Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Einunddreißigstes Kapitel

Ein Zwist unter den beiden Zeugen verschafft mir meine Freiheit wieder. Nur mit vieler Mühe läßt sich Morgan bereden, die seinige wieder anzunehmen. Wir segeln nach Jamaika, Hispaniola und endlich nach Cartagena

 

Mittlerweile gerieten die beiden Neugriechen in einen Streit, und der eine kam, um sich zu rächen, zu uns und entdeckte, was es mit dem angeführten Gespräch mit dem Doktor Mackshane eigentlich für eine Bewandtnis gehabt habe. Dies kam letzterem zu Ohren. Er sah voraus, daß wir nun, da wir Jamaika im Gesicht hatten, eine bequeme Gelegenheit finden könnten, uns vor einem Kriegsgericht zu verteidigen und zugleich seine Unwissenheit und Bosheit an den Tag zu fördern. Daher bat er bei dem Kapitän so nachdrücklich für uns, daß wir in wenig Stunden in Freiheit gesetzt wurden und Befehl bekamen, unsere Amtsarbeiten zu verrichten.

Für mich war dies ein sehr glücklicher Vorfall, denn mein Körper war von der Sonnenhitze über und über mit Geschwüren bedeckt und meine Beine aus Mangel an Bewegung erstarrt. Allein den Waliser konnte ich kaum überreden, daß er die Gnade annahm. Er bestand hartnäckig darauf, so lange in Ketten zu bleiben, bis ein Kriegsgericht ihn von den gegen ihn vorgebrachten Beschuldigungen losgesprochen und ihm Gerechtigkeit gegen seine Feinde verschafft habe.

Ich stellte ihm vor, wie unsicher der Ausgang eines Verhörs sei und wieviel Einfluß und Macht seine Gegner hätten; zugleich schmeichelte ich ihm mit der Hoffnung, daß er, wenn wir in England eingetroffen wären, mit eigener Hand an Mackshane Rache nehmen könne. Dieser Grund machte bei ihm mehr Eindruck als alle die übrigen und bestimmte ihn, die dargebotene Freiheit zu nutzen.

Kaum waren wir in unserem Gemach, als das Bild meines erblaßten Freundes vor meine Seele trat und meine Augen mit Tränen erfüllte. Wir entließen sofort den Jungen, der so treulos an uns gehandelt, so viele Tränen er auch vergoß, sosehr er auch uns bat und so bitterlich er auch seine Reue über das, was er getan hatte, bezeigte. Zuvor aber mußte er bekennen, daß der Oberchirurgus ihn mit einem Paar Strümpfen und zwei alten Kommißhemden bestochen habe, gegen uns als Zeuge aufzutreten. »Die Geschenke«, setzte er treuherzig hinzu, »hat mir hernach sein Bedienter wieder gemaust.«

Der Doktor schickte uns hierauf die Schlüssel zu unseren Kisten und Schränken. Wir fertigten den Boten nicht eher ab, als bis wir deren Inhalt untersucht hatten. Mein Amtsgenosse fand, daß alle seine Chesterkäse bis auf die Rinde verzehrt, sein Branntwein ausgetrunken und sein Zwiebelvorrat rein fort war. Er geriet darüber in einen heftigen Zorn, brach gegen Mackshanes Kerl in Verwünschungen und Flüche aus und drohte, ihn als Dieb zu verklagen. Allein dieser Mensch schwor, er habe die Schlüssel nicht eher unter Händen gehabt als jetzt, wo sein Herr ihm dieselben mit dem Befehl zugestellt hatte, sie uns zu überliefern.

»So wahr Gott mein Richter ist«, rief Morgan, »und mein Heil und mein Zeuge, wer auch immer meinen Proviant gestohlen hat, der ist ein lausiger, lumpiger, schuftiger Schurke! Und bei der Seele meines Großvaters, wenn ich wüßte, wer's gewesen ist, ich würde ihn beschuldigen und anprangern und des Raubes bezichtigen.«

Hätte sich dieser Unfall zur See zugetragen, wo der Verlust nicht zu ersetzen gewesen wäre, so würde der Abkömmling des Caractacus aller Wahrscheinlichkeit nach seinen Verstand völlig verloren haben. Als ich ihm aber vorstellte, wie leicht diesem unbedeutenden Bubenstreich abzuhelfen sei, so wurde er ruhiger und fand sich in dieses Mißgeschick.

Ein kleines Weilchen darauf kam der Oberchirurgus zu uns, unter dem Vorwande, etwas in dem Arzneikasten zu suchen. Mit lächelnder Miene wünschte er uns zu unserer Befreiung Glück. Es wäre ihm sehr sauer geworden, sagte er, sie bei dem Kapitän auszuwirken, der über unsere Aufführung mit Recht sehr aufgebracht sei. »Jedoch«, schloß er, »hab ich für Ihr künftiges Betragen gutgesagt, meine Herren, und ich hoffe, Sie werden mich diese Gefälligkeit nicht bereuen lassen.«

Ohne Zweifel erwartete er für diesen vorgeblichen Liebesdienst eine Danksagung und völliges Vergeben und Vergessen alles dessen, was zwischen uns vorgefallen war. Allein er hatte nicht mit Leuten zu tun, die so geneigt waren, Beleidigungen zu verzeihen, als er glaubte, oder zu vergessen, daß, wenn wir auch unsere Befreiung seiner Fürsprache zu verdanken hätten, alle unsre Drangsale doch von seiner Bosheit herrührten.

