Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Dreißigstes Kapitel

Der Kapitän bietet Morgan seine Freiheit an, der sie aber ausschlägt. Wir werden beide verhört und wieder in Arrest gebracht

 

Die Nachricht von diesem Ereignis rührte meinen Mitgefangenen und mich ganz außerordentlich. Unser unglücklicher Amtsgenosse hatte sich durch seinen liebenswürdigen Charakter unsre Zuneigung und Achtung erworben. Je mehr wir seinen frühzeitigen Tod bedauerten, desto größer ward unser Abscheu gegen den Buben, der daran unstreitig schuld war. Dies verworfene Geschöpf verriet nicht die mindeste Spur von Kummer über Thompsons Tod, wiewohl ihm sein Gewissen sagen mußte, daß bloß seine üble Behandlung den jungen Mann zu dem leidigen Entschluß gebracht habe. Er begehrte jetzt vom Kapitän, Morgan die Freiheit zu geben, damit er wieder nach den Kranken sehen könne.

Demzufolge ward einer von den Korporalen heraufgeschickt, um dem Waliser seine Fesseln abzunehmen. Allein dieser beteuerte, er wolle nicht eher seine Freiheit haben, als bis er wisse, weshalb er in Haft gewesen sei, auch würde er für keinen Kapitän unter der Sonne weder Tennisball noch Schuhputzer oder Lasttier sein.

Oakum, der ihn so hartnäckig fand und befürchtete, es würde nicht in seiner Macht stehen, seine Tyrannei ungestraft ausüben zu können, entschloß sich, einigen Anschein von Gerechtigkeitsliebe blicken zu lassen. Daher ließ er uns beide an Deck vor sich fordern. Dort saß er in aller seiner Pracht und Herrlichkeit. Auf der einen Seite befand sich sein Schreiber, auf der anderen sein Ratgeber, Mackshane. »So, meine Herren, verdammt will ich sein, wenn nicht mancher Kapitän Euch beide ohne alles Verhör an der Rah hätte aufknüpfen lassen für die Verbrechen, deren Ihr Euch schuldig gemacht habt; aber, verdammt noch mal, ich habe ein viel zu gutes Herz und gebe zu, daß solche Hunde wie Ihr sich verteidigen dürfen.«

»Kapitän Oakum«, sagte mein Leidensgenosse, »bestimmt steht's in Ihrer Macht, Gott sei's geklagt, uns alle nach Ihrem Willen, Wunsch und Vergnügen aufknüpfen zu lassen. Vielleicht wär's sogar besser für manchen von uns, aufgeknüpft zu werden, als all die Drangsalierungen zu ertragen, denen wir ausgesetzt waren. So mag der Bauer seine Kinder hängen zu seinem Vergnügen, Zeitvertreib und Spaß; aber es gibt noch so etwas wie Gerechtigkeit, wenn nicht auf Erden, dann im Himmel. Diese wird mit Feuer und Schwefel diejenigen bestrafen, die aus reinem Übermut und bloßer Barbarei unschuldige Menschen ums Leben bringen. Indes soll es mir lieb sein, zu erfahren, welcher Verbrechen man mich beschuldigt, und die Person zu sehen, die mich anklagt.«

»Das sollt Ihr«, sagte der Kapitän. »He, Doktor, was habt Ihr vorzubringen?«

Mackshane kam langsam vorwärts und räusperte sich eine ganze Weile, um seine Kehle zu reinigen. Bevor er zu sprechen begann, redete ihn Morgan folgendermaßen an: »Doktor Mackshane, sehen Sie mir ins Gesicht, sehen Sie einem ehrenhaften Mann ins Auge, der einen falschen Zeugen so verabscheut wie den Teufel, und Gott soll Richter sein zwischen Ihnen und mir.«

