Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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15

Daniel bat Benda, an der Stiege zu warten, sperrte das Gatter auf und nahm seinen Hut vom Haken. Im Wohnzimmer herrschte großer Lärm und ununterbrochenes Gelächter. Philippine trat aus ihrer Kammer und brummte: »Was die heut wieder treiben; machen einen Spektakel wie die B'soffenen.«

»Was ist denn los?« erkundigte sich Daniel scheu, nur um etwas zu sagen.

»Blindekuh spielen s' halt,« versetzte Philippine geringschätzig, »lauter alte Menschen, und spielen Blindekuh.«

Da erschallte ein Klirren wie von einem zerbrechenden Teller, ein durchdringender Schrei folgte, dann ein kurzes Schweigen, dann wieder jenes allgemeine, widrig klingende Gelächter.

In der schreienden Stimme hatte Daniel die Dorotheas erkannt. Er eilte zur Tür und öffnete sie jäh.

Sein zorniger Blick umfaßte den Tisch, auf dem sich Kannen, leere Tassen und Bäckereien befanden, die beiseite geschobenen Stühle, den neuen Gaslüster, den Dorothea angeschafft, mit seinen fünf in Milchglaskugeln brennenden Flammen, und sieben oder acht Personen, die um Dorothea gruppiert waren und, immer noch lachend, einen zu Boden gefallenen Gegenstand betrachteten.

Dorothea hatte die weiße Binde, die sie während des Blindekuhspiels vor den Augen gehabt, auf die Stirn geschoben. Sie war die erste, die Daniels ansichtig wurde und rief aus: »Da ist ja mein Mann. Zank nicht, Daniel, es ist bloß das dumme Gipsgesicht.«

Der Hofrat Finkeldey, ein weißbärtiger Faun, nickte begeistert in die Richtung, wo Daniel stand. Es war seine Art, Dorothea zu huldigen, daß er alles, was sie sagte, mit einem begeisterten Nicken begleitete.

Daniel aber sah, daß die Maske der Zingarella zertrümmert war.

Ohne zu grüßen, ohne einen von den Gästen eines Blickes zu würdigen, schritt er in den Kreis, kniete nieder und versuchte, die zerbrochnen Stücke der Maske wieder zusammenzulegen. Aber es waren der Trümmer zu viele; die Nase, das Kinn, Teile der herrlichen Stirn, ein Stück mit dem wehen Mundbogen, ein anderes von der Wange, es ließ sich nichts fügen.

Da schleuderte er mit einer einzigen Bewegung die Scherben auseinander und richtete sich wieder empor. »Philippine, den Besen!« befahl er laut. Und als Philippine den Besen brachte, fügte er hinzu: »Kehr den Dreck hinaus und wirf ihn auf den Mist.«

Philippine kehrte, und Daniel verließ ohne Gruß, wie er gekommen war, die Stube.

Die Kommerzienrätin Feistmantel machte ein entrüstetes Gesicht, Edmund Hahn blies den Atem durch die Nase, Herr Samuelsky, ein dicker Mensch mit einem roten Bart, murmelte eine verächtliche Bemerkung. Dorothea standen vor Ärger und Verdruß die Tränen in den Augen.

Benda hatte am Gatter still gewartet. »Sie hat mir die Maske zerbrochen,« sagte Daniel mit verzerrtem Lächeln, als er zu ihm trat; »die Maske, die du mir einst geschenkt hast, erinnerst du dich? Sonderbar, daß es gerade heute ist, gerade bei unserm Wiedersehen.«

»Man kann sie vielleicht kitten,« wagte Benda zu trösten.

»Ich bin nicht fürs Kitten,« antwortete Daniel, und hinter den Brillengläsern funkelte es grün.


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