Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Zweiunddreißigstes Kapitel

Militärische Operationen

 

Nachdem unsere Leute auf die obenerwähnte Art gelandet und gelagert waren, bestand ihre erste Beschäftigung darin, eine Faschinenbatterie zu errichten, um von dieser das Hauptfort der Feinde zu beschießen. In etwas mehr als drei Wochen war dies Werk zustande, und die Kanonade nahm ihren Anfang. Um den Spaniern so viele Ehre als nur möglich zu erzeigen, beschloß man in einem Kriegsrat, daß fünf von unseren größten Schiffen das Fort von der einen Seite angreifen sollten, indes die Batterie, die mit zwei Mörsern und vierundzwanzig Coehoorns besetzt war, von der anderen Seite die Attacke machte.

Unser Schiff befand sich unter denen, die zum Angriff kommandiert waren. Die Nacht zuvor befahl man uns, alles zu der Unternehmung in Ordnung zu bringen. Hierbei entstand zwischen dem Kapitän Oakum und seinem geliebten Vetter und geheimen Rat Mackshane ein Zwist, der beinahe mit einem völligen Freundschaftsbruch geendigt hätte. Der Doktor hatte sich bisher nämlich vorgestellt, in dem Teil des Schiffes, wo die Wundärzte ihre Wohnung haben, sei vom feindlichen Geschütz so wenig Gefahr zu besorgen wie im Mittelpunkt der Erde. Allein vor kurzem erfuhr er, ein Unterchirurgus von einem andern Schiff wäre an ebendem Ort durch eine Kanonenkugel aus zwei kleinen Redouten, welche vor der Landung unsrer Soldaten zerstört waren, getötet worden. Mackshane bestand daher darauf, daß im Kielraum für Verwundete und Kranke eine Stellage aufgerichtet würde, weil er dort weit sicherer zu sein glaubte als in dem Deck darüber.

Den Kapitän verdroß diese außerordentliche Zumutung, und er beschuldigte ihn der Verzagtheit. Zugleich sagte er ihm, im Kielraum sei für derlei Dinge kein Platz, und wenn er auch da wäre, so dürfte er doch nicht darauf rechnen, daß man ihm mehr verstatten werde als den übrigen Wundärzten auf der Flotte, die sich zu diesem Behuf ihres Quartiers bedienten.

Die Furcht machte Mackshane so hartnäckig, daß er auf seiner Forderung bestand und seine Instruktion vorzeigte, die ihn dazu berechtigte. Der Kapitän schwor, diese Schrift sei von einem Pack elender Memmen aufgesetzt worden, die nie zur See gewesen wären. Dessenungeachtet sah er sich genötigt, in Mackshanes Verlangen zu willigen. Zu dem Zweck schickte er nach dem Zimmermann, um ihm die erforderlichen Befehle zu erteilen. Allein eh diese Maßregeln befolgt werden konnten, bekam unser Schiff sein Signal, und der Doktor mußte seinen Körper unserer Wohnung anvertrauen, wo Morgan und ich beschäftigt waren, unsere Instrumente und Bandagen in Bereitschaft zu setzen.

Unser Schiff lichtete nebst den übrigen zu dieser Unternehmung bestimmten unmittelbar den Anker, und in weniger als einer halben Stunde ließen wir ihn vor dem Kastell Boca Chica wieder fallen. Nun begann die Kanonade, die in der Tat schrecklich war. Der Oberchirurgus bekreuzigte sich und fiel platt auf den Boden hin; der Kaplan und der Proviantmeister, die uns zum Beistand zugeordnet waren, folgten seinem Beispiel. Der Waliser und ich saßen indes auf einer Kiste, sahen einander sehr verstört an und konnten uns kaum enthalten, die nämliche Stellung anzunehmen.

Damit der Leser nicht etwa denke, daß wir nur durch einen alltäglichen Vorfall erschüttert wurden, so will ich ihm ausführliche Nachricht von dem höllischen Getöse und Gekrache geben, das uns so niederdonnerte. Die Spanier feuerten aus vierundachtzig großen Kanonen, einen Mörser und das kleine Gewehr ungerechnet, von Boca Chica; aus sechsunddreißig vom Fort Sankt Joseph; aus zwanzig von zwei Faschinenbatterien; und von vier Kriegsschiffen, deren jedes vierundsechzig Stücke führte. Dies beantworteten wir durch unsere Landbatterien, die mit einundzwanzig Kanonen, zwei Mörsern und vierundzwanzig Coehoorns besetzt waren, und aus fünf großen Schiffen von siebzig oder achtzig Kanonen, die in einem fort feuerten.

Wir hatten erst einige Minuten gefochten, als ein Bootsmann seinen Kameraden auf dem Rücken wie einen Hafersack zu uns hereinbrachte und ebenso ablud. Zu gleicher Zeit steckte er ein großes Stück Tabak in den Mund, ohne weiter ein Wort zu sagen.

