Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Siebzehntes Kapitel

Ich werde examiniert. Jackson wird durch mich und einige andere vom Zuchthause gerettet. Eine nächtliche Lustpartie bringt uns dem Strange oder einer Verweisung in die Kolonien nahe

 

Durch die Unterstützung dieses meines lieben Getreuen, der mir alles Geld gab, das er verdiente, konnte ich meine halbe Guinee bis zum Tage des Examens aufsparen. Mit bebendem Herzen ging ich nun in das Gildehaus der Wundärzte, um mich der Zeremonie zu unterwerfen.

Unter einer Menge junger Leute, die im Vorsaale auf und ab gingen, bemerkte ich meinen neuen Bekannten, Jackson. Ich ging sogleich auf ihn zu und fragte ihn, wie es mit seiner Brautgeschichte stände. »Noch alles auf dem alten Fuß«, versetzte er, »denn mein Freund ist noch nicht zurück und die Auszahlung zu Chatham aufgeschoben worden. Daher ist es mir ganz unmöglich gefallen, die Sache zu ihrem erwünschten Ende zu bringen.«

Ich fragte ihn sodann, was er hier zu suchen habe. Er versetzte, um das Glück bei allen Zipfeln zu fassen, erscheine er hier; entginge ihm der eine, so könnte er sich doch des andern bedienen, und er dächte noch vor heute abend einen höheren Posten zu haben.

Wie wir noch so sprachen, kam ein junger Mann aus dem Examen zurück. Er war blaß wie der Tod; seine Lippen bebten, und seine Augen waren so wild, als hätte er einen Geist erblickt. Kaum ließ er sich sehen, als ihn alle umringten und ihn sehr dringend fragten, wie es ihm ergangen wäre. Nach einer Pause zählte er uns alle die Fragen her, die man an ihn getan, und die Antworten, die er darauf gegeben hatte. Auf die nämliche Art mußten nicht weniger als zwölf alles, was vorgefallen war, wiederholen. Die der Gefahr glücklich entgangen waren, taten dies mit Vergnügen und umständlich, die Durchgefallenen aber gar kurz und rasch.

Nunmehr fiel auch mein Los. Der Pedell rief mich mit so fürchterlicher Stimme auf, daß ich zusammenschrak, als wenn ich den Schall der Letzten Posaune gehört hätte. Jetzt war kein anderer Rat, ich mußte vor. Man führte mich in einen großen Saal. Dort saßen an einer langen Tafel ein Dutzend mürrischer, strenger Gesichter. Der eine von diesen Examinatoren hieß mich mit einem so gebieterischen Tone näher treten, daß ich ein bis zwei Minuten lang aller meiner Sinne beraubt war. Die erste Frage, die er an mich tat, war die, wo ich her sei. »Aus Schottland«, entgegnete ich. »Aus Schottland? Dacht ich's doch! Nichts als Leute von daher melden sich jetzt. Ihr Schotten habt in kurzem unser Land so überschwemmt wie ehemals die Heuschrecken Ägypten. Ich frage Sie, in was für einer Gegend von Schottland Sie geboren sind.« Hierauf nannte ich ihm meinen Geburtsort, den er zuvor, wie er sagte, noch nie hatte nennen hören. Seine folgenden Fragen betrafen mein Alter, die Stadt, in der ich meine Lehrjahre durchgestanden hätte, und die Dauer der Lehre. Wie er hörte, daß ich nur drei Jahre in der Lehre gewesen wäre, geriet er in heftigen Zorn.

Er bekräftigte mit einem Schwur, es wäre eine Schande und ein Skandal, solche rohe Burschen als Wundärzte in die Welt hinauszuschicken. »Sie sind sehr dreist«, wandte er sich zu mir, »sich einzubilden, daß Sie in so kurzer Zeit sich hinlängliche Kenntnisse in Ihrem Beruf erworben haben, da jeder Beflissene der Wundarzneikunst in England wenigstens sieben Jahr lernen muß. Ihre Freunde hätten besser getan, Sie Leinweber oder Schuhmacher werden zu lassen. Aber da plagt sie der Hochmutsteufel, aus dem jungen Herrn wider des Teufels Gewalt einen Gelehrten zu machen, ohne zu bedenken, daß sie zu arm sind, die nötigen Kosten daranzuwenden.«

