lange sah man Eberhard dort; so plötzlich, wie er aufgetaucht war, verschwand er wieder. Aber die kurze Zeit genügte Herrn Carovius, in vertraute Beziehungen zu ihm zu treten.

Als er zum erstenmal mit ihm an einem Tisch saß, war er den ganzen Abend hindurch erregt und von einer milden geistigen Glut überstrahlt. Seine Stimme klang süß und seine Behauptungen waren von angenehmer Mäßigung.

Er lenkte das Gespräch auf die Vorzüge der Geburt und rühmte die Distinktion der erbeingesessenen Geschlechter als ein volkserziehendes Element. Die Sumpfbrüder höhnten, Herr Carovius schlug sie mit einem vernichtenden Witz.

Eberhard von Auffenberg verschanzte sich bei dem Lobgesang hinter einem griesgrämigen Schweigen. Trotzdem Herr Carovius auch fernerhin jeden Anlaß benutzte, um dem jungen Edelmann in pfiffig-feiner Weise zu schmeicheln, kam er zu keinem Ziel. Höchstens, daß Eberhard sein Drosselbartkinn in die Luft steckte und eine sarkastische Bemerkung fallen ließ. Alles Scharwenzeln war umsonst.

Eines Nachts jedoch fügte es sich, daß die beiden den Nachhauseweg gemeinschaftlich antraten, d. h. Herr Carovius ging dem Freiherrn nicht von der Seite. Der bisherigen Taktik überdrüssig, wollte er sein Glück einmal auf eine andere Art versuchen. Er spottete über den Hochmut einer gewissen Kaste, die einen Mann seinesgleichen geringer einzuschätzen wage als irgendeinen Stiefel, dessen Taschentuch eine gestickte Krone aufweise.

»Was sind Sie, was für einen Beruf haben Sie?« fragte Eberhard von Auffenberg.

»Ich tue nichts,« antwortete Herr Carovius.

»Gar nichts? Das ist immerhin sympathisch.«

»Ich treibe ein bißchen Musik,« setzte Herr Carovius hinzu, entzückt von der Wißbegier des Freiherrn.

»Na, sehen Sie, das ist doch etwas,« sagte dieser; »ich meinerseits bin unmusikalisch wie ein Schießgewehr. Aber, wenn Sie sonst nichts treiben als Musik, und, wie es scheint, zu Ihrem Vergnügen, müssen Sie doch eine Menge Moos haben.«

Herr Carovius wand sich. Die Angst, die er davor hatte, für einen reichen Mann gehalten zu werden, kämpfte mit dem eitlen Bestreben, vor dem jungen Freiherrn etwas zu sein und zu gelten. »Es geht an,« bemerkte er kichernd, »es geht an.«

»Schön; wenn Sie mir zehntausend Mark verschaffen können, will ich Ihnen mit Vergnügen die Krone auf meinem Taschentuch verehren,« sagte Eberhard von Auffenberg.

Herr Carovius blieb stehen und riß Mund und Augen auf. »Sie belieben zu scherzen, Herr Baron,« stammelte er. Und als Eberhard den Kopf schüttelte, fuhr er fort, und das Erstaunen trieb seine Stimme in die höchsten Lagen: »Aber Geehrtester! Ihr Herr Vater hat ausgewiesenermaßen ein Einkommen von einer halben Million! Ein Einkommen!«

»Von meinem Vater ist hier nicht die Rede,« antwortete Eberhard kalt und stieß das Drosselbartkinn in die Luft. »Es gehört offenbar zu Ihren heraldischen Vorurteilen, daß Sie das Einkommen meines Vaters in meinen Beutel praktizieren wollen.«

Sie standen unter einer Gaslaterne am Hallertor. Der Regen rieselte vom Himmel und sie hatten die Schirme aufgespannt. Die Nacht war still, es war auch schon spät; weit und breit war kein Mensch zu sehen. Carovius schaute den gravitätisch verdrossenen jungen Mann an, der junge Mann schaute den verlegen grinsenden Carovius an und keiner wußte, wie er den andern nehmen sollte.