Ich schwieg daher still; doch mein Kollege versetzte: »Reden wir lieber nicht mehr davon. Gott kennt das Herz. Ein jegliches Ding hat seine Zeit, wie der Weise sagt, das Steinewerfen – und ebenso das Wiedereinsammeln.«

Der Doktor schien durch diese Antwort außer Fassung zu geraten, ging zornig fort und murmelte etwas von »Undankbarkeit« und »Kerls« in den Bart, wovon wir keine Notiz zu nehmen für gut fanden.

Unsere Flotte stieß zu einer anderen, die auf sie gewartet hatte. Sie warfen beide zu Port Royal in Jamaika Anker. In diesem Hafen lagen wir ungefähr einen Monat. Während der Zeit wurden zuverlässig Sachen von Belang verhandelt, wiewohl einige behaupten wollten, wir hätten dort gar nichts zu tun gehabt; vielmehr hätte, um die zu unserer Unternehmung dienliche Jahreszeit zu nutzen, das Westindische Geschwader, das von unserer Ankunft Nachricht bekommen, an der Westseite von Hispaniola mit dem nötigen Kriegsvorrat und mit Erfrischungen zu uns stoßen müssen. Von da wären wir vermögend gewesen, gerade nach Cartagena zu segeln, ehe der Feind sich in Verteidigungsstand hätte setzen oder den geringsten Wink von unserer Absicht bekommen können.

Wie dem nun auch sein mag, genug, wir fuhren von Jamaika ab und segelten in zehn, höchstens vierzehn Tagen gegen den Wind bis zur Insel Vache, in der Absicht, die französische Flotte anzugreifen, die, wie man sagte, dort vor Anker lag.

Als wir aber ankamen, war sie bereits auf dem Wege nach Europa, nachdem sie zuvor ein Avisoboot nach Cartagena geschickt und dieser Stadt unseren Aufenthalt in der dortigen Gegend, samt unsrer Stärke und Bestimmung, gemeldet hatte.

Dort verweilten wir einige Tage lang, nahmen Holz und Brackwasser ein; doch schien unser Admiral bei dessen Gebrauch auf die Gesundheit seiner Leute Rücksicht zu nehmen, indem er niemandem mehr als ein Quart täglich zukommen ließ. Endlich segelten wir weiter und kamen in eine Bai windwärts von Cartagena. Daselbst warfen wir Anker und brachten dort zehn Tage zu.

Gewisse boshafte Leute nahmen hieraus wieder Gelegenheit, das Verfahren ihrer Vorgesetzten zu tadeln. Sie behaupteten, diese hätten dadurch nicht nur eine Zeit verloren, die mit Rücksicht auf das Nahen der Regenzeit sehr wertvoll war, sondern hätten auch den Spaniern Zeit gelassen, sich von dem Schreck zu erholen, den ihnen eine englische Flotte verursachte, die wenigstens dreimal so zahlreich war als irgendeine von denen, die sich sonst in diesen Gegenden hatten sehen lassen. Allein wenn ich meine Meinung hierüber sagen soll, so schreibe ich diese Verzögerung lieber dem Edelmut unserer Chefs zu. Sie verschmähten es, sich eines Vorteils zu bedienen, den ihnen das Glück in die Hände gab, wenn es auch gleich gegen einen Feind war.

Endlich lichteten wir doch die Anker und ließen sie etwas näher am Eingange des Hafens fallen. Dort schifften wir in aller Eile unsere Seetruppen aus. Sie lagerten sich sogleich an diesem Ort, dem feindlichen Geschütz zum Trotz, das manchem von ihnen auf den Kopf schoß. Daß wir dicht unter den feindlichen Wällen ein Lager nahmen – wovon man meines Erachtens noch kein Beispiel hat –, geschah vermutlich deshalb, um die Truppen ans Feuer zu gewöhnen. Denn die meisten davon waren erst vor wenigen Monaten hinter dem Pfluge weggenommen worden, folglich kriegerischer Auftritte noch ganz ungewohnt.

Dieser Umstand gab wieder Stoff zum Tadel gegen das Ministerium, das eine Handvoll roher Rekruten zu einer solchen wichtigen Unternehmung abschickte, indes so manche alte Regimenter müßig zu Hause lagen. Allein zuverlässig hatte man hierzu triftige Gründe, die vielleicht mit der Zeit nebst anderen Geheimnissen zugleich an das Tageslicht kommen werden. Vielleicht war es der Regierung zuwider, ihre besten Truppen zu einem so verzweiflungsvollen Versuch zu gebrauchen; oder vielleicht weigerten sich die Stabsoffiziere von den alten Korps, die ihre Posten mehrenteils als bloße Pfründen oder Pensionen für einige Privatdienste genossen, die sie dem Hofe geleistet hatten, vielleicht, sage ich, weigerten sich diese Herren, sich in ein so gefährliches und mißliches Unternehmen einzulassen. Ohne Zweifel hat ihnen diese Vorsicht niemand verdacht und sie vielmehr deshalb gepriesen.


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