Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Neunundsechzigstes Kapitel

Mein Oheim geht wieder zur See, mein Vater aber nebst seiner Familie nach Schottland, wo wir unseren Wohnsitz für immer aufschlagen

 

Da mein Vater den Wunsch hatte, den Ort seiner Geburt wieder aufzusuchen und am Grabe meiner Mutter einige Tränen zu vergießen, so beschlossen wir, Narzissa und ich, ihn zu dieser frommen Pflicht zu begleiten. Demzufolge wurden alle Anstalten zur Reise getroffen. Mein Oheim wollte sie nicht mitmachen, weil er entschlossen war, noch einmal sein Glück zur See zu erproben. Indessen erneuerte er sein Testament zugunsten von mir und meiner Frau und legte es in die Hände seines Schwagers nieder. Ich meinerseits forderte indes, um meinen Vorteil auf keinerlei Weise zu versäumen, den Squire auf, seines Vaters Letzten Willen gerichtlich beizubringen, und nahm einen Sachwalter an, um in meiner Abwesenheit vertreten zu sein.

Nachdem diese Anstalten getroffen waren, nahmen wir von allen unseren Londoner Freunden Abschied und machten uns auf den Weg nach Schottland, Don Rodrigo, Narzissa, Miß Williams und ich zu Wagen, Strap und zwei andere Bediente aber zu Pferde. Da wir unterwegs öfters Rast machten, konnte mein trautes Weib die Beschwerlichkeiten der Reise recht gut aushalten. Endlich langten wir in Edinburgh an, wo wir einige Wochen zu bleiben uns vornahmen.

Hier erfuhr mein Vater, sein Neffe, der Fuchsjäger, habe sein Landgut durchgebracht und es solle öffentlich verkauft werden. Sogleich entschloß er sich, den Fleck Erde zu kaufen, auf dem er geboren war, und erstand auch wirklich sein väterliches Erbe.

Wenige Tage nach diesem Kauf verließen wir Edinburgh, um von dem Gut Besitz zu nehmen. Unterwegs hielten wir unser Nachtlager in der Stadt, wo ich erzogen worden war. Als ich mich nach meinem ehemaligen Bekannten erkundigte, vernahm ich, daß Crab tot sei. Ich schickte zu seinem Testamentsvollzieher, zahlte diesem die schuldige Summe samt den Zinsen aus und nahm meine Obligation zurück.

Als Potions unsere Ankunft vernommen hatten, waren sie so dreist, in das Wirtshaus zu kommen, wo wir logierten, und sich bei meinem Vater und mir melden zu lassen, um uns, wie sie sagten, ihre untertänigste Aufwartung zu machen. Allein ihr schmutziges Betragen gegen mich, als ich noch Waise war, hatte einen zu tiefen Eindruck auf mich gemacht, als daß er durch diesen kriechend-demütigen Schritt hätte können ausgelöscht werden. Daher ließ ich sie auf eine geringschätzige Art durch Strap abweisen und ihnen sagen, mit so niedrigdenkenden Leuten wie ihnen möchten wir keinen Umgang haben.

Potions waren kaum eine Viertelstunde weg, als ein Frauenzimmer unangemeldet zu uns ins Zimmer trat. Sie ging gerade auf meinen Vater los und redete ihn so an: »Ihre Dienerin, mon cher oncle, ich freue mich, Sie wohl zu sehen.« Diese Person war niemand anders als eine der Mühmchen, deren ich im Anfange meiner Geschichte gedacht habe. Don Rodrigo entgegnete: »Um Verzeihung, Madam, wer sind Sie?« – »Oh, mein Vetter Rory da kennt mich gewiß«, rief sie. »Erinnern Sie sich meiner nicht, Rory?« – »Sehr gut, Madam«, versetzte ich, »und ich werde Ihrer nie vergessen. – Das ist«, fuhr ich gegen meinen Vater fort, »eine von den jungen Damen, die mich, wie ich Ihnen schon früher erzählt habe, in meiner Kindheit mit soviel Menschlichkeit behandelt haben.« Bei diesen Worten glühte meines Vaters Gesicht vor Unwillen, und er befahl ihr mit so gebieterischem Blick, zu gehen, daß sie sich voller Schreck entfernte. Die Treppe hinunter murmelte sie Flüche auf uns.

