Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Fünfundsechzigstes Kapitel

Ich wage einen Versuch, meine Geliebte zu sprechen; er gelingt. Wir segeln nach der Küste von Guinea und von da nach Paraguay

 

Jetzt führte ich den Plan aus, den ich in London entworfen hatte. Ich bat nämlich den Kapitän um Erlaubnis, daß Strap und ich so lange auf dem Lande verweilen dürften, bis sich ein günstiger Wind einstellte. Dies wurde mir zugestanden, denn Bowling hatte Befehl, so lange in den Dünen zu bleiben, bis er noch einige Depeschen von London erhalten hätte, und die konnten vor acht Tagen nicht einlaufen.

Ich teilte meinem treuen Diener mein Vorhaben mit, der mich denn nicht verlassen wollte, wiewohl er mir dies rasche Unternehmen auszureden suchte. Dennoch mietete ich Pferde, und wir eilten nach dem Teile der Grafschaft Sussex, wo meine Geliebte eingekerkert war. Dieser lag kaum dreißig Meilen von Deal, wo wir uns mit Gäulen versehen hatten.

Da ich sehr gut wußte, wie weit sich die Güter und der Einfluß des Squires in dieser Gegend erstreckten, so machte ich fünf Meilen von seiner Wohnung halt. Dort blieben wir, bis es etwas dunkel zu werden begann. Nun begaben wir uns auf den Weg und erreichten unter Begünstigung einer finsteren Nacht ein Gebüsch, ungefähr eine halbe Meile von dem Dorfe, wo Mistreß Sagely wohnte. Da banden wir unsere Pferde an einen Baum und gingen gerade nach dem Hause meiner alten Wohltäterin. Strap zitterte den ganzen Weg über und tat Stoßgebete zum Himmel für unsere Rettung. Das Haus der Matrone lag ganz einsam, daher kamen wir ganz ungesehen bis zu ihrer Tür. Ich befahl nun meinem Reisegefährten, allein hineinzugehen und ihr, falls sie Gesellschaft hätte, einen zu dem Zweck von mir geschriebenen Brief zuzustellen. Anbei sollte er sagen, ein Freund von ihr zu London habe ihm diesen anvertraut, als er gehört, daß er diese Gegend passieren würde.

Mein Getreuer pochte stark an die Tür, und die wackere alte Frau sagte, da sie ganz allein wäre, möchte er es ihr nicht übelnehmen, wenn sie nicht eher aufmachte, als bis er seinen Namen und sein Gewerbe angesagt hätte. Sein Name, versetzte er, wäre ihr unbekannt, und sein Gewerbe bestände darin, ihr einen Brief zu überreichen. Dieser, fügte er hinzu, würde allen ihren Besorgnissen mit einem Male ein Ende machen; er wolle ihr denselben durch die kleine Öffnung über der Türschwelle zustellen. Dies tat er denn auch sogleich.

Kaum hatte Mistreß Sagely den Inhalt des Briefes gelesen, in dem ich ausdrücklich bemerkte, daß ich zugegen sei, als sie rief: »Wenn die Person, die diesen Brief geschrieben hat, bei der Hand ist, so lassen Sie diese sprechen, damit ich mich durch ihre Stimme überzeugen kann, ob ich sie sicher hereinlassen darf oder nicht.«

Jetzt legte ich meinen Mund an das Schlüsselloch und rief durch dasselbe: »Meine teuere Mutter, Sie dürfen sich nicht fürchten; ich bin es, der Ihrer Güte soviel zu verdanken hat und der Sie zu sprechen wünscht.«

Sie erkannte sogleich meine Stimme, öffnete die Tür und empfing mich mit wahrer mütterlicher Zuneigung. Die Tränen, die ihr entfielen, gaben ihre Angst, ich möchte entdeckt werden, zu erkennen. Denn von allem, was zwischen Narzissa und mir vorgefallen war, hatte die teure Gefangene sie selbst unterrichtet.

Ich erklärte ihr darauf die Beweggründe meiner Reise. Sie bestanden darin, meine geliebte Narzissa noch einmal zu sehen, ehe ich mein Vaterland verließe, sie persönlich von der Notwendigkeit unserer Trennung zu überzeugen und ihr, um sie darüber einigermaßen zufriedenzustellen, alle die Vorteile vorzulegen, die aus dieser Entfernung wahrscheinlich entstehen würden. Sodann wollte ich das Gelübde ewiger Beständigkeit wiederholen und mich an dem melancholischen Vergnügen weiden, sie bei unserer Trennung noch einmal zu umarmen.