Diese Einleitung war nicht imstande, mich wieder aufzurichten, vielmehr schlug sie mich so nieder, daß ich mich kaum auf den Beinen erhalten konnte. Ein korpulenter Mann, der gerade mir gegenübersaß und einen Hirnschädel vor sich hatte, nahm dies wahr und sagte, Mister Snarler behandle den jungen Mann zu hart. Darauf wandte er sich zu mir mit den Worten: »Seien Sie nur nicht blöde, es soll Ihnen nichts geschehen. Nehmen Sie sich Zeit zum Besinnen.« Darauf tat er einige Fragen über die Operation mit dem Trepan an mich und war mit meinen Antworten vollkommen zufrieden.

Der folgende, der mich examinierte, war ein spaßhafter Mann, der mit der Frage begann, ob ich schon jemanden hätte ein Glied abnehmen sehen. Ich bejahte dies. »Hm! an einem toten Menschen gewiß«, versetzte er mit Kopfschütteln. »Wie aber, wenn man Ihnen in einem Seegefecht einen Mann brächte, dem eine Kanonenkugel den Kopf weggenommen hätte, was würden Sie da machen?« Nach einigem Stocken erwiderte ich, so ein Fall sei mir noch nicht vorgekommen, und ich erinnerte mich nicht, eine Kurmethode für so etwas in irgendeinem Lehrbuch der Wundarznei gefunden zu haben.

Ich weiß nicht, ob meine einfältige Antwort oder die arglistige Frage jedes Mitglied zu lächeln bewog, Snarler ausgenommen, der nichts weniger als ein Animal risibile zu sein schien.

Der lustige Kopf von Examinator, den der gute Erfolg seines letzten Einfalls freute, ließ sich nun gegen mich folgendermaßen aus: »Gesetzt, man riefe Sie zu einem Patienten von vollblütiger Konstitution, der durch einen Fall viele Quetschungen bekommen hätte, was würden Sie dann anfangen?« – »Ihm auf der Stelle zur Ader lassen«, entgegnete ich. »Wie«, sagte er, »ohne ihm vorher den Ärmel aufzustreifen?« Dieser Einfall hatte nie den erwarteten Erfolg, und er wies mich daher an seinen nächsten Nachbarn.

Dieser fragte mich mit einem eingebildeten Wesen, was für einer Methode ich mich bedienen würde, um Wunden in den Eingeweiden zu kurieren. Ich gab ihm umständlich alle die Methoden an, welche die besten chirurgischen Schriftsteller anzeigen. Nachdem er dies bis zu Ende angehört hatte, erklärte er, daß alle Wunden in den Eingeweiden, große sowohl wie kleine, tödlich wären.

In einer so gelehrten Gesellschaft konnte ein solcher Verstoß nicht ungerügt bleiben. Der schon erwähnte beleibte Herr lehnte sich sonach auf eine ganz glimpfliche Art dagegen auf. Allein jener hielt sich für viel zu weise, um seinem Kollegen recht zu geben. Der Streit unter ihnen ward sehr lebhaft und riß in kurzem die anderen Herren in seinen Wirbel hinein. Sie erhoben insgesamt ihre Stimme und wurden so tumultuarisch, daß der Präsident Friede gebot und mir abzutreten befahl.

Nach einer vollen Viertelstunde, als die Ruhe mit vieler Mühe wiederhergestellt war, rief man mich herein. Halb gedämpfte Hitze war noch auf den Gesichtern der ganzen Versammlung zu lesen. Man gab mir ein versiegeltes Attest und verlangte fünf Schillinge dafür. Ich legte meine halbe Guinee auf den Tisch und wartete eine Zeitlang, doch vergebens auf den Überschuß.

Einer von den Examinatoren hieß mich gehen, und ich erklärte ihm, was mich noch zurückhielte. Darauf warf mir ein andrer fünf Schillinge und sechs Pence hin und sagte mit Unwillen: »Ein wahrer Stockschotte! Der geht nicht eher vom Fleck, als bis er den letzten Heller gekriegt hat.« Sodann mußte ich dem Pedell drei Schillinge und sechs Pence und einer alten Frau, die den Saal fegte, einen Schilling geben.

