Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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4

Am Behaimdenkmal mäßigte er seinen Schritt. In geringer Entfernung vor sich erblickte er einen Mann und eine Frau. Er erkannte sofort Dorothea in der Frau.

Sie sprachen hastig und mit unterdrückten Stimmen. Daniel folgte ihnen, und als sie sich am Platz zum Haustor wandten, blieb er im Schatten der Kirche stehen.

Der Mann schien ungehalten, ja aufgebracht, Dorothea redete beschwichtigend auf ihn ein. Sie stand dicht bei ihm, hatte seine Hand ergriffen und behielt sie in der ihren, bis sie das Tor aufsperrte. Zuletzt flüsterte sie, schaute besorgt am Haus empor und sagte dann ziemlich laut: »Gute Nacht, Edmund. Träum süß.«

Der Mann entfernte sich, ohne den Hut zu lüpfen; Dorothea huschte ins Tor.

Daniel zitterte am ganzen Leibe. In seinen Augen war etwas mystisch Flehendes. Er sah, wie oben Licht angezündet wurde und der Vorhang über das Fenster fiel. Die Stille des Platzes folterte ihn, und als die Glocke vom Turm elf Uhr schlug, glaubte er, sein Blut brülle in den Ohren.

Mit schweren Schritten schleppte er sich endlich ins Haus. Dorothea, schon im Schlafrock, saß in der Wohnstube am Tisch und nähte ein Band an dem Kleid fest, das sie getragen.

Sie wechselten den Gruß, Daniel stellte sich in ihrem Rücken an den Ofen und starrte wie gebannt auf ihren niedergebeugten Nacken. Es fröstelte ihn fortwährend.

»Von wem sind die Straußfedern?« fragte er auf einmal rauh. Die Frage entfuhr ihm selbst unerwartet. Er hatte etwas anderes sagen wollen.

Mit einem Ruck hob Dorothea den Kopf. »Ich hab dir's ja gesagt,« erwiderte sie, und er nahm wahr, daß sie sich verfärbte.

»Ich kann nicht glauben, daß dir eine fremde Person, und noch dazu eine Frau, so wertvolle Geschenke macht,« sagte Daniel langsam.

Dorothea stand auf und sah ihn unsicher an. »Gut, wenn du's absolut wissen willst, ich hab sie mir gekauft,« stieß sie trotzig hervor. »Aber brauchst mich nicht anzuschnauzen, ich werd mir das Geld schon verschaffen. Das paßt mir einfach nicht, daß ich mir jede Ausgabe soll vorschreiben lassen.«

»Es ist nicht wahr, daß du die Federn gekauft hast,« schnitt Daniel ihr das Wort ab.

»Nicht gekauft und nicht geschenkt bekommen, also was denn sonst? Gestohlen vielleicht?« höhnte Dorothea mit feig entfliehendem Blick.

Niemals hab ich so mit Menschen gesprochen, niemals haben Menschen so mit mir gesprochen, durchzuckte es Daniel. Er wurde furchtbar bleich, trat zu ihr, schloß seine Hand wie eine Eisenklammer um ihren Arm und sagte: »Es soll mir recht sein, wenn du mein Geld verschwendest. Es soll mir recht sein, daß du in nichtswürdiger Gesellschaft deine Zeit vertändelst. Es soll mir recht sein, daß dir mein Wohlbefinden und meine Seelenruhe gleichgültig ist und daß du dein armes Kind verkommen läßt. Ich will mich in alles dieses fügen. Wozu brauch ich regelmäßiges Essen; wozu muß mein Frühstückskaffee warm, mein Wecken frisch vom Backofen, wozu muß meine Wäsche ausgebessert, mein Fenster geputzt, mein Spind in Ordnung gebracht, meine Stube gekehrt sein? Es ist mir ja nicht an der Wiege gesungen worden, daß ich soll behaglich leben dürfen.«

»Och, du tust mir weh, Daniel,« sagte Dorothea in bangem Ton, »laß, bitte, meinen Arm los.«

