Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Sechsundsechzigstes Kapitel

Auf dem Landsitz eines spanischen Dons, der mich mit meinem Oheim zu sich einlädt, mache ich eine Entdeckung von sehr großem Belang für mich. Wir verlassen Buenos Aires und kommen in Jamaika an

 

Nachdem unser Schiff von der unangenehmen Ladung der Neger befreit war, deren elender Sklave ich seit unserer Abreise von Guinea gewesen war, begann ich mir gütlich zu tun und mit vieler Behaglichkeit die dortige reine Luft einzuatmen. Die Gegend, wo wir uns befanden, wird als das Montpellier von Südamerika betrachtet und hat bloß wegen ihres gesunden Himmelsstrichs den Namen Buenos Aires bekommen.

An diesem angenehmen Ort überließ ich mich ganz dem Andenken an meine traute Narzissa. Ihr Bild schwebte mir beständig vor, und ihre Reize, welche die Abwesenheit erhöhte, dünkten mir zauberischer denn jemals. Ich berechnete den Gewinn, den mir meine Reise eingetragen hatte, und fand, daß er selbst über meine Erwartungen hinausging. Nunmehr beschloß ich, wenn ich wieder in England eingetroffen wäre, mir ein gutes gemächliches Amt zu kaufen und, wenn ich den Squire mir noch abgeneigt fände, seine Schwester heimlich zu heiraten. Für den Fall, daß unsere Familie zunehmen sollte, mußte ich mich auf die Großmut meines Oheims verlassen, der jetzt schon ein beträchtliches Vermögen besaß.

Indes ich an diesen anmutigen Plänen und der entzückenden Hoffnung, Narzissa dereinst zu besitzen, mich weidete, wurden wir von den spanischen Kavalieren, die sich hier aufhielten, mit den verbindlichsten Gefälligkeiten überhäuft. Sie stellten unsertwegen öfters Lustpartien an, wobei wir Ausflüge ziemlich tief ins Land hinein machten.

Unter den Personen, die sich durch ihre besonderen Höflichkeiten gegen uns auszeichneten, befand sich ein gewisser Don Antonio de Ribera, ein sehr liebenswürdiger junger Mann, mit dem ich sehr innige Freundschaft geschlossen hatte. Er lud uns eines Tages auf sein Landhaus ein, und damit wir sein Verlangen um so eher erfüllen möchten, versprach er uns dort die Gesellschaft eines englischen Senors, der seit vielen Jahren sich in dieser Gegend niedergelassen und durch seine Leutseligkeit, seinen Verstand und sein rechtschaffenes Betragen sich die Liebe und Achtung der ganzen Provinz erworben hätte.

Wir nahmen die Einladung des Dons an und reisten nach seinem Landsitz. Etwa eine Stunde mochten wir da sein, als die Person ankam, die er uns so vorteilhaft beschrieben hatte. Es war ein wohlgebauter ansehnlicher Mann, von feinem und Ehrfurcht heischendem Wesen, der in den Vierzigern zu sein schien. In seinem Gesicht lag ein Tiefsinn und eine Düsterheit, die man in anderen Gegenden für Wirkungen der Melancholie gehalten hätte; allein hier schien er sich dies durch den Umgang mit den Spaniern angewöhnt zu haben, die wegen ihres streng-ernsten Wesens bekannt sind.

Als er von Antonio erfuhr, daß wir seine Landsleute wären, grüßte er uns insgesamt sehr höflich, und indem er seine Augen sehr aufmerksam auf mich heftete, stieß er einen tiefen Seufzer aus. Gleich bei seinem Eintritt hatte er mir die höchste Ehrerbietung eingeflößt, und kaum hatte ich diese Äußerung des Kummers an ihm beobachtet, die mich vornehmlich anzugehen schien, als mein Herz an seiner Betrübnis teilnahm. Unwillkürlich sympathisierte ich mit ihm und seufzte auch meinerseits.

Nachdem dieser Herr sich Erlaubnis dazu von unserem Wirt erbeten hatte, redete er uns auf englisch an. Er legte darin sein Vergnügen an den Tag, so viele Landsleute in einer so entfernten Gegend zu finden. Zugleich fragte er den Kapitän, der hier den Namen Señor Thomas führte, aus was für einer Gegend von Großbritannien er abgesegelt und wohin er bestimmt sei. Mein Oheim sagte ihm, wir wären aus der Themse ausgelaufen und müßten ebendahin über Jamaika zurückkehren, wo wir eine Ladung Zucker mitzunehmen gedächten.