Als ich diese Absichten der Mistreß Sagely entdeckt hatte, sagte sie mir, Narzissa wäre seit ihrer Zurückkunft von Bath so streng bewacht worden, daß man keinen Menschen vor sie gelassen hätte als einen oder zwei Bediente, die ihrem Bruder treu ergeben wären. Einige Zeit hernach habe man ihr ein wenig mehr Freiheit gestattet und vergönnt, Besuche anzunehmen und zu erwidern. Während dieser ›Gnadenzeit‹ wäre sie einige Male in ihrer Hütte gewesen. Allein zuletzt hätte sie ein Bedienter verraten und dem Squire entdeckt, er habe einmal einen an mich gerichteten Brief von ihr nach der Post tragen müssen.

»Auf diese Nachricht«, fuhr die Erzählerin fort, »ist die arme Miß strenger als je eingesperrt worden, und Sie werden sie nie zu sehen bekommen, wenn Sie sich nicht in den Garten wagen wollen, wo sie mit ihrem Mädchen täglich Luft schöpfen darf. Dort müssen Sie sich so lange versteckt halten, bis sich eine günstige Gelegenheit, Narzissa zu sprechen, zeigt. Jedoch ist dies ein Wagestück, dem sich kein vernünftiger Mensch unterziehen wird.«

Ich beschloß, dies Unternehmen, so gefährlich es auch immer sei, auszuführen, sosehr auch Mistreß Sagely, teils durch vernünftige Vorstellungen, teils durch Verweise oder durch Bitten, mich davon abzuhalten suchte. Straps Tränen und Bitten, der mich auf den Knien beschwor, doch mehr Rücksicht auf mich selbst und auf ihn zu nehmen und nicht so mutwillig in mein Verderben zu rennen, richteten ebensowenig etwas aus. Ich war taub gegen alles, bis auf die Eingebungen meiner Liebe. Sonach befahl ich ihm, augenblicklich nach dem Wirtshause umzukehren, wo wir abgeritten waren, und da meine Rückkunft zu erwarten. Anfänglich wollte er dies durchaus nicht, bis ich ihm vorstellte, daß, wenn unsere Pferde bis zum Sonnenaufgang da stehenblieben, wo sie jetzt wären, sie sicher entdeckt werden und alle Einwohner der Grafschaft in Aufruhr geraten würden. In Anbetracht dessen nahm er mit einem sehr bekümmerten Wesen von mir Abschied, küßte meine Hand mit Tränen und sagte: »Gott weiß, ob ich Sie mein' Tage wiedersehen werde.«

Da meine gütige Wirtin fand, daß ich mein Vorhaben nicht aufgeben wollte, erteilte sie mir den besten Rat, um es auszuführen. Sie nötigte mich zuerst, Erfrischungen zu mir zu nehmen, dann bereitete sie mir ein Bett, um mich ausruhen zu lassen. Mit der Morgendämmerung stand ich auf, rüstete mich mit ein paar geladenen Pistolen und einem Hirschfänger und begab mich hinter des Squires Garten. Ich klomm über die Mauer und versteckte mich, nach der Anweisung der Mistreß Sagely, in einem Gebüsch dicht neben der Laube, die am Ende einer ziemlich weit vom Wohngebäude entfernten Allee lag. Diesen Ort besuchte meine Gebieterin öfters, wie ich erfahren hatte.

Ich blieb dort von fünf Uhr des Morgens bis um sechs Uhr des Abends verborgen, ohne eine lebendige Seele wahrzunehmen. Endlich sah ich zwei Frauenzimmer sich mir nähern. An meinem laut schlagenden Herzen erkannte ich sogleich, daß dies Narzissa und die Williams sein müßten. Bei diesem Anblick geriet ich in die heftigste Wallung. Da ich vermutete, daß sie sich in der Laube ausruhen würden, schlich ich mich unbemerkt hinein und legte auf den darin befindlichen steinernen Tisch ein Miniaturbildnis von mir, das ich zu London in der Absicht hatte verfertigen lassen, es vor meiner Abreise meiner Geliebten zuzustellen. Ich legte es deshalb hin, um sie auf meine Erscheinung vorzubereiten. Denn ich besorgte, ohne einen vorbereitenden Wink möchte mein plötzlicher Anblick auf die zarten Nerven meiner schönen Beherrscherin eine üble Wirkung hervorbringen. Darauf zog ich mich wieder ins Gebüsch zurück, wo ich ihre Reden anhören und mich bei dem ersten schicklichen Anlaß zeigen wollte.

