Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Dreiundfünfzigstes Kapitel

Banter geht mir mit einer neuen Heiratsspekulation an die Hand. Ich reise zu dem Zweck nach Bath

 

Nachdem ich mir diesen Stein vom Herzen gewälzt hatte, war mir recht wohl zumute. Ich sah den Spieltisch für einen unfehlbaren Hilfsquell eines Gentlemans an, der sich in Not befindet, und wurde zuversichtlicher denn jemals. Wiewohl meine Kleider noch so gut wie neu waren, so schämte ich mich doch, sie zu tragen, weil ich glaubte, daß nun schon jedermann ein genaues Inventarium meiner Garderobe hätte. Deshalb schlug ich einen guten Teil an einen Kleiderhändler in der Monmouthstreet für den halben Wert los und kaufte mir für das Geld zwei ganz neue, vollständige Anzüge. Auch schaffte ich mir eine schlichte goldene Uhr an, denn die reichbesetzte wiederzubekommen, die ich an Strutwell so törichterweise verschleudert hatte, gab ich nun alle Hoffnung auf. Nichtsdestoweniger stattete ich noch immer alle Morgen meine Besuche bei diesem Herrn ab, bis der Gesandte, auf den er mich vertröstet hatte, mit einem Sekretär abreiste, den er sich selbst gewählt.

Nunmehr nahm ich mir die Freiheit, den Lord zur Rede zu stellen, und zwar schriftlich. Ich sagte ihm ohne alle Schonung, daß er mich mit falschen Hoffnungen hingehalten habe, die er zu erfüllen weder Einfluß noch Neigung besäße. Ebensowenig hielt ich meine Herzensmeinung gegen Straddle zurück. Ich machte ihm persönlich Vorwürfe darüber, daß er mir Strutwell in einem falschen Lichte gezeigt habe, den ich für einen Mann von einem durchaus schlechten Charakter zu erklären kein Bedenken trug. Er schien über meinen Freimut sehr entrüstet, schwatzte viel von seinem hohen Stande und seiner Ehre und begann einige Vergleiche anzustellen, die mir sehr schimpflich dünkten. Ich bat mir daher mit großer Wärme eine deutlichere Erklärung aus. Allein er war niederträchtig genug, sich solcher Ausflüchte zu bedienen und sich so unterwürfig zu bezeigen, daß ich ihn mit der äußersten Verachtung verließ.

Banter, der eine erstaunliche und plötzliche Veränderung in meinem Äußern und Innern bemerkt hatte, fing jetzt an, sich aufs genaueste nach deren Veranlassung zu erkundigen. Ich hielt es nicht für ratsam, ihm den eigentlichen Verlauf zu entdecken, weil mir bange war, er möchte sonst zu frei über meinen Geldbeutel verfügen wollen. Daher sagte ich ihm, ich hätte eine kleine Geldunterstützung von einem Verwandten auf dem Lande erhalten, der mir gleichzeitig versprach, seinen ganzen Kredit – der nicht gering wäre – dahin zu verwenden, daß ich einen Posten bekäme, wodurch ich mich auf Lebenszeit versorgt befände.

»Wenn dem so ist«, versetzte Banter, »so würd es Ihnen wohl nicht unlieb sein, Ihr Glück durch einen anderen Kanal zu machen. Ich habe eine Verwandte, die in der künftigen Woche mit ihrer einzigen Tochter nach Bath geht, einem kränklichen und gebrechlichen Dinge, die dort den Brunnen brauchen will, um wieder gesund zu werden. Der Vater war ein reicher Kaufmann, der nach der Levante handelte, etwa vor einem Jahre gestorben ist und ihr ein Vermögen von zwanzigtausend Pfund hinterlassen hat. Die Mutter, meine Kusine, ist Vormund. Ich würde mich an die Spitze der Freier stellen, wenn ich nicht gerade mit der Alten verfeindet wäre.

