Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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4

Ohne der Zeit zu achten, ohne Müdigkeit, ohne bestimmte Gedanken, abgelöst von Pflicht und Gegenwart, wanderte er dann planlos durch die Gassen. Eine Spelunke auf der Insel Schütt sah ihn spät noch als Gast. Zusammengekauert, die Hand vor die Augen gepreßt, nicht sehend, hörend, fühlend, saß er da. Verschütteter Schnaps glitzerte auf dem Tisch wie Grind, Kartenspieler fluchten, der Wirt war betrunken.

Feuerlärm auf der Straße trieb ihn hinaus. Es brannte in der Vorstadt Schoppershof. Der Himmel war gerötet, Rieselregen fiel. Es schien Daniel, als ob die Atmosphäre von einer herzzermalmenden Unglücksahnung durchzittert sei. Über dem Laufertor wirbelte eine Funkengarbe in die Höhe.

Da stieg in grandiosem Bogen die Melodie empor, auf welche er so lange und in vielen verzweifelten Nächten geharrt und offenbarte sich wie mitgeboren zu den Worten der Harzreise: Mit der dämmernden Fackel durchleuchtest du ihm die Furten bei Nacht, über grundlose Wege, auf öden Gefilden.

In schluchzenden Terzen, immer noch einmal zurückstrebend, senkten sich die Stimmen, und oben blieb eine einsam, in der Umkehrung fromm entrückt.

Er summte die Melodie mit bebenden Lippen laut vor sich hin, als ihm im Rosental der Sokrates des neunzehnten Jahrhunderts mit seiner Bande begegnete. Diese also zigeunerten noch immer durch die Nächte.

Sie redeten alle durcheinander; ihr Wegziel war die Feuersbrunst. Unerkannt ging Daniel vorüber, da gellte die Stimme des Malers Krapotkin durchdringend: »Heil dem, was flammt! Heil den Kommenden!« Das Gelächter der Sumpfbrüder verhallte in der Ferne.

Gertrud stand oben am Treppengeländer der Wohnung, mit der Kerze in der Hand. Seit zwölf Uhr wartete sie bei der Stiege. Um elf Uhr hatte sie am Haus des Vaters angeläutet; die erschrockene Lenore hatte ihr, vom Fenster herunter, mitgeteilt, daß sie sich schon um neun Uhr von Daniel getrennt habe.

Er führte die halb entseelte Frau in die Stube. »Warte niemals auf mich, niemals,« sagte er.

Er öffnete das Fenster, wies in den glühenden Himmel hinter der Kirche, und während sie den Kopf mit geschlossenen Augen an seine Schulter lehnte, sagte er mit einer skurrilen Verzerrung seines Gesichts: »Schau hin, es brennt. Heil dem, was flammt. Heil den Kommenden.«


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