Als sie sich mir näherten, erblickte ich in Narzissas Gesicht Spuren der Melancholie, aber mit so unaussprechlicher Anmut verschmolzen, daß ich mich kaum erwehren konnte, in ihre Arme zu fliegen und die Tränen hinwegzuküssen, die in ihren zaubervollen Augen standen. Meiner Erwartung gemäß ging sie in die Laube, und da sie auf dem Tisch etwas wahrnahm, hob sie es auf. Kaum hatte sie das Porträt angeblickt, als sie über die Ähnlichkeit der Gesichtszüge stutzig ward und »Gott! Mein Gott!« ausrief. In ebendem Augenblick schwanden auch die Rosen von ihren Wangen. Ihre Vertraute, die durch diesen Ausruf unruhig ward, betrachtete nun auch das Gemälde und rief voller Erstaunen über die Ähnlichkeit: »O herrje! das ist ja Mister Random, wie er leibt und lebt.«

Nachdem Narzissa sich ein wenig erholt hatte, sagte sie: »Welch überirdisches Wesen mir dies zum Trost in meinem Kummer gebracht haben mag, ich dank ihm innig für diese Wohltat und werde das Bildnis als den teuersten Gegenstand meiner Fürsorge aufheben.« Mit diesen Worten küßte sie das Gemälde mit erstaunlichem Feuer, vergoß einen Strom von Tränen und verwahrte das leblose Bild an ihrem liebenswürdigen Busen.

Durch diese Merkmale ihrer unveränderten Zuneigung ganz außer mir, war ich im Begriff, mich ihr zu Füßen zu werfen, als Miß Williams, bei der das Nachdenken weniger befangen war als bei ihrer Gebieterin, die Bemerkung machte, von selbst wäre das Gemälde nicht hierhergekommen; daher könne sie sich des Gedankens nicht erwehren, daß ich nicht allzu weit sein müsse.

Die holde Narzissa erbebte über diese Vermutung und versetzte: »Das verhüte der Himmel! Denn wiewohl mir nichts auf der Welt mehr Zufriedenheit verschaffen könnte als seine Gegenwart auf einige armselige Augenblicke an einem schicklichen Orte, so wollt ich doch beinahe lieber für immer auf eine Zusammenkunft mit ihm Verzicht tun als ihn hier sehen, wo sein Leben in so großer Gefahr schweben würde.«

Länger konnte ich dem Triebe meiner Leidenschaft nicht widerstehen; ich brach aus meinem Schlupfwinkel hervor und stand mit einem Male vor ihr. Sie stieß vor Schreck einen Schrei aus und sank ohnmächtig in die Arme ihrer Gefährtin. Ich flog auf den Schatz meiner Seele zu, schloß ihn in meine Arme und brachte ihn durch feurige Küsse wieder in das Leben zurück. Ach! daß ich Raffaels Ausdruck, Guidos Grazie und Tizians magisches Kolorit besäße, um die zärtliche Teilnahme, das keusche Entzücken und die anmutige Röte zu schildern, die sich zugleich in ihrem schönen Gesicht malten, als sie die Augen aufschlug und mich erblickte. »O Himmel«, rief sie, »sind Sie es?«

Ich besorge, bereits die Geduld des Lesers durch umständliche Darstellung von allem, was diese Liebschaft betrifft, ermüdet zu haben; aber ich kann mich nicht enthalten, in dem Punkte bis zur Unbescheidenheit weitläufig zu werden. Doch will ich jetzt alles Nichtwesentliche in dieser Unterredung übergehen. Daher nur soviel: Ich bemühte mich während dieses Gespräches, Narzissas Verstand von der Notwendigkeit meiner Reise zu überzeugen. Aber ich vermochte nicht, ihr die traurigen Ahnungen ihres Herzens auszureden, die sie sich wegen der langen Dauer meiner Abwesenheit und wegen der Gefahren machte, denen ich ausgesetzt sein würde.

