Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7

Es lag aber nicht in Lenores Art, sich ohne äußerste Kraftanstrengung in ein Unglück zu fügen.

Sie schrieb vierzehn bis sechzehn Stunden am Tage. Die Folge war, daß sie mit ihrem Quantum viel schneller fertig wurde und mehr als dieses Quantum wurde nicht von ihr verlangt.

Dann sah sie sich nach einer einträglicheren Beschäftigung um. Es war vergeblich; Frauenzimmerarbeit stand nirgends hoch im Preis; auch hatte sie keine Empfehlungen, keine Zeugnisse, nichts, worauf sie hinweisen konnte.

Schließlich hatte sie den Einfall, ob sie nicht ihre Blumenkünste verwerten könne. Sie ging zu einem Blumenhändler am Lorenzerplatz und nahm einen aus Nelken und Reseden gewundenen Kranz mit, den sie tags zuvor verfertigt. Sie sagte, sie verstehe sich auf die Hantierung und habe auch hübsche Sträuße gemacht.

Der Mann lachte und antwortete, für dergleichen habe er wenig Verwendung, und wenn sich auch Käufer fänden, sei die Bezahlung allzu gering, als daß dem Fräulein die Arbeit lohnen könne. Tief entmutigt trug Lenore ihren Kranz wieder heim. Sie sah ja selbst, was für ein vergängliches Ding es mit den Blumen war; am Abend welkten sie schon dahin.

Sie hatte nicht wahrgenommen, daß ein Herr, als sie den Laden des Blumenhändlers verlassen, auf der andern Seite der Straße stehen geblieben war, um ihr nachzuschauen. Es war ein hagerer, junger Herr von verdrossenem, bläßlichem Aussehen, ein Herr mit einem Drosselbart-Kinn.

Er schaute lange in die Richtung, nach der sich Lenore entfernt hatte. Sicherlich hatte etwas im Wesen und im Gesichtsausdruck des Mädchens seine besondere Aufmerksamkeit erweckt, ein Gefühl, das edler war als Neugierde und ernster als das Wohlgefallen eines Müßiggängers.

Der junge Herr setzte sich endlich in Bewegung, stelzte gravitätisch über den Platz und betrat den Laden des Händlers. Eine Weile später riß der Blumenhändler, ein bejahrter Mann mit einer Säufernase, die Türe auf und zugleich sein Käppchen vom Kopf, und dies wie auch sein tiefer Bückling verkündeten den benachbarten Ladeninhabern, daß er ein nicht alltägliches Geschäft mit dem jungen Herrn abgeschlossen habe, der mit lässigen Schritten von dannen ging. Am nächsten Morgen kam ein Bursch zu Lenore, der Abgesandte des Blumenhändlers, und richtete ihr aus, sie möge sogleich zu seinem Prinzipal kommen, er habe ihr was Wichtiges mitzuteilen. Lenore folgte dem Ruf und als sie im Laden des Händlers war, begrüßte sie der mit einer seltsamen Artigkeit und sagte ihr, es habe sich gestern noch ein Liebhaber für derlei Sträuße und Kränze gefunden, wie sie ihm gezeigt, und er könne ihr in jeder Woche zwei, nötigenfalls auch drei Stück zu je zwanzig Mark abnehmen; sie solle sich nur fleißig dranhalten, bei solchem Glücksregen müsse man das Schaff vor die Türe stellen. Das einzige, worum er sie ersuche, sei Verschwiegenheit, die betreffende Kundschaft wolle weder gesehen werden, noch sich mit Namen nennen; offenbar stecke dahinter eine Schrulle, wie man sie bei vornehmen Leuten häufig finde.

Wer war seliger als Lenore! Sie machte sich gar keine Gedanken über das Ungereimte und Märchenhafte in dem Angebot eines Mannes, der ihr vorher so schlau und vorsichtig erschienen war. Sie glaubte ohne weiteres an die wortreiche Erzählung des Händlers, glaubte, daß es in dieser Stadt und unter ihren Menschen einen Sonderling gäbe, der für ihre Blumengebinde solch fürstliche Preise aus reiner Liebhaberei zahlen wolle. Sie war nicht verwöhnt vom Glück, dennoch erweckte die Wandlung der Umstände durchaus keinen Argwohn, ja nicht einmal Befremdung in ihr; sie war zu froh, um zu mißtrauen, zu dankbar, um zu zweifeln, und sie dachte nur an Daniel und daß er nun gerettet war. Den ganzen Weg nach Hause lächelte sie traumverloren.

Dann saß sie Abend für Abend bei den Blumen, die sie am Vormittag aus dem Wald, von den Wiesen und aus den Gärten hinter der Feste geholt hatte. Dort war ein alter Gärtner, der sie begleitete und ihr immer die prächtigsten Zierblumen aussuchte. Auch hatte er einen lahmen Sohn, der verliebte sich in Lenore und stand meist mit strahlender Miene an der Pforte, wenn sie kam. Er versprach ihr auch für den Winter Blumen aus den Treibhäusern.

Der Metzger wurde bezahlt, der Bäcker wurde bezahlt, der Drogist wurde bezahlt, die Miete wurde bezahlt, und Philippine riß die Augen auf, schüttelte den Kopf und sagte, da sei etwas nicht geheuer; was es sei, werde gewiß ans Tageslicht kommen, und wenn's der Hinkel vom Mist kratzen sollte. Sie berichtete den Leuten von einem Gespenst, welches allnächtlich auf dem Dachboden des Hauses sein Unwesen treibe und einmal, bei Mondschein, rannte sie schreiend aus ihrer Kammer und beteuerte, ein knöcherner Finger habe ans Fenster geklopft.

Lenore aber band Rosen und Levkoien und Tulpen und Stiefmütterchen und Moosblumen und allerlei anderes Gewächs zu reizenden, teppichartigen Gebilden oder zu Girlanden; mit vieler Liebe gab sie sich dieser Beschäftigung hin und atmete dabei in solchen Wohlgerüchen, daß ihr manchmal schwindlig wurde. Dann lehnte sie sich aus dem offenen Fenster und sang leise in die Nacht hinein.

Daniel wußte nichts von ihrer Tätigkeit. Wie er sich um die Not nicht gekümmert hatte, so fragte er auch jetzt nicht, woher die Fülle kam.


 << zurück weiter >>