Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Siebenunddreißigstes Kapitel

Unterwegs wird Crampley Kapitän. Der Oberwundarzt fällt als ein Opfer seiner Grausamkeit. Ich werde sehr übel von jenem behandelt und fordere ihn zum Zweikampf auf dem Lande heraus, der für mich höchst unglücklich abläuft

 

Jetzt, da ich auf ehrenvolle Art in mein Vaterland zurückkehren konnte, empfand ich außerordentliches Vergnügen, die fatale Insel aus dem Gesicht zu verlieren, die das Grab so manchen Europäers geworden war. Ich beschloß, da ich mit allem versehen war, was mir die Überfahrt behaglich machen konnte, mir so gütlich zu tun, als es mir Crampleys Übermut erlauben würde.

Dieser hinterlistige Verleumder hatte bereits Zwietracht zwischen dem Oberwundarzt und dem Kapitän zu stiften gewußt. Diesen, dessen Gemütsart durch eine lange Reihe fehlgeschlagener Erwartungen versäuert worden war, hatten Alter und Schwächlichkeit ganz unverträglich mürrisch gemacht. Er hegte die stärkste Abneigung gegen junge Leute, zumal gegen Wundärzte. Diese hielt er für unnötige Geschöpfe auf seinem Schiff. Bei solchen Gesinnungen fragte er den Doktor nie um Rat, wiewohl er öfters heftige Anfälle von Fußgicht und Steinschmerzen hatte, sondern er nahm seine Zuflucht zu einem Faß mit holländischem Wacholderbranntwein, der sein Universalmittel für alle Krankheiten war.

Ich kann nicht wissen, ob er jetzt zu sparsam damit umging oder ob er eine zu starke Dosis von seinem Herzmittel zu sich genommen haben mochte, genug, soviel ist sicher, daß er sich in einer Nacht ohne alle Zeremonie – so etwas hatte er auch immer gehaßt – aus dieser Welt fortmachte. Man fand ihn den folgenden Morgen starrtot, zu Crampleys nicht geringem Vergnügen, der ihm nun im Kommando des Schiffes folgte.

Tomlins und ich hatten gar keine Ursache, darüber erfreut zu sein, weil uns bange war, die Tyrannei des neuen Befehlshabers möchte jetzt so unumschränkt sein wie seine Macht. Der erste Tag seines Kommandos rechtfertigte unsere Besorgnis. Unter dem Vorwande, daß unsere Decks zu sehr angefüllt wären, befahl er, des Doktors Hühnerkörbe samt dem darin befindlichen Federvieh über Bord zu werfen. Zugleich verbot er ihm und mir, uns auf dem Achterdeck sehen zu lassen.

Der Oberchirurgus konnte nicht umhin, sich über diese tätlichen und wörtlichen Beleidigungen zu beschweren. Unter diesen Klagen entwischten ihm einige hastige Worte. Crampley nutzte dies und ließ ihn in seine Kajüte einsperren. Der Mangel an Luft zog ihm in wenig Tagen ein Fieber zu, das seinem Leben gar bald ein Ende machte. Zuvor ließ er noch ein Testament aufsetzen, worin er seine ganze Habe, liegende sowohl als bewegliche, seiner Schwester vermachte, mir aber zum freundschaftlichen Andenken seine Uhr und seine Instrumente.

Dieser traurige Vorfall verursachte mir viel Betrübnis, und zwar um so mehr, weil nun niemand an Bord war, dem ich meinen Kummer mitteilen oder von dem ich den geringsten Trost und Rat erhalten konnte.

Crampley war so weit davon entfernt, über sein unmenschliches Benehmen die geringsten Gewissensbisse zu empfinden, daß er vielmehr bei der Botschaft von dem Tode des Oberchirurgus sein Andenken auf das schmachvollste behandelte und versicherte, er habe sich bloß aus Furcht, Meuterei wegen vor den Kriegsrat gezogen zu werden, vergiftet. Aus der Ursache wollte er denn auch nicht zugeben, daß die gewöhnlichen Leichenzeremonien verrichtet würden, ehe man seinen Leichnam über Bord warf.

Nichts als die Hoffnung einer schnellen Erlösung konnte mir die unmenschlichen Handlungen dieses Paschas erträglich machen, der, um mir das Leben noch mehr zu erschweren, gegen meine Tischgenossen das Verlangen äußerte, sie möchten mich aus ihrer Gesellschaft stoßen. Kaum hatte er diesen Wink gegeben, so erfüllten sie sein Begehren, und ich ward genötigt, während des Überrestes der Fahrt für mich allein zu essen; indes dauerte dies nicht lange.