Diese Auszahlungen hatten meine Kasse bis auf dreizehn und einen halben Pence gebracht. Mit diesen schlich ich mich fort, als Jackson mir nacheilte und mich so lange zu warten bat, bis sein Examen vorüber sei; er wolle mich sodann bis an das andere Ende der Stadt begleiten. Einer Person, die sich so sehr freundschaftlich gegen mich bewiesen hatte, konnte ich so etwas nicht gut abschlagen.

Ich erstaunte nicht wenig, als ich ihn ins Auge faßte und den Stutzer, der er noch vor einer halben Stunde gewesen war, in eine höchst groteske Figur verwandelt fand. Seinen Kopf erblickte ich mit einer räuchrichten Zopfperücke bedeckt, deren Locken insgesamt ausgegangen waren; der Schlapphut schien einem Kaminkehrer oder Müllkutscher zuzugehören. Den Hals hatte er mit einem schwarzen Flor geschmückt, dessen Enden vorne zugeknüpft und durch das Knopfloch eines abgeschabten weiten Rockes gesteckt, in den sein Körper gewickelt war. Aus seinen weißseidenen Strümpfen waren schwarzwollene Gamaschen geworden. Sein Gesicht hatte er durch Falten und Runzeln und einen selbstgemalten Bart ehrwürdig gemacht.

Als ich über diese Verwandlung mein Erstaunen bezeigte, lachte er und sagte, er habe es auf Anraten und mit Hilfe eines Freundes getan, der schräg gegenüber wohne, und hoffe, das werde für ihn vorteilhaft sein. Er habe sich alt gemacht, um mehr Ansehen und desto eher eine gute Stelle zu bekommen. Ich lobte seine Klugheit und wartete mit Ungeduld auf den Ausgang dieser List. Endlich ward er unter einem fremden Namen hereingerufen. Allein entweder machte sein Anzug die Herren von der Prüfungskommission mehr als gewöhnlich aufmerksam, oder sein Benehmen und seine Antworten paßten nicht zu seiner Figur; kurz, man erkannte ihn für einen Betrüger. Daher überantwortete man ihn dem Pedell, daß er ihn sogleich nach Bridewell führe.

Statt ihn mit froher Miene und einem Wundarztpatent wieder zu erblicken, wie ich erwartete, sah ich ihn als einen Gefangenen durch den Vorsaal führen. Ich war sehr unruhig und ängstlich, die Ursache zu wissen, als er sich mit kläglicher Stimme und einem recht erbärmlichen Wesen an mich und an einige andere Bekannte wendete.

»Um Himmels willen, meine Herren«, rief er, »bezeugen Sie doch, daß ich eben der John Jackson bin, der als zweiter Unterchirurgus auf der ›Elisabeth‹ gestanden hat, sonst muß ich nach Bridewell.« Selbst der strengste Eremit, der je gelebt hat, würde sich bei seinem Aufzuge und seiner Anrede nicht des Lachens haben enthalten können. Wir ergötzten uns eine ganze Weile auf seine Kosten und vertraten ihn sodann bei dem Pedell so nachdrücklich, daß er nach einem Geschenk von einer halben Krone den Gefangenen freiließ.

Nach wenigen Minuten bekam mein Freund seine vorige Fröhlichkeit wieder. »Weil die Herren da drinnen mein Geld nicht haben wollen«, sagte er, »so will ich es, mein Seel, noch vorm Schlafengehen bis auf den letzten Schilling mit meinen Freunden verjubeln.« Zugleich lud er uns ein, ihn insgesamt mit unsrer Gegenwart zu beehren.

Zehn Uhr des Abends war es bereits, mein Weg weit und die Straßen, die ich zu passieren hatte, mir ganz unbekannt; daher ließ ich mich bereden mitzumachen, in der Hoffnung, Jackson würde mich, seinem Versprechen gemäß, nach Hause bringen.