Vor einiger Zeit«, fuhr der Erzähler fort, »müssen Sie wissen, hab ich eine kleine Summe Geldes von ihr geborgt und sie in einem gewissen Termin zurückzuzahlen versprochen. Allein meine Erwartung schlug fehl; das Geld, das mir vom Lande hatte sollen geschickt werden, blieb aus, der Zahlungstag verstrich, ohne daß ich die Zahlung leistete. Darüber schrieb sie mir einen heftigen Brief, worin sie mich festsetzen zu lassen drohte, wofern ich nicht sogleich bezahlte. Diese zu große Pünktlichkeit wurmte mich, und ich schickte ihr eine verdammt spitzige Antwort. Sie ward darüber so wild, daß sie einen Haftbefehl gegen mich auswirkte. Kaum merkte ich die ernstliche Wendung, die die Sache nahm, so bat ich einen Freund, mir das Geld vorzuschießen, und zahlte es ihr persönlich aus. Zugleich sagte ich ihr, wiewohl es ihr eigenes Haus war, harte Dinge über ihr unfreundliches Benehmen. Diese Vorwürfe ärgerten sie, und sie fing nun an, ihrerseits zu schelten. Die ungestalte kleine Göre stand ihrer Mutter mit giftigen Sticheleien bei, und ihre Schnellzüngigkeit war so groß, daß ich mich zurückzog, nachdem ich mit einer großen Menge Ehrentiteln war belegt worden, die mir deutlich zu erkennen gaben, daß die Alte so wenig Achtung für mich als die Tochter Zuneigung zu mir hatte.

Da sie keine Weltkenntnis haben«, schloß Banter seinen Bericht, »so ist tausend gegen eins zu wetten, daß sie einer oder der andere schlechte Kerl in Bath wegkapert, wofern ich dem Dinge nicht auf eine andere Art zuvorkomme. Ihr seid ein Bursche, Random, der recht gut aussieht und so ehrbar tun kann wie ein Quäker. Wollt Ihr mir eine Verschreibung auf fünfhundert Pfund geben, sechs Monate nach der Hochzeit zahlbar, so will ich Euch Mittel und Wege anzeigen, das Mädchen trotz allen Hindernissen wegzufischen.«

Dieser Antrag war zu vorteilhaft, als daß ich ihn hätte von der Hand weisen sollen. Die Schrift ward sogleich aufgesetzt und unterzeichnet. Banter gab mir sodann Auskunft, wann und in welcher Landkutsche sie abreisen würden. Ich mietete in ihr einen Platz, und für Strap, dem dieser Anschlag gar gut gefiel, ein Pferd. Auf die Art traten wir unsere Reise an.

Wir machten uns vor Tagesanbruch auf. Daher mußte ich eine Zeitlang das Vergnügen entbehren, Miß Snapper – so hieß meine Gebieterin – zu sehen. Ebensowenig war ich imstande, das Geschlecht oder die Anzahl meiner Reisegefährten zu erkennen. Aus der Schwierigkeit, einen Sitzplatz zu finden, merkte ich wohl, daß die Kutsche voll war.

Die ersten fünf Minuten verflossen in einem allgemeinen Stillschweigen. Endlich rief auf einmal eine polternde Stimme, wie die Kutsche ein wenig seitwärts hing: »Linksum, kehrt euch! Deckt die Flanken, zum Kreuzelement!« Der Ton und die Ausdrücke gaben mir sofort zu erkennen, daß diese Äußerung von einem Marssohne käme. Nicht weniger leicht war das Gewerbe einer anderen Person zu erraten, welche mir gegenüber saß und die Anmerkung machte: »Der Mensch hätte billig Sicherheit stellen müssen, eh man ihn zum Beweise seiner Fähigkeiten zugelassen hätte.«

Beide Einfälle taten nicht die gewünschte Wirkung. Wir saßen noch eine gute Weile stumm; endlich brach der Mann vom Degen, eines so langen Stillschweigens überdrüssig, mit einem Schwur in die Behauptung aus, er wäre in eine Versammlung von Quäkern geraten.

Ein Frauenzimmer (zu meiner Linken) mit einer kreischenden Stimme: »Das glaub ich auch, denn der Geist der Narrheit fängt sich an zu regen.«

»Heraus denn damit!« erwiderte der Offizier.

»Sie scheinen dazu eben keine Hebamme nötig zu haben«, rief die Dame.