»Sie wundern sich,« begann Eberhard wieder; »Sie wundern sich mit Recht. Ich stecke als ein unzufriedener Gast in meiner Haut, dessen kann ich Sie versichern. Ich bin so mißgeboren wie nur irgendein Geschöpf, das zu viel Überflüssiges und zu wenig Notwendiges mitbekommen hat. Es sind da Geheimnisse; außen sind Geheimnisse an mir. Innen ist nichts; innen ist abgestandene, tote Luft.«

Er stierte zu Boden und es war, wie wenn er mit sich selbst spräche, wie wenn er vergessen hätte, daß ihm jemand zuhörte, als er fortfuhr: »Haben Sie schon in alten Kirchen alte Ritter, in Stein gemeißelte alte Ritter gesehen? So bin ich. Mir ist, als ob ich der Vater meines Vaters wäre, und als ob er mich lebendig hätte begraben lassen und ein böser Geist hätte mich versteinert und meine Hände lägen auf der Brust gekreuzt und könnten sich nicht rühren. Ich bin aufgewachsen mit einer Schwester und ich sehe sie, als wär's gestern gewesen,« hier nahm sein Gesicht einen Ausdruck phantastischer Greisenhaftigkeit an, »zierlich und unschuldig und stolz durch einen Saal gehen, mit Rosen in der Hand. Sie ist an einen Rittmeister verheiratet, einen Kerl, der seine Soldaten wie Negersklaven behandelt und den Gruß eines Bürgers nur erwidert, wenn er besoffen ist. Sie mußte ihn heiraten. Ich konnte es nicht hindern. Jemand hat sie gezwungen. Und wenn sie jetzt Rosen trägt, ist es, wie wenn ein Leichnam Lieder singt.«

Herrn Carovius war es nicht geheuer zumut. Solche Worte war er nicht gewohnt zu hören. Dort wo er zu Hause war, nannte man die Dinge deutlicher beim Namen. Er spitzte die Ohren und machte ein unbehagliches Gesicht. Es ist seine Erziehung, die ihn so sprechen heißt, dachte er, die Gemälde, die er beständig vor sich sieht, die goldlehnigen Stühle, auf denen er sitzt.

Ich werde auch auf solchen Stühlen sitzen, frohlockte es in ihm, werde auch die Gemälde sehen. Und er sah sich zwischen Baron und Baronin durch ein Spalier von betreßten Dienern unter die neidische Menge vor dem Portal schreiten. Der junge Freiherr aber ging als heimgekehrter verlorener Sohn reumütig hinterdrein.

Man müsse eine Sicherheit haben, sagte Carovius; ob der Herr Baron majorenn sei. Er habe vor kurzem das einundzwanzigste Jahr vollendet, antwortete Eberhard; er habe jedoch Gründe, die ihn bestimmten, ohne die Unterstützung seiner Familie zu leben und auf alle Vermögensrechte bis auf einen gewissen Zeitpunkt zu verzichten. Hauptsächlich sei ihm daran gelegen, dem Verkehr mit berufsmäßigen Geldverleihern auszuweichen.

Ein sehr ernster Fall, äußerte sich Herr Carovius; er verstehe; o, er verstehe sehr gut; auch sei er zu allem bereit, doch müsse ihm klarer Wein eingeschenkt werden. Er sagte dies in einem Ton, als hielte er ein Glas Johannisberger in den Regen hinaus und schnüffelte mit seinen Nüstern.

»Ich bin verschwiegen,« sagte er; »ich bin äußerst verschwiegen.« Er sah den Freiherrn zärtlich an.

Der junge Freiherr nickte.

»Wer einen Purpur trägt, wird überall erkannt,« fuhr Herr Carovius sententiös fort, »und wirft man den Purpur ab, so braucht man verschwiegene Freunde. Ich bin verschwiegen.«

Der Freiherr nickte abermals. »Wenn Sie erlauben, werde ich Sie an einem der nächsten Tage aufsuchen,« beendete er das Gespräch.

Er entfernte sich mit steifen, mißvergnügten Schritten gegen die Allee, während Herr Carovius, eine Arie aus dem Barbier von Sevilla summend, die sich verengende Gasse hinuntertrippelte.


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