Der Doktor beachtete Morgans beschwörende Worte gar nicht und machte folgende Aussage, soweit ich mich noch erinnere: »Ich will Euch etwas sagen, Mister Morgan. Was Ihr da in betreff eines Biedermanns sprecht, hat seine vollkommene Richtigkeit, und wofern es an den Tag kommt, daß Ihr ein Biedermann seid, so ist meine Meinung, daß Ihr in Rücksicht auf den gegenwärtigen Fall losgesprochen zu werden verdient. Denn ich muß Euch sagen, der Herr Kapitän Oakum ist entschlossen, jedermann Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Was mich nun anbelangt, so habe ich weiter nichts vorzubringen, als daß man mir gemeldet hat, Ihr hättet unehrerbietige Reden gegen Euren Kapitän ausgestoßen, der doch zuverlässig der rechtschaffenste und edelmütigste unter allen Kommandeurs in des Königs Dienst ist, wie Mann, Weib und Kind eingestehen muß.«

Nachdem er diese elegante Ansprache, auf die er sich viel zugute tat, beendet hatte, erwiderte Morgan: »Zum Teil errate, begreife und verstehe ich jetzt, was Sie meinen, würde aber gern nähere Erklärungen hören. Ich nehme jedoch an, man wird mich nicht auf bloßes Hörensagen hin verurteilen, oder wenn ich schon überführt werden sollte, von Kapitän Oakum respektlos gesprochen zu haben, so hoffe ich doch, daß man aus meinen Worten keine Verräterei konstruieren wird.«

»Aber gerade Meuterei, bei Gott«, schrie Oakum, »und darauf steht nach Kriegsrecht der Tod! Man lasse die Zeugen kommen!« Hierauf erschienen Mackshanes Diener und der Junge, der uns bei Tisch aufwartete, den sie beeinflußt und zur Aussage abgerichtet hatten. Ersterer erklärte, Morgan habe eines Tages, wie er die Leiter nach unsrer Wohnung heruntergestiegen war, auf den Kapitän geflucht, ihn ein wildes Vieh genannt und hinzugesetzt, man müsse ihn als einen Feind des menschlichen Geschlechts umbringen. »Dies«, sagte der Schreiber, ein elender Wurm, der Famulus eines Advokaten gewesen war, »gibt starke Wahrscheinlichkeit, daß man eine Absicht auf das Leben des Kapitäns gehabt hat. Denn es setzt eine wohlüberlegte Bosheit, eine kriminelle Absicht a priori voraus.«

»So recht!« rief Oakum. »Ihr sollt genug Gerechtigkeit haben. Da ist Cook und Littlejohn schon wider Euch.«

Dies Zeugnis wurde durch unseren kleinen Aufwärter bestätigt. Er sagte aus, der erste Unterchirurgus habe geäußert, der Kapitän habe so wenig Barmherzigkeit und Mitleid in seiner Brust wie ein Bär und der Wundarzt so wenig Gehirn in seinem Schädel wie ein Esel. Sodann ward die Schildwache vernommen, die uns im Heck des Schiffs behorcht hatte. Diese meldete den Richtern, der Waliser habe mir versichert, Kapitän Oakum und Doktor Mackshane würden für ihr barbarisches Betragen in der Hölle auf Wellen von brennendem Schwefel herumgeschleudert werden.

Der Schreiber bemerkte, durch dies Zeugnis werde der seitherige Verdacht einer Verschwörung gegen des Kapitäns Leben ungemein verstärkt. »Denn«, sagte er, »wie konnte Morgan so bestimmt den Ausspruch tun, der Kapitän sowie der Oberchirurgus würden verdammt werden, wofern er nicht die Absicht gehegt hätte, beide aus dem Weg zu räumen, ehe und bevor sie Zeit gehabt, ihre Sünden zu bereuen.«

Diese weise Folgerung hatte bei unserem wackeren Kommandeur großes Gewicht. »Nun, Patron«, rief er, »was kannst du dagegen sagen? He, Bruder?«

Morgan besaß viel zuviel Ehrliebe, um den Text abzuleugnen, aber den Kommentar verwarf er gänzlich als falsch. Der Kapitän sprang auf ihn los und sagte mit wütender Miene: »So, du Hurensohn! Du gestehst also, daß du mich einen Bären und ein Biest genannt und gesagt hast, ich wäre verdammt? Soll mich der Donner erschlagen, ich habe gute Absicht, dich vors Kriegsgericht zu bringen und henken zu lassen.«

Mackshane, der einen Gehilfen sehr nötig hatte, legte sich hier ins Mittel. Er bat unsern Chef, Morgan nach seiner gewohnten Güte zu verzeihen, doch unter dem Beding, daß der Verbrecher sich zu einer solchen Unterwerfung verstände, wie sie seinem pflichtwidrigen Betragen angemessen sei.

