Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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8

Lenore brachte das Buch von Manon Lescaut zurück. Als Daniel fragte, wie es ihr gefallen habe, schwieg sie. Da er das Buch gern hatte, fing er an zu schelten.

Sie sagte: »Ich kann keine Bücher lesen, in denen so viel von Liebe die Rede ist.«

Er blickte vor sich nieder, um ihre Stimme verklingen zu lassen. Es war ein Geigenton in ihrer Stimme, dessen Zauber er sich nicht entziehen konnte. Als ihm zum Bewußtsein gekommen, was sie gesagt, lachte er kurz und meinte, das sei Ziererei. Sie schüttelte den Kopf. Da hänselte er sie wegen des Verkehrs mit dem jungen Auffenberg und fragte, ob ihr die Liebessachen auch in der Wirklichkeit so zuwider seien.

Die Flammenbläue in ihren Augen zwang seinen Blick zur Erde. Die Erfahrung war ihm nicht angenehm, daß ihr Blick stärker war als der seine. Sie ging fort und ließ sich ein paar Tage nicht sehen.

Als sie wieder kam, war er einfältig genug, seinen Spott zu erneuern. Da setzte sie sich in die Sofaecke und blickte ihm forschend ins Gesicht. »Wollen wir Freunde bleiben, Daniel?« fragte sie.

Er sah sie verwundert von der Seite an; nicht etwa, weil er ihre Lieblichkeit und kraftvolle Anmut bemerkt hätte, sondern weil der Geigenton in ihrer Kehle noch tiefer und reiner klang. Aber ohne Lippenverziehen und ohne daß man die Hände in die Hosentasche steckte, war die Frage nicht zu bejahen.

Sie sagte, sie wolle sich nicht so wichtig vor ihm machen, daß sie verlange, anders als andere Mädchen von ihm betrachtet zu werden. Aber in einem Punkt wolle sie ihn bitten, ihr ein Vorrecht einzuräumen, eben um der Freundschaft willen. Er möge nicht über Liebe mit ihr sprechen, im Scherz nicht und im Ernst nicht. Es sei dieses Wort seit langen, langen Tagen für sie gleich einem Gespenst. Warum es so sei, das könne sie ihm nicht sagen, jetzt nicht, vielleicht später einmal, viel später, wenn sie beide alt geworden. Suche sie sich zu erinnern, suche sie das Halbvergessene festzuhalten, so werde alles matt und kalt in ihr, obwohl der andere vielleicht, der es zu wissen bekäme, es nicht begreifen würde. Aber es läge ihr im Blut so, und man möge sie schonen.

Ihr Gesicht drückte tiefen Ernst aus und glich einem alten Bild. Und in ihren Worten lag etwas von einem Traum.

»Wenn es sonst nichts ist, das kann ich Ihnen ruhig versprechen, Lenore,« sagte Daniel, und gerade in der Gutmütigkeit, die er jetzt zeigte, war etwas Fühlloses, als sei das Geheimnis, auf das sie bewegt hingedeutet, weit weg von seiner egoistisch beschlossenen Welt. Draußen im Garten plätscherte die kleine Fontäne, und er horchte nach dem dominierenden Ton in dem Geplätscher.

Lenore wandte sich ihm nun mit ganz neuer Offenheit zu. Alles war jetzt ein wenig näher bei ihm, ihr Blick, ihre Hand und ihre Worte.


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