Er lockerte den Druck, ließ aber den Arm nicht los. »Geh du, mit wem du willst. Mögen die dich schätzen, die dir wert sind. Und was das Geld betrifft, da hast du alles, da ist all mein Geld.« Er zog einen gestrickten Beutel aus der Tasche, der voll Münzen war, und schleuderte ihn auf den Tisch. »Ich will, damit du schöne Kleider hast, am Sonntag die Orgel spielen. Ich will, damit du Maskenbälle und Christbaumverlosungen besuchen kannst, noch zwanzig unmusikalische Idioten mehr unter die Fuchtel nehmen. Ich will ein übriges tun und mich verpflichten, nie eine Frage über dein Treiben zu stellen, nicht, wo du herkommst, noch, wo du hingehst; aber hör mich an, Dorothea,« hier schwoll seine Stimme, und sein Gesicht sah furchteinflößend aus, »vergreif dich an meinem Namen nicht! Er ist mein einziges Gut. Mit ihm bin ich bei der Menschheit in höchster Schuld. Er gibt mir nicht bloß das, was man bürgerliche Ehre heißt, er gibt mir die Ehre, mit der ich vor meinem Geschaffenen bestehe. Womit du dich an ihm vergreifst, das ist die Lüge. Durch die Lüge besudelst und erniedrigst du ihn. Nicht so sehr, wie du dir vielleicht einbildest, zittere ich davor, als Hahnrei verschrien zu werden. Zwar, die Vorstellung macht mein Blut heiß; ich bin Mann genug, um Mordgelüste zu spüren, wenn ich mein Weib in den Armen eines andern denke. Aber der unterste Schlund der Verdammnis wär es für mich, wenn du mir die Wahrheit, die ich dir gegeben habe, mit Lüge heimzahlst. Du kannst mich nicht für so gemein und selbstsüchtig halten, daß ich's nicht begreifen sollte, wenn sich dein Herz verändert. Doch nur in der Wahrheit kann ich mit einem andern Menschen Seite an Seite leben; die Lüge zerstört mein göttliches Teil, sie ist mir wie Aas und Verwesung. So sage mir also, ob du wahr gegen mich bist. Fürchte dich nicht, Dorothea, schäm dich nicht; noch kann alles gut werden, sage mir, ob du mich hintergehst.«

»Ich dich hintergehen?« hauchte Dorothea und schaute ihm, ohne daß ihre Wimpern sich regten, wie hypnotisiert in die Augen, »wieso denn hintergehen? Traust du mir eine solche Niedertracht wirklich zu?«

»Du hast keinen Geliebten? Kein anderer Mann hat dich berührt, seit du meine Frau bist?«

»Einen Geliebten? ein anderer Mann mich berührt?« wiederholte sie mit demselben hypnotisierten Blick. In ihrem Kindergesicht war der Glanz lauterster Redlichkeit und Unschuld.

»Auch hast du keine heimlichen Zusammenkünfte gehabt, keine verräterischen Briefe empfangen oder geschrieben, nichts versprochen, auch nicht im halben Spaß?«

»Och, im Spaß, Daniel, das weiß ich nicht, man redet so manches, du kennst mich doch.«

»Und du versicherst, daß all der dunkle Schimpf, der um mich raunt, und zu dem du ja manche Veranlassung gegeben hast, nur Bosheit und Verleumdung ist?«

»Ja Daniel; Bosheit und Verleumdung.«

»So soll dir also Gott keine ruhige Stunde mehr schenken, wenn du mich belogen hast? willst du das, Dorothea?«

Dorothea stockte; sie blinzelte ein wenig. Dann antwortete sie leise: »Das sind gräßliche Worte, Daniel. Aber wenn du darauf bestehst, mag's so sein.«

Daniel atmete auf, als fiele ihm eine Zentnerlast von der Brust. In dankbarer Bewegung drückte er die Frau an sich.

Doch da widerte ihn etwas. Ihm war, wie wenn er gar keinen Rhythmus in dem Geschöpf verspüre, wie wenn er ein Wesen ohne Schwingung, ohne Gefüge, ohne Gesetz umarme. Ganz von neuem und von einer neuen Richtung her begann die Qual an ihm zu nagen.

Als er die Tür zum Flur öffnete, raschelte es draußen, und eine dunkle Gestalt floh gegen die hofwärts gelegene Kammer.


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