Nachdem wir uns eine volle Stunde über unser hartes Geschick beschwert und unsere gegenseitigen Gelöbnisse wiederholt hatten, erinnerte Miß Williams uns an die Notwendigkeit der Trennung. Länger konnte sich ihre Gebieterin von der barbarischen Wachsamkeit ihres Bruders nicht wegstehlen. Bestimmt sind nie Liebende mit mehr Kummer und so wider Willen voneinander geschieden wie wir. Doch da Worte nicht hinreichen, diesen rührenden Auftritt gebührend zu beschreiben, so will ich lieber einen Vorhang darüberfallen lassen.

Ich kehrte im Finstern zur Wohnung der Mistreß Sagely zurück. Sie freute sich über den glücklichen Erfolg meines Wagestückes ungemein und wußte meinem heftigen Gram so nachdrückliche Gründe entgegenzusetzen, daß ich einigermaßen meine Gemütsruhe wiederfand. Noch in derselben Nacht nahm ich von der rechtschaffenen Frau Abschied, der ich als ein Zeichen meiner Dankbarkeit und Achtung zwanzig Guineen aufdrängte. Darauf machte ich mich zu Fuß nach meiner Herberge auf und befreite durch meine Ankunft den wackeren Strap von der fürchterlichsten Angst.

Gleich darauf setzten wir uns zu Pferde und trafen den folgenden Morgen in Deal ein. Ich fand meinen Oheim wegen meiner Abwesenheit sehr in Unruhe; er hatte seine Depeschen bereits erhalten und würde mit dem ersten günstigen Winde haben absegeln müssen, ich hätte nun an Bord sein mögen oder nicht. Den folgenden Tag erhob sich ein frischer Wind von Osten her. Wir spannten die Segel auf und waren nach Verlauf von achtundvierzig Stunden aus dem Kanal.

Als wir ungefähr zweihundert Meilen von Lands End entfernt waren, rief mich der Kapitän in seine Kajüte und sagte mir, nun wolle er, da seine Instruktionen es ihm jetzt erlaubten, mir die Absicht unserer Reise entdecken. Das Schiff, welches mit großen Kosten ausgerüstet worden sei, werde nach Guinea gehen. Dort würden wir einen Teil unserer Ladung gegen Sklaven und Goldstaub vertauschen. Dann müßten wir unsere Neger nach Buenos Aires in Neu-Spanien bringen, wo wir sie nebst den noch an Bord befindlichen Waren vermöge eines Passeports von unserem und dem Madrider Hofe gegen Silber verhandeln würden. Dazu, schloß mein Oheim, würde der Superkargo uns behilflich sein, der mit den Küsten, deren Bewohnern und ihrer Sprache aufs genaueste bekannt wäre.

Nachdem ich auf die Art das Geheimnis unserer Reise erfahren hatte, lieh ich mir von dem obenerwähnten Aufseher eine spanische Grammatik, ein Wörterbuch und einige andere Bücher in ebender Sprache. Ich verwandte dann so viel Fleiß darauf, daß ich schon imstande war, Spanisch mit diesem Mann zu reden, ehe wir in Neu-Spanien angekommen waren.

Als wir uns unter dem heißen Himmelsstrich befanden, befahl ich mit des Kapitäns Bewilligung, daß das ganze Schiffsvolk zur Ader gelassen werde und Abführmittel nehme, um den gefährlichen Fiebern vorzubeugen, denen die Einwohner des Nordens in der heißen Weltgegend ausgesetzt sind. Ich glaube, daß diese Vorsicht, deren ich mich gleichfalls bediente, nicht undienlich war, denn wir verloren auf unserer Fahrt nach dieser Küste nur einen Mann.

Fünf Wochen waren wir schon auf See gewesen, als wir ein großes Schiff über dem Winde erblickten, das uns mit allen Segeln nachsetzte. Sogleich befahl der Kapitän, Mannschaft und Fahrzeug in schlagfertigem Stande zu halten. Da er aber wahrnahm, daß das Schiff, welches auf uns Jagd machte und um die Zeit bereits eine französische Flagge aufgesteckt, uns bereits viel im Segeln abgewonnen hatte, hieß er einige Segel einnehmen, die Pfropfen aus den Kanonen ziehen und jeden auf seinen Posten gehen.