Wir erfuhren bald darauf, daß sie mit einem Fähnrich verheiratet wäre, der ihr ganzes Vermögen durchgebracht, und daß ihre Schwester ein Kind von einem Bedienten bekommen, mit dem sie sich sodann trauen lassen und eine elende Kneipe auf dem Lande angelegt habe.

Da der Ruf von unseren blühenden Umständen uns an dem Ort unseres Nachtlagers vorausgegangen war, so beschloß der Magistrat, wie wir vernahmen, uns den folgenden Tag mit dem Bürgerrecht zu beehren. Mein Vater, der dieses Kompliment aus dem rechten Gesichtspunkt ansah, befahl, daß die Pferde mit frühestem Morgen gebracht würden. Darauf machten wir uns auf den Weg nach unserem Gut, das ungefähr zwanzig Meilen von diesem Ort ab lag.

Als wir noch eine halbe Meile bis zum herrschaftlichen Wohngebäude hin hatten, kam eine ungeheure Menge von Gutsuntertanen, Männer, Weiber und Kinder. Diese armen Leute bezeigten ihre Freude durch lautes Jubelgeschrei und geleiteten uns bis vor das Tor. Da in keinem Lande die Bauern mehr an ihren Herren hängen als in Schottland, so wurden wir beinahe vor Liebe von ihnen verschlungen. Mein Vater war immer ihr Liebling gewesen, sie hatten ihn längst tot geglaubt und sahen ihn nun wieder als ihren Herrn. Ihr Entzücken darüber offenbarte sich durch tausenderlei Freudenbezeigungen.

Wie wir in den Hof kamen, versammelte sich eine große Anzahl von ihnen um uns. Sie drängten sich dermaßen, daß einige in Gefahr standen, zerquetscht zu werden. Die dem Don Rodrigo am nächsten waren, fielen auf ihre Knie, küßten ihm die Hand oder den Saum seines Kleides und beteten laut für sein Leben und sein beständiges Wohlergehen. Andere taten ein gleiches bei Narzissa und mir, die übrigen standen von ferne, klatschten in die Hände und flehten zum Himmel, seinen besten Segen über uns herabzuschütten. Kurz, dieser Auftritt hatte trotz aller seiner Rauhigkeit so viel Rührendes, daß die holde Besitzerin meines Herzens darüber weinen mußte. Selbst mein Vater konnte es nicht verhindern, daß ihm einige Tränen kamen.

Nachdem er seine Tochter und mich in seinem Hause willkommen geheißen hatte, befahl er, daß einige Rinder geschlachtet und einige Tonnen starkes Bier aus dem benachbarten Dorf herbeigeschafft würden, um diese ehrlichen Leute damit zu bewirten, die seit vielen Jahren keinen solchen Festtag mehr gehabt hatten.

Den folgenden Tag besuchten uns die benachbarten Gutsbesitzer, meistens unsere Verwandten. Einer von ihnen brachte meinen Vetter, den Fuchsjäger, mit, der sich seit der Zeit bei ihm aufgehalten hatte, da er das großväterliche Erbe zu räumen genötigt gewesen. Mein Vater war so großmütig, ihn recht freundschaftlich zu empfangen. Ja er tat ihm sogar das Anerbieten, ihm eine Offiziersstelle zu kaufen, worüber jener viele Dankbarkeit und Freude äußerte.

Überall ward meine liebenswürdige Narzissa wegen ihrer Schönheit, Leutseligkeit und wegen ihres Verstandes bewundert und geliebt. Sie fand ihrerseits an der Lage des Ortes und den Nachbarn ringsumher so viel Behagen, daß sie bis jetzt nicht das mindeste Verlangen nach einer anderen Wohnung trägt.