Der Altbrite, der sich bei einer solchen Gelegenheit selbst vor dem Großmogul nicht würde gedemütigt haben, und wenn er von seiner ganzen Leibwache wäre umgeben gewesen, dankte jetzt dem Doktor für seine Vermittlung und gestand wie folgt: »Ich tat unrecht, das Ebenbild Gottes ein Vieh zu nennen, aber ich sprach in Metaphern, Parabeln, Gleichnissen und Typen; wie wir Sanftmut durch ein Lamm bezeichnen, Geilheit durch einen Bock und List durch einen Fuchs, so vergleichen wir die Unwissenheit mit einem Esel, die Brutalität mit einem Bären und die Wut mit einem Tiger. Darum bediente ich mich dieser Gleichnisse, um meine Gedanken auszudrücken, sehen Sie wohl? Und was ich vor Gott gesagt habe, werde ich nicht ableugnen, weder vor Mensch noch Tier.«

Oakum wurde durch seine Unverschämtheit, wie er es nannte, so erbittert, daß er befahl, ihn sogleich wieder nach seinem Arrest zu bringen, und dem Schreiber gebot, nun zu meinem Verhör fortzuschreiten. Die erste Frage, die man mir vorlegte, war, woher ich gebürtig sei.

Ich: »Aus Nord-Schottland.«

»Aus Nord-Irland ist wahrscheinlicher«, schrie der Kapitän. »Aber wir werden dich gleich überführen.« Dann fragte er, zu welcher Religion ich mich bekenne, und als ich antwortete: »Zur protestantischen«, schwor er, ich sei ein so eifriger Katholik, wie nur jemals einer zur Messe gegangen sei. »Los, los, Schreiber«, fuhr er fort, »befragt ihn ein wenig über diesen Punkt.«

Bevor ich des Schreibers Fragen ausführlich zitiere, wird es nötig sein, den Leser davon zu unterrichten, daß unser Kommandeur selbst ein Irländer war und, wofern es nicht boshafte Verleumder ihm nur nachsagten, überdies ein Katholik.

Schreiber: »Ihr sprecht, Ihr wärt ein Protestant; nun, so macht das Zeichen des Kreuzes mit Euren Fingern und beschwört, was Ihr gesagt habt.«

Als ich eben im Begriff war, diese Zeremonie zu machen, schrie der Kapitän hitzig: »Nein, nein, verdammt noch mal, ich will keine Entweihung der heiligen Dinge. Aber fahren Sie fort mit Ihrer Befragung.«

»Nun, wohlan«, fuhr der Schreiber fort, »wieviel Sakramente gibt es?« Worauf ich erwiderte: »Zwei.« – »Welche sind das?« Ich antwortete: »Taufe und Abendmahl.« – »Und so wollt Ihr Firmelung und Ehe ausschließen?« sagte Oakum; »ich dachte, der Kerl wäre ein Erzkatholik.«

Wiewohl der Schreiber bei einem Advokaten war erzogen worden, so konnte er sich dennoch bei diesem starken Schnitzer nicht des Errötens enthalten. Indessen bemühte er sich, denselben zu bemänteln, und machte die Anmerkung, ich würde mich in solchen Fallstricken nicht fangen lassen, ich schiene ihm ein abgefeimter Gauner zu sein. Darauf fragte er mich, ob ich an Transsubstantiation glaubte. Ich ließ mich aber über diese Lehre so unehrerbietig aus, daß sein Patron meine Ruchlosigkeit höchst anstößig fand und dem Examinator gebot, zur Hauptanklage selbst zu schreiten.