Morgan untersuchte unmittelbar darauf den Zustand des Verwundeten und rief alsdann ganz laut: »Der Mann ist so tot wie mein Großvater. Dafür bürge ich.« – »Tot?« sagte sein Kamerad. »Mag sein, daß er jetzt tot ist, aber ich will verdammt sein, als ich ihn aufhuckte, war er noch am Leben.« Mit diesen Worten wollte er fortgehen, allein ich bat ihn, den Leichnam mitzunehmen und über Bord zu werfen. »Hol der Teufel die Leiche!« sagte er, »ich denke, es ist höchste Zeit, daß ich für meinen eignen Leichnam sorge.«

Mein Kollege verfolgte diesen Menschen die halbe Leiter hinauf mit seinem Amputationsmesser und schrie ihm nach: »Du Lausekerl, ist dies der Kirchhof oder das Beinhaus, oder die Grabstätte, oder das Golgatha des Schiffes?« Allein er wurde mitten in seinem Lauf durch eine Stimme aufgehalten, die ihm zurief: »Heda, wo seid Ihr – Achtung, Bombenhitze!« – »Ja, Bombenhitze«, antwortete Morgan, »weiß Gott, heiß genug ist's in der Tat. Wer seid Ihr?« – »Hier ist jemand«, antwortete die Stimme. Sofort erkannte ich, das war mein wackerer Freund Jack Rattlin, der auf mich zukam und ganz kaltblütig sagte, er wäre gekommen, um sich nun schließlich doch amputieren zu lassen. Dabei zeigte er mir den Überrest einer Hand, die durch einen Kartätschenschuß zerschmettert war.

Ich bezeigte ihm über diesen Unfall meine ungeheuchelte Teilnahme. Er seinerseits ertrug ihn mit heroischem Mute, indem er bemerkte, jeder Schuß habe seinen Auftrag. Gut, daß dieser nicht den Kopf getroffen habe, oder wenn er ihn getroffen hätte, was wäre schon groß? Dann wär er eben tapfer gestorben für König und Land. Tod sei nun mal ein Zoll, den jeder zahlen müsse – und ob jetzt oder später, sei schließlich einerlei.

Ich fand ungemeines Behagen an den Grundsätzen dieses Seephilosophen, der die Abnehmung seiner linken Hand ohne Zucken aushielt. Auf sein Ersuchen verrichtete ich die Operation, nachdem Mackshane, der sich nur mit Mühe bewegen ließ, seinen Kopf emporzuheben, den Ausspruch getan hatte, das Glied müsse schlechterdings abgelöst werden. Indes ich den Stumpf des Matrosen verband, fragte ich ihn über seine Meinung wegen des Gefechts, worauf der kopfschüttelnd erwiderte, er sei der Meinung, daß es uns noch dreckig gehen werde, denn anstatt hart am Strande zu ankern, wo wir nur mit einer Ecke von Boca Chica zu tun gehabt hätten, wären wir in den Hafen eingelaufen und hätten uns dem ganzen Feuer des Feindes ausgesetzt, von den Schiffen und vom Fort Sankt Joseph sowohl wie vom Kastell, das wir beschießen wollten. Außerdem lägen wir in viel zu großer Entfernung, um ihre Wälle zu beschädigen, und drei von vier Schüssen verfehlten immer ihr Ziel; es sei ja kaum ein Kerl an Bord, der eine Kanone richten könne. »Gott steh uns bei«, fuhr er fort, »wenn Euer Verwandter Leutnant Bowling hier wäre, würde alles anders klappen.«

Inzwischen war die Zahl unserer Patienten so gewachsen, daß wir nicht wußten, mit wem wir den Anfang machen sollten. Morgan erklärte nunmehr Mackshane ganz frank und frei, wofern er nicht sogleich aufstünde und täte, was seines Amtes wäre, so wollte er sich über seine Aufführung beim Admiral beschweren und um seine Bestrafung ansuchen. Gründe, wodurch seine Interessen berührt wurden, fanden bei diesem Mann immer Eingang. Er stand sonach auf und sprach, um Entschlossenheit zu bekommen, mehr denn einmal einem Flaschenfutter mit Rum zu, wovon er dem Schiffsprediger und dem Proviantmeister gar reichlich mitteilte, die einer solchen Herzstärkung so bedürftig waren wie er. Nunmehr ging er getrosten Muts an das Werk, und Arme und Beine wurden ohne alle Barmherzigkeit weggemetzelt.

