Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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11

Eines Abends trat Philippine von der Straße in den Flur, da kam ihr aus dem Schatten ein Mann entgegen, der sie beim Namen rief. Die Stimme erschien ihr bekannt, und als sie näher hinschaute, sah sie, daß es ihr Vater war.

Seit zehn Jahren hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen. Hin und wieder hatte sie ihn auf der Gasse von fern gesehen, war ihm aber in weitem Bogen aus dem Weg gegangen.

»Was gibt's?« fragte sie unfreundlich.

Jason Philipp räusperte sich und suchte aus dem beleuchteten Teil des Flurs wieder in den unbeleuchteten zu gelangen. Er wollte seinen schäbigen Anzug vor den Augen seiner Tochter verbergen.

»Na, hör mal, du,« begann er mit erzwungener Unbefangenheit, »du könntest dich auch hin und wieder nach deinen Eltern umsehen; die paar Schritte täten dir keinen Beinbruch zuziehen. Ehre Vater und Mutter, damit es dir wohlergehe. Deine Mutter hat's schließlich um dich verdient; ich selbst, na, ich hab dich zuzeiten ein bißchen gezwiebelt, aber nur wenn's dringend nötig war. Ein Racker warst du ja, das mußt du zugeben.«

Er lachte, jedoch seine Äuglein glänzten furchtsam. Philippine schwieg.

»Was ich sagen wollte,« fuhr Jason Philipp eilig fort, wie um keine feindseligen Erinnerungen in seiner Tochter entstehen zu lassen, leih mir mal ein kleines Goldstück. Hab morgen früh eine dringende Zahlung zu leisten und bin ganz auf dem Trockenen. Die Jungens, weißt du, deine Brüder, sie benehmen sich ja sonst tadellos, geben mir am Monatsersten gewöhnlich von ihrem Salär was ab; wegen so ner Lappalie mag ich sie aber nicht behelligen. Da hab ich gedacht, weil du so in der Nachbarschaft bist, könnt ich dich ja auch mal bitten.«

Jason Philipp log. Seine Söhne unterstützten ihn nicht. Willibald lebte in Breslau, hatte einen geringbezahlten Buchhalterposten und schlug sich kümmerlich durch; Markus war ein Tunichtgut und steckte bis über die Ohren in Schulden.

Nachdem Philippine eine Weile überlegt hatte, wies sie ihren Vater an, zu warten und ging die Stiege hinauf. Jason Philipp stellte sich unters Tor und pfiff leise. Seit er in edlem Geistesaufruhr die staatlichen Gewalten bekriegt hatte, waren viele Jahre verflossen; und viele Jahre auch, seit er seinen Frieden mit ihnen gemacht hatte. Nichtsdestoweniger pfiff er noch immer die Marseillaise.

Philippine polterte die Stiege herunter, schlurfte zum Tor und gab ihrem Vater ein Fünfmarkstück. »Da,« fuhr sie ihn an, »mehr hab ich selber nicht.«

Aber Jason Philipp war auch mit der Hälfte der geforderten Summe zufrieden. Er konnte nun wieder einmal ins Gasthaus zum Essigbrätlein gehen und zu frischem Bier ein Paar Weißwürste verzehren.

Von da an kam er öfter in das Haus am Egydienplatz, lauerte im Flur auf Philippine und bat sie um Geld. Mit immer kleineren Beträgen speiste ihn Philippine ab; zuletzt gab sie ihm nur noch zehn Pfennige, wenn er kam.


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