Nunmehr sagte der elende Winkeladvokat zu mir, es sei starker Anschein zu dem Verdacht vorhanden, daß ich ein Spion wäre und daß ich mich mit Thompson und anderen in eine Verschwörung eingelassen, die bis jetzt noch nicht entdeckt werden könne.

Diese Anklage glaubten sie durch das Zeugnis unseres Jungen zu unterstützen, welcher aussagte, er habe den verstorbenen Thompson und mich oft zusammen flüstern hören und die Worte ›Oakum, Bösewicht, Gift und Pistole‹ deutlich verstehen können. Daraus, sagten sie, erhelle offenbar, daß wir bedacht gewesen wären, jenen Herrn aus dem Wege zu räumen, wie es sich nur tun ließe. Thompsons Ende schien jene Mutmaßung nur mehr als zu sehr zu begründen.

»Denn«, fügte der Schreiber hinzu, »er hat entweder aus Gewissensbissen, sich in ein so abscheuliches Komplott eingelassen zu haben, oder aus Besorgnis, entdeckt zu werden und einen schmachvollen Tod zu sterben, seinem Leben ein Ziel gesetzt. Was uns aber ein vollkommenes Licht anzündet, ist ein Buch mit Chiffren, das man unter Euren Papieren gefunden und das genau mit einem anderen übereinstimmt, so in dem Kasten jenes Selbstmörders liegt. Dies ist«, schloß er, »eine so starke Vermutung, daß sie einem vollen Beweise sehr nahekommt und jedes Gericht in der ganzen Christenheit bewegen muß, Euch für schuldig zu erklären.«

Ich führte zu meiner Verteidigung an, ich sei ganz wider meinen Willen an Bord geschleppt worden; dies könnte ich durch das Zeugnis verschiedener Personen beweisen, die sich noch im Schiffe befänden. Folglich könne ich damals gar nicht die Absicht gehabt haben, Spion zu werden. Auch sei ich bisher gänzlich außerstande gewesen, irgendeinen Briefwechsel zu führen, wodurch ein begründeter Verdacht von der Art gegen mich hätte entstehen können. Was nun die Verschwörung gegen des Kapitäns Leben anlangte, so könnte kein Mensch von gesundem Verstande auf den Gedanken kommen, eine solche Tat auszuführen. Denn es sei unmöglich, selbst bei der stärksten Neigung dazu, nicht einzusehen, daß die schmachvollste Bestrafung und der schmählichste Tod der Lohn dafür sein müsse. Wollt ich auch zugeben, die Aussage des Jungen sei wahr, die ich aber als falsch und boshaft verwürfe, so ließe sich doch aus wenigen unzusammenhängenden Worten nichts Zuverlässiges folgern.

»Selbst Thompsons Tod«, schloß ich, »ist ein Umstand, der mehr für als gegen mich zeugt; denn ich habe einen Brief in der Tasche, der einen ganz anderen Aufschluß über dies Geheimnis gibt, als man angenommen hat.«

Mit diesen Worten zog ich ein Schreiben hervor, das mir Jack Rattlin an ebendem Tage zustellte, da Thompson verschwunden war. Zugleich habe er mir gesagt, fügte ich hinzu, der Verstorbene habe ihm, ehe er es ihm zur Besorgung anvertraut, das Gelöbnis abgenommen, es mir nicht eher zu überliefern, als bis er tot sei.

Der Schreiber nahm dies Papier an und las mit lauter Stimme folgendes ab:

›Teurer Freund!

Die Strapazen, die ich bei Tage und bei Nacht in meinem Dienst ausstehen muß, und Doktor Mackshanes grausames Benehmen, der auf nichts als Ihren und meinen Untergang dichtet und trachtet, haben mich ganz niedergedrückt und zu dem Entschluß gebracht, mich meines elenden Lebens zu entledigen.