Die Dünste des Getränks, wozu noch die vorige Wallung seiner Lebensgeister kam, stiegen dem Geistlichen dermaßen ins Gehirn, daß er wie völlig wahnwitzig ward. Er zog sich fast nackend aus und färbte sich den Leib mit dem Blute der Verwundeten. Nur mit vieler Mühe konnte man ihn zurückhalten, in dem Aufzuge auf das Deck zu rennen. Jack Rattlin nahm an seinem Benehmen großen Anstoß und bemühte sich, seinen Ausschweifungen durch vernünftige Vorstellungen Einhalt zu tun. Da er dies aber fruchtlos und die Unordnungen zu groß fand, die der Prediger in seiner wilden Fröhlichkeit anrichtete, so stieß er ihn mit seiner rechten Hand nieder und brachte ihn durch Drohungen dahin, daß er ruhig blieb.

Allein auf den Proviantmeister tat der Rum keine Wirkung. Er saß auf der Erde, rang seine Hände und verfluchte die Stunde, wo er das ruhige Gewerbe eines Bierbrauers in Rochester aufgegeben hatte, um sich in eine so schreckensvolle und unruhige Lebensart zu werfen.

Indes wir auf Kosten dieses armen Wichts uns belustigten, traf eine Kanonenkugel unser Schiff zwischen Wind und Wasser. Sie nahm ihren Lauf durch unseres Proviantmeisters Vorratszimmer. Dort richtete sie eine schreckliche Verwüstung unter den irdenen und gläsernen Gefäßen an. Mackshane geriet darüber so in Schreck, daß ihm sein Skalpell aus den Händen und er auf die Knie fiel und laut sein Paternoster herbetete. Der Proviantmeister stürzte rücklings hin und lag ohne Besinnung und Bewegung. Der Geistliche wurde so rasend, daß Rattlin ihn nicht länger bezwingen konnte. Wir sahen uns daher genötigt, ihn in des Oberwundarztes Kabinett zu sperren, wo er zuverlässig noch tausenderlei Unfug trieb.

Eben um die Zeit kam mein alter Widersacher, Crampley, mit dem ausdrücklichen Befehl, wie er vorgab, mich nach dem Achterdeck zu holen. Der Kapitän habe, wie er sagte, eine kleine Wunde durch einen Splitter bekommen, die er verbunden wissen wolle. Als Ursache, weshalb gerade ich vor den anderen mit dieser Verrichtung sollte beehrt werden, gab er an, daß, wenn ich auch unterwegs getötet oder auch zum Krüppel gemacht würde, mein Tod oder meine Verstümmelung für das Schiff von minderer Erheblichkeit wäre, als wenn dies dem Oberwundarzt oder dem ersten Unterchirurgus begegnete.

Zu einer anderen Zeit hätte ich mich vielleicht gegen diesen Befehl aufgelehnt, dem zu folgen ich nicht im geringsten verpflichtet war. Allein jetzt glaubte ich, mein guter Ruf hinge von dem pünktlichsten Gehorsam ab; deshalb beschloß ich, meinen Gegner zu überzeugen, daß ich sowenig wie er es scheute, mich der Gefahr auszusetzen.

In der Absicht versah ich mich mit meinem Verbandszeug und folgte ihm sogleich auf das Achterdeck. Das höllischste Schauspiel stellte sich mir dort dar. Ströme von Blut und Rauch wälzten sich auf diesem tumultuarischen, grausenvollen Schauplatz mir entgegen.

Kapitän Oakum hatte sich an den Besanmast gelehnt. Kaum gewahrte er mich im Hemde, die Ärmel desselben über die Ellbogen gestreift und die Hände mit Blut gefärbt, als er sein Mißvergnügen durch Stirnrunzeln an den Tag legte. Er fragte mich zugleich, weshalb der Doktor nicht käme. Ich sagte ihm, Crampley habe ausdrücklich den Befehl gebracht, ich solle mich einstellen. Oakum schien über diese Antwort erstaunt und drohte, den Seekadetten für seine Vermessenheit züchtigen zu lassen, wenn das Gefecht vorüber sein würde.

Inzwischen ward ich zurückgeschickt mit dem Befehl, Mackshane zu sagen, daß ihn der Kapitän unverzüglich erwarte. Ich kam unbeschädigt in unserm Quartier wieder an und richtete meinen Auftrag aus. Der Doktor weigerte sich glatt, den Posten zu verlassen, den seine Instruktion ihm anwies. Darauf nahm Morgan, der über den Beweis eifersüchtig war, den ich eben von meiner Herzhaftigkeit abgelegt hatte, das Geschäft auf sich und stieg mit der größten Unerschrockenheit auf das Oberdeck. Wie der Kapitän sah, daß der Oberchirurgus bei seinem Eigensinn verblieb, ließ er sich von Morgan verbinden und schwor, Mackshane festsetzen zu lassen, sobald nur das Gefecht geendigt sei.


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