Als er hierüber und über einige andere Fragen in betreff des Krieges von uns Auskunft erhalten hatte, gab er zu verstehen, er habe eine große Sehnsucht, sein Vaterland wiederzusehen, und zu diesem Zweck den größten Teil seines Vermögens mit neutralen Schiffen nach Europa geschickt. Jetzt sei er willens, mit dem Rest seiner Habe auf unserem Schiff dahin zurückzukehren, wofern der Kapitän gegen einen Passagier wie ihn nichts einzuwenden hätte.

Mein Oheim versetzte hierauf mit vieler Vorsicht, ihm seinerseits würde die Gesellschaft eines so braven Mannes sehr willkommen sein, wenn er dazu die Einwilligung vom Gouverneur erhalten könnte. Ohne diese dürfte er ihn nicht an Bord nehmen, so gern er ihm auch damit dienen möchte. Jener billigte sein behutsames Verfahren und sagte ihm, es würde gar keine Schwierigkeiten kosten, diese Erlaubnis vom Gouverneur, der sein guter Freund sei, zu erlangen. Darauf lenkte er das Gespräch auf andere Gegenstände.

Ich freute mich ungemein über den Entschluß dieses Mannes und interessierte mich bereits dermaßen für ihn, daß es mich recht unglücklich gemacht hätte, wenn seine Erwartung fehlgeschlagen wäre. Während unserer Unterhaltung betrachtete er mich mit mehr als gewöhnlicher Aufmerksamkeit.

Ich fühlte einen ganz besonderen Hang zu ihm. Wenn er sprach, lauschte ich auf seine Reden ebenso achtsam wie ehrerbietig. Die Würde in seinem Betragen erfüllte mich mit Zuneigung und Bewunderung – kurz, die Regungen meiner Seele in Gegenwart dieses Fremden waren heftig und ungewöhnlich.

Nachdem er den größten Teil des Tages mit uns zugebracht hatte, nahm er Abschied. Dabei sagte er dem Kapitän Thomas, in kurzem solle er weiter von ihm hören. Kaum war er fort, als ich Don Antonio tausend Fragen in betreff seiner stellte. Doch dieser konnte mir keine weiteren Aufschlüsse über ihn geben, als daß er Don Rodrigo hieße, fünfzehn oder sechzehn Jahre in dieser Gegend gewohnt hätte, für reich gehalten würde und in dem Ruf stände, er müsse in seinen früheren Jahren unglücklich gewesen sein, weil man seit der Zeit, da er sich hier niedergelassen, eine tiefe Schwermut an ihm bemerkt habe; doch hätte es niemand gewagt, sich nach der Ursache seines Kummers zu erkundigen, um nicht durch eine Erzählung seiner Unglücksfälle seine Gemütsruhe zu stören.

Ich empfand eine unwiderstehliche Begierde, seine Schicksale näher kennenzulernen. Die ganze Nacht hindurch konnte ich kein Auge wegen der lebhaften Gedanken zutun, welche die Geschichte in mir erregte, die ich von Grund aus zu erfahren mir vorgenommen hatte.

Den folgenden Morgen, wie wir beim Frühstück saßen, kamen drei reich aufgeschirrte Maultiere von Don Rodrigo, der sowohl uns als Don Antonio auf sein Landhaus einladen ließ, das ungefähr zehn Meilen tiefer im Inneren des Landes lag.

Diese Botschaft war eine der erfreulichsten, die mir je in meinem Leben geworden ist. Wir bestiegen die uns übersandten Maulesel und trafen noch vor neun Uhr auf dem Gut des Fremden ein. Dieser großmütige Mann bewirtete uns auf eine glänzende Art, gegen mich schien er immer besondere Achtsamkeit zu bezeigen. Nach dem Essen schenkte er mir einen Ring mit einem schönen Amethysten, einem Erzeugnis dieser Gegend. Zugleich sagte er, er sei einmal so selig gewesen, einen Sohn zu haben, der, wenn er noch lebte, ungefähr meines Alters sein müßte. Bei dieser Bemerkung, die er mit einem tiefen Seufzer hervorbrachte, schlug mein Herz mit Heftigkeit; eine Menge verworrener Vorstellungen stürmten auf meine Einbildungskraft los. Indes ich sie auseinanderzusondern bemüht war, bemerkte mein Oheim meine Geistesabwesenheit. Er klopfte mir auf die Schulter und sagte: »Heda, Rory, schlaft Ihr?«