Wenn Sie Gegenwärtiges erhalten, bin ich nicht mehr. Ich hätte gern gesehen, daß Sie Ihre gute Meinung von mir nicht änderten; allein ich besorge, daß ich sie durch diese letzte Handlung meines Lebens verscherzen werde. Doch wenn Sie mich auch nicht von aller Schuld freisprechen können, so weiß ich gewiß, Sie werden wenigstens einige Achtung für das Andenken eines unglücklichen jungen Mannes behalten, der Ihnen äußerst zugetan war.

Hüten Sie sich ja vor Mackshane recht sehr. Seine Rachgier ist unversöhnlich. – Ich wünsche Ihnen und unserm Morgan alle Arten von Glückseligkeit. Letztern bitt ich meiner tiefsten Ehrerbietung zu versichern, und Sie ersuche ich, sich meiner zu erinnern als

Ihres unglücklichen Freundes und Landsmanns

William Thompson.‹

Kaum war dieser Brief vorgelesen worden, als Mackshane voller Wut ihn aus des Schreibers Händen nahm und ihn in tausend Stücke riß. Zugleich behauptete er, ich hätte den Bolzen gedreht und auch verschossen. Der Kapitän und der Schreiber waren derselben Meinung, wiewohl ich darauf bestand, man möchte die Überreste dieses Schreibens mit den Papieren von Thompson zusammenhalten, in deren Besitz man sei. Meine Richter befahlen mir, auf den letzten Punkt ihrer Anklage, nämlich auf das Buch mit Chiffren, zu antworten, das man unter meinen Briefschaften gefunden habe.

»Das kann ich gar leicht«, war meine Antwort. »Was Sie Chiffren zu nennen belieben, sind nichts als griechische Buchstaben, womit ich zu meinem Zeitvertreib ein Tagebuch von allen den Vorfällen angefertigt habe, die mir seit dem Anfange unsrer Fahrt bis zu dem Tage, da ich in Ketten gelegt wurde, meiner Aufmerksamkeit würdig schienen. Thompson hat sich der nämlichen Methode bedient, als er mein Tagebuch kopierte.«

»Ein sehr glaubwürdiges Geschichtchen!« rief Mackshane. »Wozu bedientet Ihr Euch der griechischen Buchstaben, wenn Ihr nicht befürchtetet, das, was Ihr geschrieben hattet, möchte entdeckt werden? – Doch was schwatzt Ihr mir von griechischen Buchstaben vor? Denkt Ihr, ich bin in der Sprache so unwissend, daß ich nicht die griechischen Buchstaben von diesen hier unterscheiden sollte, die ebensowenig griechisch als chinesisch sind? Nein, nein, ich will mir weder von Euch noch von irgend jemand aus Eurem Lande meine Kenntnis des Griechischen streitig machen lassen.«

Hierauf fing er mit einer Unverschämtheit ohnegleichen an, ein Kauderwelsch herzuschnattern, das dem Schalle nach Irländisch zu sein schien und das er gegen den Kapitän für Griechisch ausgab. Dieser sah mich mit einem verächtlichen Lächeln an und sagte: »Haha, Bürschchen, da bist du an den Unrechten gekommen.«

Ich konnte mich bei der ungemeinen Dreistigkeit des Doktors nicht des Lächelns enthalten und erbot mich, die Entscheidung des Streites jedem an Bord zu überlassen, der das griechische Alphabet verstünde.

Morgan wurde hierauf zurückgebracht und ihm der Fall in kurzen Worten erklärt. Er las ohne Anstoß eine ganze Seite aus dem Tagebuch in unserer Muttersprache her und entschied sonach die Sache zu meinem Vorteil.

Der Doktor ließ sich dadurch nicht im geringsten aus seiner Fassung bringen. Er behauptete, Morgan wisse mit um das Geheimnis und habe aus seinem Kopf etwas hergelesen. »Jaja«, rief Oakum, »ich sehe wohl, sie ziehn beide an einem Strange.« Hierauf ward mein Kollege wieder nach seinem Gewahrsam geführt, wiewohl ich den Vorschlag tat, er und ich sollten, jeder besonders, ein Kapitel oder einen Vers aus dem griechischen Testament übersetzen, das er hätte. Daraus würde sich genau ergeben, wer die Wahrheit gesagt habe, ob der Oberchirurgus oder wir.