Zuerst begaben wir uns zu dem Freunde, der ihm zu seiner übel ausgeschlagenen List geraten hatte. Dieser Mann wohnte dem Gildehause der Wundärzte schräg gegenüber und hielt eine Kneipe. Dort tranken wir so lange Punsch, bis er uns in den Kopf stieg und wir uns insgesamt außerordentlich munter gestimmt fanden. Ich wurde so ausgelassen, daß ich ein Mädchen zu haben wünschte. Jackson behagte dieser Vorschlag ungemein, und er versicherte, wir wollten nicht eher auseinandergehen, als bis mein Verlangen gestillt sei. Demzufolge bezahlte er die Rechnung, und wir zogen singend und lärmend durch die Straßen.

Unser Führer brachte uns an einen Ort, der nächtlichen Vergnügen gewidmet war. Eine der dort befindlichen Dämchen gefiel mir so, daß ich mich augenblicklich an sie machte und ihr vorschlug, den Rest der Nacht mit mir zuzubringen. Allein mein Anzug stand ihr gar nicht an; sie verlangte, bevor sie mein Gesuch bewilligte, eine Erkenntlichkeit, die meine damaligen Finanzen nicht aufzubringen vermochten. Wir brachen daher die Unterhaltung ab, zu meiner großen Unzufriedenheit und Kränkung, weil ich glaubte, das lohngierige Geschöpf habe meinen Verdiensten keine Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Indes hatte Jacksons wieder umgeänderte Kleidung ihm die Gunst zweier oder dreier Nymphen erworben, die sich emsig mit ihm beschäftigten und für den Punsch mit Arrak, den er ihnen vorsetzte, es nicht an Liebkosungen gegen ihn fehlen ließen. Endlich bemächtigte sich unser der Schlaf, ungeachtet der munteren Einfälle und Schäkereien dieser Schönen.

Unser Chef forderte daher die Rechnung. Sie belief sich auf zwölf Schillinge. Jackson griff in die Tasche, aber umsonst, seine Börse war fort. Dieser Vorfall brachte ihn anfänglich ganz außer Fassung; aber nach einigem Besinnen ergriff er die beiden Dulzineen, die neben ihm saßen, und schwor, wenn sie ihm nicht augenblicklich sein Geld wieder herausgäben, würd er sie einem Polizisten überantworten.

Die gute Frau vom Hause, die am Einnahmetisch saß, hörte kaum, was vorging, als sie dem Zapfer etwas zuwisperte und uns sodann mit großer Gelassenheit fragte, was es da gäbe. Jackson sagte ihr, er sei bestohlen worden und wenn sie ihm nicht Genugtuung verschaffe, wolle er sie samt ihren ›Menschern‹ nach Bridewell schleppen lassen. »Bestohlen, in meinem Hause bestohlen?« kreischte sie. »Meine Herren und Damen, ich nehme Sie alle miteinander zu Zeugen, daß der Kerl da meinem ehrlichen Namen 'nen Schandfleck anhängen will.«

In diesem Augenblick trat ein Polizist mit der Wache herein. »Die jungen Fäntchen hier«, sagte sie, »sind nicht nur so unverschämt gewesen und haben mich kurz und lang geheißen und blamiert und prostituiert, sondern noch dazu meinen Hausgenossen an ihre Ehre gegriffen. Herr Konstabler«, fuhr sie fort, »Ihnen überliefre ich diesen Zänker und Stänker, der hier in meinem Hause Händel angefangen hat. Ich will ihn schon fassen und 'ne Klage gegen ihn, als einen Ehrabschneider, anstellen.«

Während ich diesem unglücklichen Ausgange nachdachte, der mich wieder ganz nüchtern machte, war das Mädchen, um deren Gewogenheit ich mich zuerst beworben, darauf bedacht, sich für einige Bitterkeiten zu rächen, die ich ihr gesagt hatte. Sie rief daher: »Sie haben sich alle ganz spektakulös aufgeführt.« Und darauf verlangte sie vom Polizeibeamten, uns insgesamt gefangennehmen zu lassen.