Don Rodrigo (mit ungemeiner Lebhaftigkeit, sowohl im Ton als Blick, ihm einfallend): »Ich bitte Sie, lieber Herr Kapitän, sagen Sie mir doch, wie heißt der junge Mann?«

Der Kapitän: »Roderick Random.«

Don Rodrigo (zusammenfahrend): »O gütiger Himmel! Und seine Mutter?«

Der Kapitän (betroffen): »Die hieß Charlotte Bowling.«

Don Rodrigo (vom Stuhl aufspringend und mich fest in die Arme schließend): »Ach! erbarmungsreiche Vorsehung! Mein Sohn! Mein Sohn! So habe ich dich wiedergefunden? So halte ich dich wirklich in meinen Armen? So habe ich den wieder, den ich so lange verloren hatte und den ich mir auf immer entrissen glaubte?« Er fiel mir von neuem um den Hals und weinte laut vor Freude.

Die Macht der Natur wirkte gewaltig in meiner Brust; ich war ganz hingerissen von Entzücken, und indes mein Vater mich an sein Herz drückte, schoß eine Tränenflut aus meinen Augen in seinen Busen. Bei dem Aufruhr in seinem Innern konnte er eine geraume Zeit nicht sprechen. Endlich brach er in die Worte aus: »Gott, wie geheimnisvoll sind deine Wege! – O meine teure Charlotte! So ist doch noch ein Pfand unserer Liebe da! Und solch ein Pfand! – Und so habe ich es finden müssen! O unendliche Güte! laß mich deine allweisen Ratschlüsse anbeten!«

Mit diesen Worten kniete er nieder, hob Augen und Hände gen Himmel und blieb einige Minuten in andächtiger Ekstase liegen. Ich nahm dieselbe Stellung an und ergoß mich gegen den allgütigen Regierer in den feurigsten Danksagungen. Als unsere Gebete geendigt waren, bezeigte ich meinem Vater meine kindliche Ergebenheit und erbat mir seinen Segen. Er umarmte mich mit unaussprechlicher Zärtlichkeit und erflehte den Schutz des Himmels für mich. Sodann hob er mich auf und stellte mich der ganzen Gesellschaft als seinen Sohn vor.

Jeder von den Anwesenden war durch diesen rührenden Auftritt bis zu Tränen gerührt worden. Mein Oheim offenbarte darüber gleichfalls seine Freude und zugleich sein gutes Herz. Wiewohl er an so gefühlvolle Szenen nicht gewöhnt war, so vergoß er dennoch Tränen aus überströmender Zärtlichkeit. Er schüttelte meinem Vater recht herzlich die Hand und rief: »Ich freu mich, Euch zu sehen, Bruder Random! Gott Lob und Dank, der uns so glücklich zusammengeführt hat.«

Als Don Rodrigo erfuhr, daß der Kapitän sein Schwager sei, umarmte er ihn mit vieler Innigkeit und sagte: »Sind Sie der Bruder meiner Charlotte! Ach, unglückliche Gattin! – Doch was beklage ich sie? wir werden uns an einem Ort wiedertreffen, wo wir uns nie mehr trennen werden. – Seien Sie mir herzlich willkommen, lieber, lieber Bruder! – Mein teurer Sohn, ich bin vor Freude ganz außer mir und nicht imstande, sie durch Worte an den Tag zu legen. – Dieser Tag ist ein wahres Jubelfest für mich. Meine Freunde und meine Leute sollen daran teilnehmen.«

Darauf sandte er an alle Bekannten und Freunde in der Nachbarschaft Boten, um ihnen diesen frohen Vorfall zu melden, und ließ Anstalten zu einer großen Gasterei treffen. Inzwischen hatte diese große, höchst überraschende Begebenheit mich so stark erschüttert, daß mich ein Fieber überfiel. In weniger als drei Stunden hatte ich schon den Verstand verloren. Als man dies sah, wurden alle Zubereitungen zum Feste abbestellt und die Freude des Hauses in Betrübnis und Verzweiflung verwandelt. Man rief sogleich Ärzte, die mir einen reichlichen Aderlaß am Fuß und ein Kräuterbad verordneten. Dies tat so gute Wirkung, daß ich zehn Stunden nach dem ersten Fieberanfall einen Schweiß bekam, der eine Krisis verkündigte. Den folgenden Tag verspürte ich von meiner Krankheit nichts weiter mehr als eine angenehme Müdigkeit, die mich jedoch am Aufstehen nicht verhinderte.