Indes jedermann mit Vollziehung dieser Befehle beschäftigt war, kam Strap zitternd und mit geisterbleichem Gesicht auf das Achterdeck. Er fragte mich mit einer halb vor Furcht erstickten Stimme, ob ich wohl dächte, daß wir dem Schiffe gewachsen wären, das uns verfolgte. Da ich seine Verwirrung bemerkte, sagte ich zu ihm: »Wie, Strap, fürchtet Ihr Euch?« – »Fürchten?« versetzte er. »N-n-nein, wo-wo-wo-vor sollte mir denn bange sein? Ich habe, Gott Lob und Dank, ein gutes Gewissen. Aber ich denke, es wird verzweifelt scharf hergehen, und da wünschte ich denn, daß Sie zum Verbinden der Verwundeten keinen anderen Beistand nötig haben möchten, als Sie schon haben.«

Ich verstand, was er damit sagen wollte. Daher entdeckte ich dem Kapitän seine Lage und bat ihn, zu erlauben, daß er mit mir und meinen Gehilfen unten im Schiff bleiben dürfte. Mein Oheim ward über seine Zaghaftigkeit äußerst aufgebracht und hieß mich ihn gleich hinunterschicken, damit das Schiffsvolk nicht durch seine Furcht möchte angesteckt werden. Hierauf sagte ich dem armen Proviantmeister, ich hätte ihn mir zum Beistand ausgebeten und verlangte, daß er hinuntergehen und meinen Gehilfen die Instrumente und Bandagen sollte in Ordnung bringen helfen.

Soviel Vergnügen Strap auch diese Nachricht machen mußte, so stellte er sich doch, als ob er ungern das Deck verließe. »Ich hoffe«, sagte er, »Sie werden doch nicht denken, daß mir bange ist und daß ich mich fürchte, meiner Schuldigkeit auf Deck nachzukommen. Ich stelle mir vor, daß kein Mensch auf dem ganzen Schiff so gut zum Tode bereit ist wie ich, selbst Sie und der Kapitän nicht ausgenommen.«

Diese Verstellung gefiel mir gar nicht, und um ihn für seine Heuchelei zu bestrafen, versicherte ich, es stände bei ihm, ob er mit mir hinunterkommen oder während des Gefechts auf Deck bleiben wollte. Durch diese Gleichgültigkeit beunruhigt, erwiderte er: »Na gut, um Ihnen einen Gefallen zu erweisen, will ich hinuntergehen; aber seien Sie überzeugt, es geschieht mehr Ihnen zuliebe als um meinetwillen.« Mit diesen Worten verschwand er im Hui, ohne eine Antwort abzuwarten.

Um die Zeit konnten wir schon sehen, daß das Schiff, welches auf uns Jagd machte und nur noch zwei kleine Meilen entfernt war, zwei Reihen Kanonen führte. Diese Entdeckung tat auf die Schiffsleute eine ersichtliche Wirkung. Sie trugen kein Bedenken, zu sagen, wir würden zusammengeschossen werden und um unsere kostbaren Gliedmaßen kommen. Wofern einer von ihnen zum Krüppel würde, fuhren sie fort, müßte er zeitlebens um sein Brot betteln gehen; die Kaufleute sorgten niemals für die armen Schelme, die in ihren Diensten invalide würden.

Als der Kapitän diese Widerspenstigkeit vernahm, ließ er alle Leute zusammenrufen und sprach zu ihnen wie folgt: »Heda, Jungens, wie ich höre, habt ihr das Herz in den Hosen. Dreißig Jahre lang fahre ich nun schon zur See als Mann und als Junge; aber noch nie in meinem Leben hab ich englische Seeleute bange gesehen. Vielleicht denkt ihr, ich will euch preisgeben aus reiner Gewinnsucht. Solch Gedanke ist erstunken und erlogen; denn meine ganze Ladung ist versichert. Mein Verlust ist also nicht groß, wenn sie mich nehmen. Freilich ist der Feind stärker als wir. Aber was tut das? Können wir ihm nicht einen Mast wegschießen und ihn auf die Weise loswerden? Finden wir ihn zu stark für uns, dann streichen wir eben die Segel. Wird jemand im Gefecht verletzt, dem gebe ich mein Ehrenwort, er soll seinem Schaden entsprechend entschädigt werden. – Und nun, ihr faulen, feigen Lumpenhunde, macht euch weg und versteckt euch im Kiel- und Brotraum; diejenigen aber, die wackere, herzhafte Jungens sind, bleiben bei mir, und wir geben dem Feind eine volle Ladung zu Ehren von Alt-England.«