Dies geschah denn, zu unserem größten Erstaunen und äußersten Schreck, augenblicklich. Jackson allein, der öfters in solcher Klemme gesteckt hatte, blieb dabei ganz unbefangen. Er verlangte seinerseits vom Polizisten, die Frau vom Hause mit ihrer gesamten ›Clique‹ in Haft zu nehmen. Hierauf wurden wir alle miteinander zur Wache gebracht. Unser ehemaliger Führer sprach uns ein paar Worte des Trostes zu und meldete sodann dem Polizisten, er sei bestohlen worden und wolle dies den folgenden Morgen durch einen Eid vor dem Richter bekräftigen. »Wir wollen schon sehen, wessen Eid am meisten gilt«, sagte die alte Kupplerin.

Kurz darauf nahm der Polizeibeamte Jackson in ein anderes Zimmer und sprach folgendermaßen mit ihm: »Ich merke wohl, mein Herr, daß Sie mit Ihrer ganzen Gesellschaft Fremde sind, und es tut mir leid, daß Sie in so eine peinliche Situation geraten sind. Ich kenne das Weib schon von langen Zeiten her. Sie hat schon manch liebes Jahr in der Nachbarschaft ein berüchtigtes Haus gehalten und ist schon oft wegen allerhand schlechter Streiche verklagt worden. Aber sie frißt sich immer wieder raus. Das macht, unter uns gesagt, sie zahlt vierteljährlich den Friedensrichtern für sich und ihr Geschmeiß ein Gewisses als Schutzgeld. Sie hat zuerst verlangt, daß Sie sollen arretiert werden, und drum wird sie auch ganz ausgemacht recht behalten. Sie weiß Ihnen Zeugen aufzuspüren, die alles beschwören, was sie nur irgend verlangt. Finden Sie sich nun nicht vor morgen früh mit ihr ab, so können Sie mitsamt Ihrer Gesellschaft von Glück sagen, wenn Sie mit einmonatiger Zuchthausarbeit in Bridewell loskommen. Klagt sie Sie aber gar wegen Diebstahls oder tätlicher Mißhandlungen an, so können Sie gar nach Newgate geschleppt und in den nächsten Sitzungen in Old Bailey auf Leib und Leben angeklagt werden.«

Dieser letzte Wink tat bei Jackson solche Wirkung, daß er es zufrieden war, sich mit der ehrwürdigen Matrone auszugleichen, wofern sie ihm seine Börse wieder herausgäbe. Allein der Polizist versicherte ihm, er würde nicht nur sein Geld nicht wiederbekommen, sondern sogar noch mehr daranwenden müssen, um einen Vergleich von ihr zu erlangen. Doch versprach er aus Mitleid, bei der Alten zu versuchen, ob er sie ›breitschlagen‹ könne.

Der unglückliche Stutzer dankte ihm für seine Freundschaft, kehrte zu uns wieder zurück und machte uns mit dem Inhalt dieses Gesprächs bekannt. Der Polizeibeamte führte indes unsere Gegnerin in ein Nebenzimmer und sprach mit ihr so nachdrücklich für uns, daß sie es sich gefallen ließ, ihn zum Schiedsrichter anzunehmen. Wir verstanden uns dazu gleichfalls ganz willig. Und nun verurteilte er beide Parteien zu einer Geldbuße von drei Schillingen, die zu einem Glase Punsch verwandt werden sollten.

Auf die Art wurden alle unsere Zwistigkeiten fortgeschwemmt. Meinen beiden neuen Bekannten und mir, die seit der Zeit, daß Jackson von Bridewell und Newgate gesprochen hatte, Höllenangst ausgestanden hatten, war dies eine unbeschreibliche Freude. Über dem Ausleeren unseres Punschnapfes war es Morgen geworden. Ich stand im Begriff, mich nach Hause zu begeben, als der Polizist erklärte, ohne Bewilligung des Friedensrichters dürfe er keinen Gefangenen loslassen; wir müßten erst vor diesem Herrn erscheinen. Hierdurch wurde mein Kummer aufgefrischt, und ich verfluchte tausendmal die Stunde, da ich Jacksons Einladung angenommen hatte.