Während des Fiebers, das man wegen der Zeit seiner Dauer das ephemerische nennt, war mein Vater nicht von meinem Bett fortgekommen. Er hatte mich mit der zärtlichsten Sorgfalt nach allen Vorschriften der Ärzte behandelt, und sogar der Kapitän Bowling hatte auf die gleiche Art seine Teilnahme zu erkennen gegeben.

Kaum war ich meine Krankheit los, als mir mein biederer Strap einfiel, und ich beschloß, ihn dadurch unendlich glücklich zu machen, daß ich ihm meine gegenwärtige günstige Lage entdeckte. Zu dem Zweck sagte ich meinem Vater vorläufig nur im allgemeinen, daß ich diesem lieben Getreuen unendliche Verbindlichkeit schuldete. Dann bat ich ihn um die Gewogenheit, ihn zu mir holen zu lassen, doch ohne ihm mitzuteilen, was für ein günstiger Vorfall mir begegnet sei; denn den sollte er aus meinem eigenen Munde erfahren.

Meine Bitte ward sogleich gewährt und ein Bote mit einem ledigen Maultier nach dem Schiff gesandt. Der Kapitän gab einen Befehl an den Steuermann mit, daß der Proviantmeister sich mit dem Boten zu ihm auf den Weg machen solle.

Da meine Gesundheit inzwischen wieder völlig hergestellt und mein Gemüt ganz ruhig war, begann ich mich an der herrlichen Wendung, die meine Lage bekommen hatte, zu weiden und die damit verknüpften Vorteile zu überlegen. Da nun das Bild meiner liebenswürdigen Narzissa sich stets in jede Szene des Glückes mischte, die ich mir vorstellte, so labte ich mich nun an der Aussicht, sie noch dereinst in einem Stande besitzen zu können, auf den sie vermöge ihrer Geburt und ihrer persönlichen Eigenschaften Anspruch machen könnte.

Mein Vater war auf die Vermutung gekommen, daß ich in einer nahen Verbindung mit diesem Frauenzimmer stehen müßte, da ich ihren Namen während meiner Fieberphantasien häufig genannt und da er das Bild entdeckt hatte, das auf meiner Brust an einem Bande hing. Er zweifelte nunmehr gar nicht, daß dies das Porträt meiner Gebieterin sein müsse. In dieser Mutmaßung hatte mein Oheim ihn bestärkt und gesagt, dies Konterfei stelle ein junges Mädchen vor, dem ich die Ehe versprochen hätte.

Durch diese Entdeckung ward Don Rodrigo unruhig, und er ergriff die erste Gelegenheit, mich über diese Liebschaft zu befragen. Ich entdeckte sie ihm ohne alles Hehl. Er billigte meine Leidenschaft und versprach, sie nach allen seinen Kräften zu unterstützen und sie zu einem glücklichen Ausgang zu bringen. Wiewohl ich nie an seinem Edelmut gezweifelt hatte, so riß mich dennoch dieser Beweis davon ganz hin. Ich warf mich ihm zu Füßen und sagte, er habe nun mein Glück vollständig gemacht, denn ohne Narzissas Besitz würde ich bei dem Genuß aller Lebensgüter elend sein.

Mit dem Lächeln väterlicher Zärtlichkeit hob er mich auf und sagte, er wisse, was lieben heiße, und wäre überzeugt, wenn sein Vater ihm so innig wäre zugetan gewesen wie er mir, so würde er vielleicht jetzt nicht – Ein Seufzer zerschnitt seine Rede, und Tränen stürzten in seine Augen. Er unterdrückte, was ihm sein Kummer eingab, und da gerade die Zeit bequem war, bat er mich, ihm meine Schicksale zu erzählen, die nach Bowlings Versicherung mannigfaltig und erstaunenswürdig wären. Ich teilte ihm das Wesentlichste der mir widerfahrenen Begebenheiten mit, und er hörte voll Verwunderung und Aufmerksamkeit zu. Von Zeit zu Zeit bemerkte ich an ihm die Regungen, welche die verschiedenen Situationen, worin ich mich befunden hatte, notwendig in einem Vaterherzen bewirken mußten.

Als ich mit meiner Geschichte zu Ende war, pries er Gott für die mir zugesandten Unfälle. Widerwärtigkeiten, sagte er, hellten den Kopf auf, veredelten das Herz, stählten den Körper und machten einen jungen Mann zu allen Pflichten und zu dem wahren Genuß des Lebens weit geschickter als eine Erziehung im Überfluß.