»Beim Element! ganz sonderbar«, rief der andere aus, »eine Mannsperson kann nicht mit einem Frauenzimmer sprechen, ohne daß sie sogleich an eine Hebamme denkt.«

»In der Tat, Herr«, sagte sie, »ich sehne mich danach, meine Bürde loszuwerden.« – »Was! Von einer Maus, Madam?« fragte er. – »Nein, Herr«, erwiderte sie, »von einem Narren.« – »Haben Sie sich weit geschleppt mit dem Narren?« fragte er. – »Etwas über zwei Meilen«, war die Antwort. – »Bei Gott, Sie sind wirklich ein Witzbold, Madam!« rief der Offizier. – »Ich wollte, ich könnte Ihnen das Kompliment mit Fug und Recht zurückgeben«, sagte die schlagfertige Dame. – »Donnerwetter, jetzt bin ich erledigt«, sagte er. – »Sie haben Ihre Bolzen schnell verschossen, wie es im Sprichwort heißt«, gab sie zurück.

In der Tat war der Kriegsmann mit seinem Witzproviant ganz zu Rande. Der Rechtsgelehrte riet ihm, seinen Klagepunkt fallenzulassen. Eine Matrone, die der siegreichen Witzboldin zur Linken saß, gab ihr die Weisung, unter fremden Leuten ihrer Zunge nicht so freien Lauf zu lassen. Diese kleine Kopfwäsche, die durch die Benennung »Liebes Kind!« gemildert wurde, überzeugte mich, daß das satirische Frauenzimmer niemand anders sei als Miß Snapper; und ich beschloß, dieser Entdeckung gemäß mein Benehmen einzurichten.

Unser Held, der im Witzkampf so übel weggekommen war, veränderte seine Batterie und begann, sich über seine Kriegstaten auszubreiten. »Sie sprechen vom Schießen, Miß? Verdammt! ich habe zu meiner Zeit manchen Schuß getan und auch bekommen. – In der Schlacht bei Dettingen wurd ich von einer Pistolenkugel an der Schulter verwundet. Dort – aber ich sage nichts. – Doch mein Seel! wenn es mich nicht selbst beträfe – Allein mich rühmen ist, hol mich der Deibel! meine Sache gar nicht!« Darauf fing er an, ein Wachlied teils zu pfeifen, teils zu brummen.

Sodann wandte er sich an den Gesetzeskundigen und sagte: »Würden Sie es nicht verdammt hart finden, wenn Sie mit Lebensgefahr eine verlorengegangene Standarte wieder erobert hätten und für die Mühe nicht befördert worden wären? Ich will, holen mich alle Deibel! niemanden nennen. Aber ich will dessenungeachtet Ihnen ein artig Stückchen erzählen. Ein Musketier von der französischen Garde hatte, soll mich der Henker holen! einem gewissen Kornett unter einem gewissen Regiment die Standarte weggenommen und jagte, straf mich Gott! damit fort, was nur das Zeug hielt. Ich nehme wie der Blitz eine Muskete auf, die einem Toten gehört, und schieße dem Kerl, soll mich der Donner erschlagen! das Pferd unterm Leibe tot. Wutsch! war der Bursch wieder auf den Füßen und wollte mir zu Leibe. Ich aber schraubte das Bajonett auf, hielt es ihm, beim Sapperment, vor und rannte es ihm durch den Leib. Schwerenot! da kommt ihm einer von seinen Kameraden zu Hilfe und schießt mich in die Schulter, wie ich Ihnen schon erzählt habe. Ein anderer schlägt mir mit dem Kolben und Karabiner einige Beulen in den Kopf; aber das hatte nichts zu bedeuten. Ich schieße den einen tot, nötige den anderen, Reißaus zu nehmen, und komme ganz kaltblütig mit der Standarte zurück, die ich wieder aufgenommen hatte. Nun kommt der beste Spaß! Der Hundsfott von Kornett, der seine Standarte ganz feige weggegeben hatte, forderte sie mir vor der Front wieder ab, wie er sie in meinen Händen sah. ›Beim Element!‹ sagte er, ›wo haben Sie meine Standarte gefunden?‹ sagte er. ›Beim Element!‹ sagte ich, ›wo haben Sie sie verloren?‹, sagte ich. ›Das schiert Sie gar nix‹, sagte er. ›Es ist meine Standarte‹, sagte er, ›und ich will sie, zum Schwerenot! wiederhaben‹, sagte er. ›Sollen mich tausend Deibel holen‹, sagte ich, ›wo Sie sie wiederkriegen, Herr‹, sagte ich. ›Ich will sie dem General geben‹, sagte ich. Nach der Schlacht ging ich also ins Hauptquartier und stellte die Standarte meinem Chef, dem Lord Stair, zu. Der versprach, für meine Beförderung zu sorgen. Aber ich bin, hol's der Henker! noch immer nur ein armer Leutnant.«