Sieben Wochen waren wir in See gewesen, als der Kanonier dem Kapitän sagte, nach seiner Rechnung müßten wir uns an einem Ort befinden, wo Grund anzutreffen sei, und der Kapitän möchte Befehl geben, das Bleilot auszuwerfen. Allein Crampley schwor, er wüßte, wie er den Lauf des Schiffes zu richten habe; denn wir hätten noch hundert Meilen hin, ehe Grund käme, und deshalb wolle er sich nicht die Mühe geben, das Lot auszuwerfen.

Deswegen setzten wir den Nachmittag und die Nacht unseren Lauf fort, ohne die Segel einzuziehen, wiewohl der Kanonier behauptete, er sähe aus allen Anzeichen, daß wir nicht weit vom Lande wären. Den folgenden Morgen protestierte er förmlich gegen des Kapitäns Verhalten, wofür er denn in Haft genommen wurde.

Wir entdeckten, wie der Morgen dämmerte, noch kein Land, und unser Kapitän war noch immer so betört, daß er kein Blei auswerfen ließ. Allein um drei Uhr stieß das Schiff auf eine Sandbank, und wir saßen fest. Über diesen Vorfall gerieten alle, die auf dem Schiff waren, in Angst und Schrecken. Das Boot wurde sogleich herausgewunden. Da wir aber nicht unterscheiden konnten, wo das Ufer lag, waren wir gezwungen, den Anbruch des Tages abzuwarten. Mittlerweile ward der Wind heftiger, und die Wellen schlugen so stark gegen die Schaluppe, daß wir besorgten, sie würde in Stücke gehen. Der Kanonier wurde auf freien Fuß gestellt und befragt. Er gab dem Kapitän den Rat, den Mast zu kappen und unser Fahrzeug zu erleichtern. Man tat dies; allein es fruchtete nichts.

Als die Schiffsleute sich in einer so verzweiflungsvollen Lage erblickten, brachen sie, nach altem Brauch, die Kisten der Offiziere auf, zogen sich deren Kleider an und tranken deren starke Getränke. Trunkenheit, Tumult und Verwirrung waren die Folgen davon.

Mitten unter diesem Aufruhr kam ich hinunter, um meine Sachen in Sicherheit zu bringen. Ich fand hier den Unterschiffszimmermann damit beschäftigt, pfeifend und in aller Ruhe des Proviantmeisters Kammer mit der Axt aufzubrechen. Ich fragte ihn, warum er dies täte. Und er gab mir gelassen zur Antwort: »Um des Proviantmeisters Rum zu kosten, Herr, um weiter nix.«

In dem Augenblick kam dieser Mann dazu. Als er sah, daß alle seine Sachen zugrunde gerichtet wurden, beschwerte er sich bitterlich, daß man so übel mit ihm verführe, und er fragte den ungebetenen Gast, was er denn mit dem starken Getränk anfangen wolle, da er doch aller Wahrscheinlichkeit nach binnen wenigen Minuten in der Ewigkeit sein würde. »Ist alles einerlei«, versetzte der Plünderer, »wollen uns was zugute tun, solange wir noch leben.« – »Du elender Bube«, rief der Proviantmeister, »was wird dein Lohn in der andern Welt sein, wenn du so mitten in deinen Sünden wie 'n Erzdieb dahinfährst?« – »Je nun, die Hölle, denk ich«, versetzte jener mit großer Kaltblütigkeit. Der Proviantmeister fiel auf die Knie nieder und bat den Himmel, uns nicht um eines Jonas willen umkommen zu lassen.

Während dieses Gesprächs legte ich meine besten Kleidungsstücke an, schnallte meinen Hirschfänger um, steckte meine Pistolen geladen in mein Wehrgehenk und verteilte alle meine Sachen von Wert, die sich gut fortbringen ließen, um meinen Körper. Darauf begab ich mich mit dem Entschluß auf das Deck, die erste Gelegenheit, ans Land zu kommen, zu nutzen, das, wie der Tag anbrach, drei Meilen von uns zu sehen war.

Als Crampley fand, daß seine Bemühungen, das Schiff flottzumachen, vergeblich waren, beschloß er, für seine eigene Sicherheit zu sorgen, und begab sich in das Boot. Kaum hatte er dies getan, als das Schiffsvolk ihm so schnell folgte, daß das Boot beinahe neben dem Schiff versunken wäre, wenn nicht einer, klüger als die andern, das Seil zerschnitten und abgestoßen hätte.