Da ich nicht mit hinreichender Beredsamkeit ausgerüstet war, den Kapitän zu überzeugen, daß bei diesem Auskunftsmittel keine Durchstechereien oder Praktiken stattfinden könnten, so bat ich, mich von irgendeiner unparteiischen Person an Bord examinieren zu lassen, die Griechisch verstände.

Demzufolge wurde das ganze Schiffsvolk, Offiziere und alles, an Deck gerufen und bekanntgemacht, wer von ihnen Griechisch spreche, sollte sich sogleich auf dem Achterdeck einfinden. Nach einer Pause traten zwei Fockmastmänner hervor und sagten, sie hätten diese Sprache auf ihren verschiedenen Reisen nach der Levante von den Griechen auf Morea erlernt. Der Kapitän freute sich sehr über die Erklärung und gab dem einen von ihnen mein Journal. Allein dieser bekannte ganz treuherzig, er könne weder lesen noch schreiben. Der andere gestand seine Unwissenheit hierin ebenfalls ein, behauptete aber, Griechisch sprechen könne er mit jedermann an Bord. Darauf redete er mich in einer barbarischen, verschrobenen Sprache an, wovon ich kein Wort verstand.

Ich versicherte, das neue Griechisch wäre von dem, was die Alten geschrieben und gesprochen hätten, so sehr verschieden wie das jetzt übliche Englisch von dem Alt-Sächsischen, das zu den Zeiten des Hengist sei geredet worden. Da ich nun bloß die Ursprache erlernt hätte, worin Homer, Pindar und andere große Männer des Altertums geschrieben, so könne man nicht verlangen, daß ich irgend etwas von dem unvollkommenen, barocken Dialekt wissen solle, der aus den Trümmern der alten Sprachen entstanden sei und von der alten Art, sich auszudrücken, kaum noch einige Spuren in sich trage. Wenn aber Doktor Mackshane, der des Griechischen so sehr mächtig zu sein vorgäbe, imstande wäre, mit diesen beiden Leuten eine Unterredung zu halten, so wollte ich alles zurücknehmen, was ich gesagt hätte, und mir gern jede Strafe gefallen lassen, die er mir aufzulegen für gut finden würde.

Kaum waren diese Worte über meine Zunge, als der Oberchirurgus, der einen dieser Matrosen als seinen Landsmann kannte, ihn auf Irländisch anredete und von ihm in demselben Kauderwelsch eine Antwort erhielt. Hierauf erfolgte zwischen ihnen ein Gespräch, das sie für Griechisch ausgaben, nachdem sie sich zuvor der Verschwiegenheit des anderen Seemannes versichert hatten. Diesem war nämlich von seinem Kameraden ein Wink in der zu Morea üblichen Sprache gegeben worden, ehe sie es wagten, ganz dreist solche Unwahrheit zu behaupten.

»Dacht ich's doch«, sagte Oakum, »daß wir noch endlich hinter den Betrug kommen würden. Man führe den Galgenstrick nur wieder in seinen Arrest. Er muß baumeln, das sehe ich schon.«

Da ich bei Richtern, die gegen mich eingenommen waren, einen heimlichen Groll hegten und durch Unwissenheit gegen die Wahrheit verblendet wurden, nichts für mich auszuwirken imstande war, so ließ ich mich ruhig zu meinem Mitgefangenen zurückführen. Dieser hob Hände und Augen gen Himmel und stieß einen fürchterlichen Seufzer aus, als ich ihn mit meinem Verhöre umständlich bekannt gemacht hatte. Da er seine Gedanken gegen mich nicht durch Worte ausschütten durfte, aus Furcht, von der Wache behorcht zu werden, so stimmte er ein walisisches Liedchen an, das er mit unendlich vielen Gesichtsverzerrungen und heftigen Gebärden begleitete.


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