Nachdem ich solchergestalt die Neugier meines Vaters befriedigt hatte, äußerte ich Verlangen, seine Geschichte in allen Einzelheiten zu erfahren. Er war dazu gleich geneigt, machte mit seiner Heirat den Anfang und kam bis auf den Tag seines Verschwindens. Sodann fuhr er folgendermaßen fort:

»Des Lebens überdrüssig und nicht imstande, länger an einem Ort zu bleiben, wo mich jeder Gegenstand an meine teuere Charlotte erinnerte, die ich durch die Grausamkeit eines unnatürlichen Vaters verloren, verließ ich dich, mein Sohn, als Kind, mit einem Herzen voll unaussprechlichen Jammers. Doch hatte ich nicht einen Funken Verdacht, daß meines Vaters Strenge sich bis auf meine unschuldige Waise erstrecken würde. Ich machte mich allein um Mitternacht auf den Weg nach dem nächsten Seehafen. Den folgenden Morgen begab ich mich auf ein Schiff, das nach Frankreich bestimmt war. Ich ward mit dem Patron wegen der Überfahrt einig, nahm von meinem Vaterlande auf lange Zeit Abschied, und wir stachen mit dem ersten guten Wind in See.

Der Ort unserer Bestimmung war Granville, aber wir hatten das Unglück, nahe bei der Insel Alderney auf eine Reihe von Klippen, die Casquets genannt, zu stoßen. Das Schiff zertrümmerte, weil die See hoch ging, auch das Boot sank, und jedermann, der an Bord war, kam um, mich ausgenommen. Durch Hilfe des hölzernen Gitters vom Schiff, das ich ergriffen hatte, gelangte ich an die Küste der Normandie.

Ich begab mich geradeswegs nach Caen und hatte das Glück, einen Grafen anzutreffen, den ich ehemals auf meinen Reisen kennenlernte. Mit diesem Herrn ging ich nach Paris. Durch seine und anderer Freunde Verwendung wurde ich Gouverneur eines jungen Kavaliers, den ich an den spanischen Hof begleitete. Dort blieben wir ein ganzes Jahr. Darauf ward mein Zögling von seinem Vater zurückgerufen, ich legte meinen Posten nieder und blieb an dem Ort unseres bisherigen Aufenthaltes. Dies geschah auf Anraten eines gewissen spanischen Granden, der mich unter seine Protektion nahm und einem anderen Großen empfahl, der in der Folge Vizekönig von Peru ward. Er bestand darauf, ich sollte ihn nach seinem Gouvernement begleiten. Meiner Religion zufolge war er aber nicht imstande, mein Glück dort auf eine andere Art zu machen als durch den Handel. Er leistete mir hierin allen Vorschub. Allein ich hatte diese Laufbahn nicht lange beschritten, als mein Gönner starb. Nunmehr sah ich mich mitten unter Fremden, ohne Freunde, ohne Beistand und Schutz. Dies bewog mich, alle meine Sachen zu verkaufen und in diese Gegend zu ziehen, wo der Gouverneur, den der Vizekönig selbst ernannt hatte, mein vertrauter Freund war.

Hier hat der Himmel in den sechzehn Jahren, da ich mich hier aufhalte, meine Bemühungen gesegnet. Nie ist meine Gemütsruhe in diesem Aufenthalt gestört worden, außer durch die Erinnerung an deine Mutter, über deren Tod ich unaufhörlich insgeheim getrauert habe, und durch die Besorgnisse über dein Schicksal. Ungeachtet aller meiner genauen Nachforschungen, die ich durch meine Freunde in Frankreich anstellen ließ, konnte ich davon nicht das mindeste erfahren. Sie meldeten mir bloß, du wärest vor sechs Jahren aus dem Lande gegangen, und seit der Zeit habe man von dir nichts weiter gehört.

Mit dieser unvollständigen Auskunft konnte ich mich nicht befriedigen, und wiewohl meine Hoffnung, dich wiederzufinden, auf gar schwachem Grunde beruhte, so beschloß ich dennoch, dich in Person aufzusuchen. Zu dem Zweck überwies ich den Wert von zwanzigtausend Pfund nach Holland. Noch besitze ich fünfzehntausend, mit denen ich mich auf Kapitän Bowlings Schiff nach Europa begeben wollte, ehe die göttliche Vorsicht dich mir so wunderbar zuführte. Daß mein Vorhaben dadurch nicht rückgängig gemacht worden ist, kannst du leicht erachten.«

Nachdem mein Vater uns auf eine so angenehme Art mit der Skizze seines Lebens unterhalten, ging er fort, um Antonio abzulösen, der in seiner Abwesenheit die Honneurs vom Hause hatte machen müssen. Eben war ich mit meinem Anzuge fertig und wollte zu den Gästen gehen, als Strap vom Schiff anlangte.