Einige Tage nach unserer Ankunft vermochte ich meinen Vater dahin, mit mir das Dorf zu besuchen, wo ich in die Schule gegangen war. Die vornehmsten Einwohner empfingen uns und führten uns nach der Kirche. Dort hielt Syntax, der Schulmeister (denn mein Tyrann war indes gestorben), eine lateinische Rede zu Ehren unserer Familie. Niemand tat sich in Ehrenbezeigungen gegen uns mehr hervor als Straps Vater und Verwandte. Sie sahen meinen ehrlichen Diener als die Hauptperson ihrer Familie an und wußten daher nicht, wie sie ihre Verehrung genugsam an den Tag legen sollten.

Nachdem wir die Huldigung entgegengenommen hatten, stifteten wir vierzig Pfund für die Armen des Kirchspiels und zogen uns zurück.

Strap, der sich ganz erhaben dünkte wegen all der Ehren, die man ihm erwiesen hatte, faßte sich noch an demselben Abend ein Herz und gestand mir, daß er eine heimliche Liebe zu Miß Williams hege. Zugleich bat er meine Frau und mich, unseren Einfluß bei Miß Williams zu seinen Gunsten geltend zu machen. Dann würde sie zweifellos seinem Antrag Gehör schenken.

Ich war sehr überrascht über seine Ansicht und fragte ihn, ob er die Geschichte dieses unglücklichen jungen Frauenzimmers nicht kenne. Er erwiderte: »Jaja, ich weiß schon, worauf Sie anspielen. – Sie ist sehr unglücklich gewesen, das geb ich zu. Doch was tut das schon? Ich bin fest überzeugt von ihrer moralischen Besserung. Sonst würden Sie und meine gute Herrin sie nicht mit solcher Achtung behandeln. Und auf das Urteil der Welt lege ich nicht den geringsten Wert. – Außerdem wissen ja die Leute nichts von ihrer Vergangenheit.«

Ich billigte seine Philosophie und interessierte Narzissa für seine Angelegenheit. Sie wurde ihm bei Miß Williams eine so warme Fürsprecherin, daß diese kurz danach ihre Einwilligung gab. Mit Genehmigung Don Rodrigos wurden sie bald darauf getraut. Er gab Strap fünfhundert Pfund, damit er das nötige Vieh für eine Landwirtschaft anschaffen konnte. Außerdem machte er ihn zu seinem Gutsinspektor. Meine hochherzige Bettgenossin gab ihrer Kammerjungfer die gleiche Summe. So leben die beiden jetzt friedlich und sorgenlos, nicht mehr als eine halbe Meile von uns entfernt, und beten täglich für unser Wohlergehen.

Wenn es auf Erden so etwas gibt wie wahres Glück, dann ist es mir zuteil geworden. Der ungestüme Überschwang meiner Leidenschaft hat sich nun gelegt und gemildert zu zärtlicher Hingabe, zu einem Ruhen in der Liebe, die begründet ist auf innige Verbundenheit und Austausch der Herzen, wie sie nur eine tugendhafte Ehe zuwege bringen kann.

Fortuna scheint beschlossen zu haben, mich für ihre frühere Grausamkeit zu entschädigen; denn mein Anwalt schreibt mir, daß ich bestimmt das Vermögen meiner Frau erhalten werde, trotz der Klausel im Testament meines Schwiegervaters, auf die der Squire seine Ansprüche gründet. Im Nachtrag befindet sich nämlich ein Zusatz, der jene Klausel erklärt und auf das Alter von neunzehn Jahren beschränkt. Nach dieser Zeit soll die Erbin selbst über sich verfügen.

Ich wäre sofort bei Empfang dieser Nachricht nach London gefahren; aber mein lieber Engel ist in letzter Zeit unwohl und beginnt um die Taille herum bemerkenswert rundlich zu werden. Natürlich kann ich sie in einem so interessanten Zustand nicht verlassen, der, wie ich hoffe, etwas hervorbringen wird, was mein Glück vollkommen macht.

 


 


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