Ehe dies geschah, hatte ich verschiedene Versuche gemacht, um mit hineinzukommen; allein der Kapitän hatte mich stets zurückgestoßen. Er war so darauf bedacht, mich auszuschließen, daß er auf die anderen, die sich hineinzudrängen suchten, gar nicht achtete. Über diese Ungerechtigkeit ward ich rasend, und da ich nun das Tau abgeschnitten sah, zog ich eine von meinen Pistolen hervor, spannte den Hahn und schwor, jeden vor den Kopf zu schießen, der mir das Einsteigen verwehren würde. Mit diesen Worten tat ich einen mächtigen Sprung und kam mit dem Verlust der Schienbeinhaut glücklich ins Boot.

Beim Hereinspringen hatte ich von ungefähr Crampley umgestoßen. Sowie er nur auf den Beinen war, gab er mir einige Hiebe mit seinem Seitengewehr und befahl den Leuten, mich über Bord zu werfen. Sie waren aber auf ihre Sicherheit zu sehr bedacht, als daß sie sich an das kehrten, was er sagte. Wiewohl das Boot sehr voll geladen war und die See schrecklich hoch ging, kamen wir dennoch in weniger als einer Stunde nach unserer Abfahrt von der Schaluppe, freilich mit genauer Not, ans feste Land.

Kaum fühlte ich festen Grund unter meinen Füßen, als der Unwille gegen Crampley losbrach, der so lange in meiner Brust gekocht hatte. Ich forderte ihn unmittelbar darauf zum Zweikampf heraus. Zugleich reichte ich ihm meine Pistolen, um ihn wählen zu lassen. Er nahm ohne Bedenken die eine, und ehe ich den Hahn der anderen aufspannen konnte, feuerte er seine in mein Gesicht ab und warf sie nach dem Schuß weg.

Ich war davon ganz betäubt und glaubte, die Kugel sei durch mein Gehirn gegangen, daher schoß ich meine Waffe so schnell wie möglich ab, um nicht ungerächt zu sterben. Sodann flog ich auf meinen Gegner los und schlug ihm mit dem Pistolenkolben die Vorderzähne aus. Zuverlässig hätte ich mit diesem Instrument seinem Leben ein Ende gemacht, wenn er sich nicht von mir losgerissen und sein Entermesser dem Bedienten abgenommen hätte, das er diesem zu halten gab, als ich ihm die Pistolen reichte.

Wie ich meinen Feind auf die Art bewaffnet sah, warf ich ihm meine Pistole an den Kopf, zog meinen Hirschfänger und ging wütend auf ihn los. Ich stieß ihm mein Seitengewehr in den Mund, wodurch dieser auf der einen Seite bis an das Ohr erweitert wurde. Ob ihn nun der Schmerz über diese Wunde außer Fassung setzte oder ob die Ungleichheit des Bodens ihn straucheln machte – genug, er taumelte einige Schritte zurück. Ich folgte ihm dicht auf dem Fuße und zerschnitt ihm mit einem Hieb die Flechsen auf dem Rücken der Hand, so daß ihm das Entermesser entfiel und er wehrlos blieb.

Ich weiß nicht, wie weit ich in meinem blutdürstigen Grimm gegangen sein würde, wenn ich nicht in demselben Augenblick durch einen Streich auf meinen Hinterkopf wäre ohne Bewegung zu Boden gestreckt worden. Eine geraume Zeit hindurch blieb ich in dieser bedauernswürdigen Lage, der Wut eines höchst erbitterten Barbaren und eines unmenschlichen Schiffsvolks ausgesetzt.

Ob während des Zustandes meines Vernichtetscheinens Streitigkeiten unter ihnen entstanden sind, getraue ich mich nicht zu bestimmen; doch scheinen sie in einem Stück völlig einstimmig gewesen und mit gleicher Geschicklichkeit und Eilfertigkeit zu Werke gegangen zu sein. Denn als ich den Gebrauch meines Verstandes wiederbekam, fand ich mich allein auf einem wüsten Platze, meiner Kleider, der Uhr, der Schnallen, meines Geldes, kurz aller Dinge beraubt, bis auf meine Schuhe, Strümpfe, die Beinkleider und mein Hemd.

Was für eine Entdeckung war das für mich, der ich ungefähr eine Stunde zuvor sechzig Guineen an Geld und Geldeswert besessen hatte! Ich verfluchte die Stunde meiner Geburt, die Eltern, die mir das Dasein gegeben, die See, die mich nicht verschlungen, den Dolch meines Feindes, der nicht den Weg zu meinem Herzen gefunden, und die schändlichen Buben, die mich in einem so bejammernswürdigen Zustande gelassen hatten. In der Fülle meiner Verzweiflung beschloß ich, liegenzubleiben, wo ich war, und da umzukommen.


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