Nachdem er diese mit ›sagte er‹ und ›sagte ich‹ so reichlich durchspickte Rede geendet hatte, räumte ihm der Gesetzesdeutler ein, daß er nicht nach Verdienst wäre belohnt worden. Anbei machte er die Bemerkung, ein Arbeiter sei immer seines Lohnes wert, und fragte, ob ihm jenes Versprechen in Gegenwart von Zeugen wäre getan worden, weil die Gesetze in dem Fall den General zwingen könnten, es zu erfüllen. Als er aber vernahm, es sei ihm beim Weinglase gegeben worden, ohne das Wann und das Wie genau zu bestimmen, erklärte er dies Versprechen für rechtsungültig. Sodann fing er an, sich näher nach der Schlacht zu erkundigen, und machte die Bemerkung, die Engländer hätten zuvörderst ihren Vorteil zuwenig beachtet, die Franzosen aber bei diesem Handel ihr Interesse so schlecht berücksichtigt, daß sie gänzlich abgewiesen worden wären, wenn sie nicht ein Noli prosequi erzielt hätten.

Trotz diesen lebhaften Einfällen würde die Unterredung wieder lange gestockt haben, wenn der Leutnant, der voller Begierde war, alle seine Vollkommenheiten, soviel unter den jetzigen Umständen tunlich war, an den Tag zu legen, sich nicht erboten hätte, die Gesellschaft mit einem Liede zu unterhalten. Unser Stillschweigen legte er als Verlangen, es zu hören, aus und fing eine Arie zu singen an, die damals gang und gäbe war. Er verdrehte die Worte mit der bewundernswürdigsten Leichtigkeit in solchen Unsinn, daß ich auf die Vermutung kam, er wolle die Verse burleskisieren.

Miß Snapper schrieb dies der wahren Ursache – seiner Unwissenheit – zu; und als er sie fragte, wie ihr sein Vortrag gefiele, versetzte sie, Musik und Worte wären fast von einerlei Schlag.

»Ich will verdammt sein«, sagte er, »wenn das nicht ein großes Kompliment ist; denn jedermann gesteht, daß die Worte verteufelt gut sind.« – »Mag schon sein«, erwiderte die Dame, »ich habe nichts dagegen, aber sie gehen über meine Fassungskraft.« – »Ich hab nicht nötig, mich nach Ihrer Fassungskraft zu richten, Madam, verdammt noch mal!« schrie er. – »Nein, genausowenig, wie Sie nötig haben, etwas Vernünftiges zu sprechen«, sagte sie. – »Verdammt noch mal«, sagte er, »ich will sprechen, was mir gefällt.« Hier unterbrach ihn der Rechtsgelehrte und sagte ihm, daß es doch Dinge gäbe, über die er nicht sprechen dürfe. Als er aufgefordert wurde, ein Beispiel zu geben, nannte er Hochverrat und Ehrenschändung.

»Ja, was den König anlangt«, rief der Soldat, »so segne ihn Gott! Ich esse sein Brot und habe in seinen Diensten Blut verspritzt. Drum hab ich nichts gegen ihn zu sagen. Aber, bei meiner Seele! jedem anderen kann ich sagen, was ich will.« – »Nein«, sagte der Rechtsgelehrte, »auch das nicht, Sie dürfen mich, zum Exempel, keinen Schelm nennen.«

»Und Sackerlot! warum nicht?« sagte der andere.

»Weil«, erwiderte der Rechtsanwalt, »ich alsdann einen Prozeß gegen Sie anstrengen könnte, den ich bestimmt gewinnen würde.« – »Nun ja«, rief der Offizier, »wenn ich Sie also nicht Schelm nennen darf, so ist mir's doch, zum Schwerenot, nicht verwehrt, zu denken, daß Sie einer sind!«

Diesen witzigen Einfall begleitete er mit einem starken Gelächter des Selbstbeifalls. Unglücklicherweise wirkte dies nicht auf sein Auditorium; allein sein Gegner war ganz zum Stillschweigen gebracht worden. Er öffnete den Mund eine ganze Stunde nicht, außer daß er seine Kehle durch ein dreimaliges »Hem« reinigte.


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