Diese beredte Ansprache war so genau nach der Gemütsstimmung seiner Zuhörer eingerichtet, daß sie insgesamt die Hüte abzogen, sie über ihren Köpfen schwenkten und ein dreimaliges Hurra anstimmten. Darauf ließ Bowling durch seinen Jungen zwei große Flaschen mit Branntwein heraufbringen und jeden einen starken Schluck nehmen. Sodann sandte er jeden auf seinen Posten, wo sie alle mit Ungeduld auf die Losung zum Angriff warteten.

Ich muß meinem Oheim die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er bei seinen Anordnungen die größte Unerschrockenheit, Klugheit und Überlegung bewies. Als der Feind ganz nahe war, befahl er mir, mich nach meiner Station zu verfügen. Eben stand er im Begriff, die Flagge aufstecken und feuern zu lassen, als der vermeintliche Franzose die weiße Flagge und den Wimpel einnahm, dafür die englische aufsteckte und ein Stück losbrannte.

Dieser Vorfall war dem Kapitän Bowling über die Maßen lieb. Er steckte unmittelbar seine Flagge auf und feuerte gleichfalls eine Kanone ab. Darauf segelte das Schiff neben uns vorbei und rief uns zu, es wäre ein englisches Kriegsschiff vor vierzig Kanonen, der Kapitän möchte doch das Boot aussetzen und an Bord kommen.

Bowling tat dies um so schneller, als er bei fernerer Nachfrage entdeckte, der Befehlshaber sei ein alter Schiffs- und Tischkamerad von ihm. Auch dieser freute sich ungemein, ihn zu sehen, und behielt ihn zum Essen. Den Superkargo und mich ließ dieser Mann in seiner Barke abholen und erwies uns die verbindlichsten Gefälligkeiten.

Dies Schiff war dazu bestimmt, auf die Franzosen in der Höhe von Martinique zu kreuzen, und deshalb mit französischen Lilien bemalt, auch, um den Feind zu täuschen, gänzlich verändert. Kein Wunder daher, daß mein Oheim es nicht erkannte, wiewohl er sich viele Jahre an dessen Bord befunden hatte. Wir segelten vier Tage miteinander. Während dieser Zeit verließen die Kapitäne sich nicht. Endlich aber mußten wir uns trennen, weil der verkappte Franzose einen anderen Lauf zu nehmen hatte.

Nach weniger als vierzehn Tagen landeten wir an der Küste von Guinea, nicht weit von der Mündung des Flusses Gambia. Dort trieben wir längs dem Ufer südwärts der Linie bis Angola und Benguela unseren Handel. Es war noch nicht völlig ein halbes Jahr verflossen, als wir den größten Teil unserer Ladung abgesetzt und vierhundert Neger gekauft hatten. Meine Güter hatte ich insgesamt gegen Goldstaub umgetauscht. Als hier unsere Geschäfte gemacht waren, verließen wir das Schwarze Vorgebirge und kamen nach sechs Wochen im Rio de la Plata an. Unterwegs begegnete uns nichts Merkwürdiges, außer daß ein epidemisches Fieber, das mit der Kerkerseuche Ähnlichkeit hatte, sich bei uns einfand. Es brach unter den Sklaven aus und rieb einen guten Teil unserer Mannschaft auf. Ich verlor dadurch einen meiner Gehilfen, und der arme Strap war dem Tode ganz nahe.

Nachdem wir dem spanischen Gouverneur unseren Paß gezeigt hatten, wurden wir mit vieler Güte behandelt. In gar wenig Tagen hatten wir unsere Sklaven verkauft und wären wohl fünfmal soviel um noch so hohe Preise losgeworden. Unsere übrigen Waren, die aus europäischen Stückgütern bestanden, sahen wir uns genötigt, verstohlnerweise einzubringen; jedoch setzten wir sie mit gutem Vorteil ab.


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