Kaum war er in das große Gemach getreten, wo ich mich befand, und sah, wie prächtig dieses und meine Kleidung war, als er vor Verwunderung die Sprache verlor; stillschweigend gaffte er die Gegenstände ringsumher an. Ich nahm ihn bei der Hand und sagte, ich wolle ihn zum Zeugen und Teilnehmer meines Glückes machen, und entdeckte ihm, daß ich meinen Vater gefunden habe.

Über diese Nachricht stutzte er nicht wenig und stand einige Minuten mit weit offenem Mund und großen Augen da. Endlich rief er: »Potzhunderttausend! nu merk ich was! Ade auf Nimmerwiedersehen, du, arme Narzissa, und all ihr übrigen miteinander! Du lieber Himmel, es ist doch ein wunderliches Ding um die Liebe! – Na, Gott helf uns allen! So ein Ende hat's also mit allen unsern närrischen Streichen und Liebesbeteuerungen genommen? Sie schlagen also in dem weitentlegenen Lande Ihren Wohnsitz für immer auf? Gott segne und erhalte Sie! – Nun müssen wir doch voneinander scheiden. Denn so weit von meinem Vaterlande möcht ich um aller Welt Güter willen meinen armen Leib nicht lassen.«

Nach diesen Worten fing er an zu schluchzen und allerlei Jammermienen zu schneiden. Endlich überführte ich ihn, daß er sich in Ansehung Narzissas und meines künftigen Aufenthalts in Paraguay geirrt habe. Zugleich erzählte ich ihm die wichtige Begebenheit, die mir widerfahren war.

Nie habe ich jemanden auf eine komischere Art sein Entzücken an den Tag legen sehen als meinen würdigen Freund. Er schrie, lachte, pfiff, sang, tanzte, alles in einem Atem. Diese wilden Ausbrüche der Freude waren kaum vorüber, als mein Vater hereintrat. Er hatte kaum erfahren, daß dies Strap sei, als er ihn bei der Hand nahm und zu ihm sagte: »Ist das der ehrliche Mann, der in deiner Not so viele innige Zuneigung für dich bewiesen hat? Seien Sie mir in meinem Hause von Herzen willkommen! In kurzem werd ich meinen Sohn in den Stand setzen, Ihnen die vielen Liebesdienste zu vergelten, die Sie ihm erwiesen haben. Kommen Sie inzwischen mit uns und nehmen Sie an dem Mahle teil, das eben soll aufgetragen werden.«

So außer sich vor Vergnügen Strap auch war, so wollte er dennoch die Ehre nicht annehmen, die man ihm erzeigen wollte. »Gott behüte und bewahre mich!« sagte er, »ich kenne den Abstand zu gut, der zwischen Ihnen und mir befindlich ist. Ihre Gestrengen werden mich daher entschuldigen.«

Als Don Rodrigo seine Bescheidenheit ganz unbezwinglich fand, empfahl er ihn dem Haushofmeister aufs angelegentlichste, der ihn denn mit der größten Ehrerbietung behandelte. Mittlerweile führte mich mein Vater in einen großen Saal. Dort stellte er mich einer zahlreichen Gesellschaft vor, die mich mit Komplimenten und Liebkosungen überhäufte und meinem Vater in Ausdrücken Glück wünschte, die zu wiederholen sich für mich nicht schicken würde.

Ohne mich in eine umständliche Beschreibung dieses Festes einzulassen, will ich nur soviel sagen: es war ebenso geschmackvoll als prächtig und dauerte zwei Tage lang. Darauf brachte Don Rodrigo seine Angelegenheiten in Ordnung, verwandelte seine Effekten in Gold und Silber und nahm von allen seinen Freunden Abschied, denen dies recht naheging und die mich mit beträchtlichen Geschenken beehrten. Darauf begaben wir uns an Bord von meines Oheims Schiff und liefen mit dem ersten guten Winde aus dem Rio de la Plata, und in zwei Monaten warfen wir in dem Hafen von Kingston auf der Insel Jamaika wohlbehalten Anker.


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