Um neun Uhr wurden wir zu einem Friedensrichter geführt, der nicht weit von Covent Garden wohnte. Kaum sah er den Polizeibeamten mit einem so ansehnlichen Gefolge hereintreten, als er ihn folgendergestalt begrüßte: »Er ist ein wackrer, fleißiger Mann, Herr Konstabler! Was hat Er da für ein Räubernest aufgestöbert?«

Darauf nahm er uns genau in Augenschein, und weil er uns sehr niedergeschlagen fand, fuhr er fort: »Jaja, Diebsgesindel, lauter alte Sünder, wie ich seh. – Ergebener Diener, Mistreß Harridan! Ich denke, die Burschen haben Ihr Haus bestohlen? – Ganz recht! Da find ich eine alte Bekanntschaft.« Hierbei sah er mich an. »Ihr habt Euch ja verteufelt fix wieder zu uns zurückgesputet. Die Mühe wollen wir Euch nicht weiter machen. Man wird Euch nun an einen Ort transportieren, wo Euch nur die Wundärzte auf ihre Kosten zurückschaffen sollen.«

Ich versicherte dem Richter, Ihre Gestrengen irrten sich in meiner Person, denn sie hätten mich vorher in ihrem Leben noch nicht gesehen. »Wie? Ihr unverschämter Bube«, erwiderte er auf diese Erklärung, »Ihr seid so dreist, mir so etwas ins Gesicht zu sagen? Denkt Ihr mich zu täuschen, weil Ihr inzwischen die nordische Mundart angenommen habt? Das soll Euch nichts nützen! Heda, Schreiber, fertigt einen Haftbefehl für den Kerl aus. Er heißt Patrick Gahagan.«

Jetzt schlug sich Jackson ins Mittel und sagte ihm, ich wäre ein Schotte, erst kürzlich nach der Stadt gekommen, von guter Familie und hieße Random. Der Richter sah diese Behauptung für eine Beleidigung seines Gedächtnisses an, auf das er so großen Wert legte. Daher trat er auf Jackson zu, stemmte beide Hände in die Seiten und sagte mit finsterer Miene: »Wer seid Ihr, Patron? Ihr wollt mich Lügen strafen? Seht doch mal, Ihr Herren, der Zeisig da will mich sogar in den Gerichtsschranken beschimpfen. Aber ich will Euch schon den Daumen aufs Auge setzen; trotz Eurer betreßten Jacke halt ich Euch für einen berüchtigten Gaudieb.«

Mein Freund war über diese Drohungen, die mit einer Donnerstimme ausgestoßen wurden, ganz kleinmütig geworden, seine Farbe veränderte sich, und er konnte kein Wort weiter hervorbringen. Diese Betroffenheit nahmen Seine Gestrengen für ein Symptom der Schuld und fuhren, um ihre Entdeckung recht vollständig zu machen, mit folgenden Drohungen fort: »Nun bin ich überzeugt, daß Ihr ein Spitzbube seid. Man kann's Euch am Gesichte ansehen; Ihr zittert an allen Gliedern wie Espenlaub. Euer Gewissen lügt nicht wie Euer Mund. Laßt's nur gut sein, Patron, Ihr sollt gehenkt werden, dafür steh ich. Es wäre gut für die Welt und Eure eigene arme Seele gewesen, wenn man Euch gleich bei der ersten Ausflucht entdeckt und aufgeknüpft hätte. Kommt her, Schreiber, und bringt das Geständnis dieses Menschen zu Papier.«

Ich war in völliger Todesangst, als der Polizist den Richter in ein Nebenzimmer zu kommen ersuchte. Dort machte er ihn mit dem wahren Verlauf unserer Geschichte bekannt. Seine Gestrengen kamen mit einem lächelnden Wesen wieder, wandten sich zu uns allen und sagten, es wäre immer so seine Art, jungen Leuten, wenn sie vor ihn gebracht würden, einen Schreck einzujagen. Solche Drohungen erreichten gemeiniglich ihren Zweck und machten so starken Eindruck auf sie, daß sie in Zukunft jeden Unfug und alle Orte der Ausschweifungen vermieden. Nachdem er auf die Art seinen Mangel an Urteilskraft mit väterlicher Fürsorge bemäntelt hatte, entließ er uns. Mir war jetzt so leicht, als wenn man einen Berg von meiner Brust gewälzt hätte.


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