Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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2

Daniel wanderte zur Burg hinauf, an den Wällen entlang, über die Brücken und die Stege.

Es war seine Jugend, die ihn die Nacht so lieben ließ, daß er die Menschheit vergaß und sich wie allein auf der Erde erschien; die Jugend, die ihn den Dingen mit Inbrunst überlieferte und ihn fähig machte, Melodien wie Geisterblumen um alles zu flechten, was sichtbar war; Melodien, die so zärtlich, so beredt, so schwebend keine Feder jemals zu Papier gebracht hat und die dahinstarben, wenn die Hand sich ihrer bemächtigen wollte.

Aber es war auch die Jugend, die beim Blick auf gemütlich erleuchtete Fenster sein Auge gehässig entzündete und mit Bitterkeit gegen die Zufriedenen, die Gleichgültigen, die Fremden, ewig Fremden, nichts von ihm Wissenden seine Brust erfüllte.

Er war klein und groß; klein vor der Welt, groß vor sich selbst. Er war ein Gott, wenn die Töne aus ihm sprühten wie Funken von einem Amboß, und ein Ausgestoßener, wenn er im finstern Hof hinterm Stadttheater wartete, bis der Schlußchor der Oper Fidelio durch die Mauern zu ihm drang.

Von überall her rauschten die Quellen, aus Kinderaugen und von den Sternen. Es gab keine Grenze mehr, sein Tag war eine Wildnis, sein Hirn ein durstiges Ackerfeld im Regen, seine Gedanken Sturmvögel, seine Träume Leben über dem Leben.

Er nährte sich von Brot und Obst, nur jeden dritten Tag erlaubte er sich ein warmes Nachtessen in der Wirtschaft zum weißen Turm. Da lauschte er manchmal verstohlen der ungewöhnlich klingenden Unterhaltung einiger junger Leute, und brennend erwachte in ihm das Verlangen nach Aussprache mit Gleichgestimmten. Aber als ihn die Brüder vom Jammertal in ihre Mitte nahmen, glich er doch einem Robinson oder Selkirk, den man von seiner Insel entführt.


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